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A
ZEITSCHRIFT
des
Vereins für Volkskunde.
Begründet von Karl Weinhold.
Unter Mitwirkung von Johannes Boiti
herausgegeben
von
Fritz Boehm.
27. Jahrgang.
^^9
Mit 10 Abbildungen im Text.
BERLIN.
BEHREND & C«.
1917—1918.
1917.
Inhalt.
Abhandlungen und grössere Mitteilungen.
Seite
Gan^^a til frettar (Fortsetzung und Schluss\ Von Rudolf Meissner . 1 - lo. 90-105
Der Komet im Volksglauben. Von Otto Lauffer 13-35
Bohnenlieder. Von Arthur Kopp 35— 4[)
Deutsclie Märcheu aus dem Nachlasse der Brüder Grimm. 4. Die Prinzessin
im Sarge und die Schildwache. 5. Fürchten lernen, »i. Sankt Peters
Mutter. Von Johannes Holte 41)— 55
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 1. ('her Wesen und Ursprung
des Spieles. 2. Kind und Sprachspiel. Von Georg Schläger lOG— 121. 19'.>— 215
Walther in Tegernsee, ein Exkurs über altdeutsche Tischsitten. Von Edward
Schröder 121-129
Der 'Mückenkönig" Walthers von der Vogelweide. Von Eduard Kück . . . 129-184
Max Roediger t- Von Johannes Bolte mit Verzeichnis seiner Schriften) . . 1S5 - 196
Ernst Friedel f. Von Georg Minden 19<; - 199
Volksetymologie und Sagenbilduug. Von Wilhelm Schoof 21(;-2.')2
Kleine Mitteilungen.
Wurstbeltehi und Wurstreime in Sachsen. Von Gurt Müller 55— tlT
Nachträge zu den Personifikationen von Tag und Nacht. Von Georg Polivka (IS— 69
Zu Band 25, 314: Ein salomonisches Urteil. Von Adolf Jacoby 6!»- 70
Zum Dornröschen-Märchen. Von Ernst Leumar.n und Johannes Bolte . . 70
,Die Scheune brenntl' oder die sonderbaren Namen. Von Johannes Bolte . 135 -141
Deutsche Volk.-lieder aus der Dobrudscha und Südrussland. Von Arthur
Byhan 141-146
Zu den Totenkrouen. Von Marie Andree-Eysu (mit 2 Abbildungen") . . . 146-148
Das Kind im Aberglauben des Isergebirges. Von Wilhelm Müller-Rüd(
dort
148-150
Bergische Arbeitsreime (Rufliedclien). Von Otto Schell 150-1.5H
Märkische Berge in der Sage. Von Rudolf Schmidt 158—164
Aus dem Jahre 1848. Von Käthe v. Jezewski •^*!*~^'5
Litauische Naturbeseelung. Von Johannes Podszuweit • 165 — 167
Nachtrag zu den Bohnenliedern. Von Arthur Kopp 167— KiS
Der König von Rom. Von Georg Schläger 1G8
Die Sankt-Michaeli- Prozession in Gaissach. Von Hedwig BuUer-Ho efle r
(mit 2 Abbildungen 233—2.35
Begnadigung zum Stricktragen oder zur Heirat. Von Johannes Bolte ..... 2.35-236
Das Hickelspiftl in Frankfurt a. M. in seiner kriegsgemässen Entwicklung. Von
Joseph Dillmann (mit 15 Abbildungen) 237-240
Beiträge zur Volkskunde Osteuropas, 2o. Fluchbrief gegen Diebe. 21. Weitere
Beiträge zum modernen Aber- und Zauberglauben: moderne Sagenbildung.
Von Raimund Friedrich Kaindl 240-245
Zur Völkerschlacht am Birkenbaum. Von Margarete Rothbarth 245—247
Zur Literatur der Kriegsprophezeiungen. Von .Margarete Rothbarth .... 247—249
Zu Georg Polivkas (;0. Geburtstag. Von Jiri Horäk 249—250
Arthur Kopp f. Von Johannes Bolte -•'!
Berichte und Bücheranzeigen.
Seite
K. Khamm, Ur/eitliclie Hauernliofe im germanisch-slawischen WaMgehiet, ein
Buchauszug. Von Victor von (ieramb Schluss) 71—83. 252— 2G1
Blau, Böhmerwälder Hausindustrie und Volkskunst 1: Wald- und Holzarbeit
(K. Brunner '-^^
Fchrle, E. Deutsche Feste und VolksLräuche F. Boehm; 87— 88
Friedel, E. und Mielke, li. Landeskunde der Provinz Brandenburg, 4. Band:
Die Kultur H. Lohre 202-265
Hofstaetter, W. Deutschkunde F. Boehm) 88— 8^^
Im'me, Th. Die deutsche Soldatensprache der Gegenwart und ihr Humor
(F.' Boehm) 2*^6
Maurizio. A. Die Getreidenahrung im Wandel der Zeiten E. Hahni .... 1G9
Mausser, 0. Deutsche Soldatensprache, ihr Aufbau und ihre Probleme
(F. Boehm) 260-267
Meier, J. Volksliedstudien (J. Bolte) 267—268
Schrijnen, J. Ncderlandsche Volkskunde (J. Bulte) 170
Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 20. Jahrgang (F. Boehm ... 84-87
Stade, W. Die Gespenstergeschichlen des Peta Vatthu (.F. v. Xegelein^ . . 171—172
Wilser, L Deutsche Vorzeit .S. Feist) 172-17B
Notizen J. Bendel, J. K. Brechenmacher, F. Cumont, J. W. P. Drost,
R. Eckert, G. W. Leibniz, K. Reiterer, 0. Stiehl. — W. Ahreus, W. Ahrens
und A. Maass, Berichte aus dem Knopf-Museum, H. Beucker, F. zur Bonsen,
S. Eitrem, A. Eliasberg, M. Haherlandt, P. M. Huber, Hummel, A. John,
L. Kümmel, A. von Löwis of Menar, A. N , F. E. Peiser, J. PeBch, F. Peter-
lechner, Quickborn-Bücher, E. Rosenmüller, S. Singer, H. Sohnrej, J. Schefte-
lowitz, K. Spiess, l^IOIXEIA hrg. von F. Boll, H. L. Strack, C. W. v. Sjdow,
J. Thirring-VVaisbecker, P. Thomsen, W. St. Vidüuas, Volkstümliches aus
Graubünden, K. Weiuberger, D. Zorzut. - W. Ahrens, H. Beckh, M. Böhme,
F. Boll, Die deutschen Brüder, H. F. Feilberg, G. Go3'ert und K. Wolter,
Heimatklänge, A. Heusler, A. Hilka, G. 0. Hylten-CavaUius und G. Stepheus,
A. Ippel. K. Janson, 0. L. .liriczek, S. Konow, P. R. Krause, K. Krohn,
E Lehmann, J. Lewalter, F. v. d. Lejen, J. Meier, C. Xörrenberg, H. Patzig,
R. Petsch, M. Ramondt, K. Reuschcl, H. Rosen, F. Schwenn, F. Settcgast,
K. Wehrhan, 0. Weise' 89-91. 173-182. 269-276
Aus den Sitzungsberichten des Vereins für Volkskunde. Von Karl Brunner
91-95. 182-184. 277-2S2
Gedenket unserer Glocken! Aufruf des Verbandes deutscher Vereine für
Volkskunde -^ö- 96
Berichtigung 282
Register 283-288
Ganga til frettar.
Von Rndolf Meissner.
W. Mackeiizie beschreibt in den Transactions of tbe Gaelic Society
of Inverness 18, 97 eine als frlth bezeichnete Divinationshandlung, die
sich auf den Hebriden erhalten hat. Sie wird angewendet, wenn man
über das Schicksal eines Abwesenden Gewissheit haben will, von dem
man lange nichts gehört hat, oder bei Erkrankungen, um zu erfahren,
ob die Krankheit durch den bösen Blick, durch einen Mann oder
eine Frau verursacht ist, ob Genesung oder Tod das Ende sein wird usw.
Man hat dem Zauber einen religiösen Charakter verliehen und gibt an,
dass er zuerst von der hl. Jungfrau gebraucht worden sei, als sie um den
verlorenen Jesusknaben besorgt war (Carmichael, Carmina Gadelica 2, 158).
Ergänzende Züge füge ich ein aus Hendorson, The Norse influence
on Celtic Scotland (Glasgow 1910) S. 72, und dem Aufsatz von A. Goodrich-
Freer in Folklore Bd. 13 (S. 47 ff). Die Handlung wird am besten am
ersten Montag des Vierteljahres, und zwar unmittelbar vor Sonnenaufgang
vorgenommen. Der Seher hat sich durch Fasten und Gebet vorzubereiten.
Er geht mit nackten Füssen, unbedecktem Kopf und mit geschlossenen
Augen aus dem Innern des Hauses bis zur Schwelle der Tür. Wenn er
dort beim Öffnen der Augen irgend etwas sieht, das einem Kreuze^)
gleicht, seien es auch nur zwei kreuzweise übereinander liegende Halme,
so ist es ein Zeichen, dass der Zauber gelingen wird. Er schreitet dann
(mit der Sonne, dessil) um das Haus, indem er einen Segen spricht:
/ go forth on ihe trade of Christ —
God hefore nie, God behind ine,
and God on nnj footsteps.
The Frith that Mari/ made for her Son,
ivhich Bridget hlew through her puhn;
and as she got a true response
without a false one,
maij I behold the likeness and sinnlitude of
(hier ist der Xame der Person zu nennen, über die man Gewissheit
haben will).
1) Das Kreuz <?ilt auch in Deutschland bei einer bestimmten Art des Losens als
Gewährung:. Man wirft fünf Brotkügelclien auf den Tisch; lässt sich durch Verlegen
eints einzigen Kügelchcus ein Kreuz bilden, so ist die Frage, die man im Sinne hat,
bejaht. Wuttke, Volksaberglaube * § 328.
Zeilschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 1. 1
2 Meissner:
\Vomi der Segen o:esprochen ist, schaut der Seher gerade vor sich
through the loosely-closed hand^ as Mary looked through the hand of Brigid
über das I^and (oder über die See, was als schwieriger gilt) und deutet
nun gewisse Zeichen, die sich seinem Blick darbieten.
Ein stehender Mann z. B. bedeutet, dass jemand krank war, aber
wieder genesen ist, eine stehende Frau dagegen gilt als ein sehr böses
Zeichen, bedeutet Tod oder einen Unglücksfall, daher bekreuzigt sicli der
Seher oder spricht einen für diesen Zweck bestimmten Abwehrsegen.
Eine Lerche ist günstig, ebenso eine Taube, Ente, ein Hund; Krähen
oder Raben sind böse Zeichen usw.
Das Merkwürdige aber ist nun, dass Ausnahmen für einzelne Clans
gemacht werden. So bedeutet z. B. eine Katze für alle anderen schlimme
Dinge; aber für die Mackintoshes, Macphersons, alle Angehörigen des
Clans Clattan ist sie ein gutes Zeichen. Ein Schwein, das auf den Se-
henden zukommt, ist ein schlechtes Zeichen, läuft es fort vom Sehenden,
so ist es überhaupt nicht zu beachten — für die Campbeils bedeutet es
aber in jedem Falle etwas Gutes.
Es liegt nahe, hier an die Nachwirkung totemistischer Vorstellungen
zu denken, indessen werden auch Vorzeichen anderer Art auf einzelne
Familien eingeschränkt (J. G. Campbell, Witchcraft and Second Sight.
Glasgow li)02 S. 110).
Im scliottischen Hochland wird nach Campbell (Superstitions of the
Highlands and Islands of Scotland. Glasgow 1900 S. 259 fP.) fridh in all-
gemeinem Sinne angewendet, nämlich für jede Handlung, durch die der
Ausgang einer Sache erforscht, auf eine aufgeworfene Frage Antwort
gesucht werden kann, z. B. auch für das Losen. Häufiger als fridh soll
deiichainn für diese Befragung gebraucht werden. Campbell bespriclit dann
verschiedene Arten des deuchain?i. Die folgende stimmt mit der oben
mitgeteilten Schilderung ziemlich überein:
Der Seher geht am Neujahrstage mit geschlossenen Augen aus dem
Innern des Hauses bis zur Tür, öffnet nun die Augen und sieht sich um.
Die Deutung der Dinge, die er erblickt, erfolgt nach bestimmten Regeln.
Ein Mann bedeutet im allgemeinen Gutes für das kommende Jahr, be-
sonders ein Reiter in lebhafter Bewegung. Ein Weib ist stets ein un-
günstiges Zeichen. Ein Mann, der gräbt, bedeutet Tod, eine Ente oder
Henne, die den Kopf unter die Flügel steckt, ist ebenfalls ein Todes-
zeichen.
Eine andere Art des deuchainn wird nachts auf der Spitze eines cairn
oder sonst einer Erhebung vorgenommen, die kein vierfüssiges Tier er-
steigen kann. Auch hier kommt es auf die Deutung dessen an, was man
sieht oder was dem Fragenden auf dem Heimwege begegnet. Das er-
innert an die nordische ütiseta und an Divinationsgebräuche, die uns
aus Deutschland wohlbekannt sind.
Ganga til fi-ettar. 3
Hendersoii nimmt au, dass die von ihm als fritli bezeichnete und
geschilderte Divinationshandlung aus Norwegen stamme, dass ferner frith
•wie das schottische frei, freit dem norweg. frett entspreche.
Schott, frei, freef, freit bezeichnet a siipersiifious notion, or belief ivith
respect fo awj action or event as a good or a had omen, a superstitious oh-
sercance or practice. a charm. Jamieson, An etym. dictionary of the
Scottish language 2 (1880), 305. Das Wort erscheint in gleicher Be-
deutung auch in nordengl. Mundarten und in Irland; inittelenglisch:
folud widie-crafte and freie and eharmyng.
Cursor mundi 28 310. Wright, The English dialect dict. 2, 491b;
freit^ freie, freet. fr<iie^ frei^ a^iy/ihirnj to ivhich supersiition attaches, a super-
■■■iiiiious formuht or chxrm: a superstitious obsercance or act of u-orsJiip.
Murray 4, 530c. Von den dort gegebenen Belegen ist die aus einem
Werke des G. Macdonald angeführte Stelle der Sinnesfärbung wegen be-
achtenswert: / dream aboot bim )ahiles sae Ufelihe, that I canna beliece Mm
deid. But ihafs a freiis.
Diesem Worte steht in der Bedeutung nahe das altengl. freht: auspiciis,
frebtiim, Rituale eccl. Dunelmensis p. 97. Verbot alles heidnischen Wesens,
leg. Cnut. bei Liebcrmann, Ges. d. Angelsachsen 1, 312: an blote OiSCion
fyrhie. für l>hie die var. Mote, so auch im Quadripart.: aut in sorie vel in
flfrhie. ()})pe on hloi oppe on firhie Northumbr. Priestergesetz (Ancient
laws and Institutes of England p. 419). Hierzu gehören frihiere, Wahrsager,
frihtrung, frihtrian in entsprechenden Bedeutungen.
Da nord. fri'ti, \^\. frctiir auf friht zurückgeht, kann das altengl. freJd
ihm nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden (doch s. Torp, Wortschatz
<ler germ. Spracheinheit S. 24G). Ferner können die angeführten späteren
englischen Formen wieder nicht als Nachkommen des altengl. frehi ange-
sehen werden, sondern nur von <lem nord. freit aus erklärt werden. Auch
iiltengl. frebi ist wohl ein aus dem nord. stammendes Tiohnwort, auf-
genommen in einer Zeit, als der Guttural noch erhalten war (vgl. Björkmaii,
Scand. loan-words S. 173; Kluge in Pauls Grdr.^ 1, 936).
In Grimms Mythologie* 3, 23 wird zu nord. frett auf das seltsame,
«inmal bei Notker bezeugte freläa {Ephige?iia, dia Chalchas in friskinges
■Ullis mimigVcho fr,'hia Boethius 298, 13) hingewiesen. So weit auch die
Bedeutung abzuliegen scheint, kann dieses frehia nicht von ahd. frehi,
vieriiitm getrennt werden (Graff 3, 817. 818). Die Länge des Stamm-
vokals ist durch Notker gesichert, auch durch die Schreibung fraehtie in
Pa 198, 1 (neben frehiigero 14, 13 uwd. frehtigem 14, 15); vgl. Koegel, Ker.
Glossars. 17; Schatz, Altbayr. Gr. § 11. Frehi leitet Kluge von got. */m-
aihis ab (Etym. Wb. unter f rächt; Möller, Kuhns Zeitschr. 24, 447); vgl.
Wilmauns, D. Gr. P, 412; Franck — van Wijk, Et. Woordeub. unter vracht.
frehfic glossiert sacer Steinmeyer-Sievers 1, 244, 5, bei der (Jlosse infule,
fra'hi/r (1, 198. 1) gehört fnrhtic zu sacerdotalis (vitia).
1*
4 Meissner:
Die beiden letzten Glossen nähern sich schon eher der Bedeutung von
frehta. Wenn die Herleitung des Fem. freht von fra-aihts richtig ist, könnte
man sich vielleicht folgende Entwicklung denken In fra liegt ein absondern-
der, abtrennender Sinn, fra-aihts würde darnach Sonderhabe, Anteil be-
deuten können; der Übergang zu der Bedeutung meritum ist von hier aus-
wohl denkbar. Das germanische Opfer bezweckt die Vereinigung des-
Menschen mit dem Gott durch gemeinsame Speise^). Ein Teil des Opfers,
und zwar des Blutes, in dem das Leben steckt, wird den Göttern gegeben,
alles übrige verzehren die Menschen. So schildern uns die nordgermanischea
Quellen die Opferhandlung. Dass mit dem für die Götter bestimmten
Blute wiederum die Menschen besprengt werden, bezeichnet gleichfalls die
Vereinigung der Menschen mit dem Gott. Ebenso nimmt dann im weiteren
Verlauf des Opferfestes der Gott Anteil am Trank durch das Minnetrinken.
Das Blut, das dem Gott zum Genuss auf den Altar gestellt wird, heisst
sein 'Anteir (hlaut): pat var pesskonar blöd, er scefd vdru pau kciketidi, er
godunum var förnat. Eyrb. s. Kap. 4. Es ist wohl denkbar, dass auch
freht einmal den Gottesanteil im sakralen Sinne bezeichnet hat. Die-
Ableitung eines Verbums im Sinne von opfern und eines Ad}, frehtic. sacer^
würde sich dann leicht erklären.
Ob es lautgesetzlich möglich ist, fiüth vom nord. frett abzuleiten
kann ich nicht beurteilen. Aber die Entlehnung dieses Wortes würde
noch nicht beweisen, dass gerade die zu Anfang des Aufsatzes geschilderte
Art der Divination nordischen Ursprungs ist.
Henderson (a a. 0. S. 78) nimmt das an, obgleich ihm bekannt ist^
dass nord. frett eine ganz allgemeine Bedeutung hat: this species of divi-
nation which ice owe fo the Norse is by no vieans extinct in the Hebrides.
Er begnügt sich damit, auf vier Stellen der Saga hinzuweisen, ohne sie
im W^ortlaut anzuführen:
Brödir retjndi til med forneskju hversu ganga myndi orrostati, en svd
gekk frcttin usw. Njala Kap. 157; en Sigurdr gekk til frettar vid mödur sina
(um deu Ausgang eines bevorstehenden Kampfes zu erfahren), hon var
margkunnig Orkn. s. Kap. 11. Hier ist Hendersons Ausdruck (ichere Sigurd
practises it) durchaus unpassend. Die Mutter, nicht Sigurd practises it.
Diese beiden Stellen siud ja überhaupt für die Sache ganz belanglos. Die
nächste (Forns. 19) dagegen gibt ein klareres Bild; es ist die bekannte
Schilderung aus der V^atnsdoelasaga: die finnisclie Seherin sitzt im Hnuse
des lugjaldr auf hohem Sessel, die Männer treten einzeln heran, um sich
weissagen zu lassen: fimian var seit hätt ok biiit um hana vegliga: pangat
1) Wie König Hakon der Gute von seinen heidnischen Bauern gezwuugen wird,
sich durch Teilnahme an der Opfermahlzeit wieder den alten Göttern zu erijcben, wollen
die Langobarden christliche Gefangene nötigen, das Opferfleisch zu geniessen (quadra-
ginta rustici a Longohardis capti cariies imniolaiitias coinedere compeUehantK>: Gregor.
Dial. 3, 27).
Ganga til frettar. 5
<j€ngu menn til fretta, hverr vr sinu rümi, ok spurdu at orlogum sinum. Welche
besondere Zauberhandlung die Seherin vorgenommen hat, um ihr Wissen
zu erlangen, erfahren wir nicht. In der letzten bei Henderson angeführten
Stelle (Yngl. s. Kap. 18) wird erzählt, dass König Dagr opfert, um zu er-
fragen, was mit seinem Sperling geschehen ist: gekk kann pd til sonarblöts til
frettar ok fekk pau svo7', at sporr ha7is var drepinn ä Vorva. Diese Stellen
können, wie man sieht, unmöglich zum Beweise dafür angeführt werden,
<lass die Handlung des frith norwegischen Ursprungs ist. Mir ist aus dem
nordischen Altertum keine Divinationshandlung bekannt, die dem frith
unmittelbar verglichen werden könnte, frett bezeichnet ja niemals einen
bestimmten Vorgang der divinatio, sondern überhaupt die Einholung einer
-flurch übernatürliche Gewälir gesicherten Antwort, mag es durch Losung,
<durch seidr oder auf eine andere Weise geschehen^). Ein alter Beleg für
die Wendung gaiiga til frettar steht in der Yellekla:
flötta gekk til frettar
fein ■ Njoiür d velli,
draugr qat dolga Sogu
dagrcld Hetsins vd<Sa,
ok Jiahlbotfi liildar
liroegamma sd ramma;
Tijr vildi sd iyna
teinlmtlar fjor Gauta.
Skjaldodigtning B 122, 30 (A 121)).
Die auf der Strophe beruhende Prosaerzählung nimmt an, dass der
vor kurzem erst getaufte Hakon ein Opfer veranstaltet habe, um zu er-
fahren, ob die Zeit für den Kampf günstig sei. Bei Snorri (Heiraskr. Ol.
Tryggv. Kap. 27) und Forum, s. 1, 131 gibt Odin die Antwort durch die
zwei laut krächzenden Raben: gerdi kann pä hlöt mikit; pd kömu par
fljngandi lirafnar IL ok gidlu hdtt; J)d pykkisk jarl vita, at Odinn hefir pegit
■blötit ok pd mwi jarl ha/a dagrdd til at herjask. In der Fagrsk. Kap. 15
wird die frett mit dem blötspdnn vorgenommen, abe?' auch hier ist das
Erscheinen der Raben das Entscheidende: fcelldi liann hlötspön oc vitradezk
srd sem hann shjlldl hafa dagrdd at heriazk oc hann ser pd ramna tvd
hvarsso gialla or fylgia allt lidinu (das Opfer wird auf dem Schiff ver-
anstaltet, in den beiden andern Quellen auf dem Lande). Man denkt hier
an die Worte des Tacitus bei der Schilderung des Lesens: sin ijer^nissum
<;wenn die Lose günstig sind), auspiciorum adhuc fides exigitur. Et illud
quidem etiam hie notiim, avium coces volatusque interrogari (Germ. 10). Der
Yerf. der Fagrsk. hat offenbar teinn in V. 8 der Strophe als blötspdim auf-
'gefasst. Finnur Jonsson, Heimskr. 4, 83 verwirft die Konjektur teinhlaxits
fjqrvi aus metrischen Gründen. Indessen scheint es mir möglich, auch
1) Christlich gewendet Postolas. 844: siimir furo (zu Johannes Baptista) til ftrttn
at ßcinfia.
(; Meissner:
ohne Konjektur die kenning auf das Opfer oder die freu zu beziehen. Ol>
teinn mit hlotspann gleichbedeutend ist (MüUenhofF DAK. 5. 156) oder
der teinn dazu dient, die' am Opfer Teilnehmenden mit Blut zu besprengen
{hlauttemn Heimskr. Hak. Gott. Kap. 14; Eyrb. s. Kap. 4), bleibe zunächst
dahingestellt, ieinlaut könnte sowohl etwas bezeichnen, worauf die Los-
stäbe geworfen oder gelegt werden {super candidam vestem bei TacitusX
als auch das Gefäss oder noch besser das Blut selbst, in das der Be-
sprengungszweig gesteckt wird'). Dass Snorri nichts von der Benutzung^
des blötspdnn sagt, beweist natürlich nicht, dass er angenommen hat, sie
habe in diesem Falle nicht stattgefunden. Ebenso ohne Erwähnung des-
blötspdnn: pann vetr fekk higöJfr at hUti mikhi ok gekk tU frettar um forlog sm^
visadi frettin honum til Jslands Forum, s. 1, 239, Eyrbyggjas. Kaj). 4^
Landn. 193, 16 F. J., vgl. auch Fornald. s. 2, 8.
Das Wort freit im Sinne der Einholung einer Autwort mit über-
natürlicher Gewähr gehört weniger der poetisclien Sprache als der Prosa
an. In der Edda kommt es nur in zwei unechten Strophen der Yegtams-
kvida vor (Bugges Ausg. 138). Die nach 4,6 eingeschobenen Zeilen
sind höchstens insofern von Interesse, als hier gesagt wird, dass der Blick
bei der Zauberhandlung nach Norden gerichtet ist (leit / nordr, vgl.: ok-
horfir l>6 i nordr, Jarl Hakon beim Gebet Forum, s. 11, 134. Odin wendet
Runen und Zauberspruch an, um die Yölva zu wecken). Auch in der
skaldischen Dichtung ist frett nur selten belegt, in den Hugsvinnsmal
wird es an einer Stelle, wo die Vorlage von der Erforschung der Zukunft
durcli Losung spricht, verwendet:
til forlaga sbina
skalat madr freit reka 65 Gering
quid Dens iniendut, noli pcrquirere sorte.
Wenn in der Prosa frett und ganga tu frettar in Verbindung mit Opfer2)
vorkommt, erfolgt die gewünschte Antwort gewohnlich durcli den blötspiinn..
Die Formel ist fella blötspdnn oder fella spdn, das Substantiv steht immer
im Singular, oder blötspdnn ist Subjekt zu f aller, feil honum fd srd
spdn?i, seni kann niyndi eigi lengi Ufa Yngl. s. Kap. 38. Bei einer Hungers-
not: sipan var felldr blötspdnn, ok gekk svd frettin, at eieji mundi fgrri ko^na
dr d Reidgotaland, en peim sveini vari blötad, er crztr cwri Herv. s. Kap. 7.
pd feudi Onmidr blötspdn til at kann sh/ldi verda viss hrern tima Eirekr mundi
til fara at nema dalinn Landn. 188, 19 Finnur Jonsson. Mit anschliessender
1) Ich sehe nachträglich, dass Finnur Junssou im Lexicon poeticum (l'.dO - r.)16>
laut im Sinne von hlod-hop auffasst und die Erklärung von ieinu als Schwert verwirft.
2) Auf das mit Opfer verbundene Loswerfeu bei den Samländt in hat schon W. Grimm
(Runen S. 305; hingewiesen: ir hhitukirl der warf zi) haut sin löz nach ir aide» site: ~a
hant er hliUete allez mite ein quel: Livl. Reimchr. 4680. Er weissagt ihnen dann Sieg
über die Ordensbrüder. (Vgl.: in viel ril dicke wol ir spdn. Livl. Reimchr. 72o2.)
Gauga til frettar. 7
Auslosung eines zum Opfertode bestimmten: Jjeir feUdu spän til bijijar, ok
feil scö at Odinn vildi piggja mann at Idutfalli at hanga or henium
Gautrekss. Kap. 7.
In welcher Weise die in den angeführten Stellen erwälmte fi-itt vor-
genommen wurde, ist aus den Berichten nicht zu erkennen. Beim Losen,
wie es Tacitus beschreibt, ist das Aufnehmen der Lose durch den Inter-
pretator das Entscheidende, beim Aufheben werden die Götter angerufen.
Die bezeichneten surculi werden temere ac fortuito auf das weisse
Tuch geworfen. Der sacerdos cicitatis oder der iiatcr familias ter singulos
tollif, sublatos secundum impressum ante notam interpretatur. YAn dem tollere'^)
entsprechendes taka upp findet sich im Nordischen bei der Schilderung
des Auslesens, wenn die Lose mit der Marke des Eigentümers versehen
in dem Schoss eines Gewandes durcheinander geworfen und ein oder
mehrere Lose herausgenommen werden (menn bdru pä Idutl s/'na i skaift
ok tök Jarlinn tipp Egilss. Kap. 48; zahlreiche Belege bei Fritzner, Ordbog 2,
17 unter hlutr). Aber die typischen Formeln feil scd blötspdim, var felldr
blötspünn, felldu blöl-tpdn, die sich ausschliesslich auf die Zukunfts-
erforschung beziehen, geben uns ein Bild der Divinationshandlung, das
sich wesentlich von der Schilderung des Tacitus unterscheidet. Auch im
irischen Ausdruck für das Befragen der Lose, die aus Eibenholz ge-
schnitten und mit Ogomzeichen versehen waren, ist das AVerfen der Stäbe
betont: chrann-clmr, the act of custing »"OOcZ (Mac Culloch, The religion of
the ancient Celts, Edinburgh 1911, S. 248 Anm. 2). Will man sich eine
Vorstellung von der im Norden beim Opfer geübten Losung machen,
muss man zunächst vomWortsinn der dafür gebräuchlichen Wendungen aus-
gehen. Die Vorstellungen des Werfens und Fallens werden freilich auch beim
Auslosen festgehalten, wo zweifellos, wenn Stäbchen, Holzstücke gebraucht
werden, die Entscheidung auf andere Weise erfolgt: durch Herausschütteln
eines Loses aus einem Gefäss u. ä. ; oder durch Ziehen. So ist es bei
dem nord. hlutfall, das Auslosung bezeichnet. To cast kecils in der von
MüUenhoff (Zur Runenlehre S. 37) angeführten Ballade dient zur Aus-
losung eines unter mehreren. Die kenls sind Holzstücke, die mit Eigen-
tümerzeichen versehen sind (vgl. über die kacel und das kaceln Homeyer,
Über das germanische Losen in den Berliner Sitz.-Ber. 1858, 747ff. und
in den Symbolae Bethmanno Hollwegio oblatae 1863, S. 69). Die Ent-
scheidung kann, wenn man diese Lose verwendet, natürlich nieht. durch
das blosse Hinwerfen der vorhandenen Lose herbeigeführt werden. Aber
die Wendungen 'das Los werfen', 'das Los fällt' werden auch in Deutsch-
land schon früh ohne bestimmte Anschauung gebraucht.
1) Ter singulos iollit kaun kaum anders aufgefasst werdcu, alt^: er uiiniut
dreimal zu einem auf, d. h. dreimal je eiuen Stab. Die Ausdeutung kann durch eine
nota gegeben werden, aber sie wird dreimal wiederholt. Zu tollere sort's vgl.: illa .sacras
ptieri soties ter sustiilit. Tib. 1, :>, 11.
8 Meissner;
Dass blöfspdtm irniuer im Sing, erscheint, ist auffallend. Im allge-
meinen liat man sich nicht daran gestossen und blötspdnn collectiv ge-
nommen, so dass also die hlötspcvnir den surculi des Tacitus gleichgestellt
werden konnten. Es gibt eine Stelle, die eine andere Erklärung wenigstens
erwägen lässt: pä vöru gervir Jilutir af vhendamonniim ok felldr blötspdnn
til (Herv. s. Kap. 6, S. 325 Bugge). Man kann diese Stelle so auffassen,
dass die hlutir von dem einen blötspdnn unterschieden werden. Auch die
Mutir sind dabei als Späne oder Zweigstücke zu denken (skera hluti Forum.
s. 7, 140). Der blötspdnn könnte als ein besonders bezeichneter, bei der
vorhergehenden Opferhandlung geweihter hlutr aufgefasst werden, dem
bei der Deutung der geworfenen Lose eine entscheidende Rolle zufiel.
Eine Differenzierung der zur Zukunftserforschung verwendeten Lose ist
ja etwas sehr natürliches und vielfach bezeugt.
Aber es ist fraglich, ob man aus dieser Stelle so viel herauslesen
darf. Sicher scheint mir das eine zu sein, dass das Werfen das Ent-
scheidende war. Visendamenn richten die Lose her. Das mag sich auf
die Wahl bestimmter Holzarten (arbor fructifera bei Tac), eher wohl auf
die Bezeichnung der Lose mit notae beziehen.
Eine deutliche Vorstellung, wie die Losung vorgenommen wurde,
können wir uns nach den Angaben der Quellen nicht machen. Es ist auch
anzunehmen, dass es verschiedene Arten der Losung je nach der Frage-
stellung gegeben hat.
Die Rhabdomantie ist sehr weit verbreitet und wird auf sehr ver-
schiedene Weise ausgeübt. Geht man für das Nordische vom Zeugnis
der Sprache aus und legt das Gewicht auf das Werfen und Fallen der
Lose, so muss man annehmen, dass die zufällige Lage der gefallenen
Lose massgebend war. Das hat auch Keyser schon erkannt (Nordma?ndenes
religionsforfatning i hedendommen S. 148), nur meint er, dass die zu-
fällig durch die geworfenen Zweige gebildeten Runen zeichen als
Grundlage für die Deutung gedient hätten. Es erklärt sich leicht, wie
er auf diesen Einfall kommen konnte. Die Auffassung der notae des
Tacitus als Runen, die im Norden bezeugte Verwendung der Runen zum
Zauber, die bedeutsamen Namen einzelner Runen riefen die Vorstellung
hervor, dass die Runen bei der Losung unentbehrlich seien. — Nun ist
aber die Deutung nach der Lage der Lose so weit verbreitet, dass es
gar nicht wunderbar erscheint, sie auch bei den Germanen wiederzufinden.
W. Grimm (Über deutsche Runen S. 305) erwähnt schon, dass die Afgha-
nen aus der zufälligen Lage von Pfeilen, die aufs Geratewohl ausgeschüttet
werden, weissagen. Von den Lolos: the deities are consulted by tossing
isticks in the air, and exainining the positions into which theij fall. The
Royal Geograph. Soc. Suppl. Papers 1 (1886j, 70. Eine Losung mit
drei Stäben (niu) wird von Taylor (New Zealand 205) geschildert. Dabei
steckt der Fragende einen Stab in die Erde, die beiden andern werden
Ganga til frettar. 9
vor ihn liingeworfen, die Antwort ergibt sich aus der Lage, vgl. Ratzel,
Völkerkunde' 1, 300. Ebenso ist es, wenn statt der Stäbe Muscheln, Steine,
Kuochenstücke angewendet werden. Die gegenseitige Stellung geworfener
Muscheln wird von den Bogos ausgedeutet (W. Munzinger, Sitten und
Recht der Bogos S. 90). Die Piereros werfen das Los mit kleinen Steinen,
die von den Kundigen überall aufgelesen werden können. Sie schütteln
die Steinchen auf der flachen Hand hin und her und deuten die so ent-
stehenden Stellungen aus, die Aussprüche beziehen sich dabei nur auf
Geschehenes (Zeitschr. d. Ges. f. Erdkunde 4, 505). Die Betschuanen
und Basutos bedienen sich zur Erforschung der Zukunft eines Satzes von
zwei aus Hörn verfertigten Losstäben, zweier grösserer und 15 kleinerer
Knochenstücke. Die Lage der beiden Lösstäbe und der beiden grösseren
Knochenstücke ist dabei von besonderer Wichtigkeit. (Verl), d. Berl. Ges.
f. Anthrop., Etlmol. und Urgesch. 1882, 542.)
Bei einer von Lichtenstein (Reisen im südlichen Afrika 2, 518) ge-
schilderten Losung werden nur vier aus Antilopenklauen verfertigte Stücke
verwendet, aber auch hier wird die durch den Wurf entstandeno Lage
ausgedeutet.
The sorcerer puts hits of stick and pebbles info a gourd, shakes them up,
and tlü-ou's them out, deduciny his aimcer to the questions put from their
Position as theij He an the groiind. A. Werner, The natives of British
Central Africa (London 1906) S. 93. Divination is a function peculiar to
the priests, and is usualhj performed hy throwing things an the ground, and
drawing inferences from the position in which theij fall. Ä numher of short
sticks a fem inches in length, er of pieces of knotted cord, or a handful of
coiories or nuts are the articles generali}) used. A. B. Ellis, The Ewe-speaking
peoples of the Slave Coast of West Africa (London 1890) S. 96. Eine
gleiche Art der Losung (Beurteilung nach der zufälligen Lage der ge-
worfenen Lose) beschreibt H. Meyer, Die Barundi (Leipzig 1916) S. 133.
Um den Ausgang einer Krankheit zu erfahren, warf man in Mexiko
^laiakörner auf ein weisses Tuch (super candidain resfem. Tac.) und
deutete die Lage der Körner. (Globus 1900, 89.)
Die Betschuanen brauchen für die Handhabung der Zauberwürfel
den Ausdruck: einen Fetisch suchen. (Verh. d. Berl. Ges. f. Anthrop.,
Ethnol. und Urgeschichte 1882, 542 ) Fortgeschrittene Denkweise nimmt
an, dass geistige Wesen den Fall der Lose lenken, sie in bestimmte Lage
bringen. Eine primitivere Vorstellung verlegt aber die geheimnisvolle Kraft
in die Lose selbst, die Lose fallen, legen sich unabhängig von der Ein-
wirkung auderer Wesen. Das Los wird zum Fetisch*). Nachwirkungen
dieser Vorstellungen erhalten sich bis in die Zeiten, in denen man im
1) Die berühmten bemalten Kiesel von Mas d'Azil sind vielleicht solche Lose und
Tetische. Hoernes, Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa S. G») 1. Aufl.).
10 Meissner:
Losen und dem daraus entstandeneu AVürfeln iiur ein Spiel des Zufalls
sieht. Ich erinnere micli aus meiner Studentenzeit, dass man beim
'Knobeln' durch Behauchen oder Bespucken der Würfel einen günstigen
Wurf erzielen konnte. Im Frankfurter Passionsspiel von U'.Jo reden die
Kriegskuechte, die um den Rock Christi würfeln, den Würfel^) mit 'Herr'
an, z. B.
ivolan, her worffel^ was kunt ir nu ?
(Froning-, Drama des Mittelalters 2, öl3.)
Besonders deutlich tritt die Yorstelhmg, dass die Antwort gebende
Kraft im Lose selbst steckt, in den Divinationsgebräuchen hervor, bei
denen die Lose sich von selbst bewegen. Brand (Populär antiquities
of Great Britain 3, 332 (1849) gibt die Beschreibung einer solchen Divi-
nationshandlung aus Theophylact ohne nähere Angabe. Es ist Theo-
phylactus, der Bischof von Ochrida gemeint, und die Stelle steht in seinem
Kommentar zu Hosea 4, 12 (Patrol.gr. 126, 643), sie ist wörtlich dem Kom-
mentar des Cyrill von Alexandria entnommen. Aus den beiden Stellen
des Alten Testaments, die ein Stab- bzw. Pfeilorakel behandeln, Ezeeh. 21, 26
und Hosea 4, 12, ist nicht viel zu entnehmen, aber die Erklärung, die Cyrill
zur Hoseastelle gibt, ist interessant. Kautzsch übersetzt: 'Mein A^olk be-
fragt sein Stück Holz und sein Stab gibt ihm Bescheid\, Septuag.: h
ot'fißoAois iJTijoo'ncoi' xal h odßdoig avrov aTn'jyyeÄov aho), Vulg.: populus mens
in ligno suo inteirogavit et baculus ejus annuiUiaoit ei. Cyrill beschreibt die
Divinationshandlung folgendermassen: ovo yäo lorävTFg (jnßöoc^, ihn nra
T(0}' u.7roQQ)'jTC0v Qi'Toig xaTETiddovreg, y.arnx/Jrtodai :ia()foy.i-:v(uov TaTg ichy <)w-
lioruov ivegyetaig xai JKJirovoag ijrerijQOVv, ojtoi (f^Qon'To .-ruir, rn'neooy Fvßr i)
ävömv, e.ig de^iov i) sig ekovvjLiov (Patrol. gr. 71, 129). Es ist für unsere
Zwecke gleichgültig, ob Cyrill wirklich ein jüdisches Staborakel dieser
Art gekannt hat. Ersonnen ist die Beschreibung nicht, es finden sich
analoge Gebräuche bei verschiedenen Yölkern. Das Wesentliche bei dieser
Art der Losung ist, dass die Lose spontan in Bewegung geraten. Cyrill
schreibt das einer von aussen auf die Lose einwirkenden Kraft zu, die
ursprüngliche Vorstellung verlegt den Antrieb zur Bewegung in die Lose
selbst.
Bei den Eingeborenen von Natal wird die Divination mit drei Stäben
ausgeführt, die durch Zauber veranlasst werden, sich zu bewegen. Oder
Knöchel werden auf die Erde geworfen (die einzelnen Knöchel sind be-
nannt als Mensch, Kuh, Hund usw.), sie antworten durch Bewegung auf
die gestellten Fragen. (Callaway, Journal of the Anthrop. Institute 1, 178.)
Bewegung als ungünstiges Zeichen: another ivay is fo put the lots in a jar^
Cover it up, mid leare it for a time, if theij still keep fheir relatire positions
1) [Über die Vorstellung des Würfels als eines dämonischen Wesens vgl. (xrimm^
Mythologie » S. 84. 3, 2G9. Wickram, Werke 4, 277 V]
Ganga til frettar. 1 1
when next loohecl at, the omens .... are faoourable. (A. Werner, The natives
of British Central- Africa S. 93.) Derselbe Autor beschreibt ein Ordeal,
das in diesem Zusammenhange erwähnt werden darf, weil dabei von ge-
haltenen Stäben eine bewegende und den rechten Weg anweisende Kraft
ausgeht. Wenn ein Diebstahl verübt ist, werden vi-er junge Leute aus-
gewählt und je zwei bekommen einen Stab zu halten. Dann beginnt der
Zauberer seine Beschwörung, die jungen Männer geraten in Erregung,
nach dem Glauben der Neger durch die Kraft der Stäbe, und laufen
schliesslich zur Hütte des Diebes. S. 90ff. Interessant ist folgende Schil-
derung eines Pfeilorakels: 'Zu Aleppo sah ich einen Mohammedaner, der
zwei Personen gegeneinander über auf einen auf der Erde ausgebreiteten
Teppich niedersetzen liess. Er gab ihnen vier Pfeile in die Hand, die
sie gerade mit der Spitze unterwärts hielten. Wenn nun eine Frage über
etwas, was man zu wissen wünschte, vorgelegt wurde, so murmelte er
eine Zauberformel, wodurch seinem Vorgeben nach die Pfeile von sich
selbst, ohne einige Bewegung der Personen, die sie in der Hand hielten^
mit den Spitzen sich in der Mitte zusammenfügten, und je nachdem ein
glücklicher oder unglücklicher Erfolg angezeigt werden sollte, die rechte
Seite sich über die linke, oder die linke über die rechte legte.' (Della
Valle bei Rosenmüller, Altes und neues Morgenland 4. Ö35.) Scholz,
Komment, zu Hoseas (Würzburg 1882) S. 48 berichtet von einem gleichen
Orakel, dessen sich die Türken bedienten, um den Ausgang eines Feld-
zuges gegen die Christen zu erfahren. Zwei Pfeile bedeuteten dabei die
Türken, zwei die Ciiristen.
Kehren wir nun nach dieser Abschweifung zur nordischen Losung
zurück.
Nimmt man an, dass die Lage der geworfenen Stäbe das Entscheidende
war, so können sie deshalb doch mit notae versehen gewesen sein: mit
notae, die z. B. Glück, Unglück, Gefahr, besondere Ereignisse aller Art be-
zeichneten. Man kann sich auch denken, dass der Befragende selbst durch
einen Stab vertreten war. Dann Hesse sich wohl verstehen, dass der
Deutende aus der gegenseitigen Lage der sinnvoll bezeichneten Stäbe
eine vielsagende Antwort, nicht bloss ein Ja oder Nein herauslesen konnte.
Vielfach bezeugt ist ein einfacheres Wurfverfahren bei <ler Khabdo-
mantie, wenn es sich nur darum handelt, eine von zwei Antworten zu
erhalten. So wie wir durch die zwei Seiten einer Münze die Entschei-
dung treffen, brauchte man Stäbchen, die auf einer Seite mit Rinde
bekleidet, auf der andern abgeschält waren: die Stäbchen wurden in die
Höhe geworfen, und die Antwort erfolgte, je nachdem sie auf die eine
oder andere Seite niederfielen. Diese Art von Losung kam im Mittelalter
bei den Juden vor. (Hastings, Encyclopnedia of Religion and Ethics 4, 810a.)
Aus Gera ist folgendes Verfahren bezeugt: Man schüttelte drei Stäbe, die
auf der einen Seite weiss, auf der anderen schwarz waren: kamen mehr
1 '2 Meissner :
Moisae Seiten uacli obeü, bedeutete es Glück, das Gegenteil Unglück.
(Wuttke, Yolksaberglaube ^ §344.) Vgl.: siquidem tribus ligni particulü,
parte altera albis, altera nigris, in gremium sortinm loco conjectis, candidis
2?rospera, furvis adoersa signahant^ Saxo p. 827 (Die Slaven in Rügen).
Auf den Altären chinesischer Tempel liegen halbkreisförmige Holzstücke,
die man in die Luft wirft, wenn mau eine Frage beantwortet haben will.
Man beobachtet dann, mit welcher Seite sie auffallen. (A. Bastian. Die
Völker des östlichen Asiens 3, 76.)
Bei den Friesen und Angelsachsen bezeichnet das dem nordischen
teinn entsprechende Wort das Los: quae sortes tales esse debent: duo tali de
virga praecisae. quos tenos cocant. Lex Fris. XIV, \. Leton liim pa be-
tweonum taan vnsian .... hluion heller aftuvi., Juedengildum .... Jia se tan
(lehvearf ofer ti-nne ealdgesida Andreas 1099 ff. Mit tan wird in der nord-
humbrischen Interlinearversion der Evangelien sors wiedergegeben (Matth.
27,35, Mot vel tan Joh. 19,24). Im Sinne von Loszweig ist teinn am
Anfang der Hymiskvida zu verstehen. Die Götter nehmen die freit auf
zweifache Weise vor, es ist aber durchaus nicht gesagt, dass es in der
Reihenfolge geschieht, wie die Verse angeben: liristo teina oc ä Iduut sä.
Das Gegenteil vielmehr ist wahrscheinlich. Zum Gebrauch des Hysteron-
ju'oteron vgl. Detter-Heinzel zu Vspa 7, 3 — 8. Aus dem hristo geht deut-
lich hervor, dass es auf den Wurf und die dadurch hervorgebrachte Lage
der Loszweige ankam. Die Lose werden geschüttelt, weil sie vor dem
Wurf durcheinander gebracht werden sollen. Sie müssen sich also in
einem Behälter befinden. Bei den Arabern hat sich aus dem Stab- oder
Pfeilorakel (bei dem neben dem Ziehen des Loses auch der Wurf bezeugt
ist; Koran Sur. 3, 39 verblasst vom Auslosen) das eigentümliche Meisir-
spiel entwickelt; hierbei ist oft von dem Schütteln der Lospfeile (Pfeile
ohne Spitze) die Rede, die Pfeile befinden sicli dabei in der Ribäba,
einem köcherartigen Behälter. Die Pfeile, die alle besondere Namen haben
und bezeichnet sind, werden allerdings dann nicht geworfen, sondern
unter einem über die Ribäba gedeckten Tuche gezogen. Über das Pfeil-
orakel der Araber und das Meisirspiel vgl. Wellhausen, Reste arabischen
Heidentums ^ S. 132; Jacob, Altarabisches Beduinenleben ^ S. 110; A. Huber,
Über das Meisir genannte Spiel der Araber (Leipz. Diss. 1883) S. 44.
Neben der Losung wird in der Hymiskvida die Beschauung des Opfer-
blutes erwähnt {ä klaut sä), wie sie in der bekannten Stelle des Strabo (294)
von den kimbrischen Frauen vorgenommen wird: h. de tov jiQoy/ofuvov
ai'uaxo; ei; tov ^oar^/o« juarTeiar nvu enoiovvro. Auch die Litaaer benutzten
das Blut des Opfers zur Divination. v- Mierzynski, Der Eid des Keistutis
(Sitzungsberichte der Prussia 18, 104. Königsberg 1893).
Die teinar der Hymiskvida sind, wie der Zusammenhang ergibt, Los-
zweige oder -Stäbe, sie sind nicht mit dem hlautteinn zu verwechseln.
Von diesen erfahren wir lediglich etwas durch die beiden schon oben
Ganga til frettar, 13
zitierten Stellen, Heimskr. Hak. göd. Kap. 14; Eyrb. s. Kap. 4. Diese beiden
Schilderungen stimmen in dem Vergleich des hlautteinn mit einem stgkkuU, d.h.
mit dem Weihwedel überein, nur dass die Eyrb. s. von einem hlmitteinny
Snorri von mehreren spricht: hlautteinar, pat var sva gort sem stoklar (Sn.),
hlautteinn sem stokkuU cari (Eyrb. s.). Sieht man aber näher zu, so ist zu
beachten, dass Snorri auch von hlauthoUar spricht, die Saga aber von
einem, Snorri von mehreren Altären, die mit dem Blut besprengt wurden,
die Saga nur von einem. Dass die Schilderung der Saga nicht lediglich
aus Snorri stammen kann, ist sicher (Finnur Jonsson [Aarb. 1909] S. 260;
Thümmel, Beitr. 45, 63). Nun steht aber der Vergleich mit einem Gegen-
stand des christlichen Ritus (stokkull, Eoreniugen til norske fortids
mind. bevaring. Aarsber. 1910, 27) bei Snorri vereinzelt, in der Saga
finden sich aber noch zwei andere entsprechende Vergleiche: i pd liking
$em nü er songhiis i kirkjum; sem altari. Bisher nahm man an, dass gerade
der hlautbolli und der Idautteinn und der Vergleich mit dem stokkull aus
Snorri stammen (Pinnur Jonsson, Arbok hins i'sl. fornl. fei. 1898,30). Es
ist aber doch wahrscheinlich, dass die Saga die drei A^ergleiche derselben
Quelle entnahm. Daraus würde der Schluss zu ziehen sein, dass die Saga
überhaupt nicht auf Snorri zurückgeht.
Jedenfalls zeigt diese Schilderung, dass im hlautbolli sich nur ein
hlautteinn befand; wenn er zum Besprengen diente und dem Weihwedel
verglichen werden konnte, so kann er nur ein lebendiger Zweig oder ein
Zweigbüschel gewesen sein; und da die Beschreibung nichts von einer
Verwendung zum Losen sagt, haben wir auch kein Recht, eine solche
anzunehmen Dem hlautteinn gleichzustellen ist hlautvidr in der Vol. 63:
pd knd Hcenir hlautvip kjösa (nach R.). Hoenir übernimmt den Tempel-
dienst in der neuen Welt und wählt den heiligen Zweig aus für den sfallr.
(Schluss folgt.)
Der Komet im Volksglauben.
Von Otto Lauffer.
Es war in den Jahren 1816 bis 1821, als Joh. Georg Rist, der seit
1803 kgl. dänischer Geschäftsträger in St. Petersburg, Madrid und London,
dann von 1808 bis 1813 Geschäftsträger und später Generalkonsul Däne-
marks in Hamburg gewesen war, seine prächtigen und gedankenvollen
Lebenserinnerungen schrieb, die zu den künstlerisch feinsten und kultur-
geschichtlich inhaltvollsten unter den deutschen Memoirenwerken zu
zählen sind.
14 Lauffer;
J)ort fiiuli'ii ^vir zum Jahre 1811 folgende Benierkiiiig: „Am Himmel
stand damals der schöne Komet, der durch seinen freundlichen Schein,
mehr eine gute als eine schlimme Vorbedeutung, die Nächte zierte". Rist
zeigt sich hier also gegenüber dem erwähnten Himmelszeichen scheinbar
ganz unbefangen. Dann aber, nachdem er die politische Lage der Zeit
geschildert hat. fährt er fort: „Die Zeichen der Zeit standen also zum
Kriege. Der Komet wies nach Nordosten, und wir erwogen unablässig das
Für und Wider des grossen Kampfes, der unvermeidlich schien"^).
AVir staunen, denn aus diesen Worten Rists scheint doch hervorzu-
«•ehen, dass auch er selbst, dieser welterfahrene, hochgebildete Mann, mit-
samt seiner Umgebung noch immer uraltem Glauben gemäss geneigt war,
nicht nur den Kometen an und für sich als drohendes Vorzeichen für den
Krieg anzusehen, sondern dass er darüber hinaus aus der Richtung des
Kometen am Himmel auch auf die Richtung des bevorstehenden Krieges
glaubte seine Schlüsse ziehen zu sollen.
Nach diesem einen Beispiel zu urteilen, musste sich denn wohl auch
aus den gebildeten Kreisen gar mancher mehr, als wir heute annehmen,
getroffen fühlen, wenn er in Goethes Spottgedicht 'Drohende Zeichen'
die A'erse las:
Tritt in reclit vollem klarem Schein
Frau Venus am Abendhimmcl herein,
Oder dass blutrot ein Komet
Gar rutengleich durch Sterne steht;
Der Philister springt zur Türe heraus:
„Der Stern steht über meinem Haus!
0 weh! Das ist mir zu verfänglich!"
Da ruft er seinem Nachbar bänglich:
„Ach seht, was mir ein Zeichen dräut!
Das gilt fürwahr uns arme Leut'!
Meine Mutler liegt am bösen Keuch,
Mein Kind am Wind und schwerer Seuch',
Meine Frau, furcht ich, will auch erkranken,
Sie thät schon seit acht Tag nicht zanken;
Und andre Dinge nach Bericht!
Ich furcht, es kommt das jüngste Gericht."
Die Gedankenwelt, in die wir hier einen Blick tun, geht in ihren
Anfängen weit zurück. Sie knüpft an die orientalisch-astrologischen Vor-
stellungen an, die in der Zeit des Hellenismus von Babylonien aufge-
nommen wurden und die dann, in die Kultur des Abendlandes fortge-
pflanzt, bis zum Ausgang der Renaissance so sehr in Kraft geblieben sind,
dass selbst die Papstkröntingen noch im 16. Jahrhundert von dem Stern
der Stunde abhängig gemacht wurden.
1) Gekürzte Ausgabe in der 'Hamburgisclien Hausbibliotliek' T— II. 1908, 2, 121
u. 125
Der Komet im Volksglauben. 15
Bekanntlich wurde in den Lehren der Astrologie den Planeten eine
belierrschende Rolle zugewiesen. Sie sind die Wandelsterne. Sie haben
ihre selbständige Bewegung gegenüber dem Fixsternhimmel, und mit den
seltener erscheinenden Kometen ist es ebenso. iVber gerade mit der Be-
urteilung der Kometen steht es sehr merkwürdig.
Bei den Griechen hatte schon im 3. Jahrh. v. Chr. Apollonius und nach
ihm in Rom Seneca gelehrt, dass die Kometen Gestirne seien. Aristoteles
dagegen hielt die Kometen für Dünste, die sich in der Atmosphäre ent-
zünden und dann verlöschen. Ihm folgte Plinius, der sie zugleich für
vorbedeutend erklärte und ihnen je nach ihrer Form und Farbe eine be-
sondere Bedeutung zuschrieb^). Diese irrige Lehre ist es dann gewesen,
die die Jahrhunderte hindurch die astronomischen Vorstellungen des Abend-
landes beherrsclit hat und die im volkstümlichen Glauben der Völker noch
heute fortlebt.
An der Hand von einzelnen Belegen die grosse Verbreitung dieses
Kometenglaubens durch die Jahrhunderte zu verfolgen, soll — wenn
auch durchaus noch nicht in erschöpfender Weise — im folgenden ver-
sucht werden.
Dabei kommt es liier zunächst im wesentlichen nur auf die deutschen
Vorhältnisse an. Die Erscheinungen der antiken Kultur in ihrer Ver-
mittlerrolle können daher hier nur gestreift werden. Ausser den schon
genannten literarischen Quellen mag noch darauf verwiesen werden, dass
die ominöse Bedeutung des Kometen offenbar den Anlass dazu gegeben
hat, dass er auf einer Münze des 1. Jahrh. v. Cin-. aus Cäsarea in Kappa-
dozien beiderseits dargestellt ist und dass auf einem römischen Denar
des Augustus <ler Komet sich abgebildet iindet, der nach Caesars Tode
erschienen war. Wir werden noch sehen, dass die Kometen auch im
Mittelalter und später immer wieder zum Tode von Fürsten in Beziehung
gebracht sind"). Auch auf antiken Amphorenstempeln sollen sich Kometen-
bilder gelegentlich finden.
Am bekanntesten aus der klassischen Literatur ist wohl eine Stelle,
die zwar nicht von einem Kometen, aber von einer in der Ausdeutung
ihm ähnlich behandelten Sternschnuppe spricht. Sie findet sich in Vergils
Aeneis II, 691 ff. Vorauf geht das Gebet des Anchises, dass die Götter
ihm ein Zeichen senden möchten, und der Dichter fährt dann weiter fort:
Vix ea fatus erat senior, subitoque fragore
Intonuit laevum, et de caelo lapsa per umbras
1) R. Wolf, Handbuch der Astronomie, ihrer Geschichte und Literatur (Zürich 1890)
1, 573 ff.
'2) F. S. Archenhold, Kometen, Weltuntergangsprophezeiungen und der Hallejsche
Komet (Treptow-Berlin 1910) S. 48. — Da ich diese Zeilen als Soldat niederschreibe, so
sind mir die Arbeiten von W. Schwartz, Die poetischen Jfaturan schauungen der Griechen,
Römer und Deutschen in ihrer Beziehung zur Mythologie und von Erwin Pfeiifer,
Studien lum antiken Sternglauben Leipzig, Teubner 1914;, zurzeit nicht mehr erreichbar.
k;
La uff er:
Stella facem ducens multa cum luce cucurrit
lllam summa super labentem culmina tecti
Cernimus Idaea claram se condere silva
Signantem vias; tum longo limite sulcus
Dat lucera, et lata circum loea sulfure fumant.
Durch Schillers Übersetzung ist diese Stelle auch in die deutsche
Literatur übergegangen. Es sei daher erlaubt, auch seine entsprechenden
Worte (Die Zerstörung Trojas v. 117) hier anzuführen:
Er spricht es, und zur Linken kracht
Ein lauter Donnerschlag In schönem Strahlenbogen
Kommt durch die weit erhellte Nacht
Ein funkelndes Gestirn geflogen;
Li unserm Zenith stieg es auf und zog
Die Silberfurche hin nach Idas Triften,
Den Weg uns zeigend, den es flog;
Die ganze Gegend raucht von Schvvefeldüften.
Ich erwähne diese Stelle besonders deshalb, weil hier die Flugrichtung
des Gestirns ähnlich wie bei Rist die Schweifrichtung des Kometen als
vorbedeutend angesehen wird.
Die Aufnahme der antiken Anschauungen über die Vorbedeutung der
Kometen in die mittelalterliche Yorstellungswelt konnte um so weniger auf
Schwierigkeiten stossen, als auch die Bibel, und zwar gerade das Neue
Testament diese Anschauungen stützte. Für die christliche Überzeugung
trat es in den Hintergrund, wenn Jeremias 10, 2 sagt: „Ihr sollet den AVeg
der Heiden nicht lernen und vor den Zeichen des Himmels nicht er-
schrecken, denn die Heiden fürchten solche." Viel wichtiger war es für
die Gläubigen, wenn von Jesus selbst bei Lucas 21, 11 berichtet wird,
dass er als Vorzeichen für die Zerstörung Jerusalems geweissagt habe:
„Es werden geschehen grosse Erdbebungen hin und wieder, teure Zeit
und Pestilenz; auch werden Schrecknisse und grosse Zeichen vom Himmel
geschehen." Und ähnlich sind Jesu Worte vom Ende der Welt bei
Lucas 21, 25: „Es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond
und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden
zagen." War das nicht der beste Beweis dafür, dass die Himmelserschei-
nungen als Vorzeichen für irdische Geschehnisse anzusehen seien?
Mit Angst und mit Schrecken hat das Mittelalter sich jedesmal aufs
neue durch das Erscheinen eines neuen Kometen erfüllen lassen, und so
ist es auch erklärlich, wenn die Schriftquellen von diesen Ereignissen
immer genau Bericht erstatten und wenn die letzteren dann auch meist
mit Unglücksfällen aller Art in Verbindung gebracht werden'). So hat
1) Eine geschichtliche Zeitfolge der Kometenerscheinungen gibt v. Mädler-Kliukerfues,
Der Wunderbau des Weltalls oder Populäre Astronomie. 7. Anfl. Berlin 1879) S. 325-380.
Die Berichte aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind zusammengestellt lei A. Schultz, Das.
höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, 2. Aufl. 1, 127—140.
Der Komet im Volksglauben. 17
für das 11. Jahrhundert schon J. Kunze darauf hingewiesen, dass die
zahlreichen Berichte von epidemischen Krankheiten gewöhnlich mit aus-
serordentlichen Ereignissen in Verbindung gesetzt wurden, so mit Mond-
und Sonnenfinsternissen und Kometen, daneben mit Unwetter, Stürmen
und Überschwemmungen, Dürre und Misswachs*). Er gibt auch für die
Ausdeutung des Kometen als Vorzeichen für einen Krieg, für Hungersnot
oder Seuchen einen wichtigen Beleg, indem er auf die Äusserung des
Chronicon S. Andreae verweist: „Quod genus syderis quod eruut bella
aut famem aut pestilentiam portendere solet" 2). Dem 11. Jahrhundert
entstammt auch, soviel ich sehe, die erste mittelalterliche Darstellung
eines Kometen. Es ist der Halleysche Komet, dessen Erscheinen im Jahre
10G6 auf der Tapete von Bayeux dargestellt ist. Unter der Überschrift:
•Isti mirant stellam" sieht man dort die erregten Menschen, die den
Kometen betrachten, und in unmittelbarer Beziehung dazu erscheint auf
dem nächsten Bilde der König Harold, der am 14. Oktober 1066 in der
Schlacht bei Hastings gegen Wilhelm den Eroberer fiel. Auch auf den
Zustand Heinrichs IV. soll jener Komet sehr schädigend gewirkt haben,
denn nach seinem Erscheinen „ward der Keyser todtkrank und lag sehr
hart darnieder zu Fritzlar in Hessen, dass auch die Erzte an seinem
Leben verzagten" ^).
Naturwissenschaftlich blieb, wie schon gesagt, das Mittelalter bei der
Beurteilung des Kometen durchaus in der Gefolgschaft des Aristoteles.
So gibt Albertus Magnus folgende Erklärung:
Cometae sunt stcllae habentes coraas, quod fit propter aerem inflammatuiu,
contentum a stellis siue a phinetis, scilicet Joue, Saturno, Marte, Sole ac Venere.
Isti enim propter uelocitatem motuura igniunt aerem, et sie propter aerem in-
Uammatiim contentum a stellis praedictis coniuncto luraine ipsorum cum eo uidentur
stellae comatae. Dico ergo quod coraeta nihil aliud est, quam uapor terrenus,
grossus, cujus partes sibi multum coniacent, paulatim ascendens ab inferiori parte
aestus usque ad superiorem eiusdem, ubi concauitatem ignis attingit, et ibi diffusus
et inflammatus. Et ideo uidetur longus frecjuenter et diffusus^).
In offenbarer Anlehnung an Albertus Magnus schreibt denn auch der
süddeutsche Spruchdichter Meister Boppe, dessen Tätigkeit in die Zeit
zwischen 1:^75 bis nach 1287 fällt:
Cometa swie der gebende si so lichten schin,
unt swie er schine als er ein sterne müge sin,
des er ist doch nicht wan ein gedünste entzündet
1) Job. Kunze, Zm- Kunde des deutschen Privatlebens in der Zeit der salischen
Kaiser. Berlin 1902.
2) Monumeuta Germaniae, Scr. VII, 337, 20.
3) So zitiert ohne Quellenangabe von W. Meyer, Der Halleysche Komet. Woche
1909, 8. 1749 ff.
4) Albertus Magnus, Philosophiae naturalis isagoge (Strassburg, Morhard 1520).
„Capitulum ... de geueratione Cometae."
Zeitscl.r. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 1. 2
18 La uff er:
Von viures kraft, daz im so nähe wonet bi;
daz machet daz man waenet, daz es ein sterne si^).
])ieser imturwissenschaftlichen Erklärung hängt Meister Boppe dann
gleich die vorbedeutende Auslegung an, die uns hier am meisten inter-
essiert:
Der selbe schin ieslichem wunder kündet:
Swen man in siht in siner kraft
so vollengliche schöne brehende schinen,
do wizzet daz sin meisterschaft
der werlde kündet schedeliches pinen,
der hohen starken künige tot
oder in den landen gemeinlichez sterben.
urliuge oder groz' urliuges not
oder in den selben hungerlichez werben
oder wandelunge höher sterken richeit sunder minnen:
dar zuo geliche ich einen man,
der schoene ist an
ze sehene unt doch da bi ist valschaft üze und inne.
Wie die Lehre des Albertus Magnus durch die Jahrhunderte weiter-
gegeben wurde, lässt sich auch sonst verfolgen. Einer seiner Schüler,
Thomas Cantinipratensis, hat in der Zeit von 1230 bis 1244 ein
naturhistorisches Kompendium, Liber de natura rerum, verfasst, und dieses.
Werk hat wieder die unmittelbare Vorlage für Konrad von Megeuberg
gebildet, als er in den Jahren 1349 und 1350 sein 'Buch der Natur'
schrieb. Konrad sagt von dem 'geschöpften Stern' das folgende*):
Der Stern bedäut hungerjär in dem land, da er den schöpf hin kert, dar umb,
daz diu fäuhten auz dem ertreich ist gezogen und diu vaizten, dar auz süez
wein und körn und ander früht schölten auz der erden gewachsen sein, und
koment oft da mit vil kefern und häuschrecken.
Zum Beweis dafür bezieht er sich auf seine Beobachtungen der Folgen
eines Kometen vom Jahre 1337. Dann fährt er fort:
,,Der comet bedäut auch streit und verraeterei und untreuw und etleicher
grözen fiirsten tot und gemaincleich vil pluotvergiezens.''
In diesem Sinne macht er jenen Kometen vom Jahre 1337 für den
133U erfolgten Ausbruch des hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich
und England mit den Schlachten von Sluis (1340) und Crecy (1346) ver-
antwortlich, sowie für den Tod des blinden Königs Johann von Böhmen,
der in der Schlaclit von Crecy gefallen war.
Konrad sucht sich diese angeblichen Einwirkungen in folgender Weise zu er-
klaren: „Nu mäht dii fragen, war umb der stern streit bedäut und pluotvergiezenV
daz ist dar umb, daz ze den zeiten der stern kreft die lebleichen gaist auz dem
menschen ziehent und machent daz behend pluot auzdünstend auz dem menschen.
So nu der Mensch trucken ist und hitzig, so ist er zornig und vicht gern, als
1) V. (1. Hagen, Minnesinger 2, 37'.).
2^ Ausgabe von Pfeiffer p. XXIX und S. T.j.
Der Komet im Volksglauben. 19
wir sehen an haizen läuten; wenne si vastent, so sint si unmuotig und zornich;
. . . daz aber die maister sprechent, daz der stern bedäut der fürsten tot mer
denn armer laut tot, daz ist dar umb, daz die fürsten namhafter sind dann arm
laut und ir tot weiter erschillet denn armer laut tot'-.
Wenn demnach Konrad von Megenberg hinsichtlich der Frage, wie-
weit der Komet vorbedeutend für den Fürstentod sei, doch etwas zweifel-
haft zu sein scheint, so ist es doch sicher, dass gerade in diesem Punkte
die volkstümliche Anschauung auch in den folgenden Jahrhunderten noch
keine Änderung erfahren hat. So berichtet eine hamburgische Chronik
über den Halleyschen Kometen von 1581 und über zwei weitere aus den
Jahren l.')32 und 1533 und äussert zu dem letzteren:
Item anno domini 1533 Heft men den drudden coraeten int nortwesten gheszeen.
Vnde synt dusse dre cometen na eynandcr ersehenen. Got allmächtig weet, wat
sye yns bringen werden. Denne dut is gewisz, dat de erste konink Karstens
etzwan vt Dennemarken syne gefenknisse vnde den elenden doet syner konin-
ginnen vnde kinderen, de yn fromden landen vorstoruen weren, heft belüget vnd
nawyset: de andere den doet Frederici, des koninges in Dennemarken, eyn groeet
frunt der stede, vnde den swaren val des Türken heft gheweissaget^).
l-:ine andere Fassung derselben Chronik sagt an der gleichen Stelle:
Item anno domini 1533 heft men den drüdden cometsterne geseen int nort-
osten. Und dit is gewis, dat de erste des konings Christierns gevenknüsse be-
dudet heft und den doet synes klokcn gemals, des kaisers süster, darto synes
sönes doet. de im haue des kaisers gestoruen syn; de andere des Türken toch in
Ungeren, unde heft de auerste stat in Ungeren ingestörmet unde ingenamen. dat
meiste unde gröteste deel des rikes erauert, de drüdde den doet des christen-
konings Frederyks in Dennemarken.
Man sieht: auch die Reformation hat in diesen Anschauungen keinerlei
Wandel geschaffen. Für Luther sind zwar besonders auffallende
Ilimmelserscheinungen, Sonnenfinsternisse, Kometen usw. zunächst ganz
allgemein betrachtet, Anzeichen des göttlichen Zornes^). Er steht ihnen
— im Vergleich mit den meisten seiner Zeitgenossen — also iusofern
etwas freier gegenüber, als er sie im allgemeinen nicht als vorbedeutend
für bestimmte Ereignisse auffassen möchte. In den Einzelfällen kann er
sich dann aber doch wieder nicht von der Anschauung seiner Zeit frei
machen. So schreibt er in der Kirchenpostille^):
„So hüben wir auch so viel Coraeten gesehen, und neulich sind sehr viel
Kreuz vom Himmel gefallen und ist mit unter auch aufkommen die neue uner-
hörte Krankheit, die Franzosen. Auch wie viel Zeichen und Wunder sind etliche
Jahr daher im Himmel ersehen, als Sonnen, Mond, Sternen, Regenbogen und viel
ander seltzame Bilde. Lieber, laß es Zeichen sein, und große Zeichen, die etwas
großes bedeuten, welche auch die Sternmeister und Frau Hulde nicht mag sagen,
daß sie aus natürlichem Lauf sind kommen, denn sie haben zuvor nichts davon
erkannt noch geweissnget.'"
1) Lappenberg, Hamburgische Chroniken in niedersächsischer Sprache 1S61 S. '2.')y.
■2) E. Klingner, Luther und der deutsche Volksaljerj;l;uibe 1012 S. 95.
3^ Ausgabe von Enders 10, G5.
2*
20 La uff er:
Wie Luther das Erscheinen des Halleysclien Kometen, der rom
14. August bis zum 3. September 1531 sichtbar war, auf sich wirken
Hess, das geht einwandsfrei aus einem Briefe hervor, den er am 18. August
an Wenzel Link in Nürnberg richtete und in dem er schreibt:
„Ora pro me, mi Wenceslae. Apud nos coraeta ad occidentem in angulo
apparet (ut mea fert astronomia) tropici cancri et coluri aequinoctiorum, cujus
cauda pertingit ad medium usque inter tropicum et ursae caudam. Nihil boni
significat Christus regnet. Amen"').
Ähnlich wie bei dem Halleyschen Kometen sucht Luther auch die
böse Wirkung eines Kometen vom Oktober 1532 durch das Gebet ab-
zuwenden.
In einem Briefe vom 18. Oktober 1532 schreibt er darüber: „Cometes apud
nos visitur in Oriente de manc. Sed nolite metuere a signis coeli, que gentibus
tantum sunt metuenda. Oremus pro nobis invicera, ut salvemur"-). Rein Zweifel,
dass er mit dieser Äusserung zugleich auf Jeremias 10, 2 Bezug nimmt.
Dass MeLanchthon von der Vorstellung der zeitgenössischen Astrologie
und der Dämonenlehre stark beeinflusst war, ist bekannt. Er achtot auf
Vorzeichen aller Art und berichtet darüber an seine Freunde, z. B. dass
man in Breslau ein feuriges Schiff am Himmel gesehen habe, und Ähn-
liches^). Von dem Kometen, der am 5. Mai 1556 in Wittenberg sichtbar
wurde, gibt er eine genaue Schilderung der Stellung am Himmel. Was
er aber von seiner Wirksamkeit hält, das zeigt sich klar aus den angefügten
Schlussworten:
„Man hat ihn aber, wie wir nachmals berichtet, durch ganzEuropam und Kleinasien
gesehen, und war fast gleich, beides mit seinem positu und motu dem Cometen, der
vor des Caroli, Herzog aus Burgundien und des Türkischen Kaisers Mahomct
Tod ist gesehen, und vom Regiomontano ist beschrieben worden. Darauf er-
folgte eine große Dürre, die doch dies Jahr dem Getreide nicht geschadet, und
dem "Wein mehr gefromraet hat. Im Reich aber folgte bald darauf allerlei
Empörung, derer Ausgang wir noch nicht sehen konnten, da wir dieses auf-
zeichneten""').
Wie der von Melanchthon besprochene Komet von 1556 auch auf die
Abdankung Karls \. bezogen wurde, das ergibt sich aus einem auf jene
Abdankung bezüglichen Spottbilde, das angeblich auf eine ältere Vorlage,
die das Verhältnis zwischen Friedrich HI. und Papst Pius H betraf,
zurückzuführen isf^). Auf demselben ist links auch ein Kometenbild an-
gebracht mit der Überschrift 'Dieser Comet ist erschienen im 1460 Jhar.
In dem Kometenkopfe stehen die Worte: 'Sihe dich für: vnnd Frage.
1) Luthers Briefwechsel, hsg. von Enders 0, Gl.
2) Ebenda 9, 234.
3) K. Hartfelder, Der Aberglaube Philipp Melanchthons. Histor. Taschcnbucli
G. Folge, 8. Jahrg. 1889 S. 231 ff.
4) Bretschueider und Bindseil, Corpus reformatorum 8, 942/3.
5) Abgebildet bei Eug. Diedericbs, Deutsches Leben in der Vergangenheit 1. 104,
nach einem Original in der Münchner Hofbibliothek. Dort fälschlich 1576 datiert.
Der Komet im Volksglauben. 21
Höre. Silie. Hüete dich'. In dem Schweif aber findet sich die Inschrift:
*Wie schrecklich bist du, wer magt dir wiederstehen!'
Mit dieser Kometen-Darstellung sind wir schon mehr auf das Gebiet
<ler volkstümlichen Äusserungen hinübergegangen, und gerade hier findet
sich in Wort und Bild eine grosse Anzahl von Belegen.
Die ganze Unglücksfülle, die man von der Wirkung eines Kometen
erwartete, zeigt der folgende Spruch:
Achterlei Unglück insgemein entsteht,
Wenn in der Lufft erscheint ein Komet:
Viel Fieber, Krankheit, Pestilenz und Todt,
Schwere Zeiten, Mangel und Hungersnoth,
Große Hitze, dürre Zeit und Unfruchtbarkeit,
Krieg, Raub, Mord, Aufruhr, Neid, Hass und Streit,
Frost, Kälte, Sturmwind, Wetter- und Wassersnoth,
Viel hoher Leute Untergang und Todt,
Feuersnoth und Erdbeben an manchem End,
Große Veränderung im Regiment.
Wenn wir aber Buße thun von Herzen,
So wendet Gott manch Unglück und Schmerzen^).
F.s gibt solcher Kometen-Sprüche eine ganze Menge; sie finden sich
meist auf Einblatt-Drucken des 16. bis 18. Jahrhunderts, auf denen die
jeweils neu erschienenen Kometen zur Darstellung gebracht wurden, und
eben diese Flugblätter sind uns in grosser Zahl erhalten. Archenhold
hat aus dem Besitz der Treptow-Sternwarte für die Zeit von 1540 bis
ITG'J im ganzen 75 Stück zusammengestellt. Die Gesamtzahl der bisher
bekannt gewordenen Blätter gibt er mit 86 an^). Sie alle interessieren
nicht nur durch ihre bildmässigen Darstellungen, sondern sie geben vor
allem auch durch ihre Texte einen Einblick in die volkstümliche An-
schauung. So heisst es auf einem Blatte, das dem im Januar 1661 er-
schienenen Kometen gewidmet ist:
Cometen waren jeder Zeiten
Zornboten Gottes, und bedeuten
Wind, Theurung, Pest, Krieg, Wassersnoht,
Erdbiden, Endrung, Fürstentodt.
Solt aber drum der Fromm verzagen?
Nein, sonder mit Vertrauen sagen:
Wan Erd und Himmel brächen eyn.
Wird Gott mein Port und Anker seyn.
Älnilich äussert sich ein Spruch auf den grossen Kometen von 1680,
den Archenhold anführt, mit folgenden Worten:
1) Zitiert ohne Quellenangabe bei W. Meyer, Der Halleysche Komet, Woche 190'J
S. 1749 fif.
■2 Archenhold a. a. 0. S. 44 u. 75ff. Eine Reihe von teilweise farbigen Abbildungen
gibt Wilh. Hess, Himmels- und Naturerscheinungen in Einblattdrucken des XV. bis
XVIII. Jahrhunderts ^Zeitschr. f. Bücherfreunde N. F. II 1910 S. Iff.), ferner P Gulyas,
Vier Einblattdrucke über den Kometen vom Jahre 1680. Ebenda N. F. III 1912 S. 328ff.:
•)'> Laiiffer:
Wenn ein liell brennender Comet
In den obersten lüfften steht,
Werden gar groUe Reich zerstöit,
Wie wir solches offt haben gehört.
Der dunckel scheint, übet sein krafft.
Daß er klein Herren hinweg raO't.
Aus den Einblattdrucken sind, wie bekannt, in weiterer Entwicklung-
di'e Zeitungen entstanden. Auch sie bilden, und zwar in noch höherem
Masse, eine CJruppe von Schriftquellen, aus denen wir gelegentlich reichen
Aufschluss gewinnen. So schreiben die 'Berliner Ordinari- und Post-
zeitungen' 1665, Nr. &iS als Nachricht aus Wien vom 15. April:
Der große Comet, dem keiner von Anfang der Welt bis hiehcr gleich ge-
wesen seyn soll, läßt sich von 3 bis halb 5 Uhr Morgens bey hellem Wetter
noch statlich sehen, dahero die Geraüther aller Orten sehr perplex werden, und
entstehen überall vielerley Propheten, so da Busse Predigen, widrigenfalls alles
über und über gehen soll. Wie denn auch ein Weib in Tyrol 7 Tage und
Nächte geschlaffen, und darnach auch dergleichen Bedrohung außgesagt hat; es
haben auch viel geschryen, daß zwischen hier und den 4 Maji die Stadt Wieu
versincken soll, obs wahr, oder hoffentlich falsche Propheten seyn werden, gibt die
Zeit»).
Eine besonders reiche Auswahl von Zeitungsäusserungen besitzen
wir über einen Kometen, der Ende 1680 und Anfang 1681 zu sehen war.
Da berichtet der Berliner 'Dienstagische Mercurius" 1681, 4. AVoche. als
Zuschrift aus Neapel vom 30. Dezember 1680^):
Der Comete, den man allhier mit einem erschrecklichen langen Schwantz
stehet, wie auch der Arm St. Nicolai von Toleto, der Blut schwitzet, erwecket
hieselbst viel redens und stehen die Leute gleichsam bestiirzet: Etliche übel-
gesinnte Menschen aber sagen, daß das erste natürlich, und das andere durch
Kunst zu Wege gebracht sey.
An derselben Stelle wird aus Rom vom 4. Januar ItiSl gemeldet:
Von dannen [von Bologna] ist auch ein Discours, den bewustcn Cometstern
betreffend, ankommen, worinnen gemeldet wird, daß derselbe dieser Stadt, Paris,
Engeland, Venedig, Niederland, Vngarn, Elsas, Straßburg und einen Teil Toßcanien
großen Jammer und Unglück drohe, wie auch Veränderung der Religion und
Regierung, gut oder böse, Verräthercy der Fürstlichen Bedienten. Gefängnisse.
Vergifftungen, und Tod eines hohen Printzen, fallende Seuchen, Venerische
Krankheiten, welches alles sehr schleunig sich begeben und zutragen werde, ver-
mittelst des schnellen Lauffs des Cometen durch meist alle Himmlische Zeichen
des Thier-Crayses, welches dann allhier sehr kümmerliche Gedanken verursachet^).
Wie man wegen dieser 'kümmerlichen Gedanken" auch von Regie-
rungs wegen sich zu allerhand Massnahmen veranlasst sah, darüber be-
richten zwei österreichische Meldungen. Der Berliner 'Sonntagischen
Fama' 1681. 2. Woche, wurde unter dem 2. Januar aus Wien geschrieben:
1) Ebcrh. Bucliner, Das Neueste von gestern 1, S8. — 'Ji EbcmlH 1. 141. — 3 Ebenda
1, 14U.
Der Komet im Volksglauben. 23
Allhier wird abermalen ein grosser Comet gesehen, dessen SchweifT in einer
unglaublichen Länge (der Gelehrten Meynung nach über 1000 Meilen) und bleicher
Farbe, und bestehet sein Lauft zwischen dem Adler und Delphin, deßwegen auch
die nächtlic^he Schlittenfahrten und andere Nachtspiele eingestellet worden^).
Kurz darauf brachte der Berliner 'Soiiiitagische Mercurius' 1G8L
5. Woche, die ergänzende Mitteilung:
Lintz, vom 18. Januarii. Weilen sich der Cometstern noch immer sehen Hisset,
und itzo seinen Lauff sehr hoch nimraet, die Kayserliche Astrononü auch Ihro
Majestet dero Meynungen über dessen Lauff abgefasset und überreichet, als sagt
man, daß Seine Majestet die Anstalt werde machen lassen, daß in dero Erbländern
alles üppige und ruchlose Wesen gäntzlich abgeschaffet, und wöchentlich gewisse
Fast- Büß- und Bettage gehalten werden sollen^).
Über diesen Kometen von 1681 haben wir dann auch noch andere
Nachrichten, aus denen zu ersehen ist, wie die geängstigten Gemüter der
Zeit nun auch ausser dem Kometen selbst noch weitere Naturereignisse
von bedrohlicher Bedeutung glaubten feststellen zu müssen. Die -Sonn-
tagische Fama' Berlin KJSl. 2. Woche, berichtet aus Cöln vom 3. Januar'):
Außer dem vorgedachten Cometen, so nun dieses Orts nicht mehr zu sehen,
finden sich in diesem Lande eine wunderliche Art Vögel, derer Größe wie ein
Lamm, und einer MO bis 40 Pfund wieget, und weilen man zu Anfang des vorigen
Krieges von der gleichen Art auch gesehen, als muthmasset man wiederumb auf
einen neuen Krieg.
Selbst den Astrologen scheint damals gelegentlich die Einbildungs-
kraft mit dem Verstände durchgegangen zu sein, denn aus dem Elsass
berichtete man am 23. Februar dem 'Sonntagischen Mercurius":
Von Paris wird geschrieben, daß in Normandie von einem Astrologo mit
sonderbarer Aufl'sicht in der Mitten des Coniets ein Sarg, worinnen ein Königlicher
Leichnam mit beygelegter Cron und Scepter, und dabey in Streit gerahtene Ministri,
so sich untereinander ermordet, gesehen worden, und über dieses solte sich er-
meldter Astrologus entsetzet haben, daß er auch darüber gestorben seye*).
Wenn nach alledem die Erscheinung eines Kometen für die volks-
tümliche Anschauung auch der oberen Gesellschaftsschichten noch am
Ausgang des 17. Jahrhunderts als gefahrdrohend angesehen wurde, so be-
greift es sich andererseits, dass das Kometenbild nun auch bei freien
Erfindungen, Phantasiebildern, Fabeltieren usw. mit als Ausstattungsstück
erscheint. So schreiben die Berliner Ordinari- und Postzeitungen IGHS
Xr. GG:
Aus Venedig, vom 10. Aprilis. Li alt Castiüen hat man ein Monstrum erlegt,
welches die Menschen auffgefressen, seine vordere Gestalt war gleich einem Cro-
codil, die hintere einem Pferde, mit 4 Arm- und Händen, in der rechten Seiten
hat es die Form eines Cometen, in welchem die Buchstaben A. C. B L gesehen
worden ^,\
1) Ebenda 1, 140. — 2) Ebenda 1, 140-141. — .'i Ebenda 1, 141. - 4) Ebenda 1,
145. — 5' Ebenda 1, 88.
24 Lauf f er:
Bei diesen Anscliauungen kann es nicht wundernehmen, wenn be-
sonders auch die Geistlichkeit sich das Erscheinen eines Kometen weid-
lich zunutze machte, um die sündige Menschheit zur Einkehr und zur
Busse zu ermahnen. vSo findet sich z. B. bei Michael Freud, Pastor
emeritus zu Wismar, in seinem 'Alamode-Teuifel, oder Gewissens-Fragen
Von der heutigen Tracht und Kleider-Pracht', den er 1682 zu Hamburg
296 Seiten lang erscheinen Hess, auf S. 72 folgender Mahnruf:
Und was meynen wir wo), daß der im Decembri, Anno 16'S0 und im Januario
16S1. Jahrs, am Firmament des Himmels erschienene strahlender, ungewöhnlicher
und erschrecklicher Comet bedeutet? Ohne Zweiffei dieses, daß Gott wolle auf-
wachen zur Räch, Er wolle frisch und wacker seyn zu brauchen den Kehr-Besen,
den Kehr-ab zu machen, und der rohen Welt den lang verschuldeten Product zu
geben. Comet-Sternen, Un-Sternen! Wunder-Zeichen, Wunder-Straffen! Gott wils
wunderlich mit uns machen .... mit einem solchen monstros-bösen Volk.
Für die böse Vorbedeutung, die er dem Kometen zuschreibt, müssen
ihm dann Cicero, Claudianus, Camerarius, Dannhauer und Dietrichs Kometen-
Predigt als Zeugen dienen.
Ein sichtbarer Beweis dafür, wie fest der Kometen-Glaube in der Be-
völkerung wurzelte, sind auch die Kometen-Medaillen, von denen im 16.
und 17. und auch noch im 18. Jahrhundert eine ganze Reihe geprägt
worden sind und von denen eine von 1681 auf der Rückseite die Inschrift
trägt:
Der Stern droht boese Sachen
TraV nVr! Gott VVIrDs VVoL MaChen.
Archenhold behauptet, dass diese Gepräge, unter denen sich auch ein
Kometen-Taler von 1680 befindet, als Talisman getragen seien, um die
bösen Einwirkungen des Kometen abzuwenden. Woher diese Meinung
stammt, habe ich nicht ermitteln können. Durchaus unglaubwürdig er-
scheint sie mir nicht.
Sehr lehrreich ist es nun, zu verfolgen, wie die Vorstellungen von
der bösen Bedeutung der Kometen zunächst in den berufenen Kreisen der
Astronomen allmählich abgestreift wurden. Auch das ist nur sehr langsam
gegangen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts finden wir auch
hier die alten Anschauungen zumeist noch in voller Kraft. Ein paar Bei-
spiele mögen das belegen.
Wohl im Jahre 1653 erschien in Nürnberg bei Jacob Pillenhofer ein
Büchlein in Quart unter dem Namen Janus von der Gartow, 'Eyn
kurtzer Bericht von dem Comet oder neuen Stern, der allhie in Hamburg
im Jahr Christi 1652, den 11. Dezember, am Abend gesehen (da die
Sonne jhren Eintritt in den Capricornum oder Steinbock genommen hat)
vnd noch wird gesehen.' Nur der fünfte Teil des Inhalts liandelt 'Von
dem LaufF, von der Gestalt vnd Grosse dieses Comet-Sterns.' Reichlich
die Hälfte aber spricht 'von dem Effect vnd AVirckunge dieses Sterns', und
der Verfasser säst dabei das Folgende:
Der Komet im Volksglauben. 25
•Nvn aber wird ein jeder gern wollen wissen, was doch dieser Comet oder
neuer Stern für eine Bedeutung vnd Wirckung werde mit sich bringen, der soll
wissen, daß er portcndiret vnd mit sich bringet, nach der Astrologorum gemeinen
Lehre, vngewöhnliche Winde, Auffruhr vnd ein Sterben: Item einen großen Re-
formatorn vnd Gesetzgeber. Eine Veränderungen der Gesetzen vnd Statuten. Eine
newe Lehre. Item: einen Außländischen frembden Feind, einen langwirigen Krieg
von frembden außländischen Völckern. Einen Fürsten, w^elcher die Mitternächtigen
Völcker soll verunruhigen vnd verheeren. Item, eine Vnfruchtbarkeit vnd Theu-
rung, vnd viel andere Dinge mehr, beydes guts vnd boß, vnd das alles schleunig
ohne lang verziehen, weil er in einem lüffti[gen] Zeichen entstanden, vnd orientalis
ist, dazu schnelUäuffig, vnd vou Ost-Süden nach West-Norden zu, wider die Ord-
nung der Zeichen, als auß den Geminis in den Taurum seinen Lauff genommen,
auch darneben mehr Saturnisch als Martialisch, weder Glantz noch Schwantz
mit sich führet. Die Länder vnd Städte aber, so er mit seinem Effect und
Wirckung am meisten wird treffen, die seind die so vnter den Zwillingen gelegen
seind, worinn er meines erachtens zum ersten entstanden, Als von den Ländern,
ist Hircania, Armenia, Mariana, Cyrenaica, Marmarica, Nider Egypten, Sardinia,
vnd ein theil Lombardiae, das Hertzogthumb Wirtemberg, Flandern vnd Braband;
Vnd von den Städten ist Corduba in Hispanien, Viterbium, Cesena, Turinum,
Vercclla, Regium, Metz, Kitzingen, Villach, Haßfort, Bamberg, Nürnberg, Löven,
Brügge in Flandern, vnd London in Engelland. Worbey denn noch zu mercken,
daß die angelegene Länder vnd Städte, sonderlich die vnter dem Tauro gelegen
sind, davon auch nicht frey werden seyn .... Ferner ist auch noch zu mercken,
je länger dieser Comet wird bleiben vnd gesehen werden, je länger vnd stand-
haffter seine Operation vnd Wirckung wird bleiben vnd seyn, so er mit sich
bringet.' Zum Schluss kommt dann 'Eine Erinnerung bey diesen, was nun noth-
wend'ig zu thun,' mit der Ermahnung, 'von Sünden abzustehen, vnd waare Busse
zu thun."
Weiterhill nenne Ich eine Flugschrift, die von einem ungenannten
Verfasser im Jahre 1G78 — vermutlich in Hamburg — erschien unter dem
weitschweifigen Titel: 'Von der Namen- Nennung, Materie und W^irckung
der Cometen, Neben Anzeigung eines am 22. Apr. 2. Mai in Francken ge-
sehen dergleichen Sclnvantz-Sterns, mit seinen Stand und der muthmäfi-
lichen Bedeutung, samt angehängter Beschreibung der vornehmsten von
Christi CJebnrt her bisz auf diese Zeit erschienen Cometen, mit derselben
erfolgten Würckuug." Der Verfasser erklärt unter Hinweis auf Plinius:
Es ist vermutlich, ein Comet sey ein grosser Häuf gesamleter und von der
Sonnen und andern Planeten aus der Erden und Meer über sich in die Lufft aus-
gezogener, hitziger und schwefelichter Dampf und Schwal, welcher hernach von
dem schnellen Lauft des Himmels enthrinnt, und umb die Erden wie andere Stern
herumb geführet wird.
Auch hier sagt der Verfasser dann zum Schluss:
Und solches aus sonderer Schickung Gottes, etwas grosses und sonderliches
damit anzudeuten.
Denselben Standpunkt wie der eben besprochene Anonymus nimmt
auch Joh. Henr. Voigt ein in seiner Schrift: 'Christmäfsige Betrachtung
des Cometen. Im April Anno 1677 Auf dem Cometischen Sammel- Platze
26 Lauffer:
im Tauro oder Stier Zu Hamburg observiret, abgezeiclmet, fürgebildet
und beschrieben.' (Hamburg 1677.) Er gibt erst seine Beobachtungen
des Kometen, hängt dann aber ein eigenes Kapitel an 'Von dieses Kometen
Bedeutung oder Wircknng in diese untere Welt.'
Hecht bezeichnend für die volkstümliche Anschauung sagt er:
Abgesehen aber die Neugierigkeit vieler Menschen, und daß die meisten nicht
so bald fragen, ob er da oder dort seinen Stand und Lauff habe? Sondern nur
alsofort wissen wollen, was- er doch bedeute? Ob er auch Krieg, Theuerung,
Sterben und andere Noth bringen werde? Welchen Potentaten, kriegenden Par-
theyen, Königreichen, Herrschaften und Städten er am meisten Schaden werde?
und was der fürwitzigen Fragen mehr sind . . . Und weil umb deswegen eine
solche Sfhrifft, die nur Astronomisch und nicht Astrologisch ist, da nicht Pro-
gnostica anhangen, von denen meisten nur vor unnütz, unverständlich, und kaum
Lesenswürdig geachtet wird. So will zwart hievon etwas anhängen, aber darbey
in Christlichen Schrancken bleiben, Gott und seinem Worte, seinen Propheten und
Predigern den gebührenden Vorzug lassen.
So schreibt er denn 'mit Schrecken und Entsetzen" sein Prognostikon,
indem er sich bezüglich der Bedeutung der Kometen auf den griechischen
Spruch :
ovdfig xojLDjTijg, öorig ov y.axov f/ fofi
und auf das deutsche Sprüchwort 'Die Kometen: Schreck-Propheten' be-
zielit. Er sagt:
Man hat von ihren Würckungen einen alten Knittel-Vers:
Fiat, siccat Cometa, necat et tcmpora carat.
Wind, Regen, böse Lufft, Krieg, theure Zeit entstehen,
Wann die Cometen sich am Himmel lassen sehen.
Die näheren Ausführungen zeigen dann, wie man sich diese bösen
Wirkungen zu erklären suchte:
Erstlich bringen sie Ungestümigkeit der Winde, denn wenn sie beginnen zu
erleschen, bleibt viel Rauchs und Dampf in der Lufl't, gleichwie, wann ein Licht
ausgeblasen wird, so gibt dasselbig einen Dampf oder Rauch, solcher erwecket
nicht allein in der LulTt große Winde, sondern wird auch oftmals in die heimliche
und verborgene Holen der Erden empfangen, daher hernach Erdbiedem entstehen,
wann sie ihre Ausgänge nicht haben mögen. Darnach so verursachen die Cometen
llitz und Dürre; Hitz in der Lufft, die durch die Flammen und Brand der Cometen
erhitzet wird; und Dürre auf dem Erdboden, wegen der erhitzten Lufft. Daraus
dann folget Mißwachs des Getraids und anderer F'rucht und also auch Tiieurung
und Land-Sterben. Und weil sie nicht allein die Lufft und Erdboden erhitzen,
sondern auch die Gemüther der Menschen entzünden, so bringen sie gewöhnlich
auch Krieg, Aufruhr und Empörung, folget also immerdar ein Unglück auf das
andere, welches dann eine schlechte gute Würckung ist. Fürnemlich aber hat die
Erfahrung mit vielen Exempeln bewiesen, daß die Cometen grosser Herien tödt-
lichen Abgang und Veränderung der Regimenten ankündigen.
Die Zusammenstellung der bösen Wirkungen gescliielit nun in der
Weise, dass die Kometen so ziemlich für sämtlichen 'Schrecken und
Forcht, Schwort, Hunger und Pestilenz' verantwortlich gemacht werden,
Der Komet im X'olksglaiiben. 27
die ihnen über zwei oder drei Menschenalter oder noch länger gefolgt
sind. In diesem Sinne wird auch der neue Komet ausgedeutet. Yorsiclitig*
setzt aber der Verfasser hinzu:
Gott der Richter
Weiss mehr als wir Dichter.
Schliesslicli zieht er sich ziemlich flau aus der Sache heraus, indem
er sagt:
Geistlicher Weise etwas von diesem Cometen zu deuten, so .schlage ein jeder^
der ihn gesehen, davon gehört oder gelesen, in sich und denke: Gott habe diesen
Cometen seine und seiner Sünden wegen aufgestecket, und dräue ihm vor seine
Person damit; er durchsuche sein Gewissen, erkenne seine Sünden, und thue mit
Bässerung seines Lebens ernstliche und wjihre Busse: alsdann er die Deutung
dieses Cometen am besten wird getroffen haben.
So sehr aber auch Voigt selber nocli des Glaubens ist an die bösen
Wirkungen der Kometen, so beginnt um diese Zeit doch schon ein Um-
schwung in den Anschauungen der Gebildeten einzutreten. Voigt selber
gibt uns einen unzweideutigen Beleg dafür, wenn er zu seinen schrecken-
erregenden Prophezeiungen die Bemerkung macht:
Der Gott-fürchtende Leser wird hierüber nicht erschrecken noch murren,
sondern wird sagen: Komm Herr! Komm Herr mit Gnaden! Die aber in irdischer
Sicherheit leben, und in ihren sichern Welt-I^üsten nicht beunruhigt seyn wollen,
die sagen freylich: Wer ist dieser? Was ist dieses? Aber laß sie sagen, lass
sie lauffen, sie werden wol anlauffen und anstossen. Und so viel sie lachen, so
viel dörfften vielleicht ihre Kinder im Elende weinen.
Diejenigen, die sich durch den Kometen nicht erschrecken Hessen,
und die schon erwähnten, vier Jahre nach Voigt zu Neapel begegnenden
'übelgesinneten Menschen', die sagten, dass der Komet -natürlich" sei,
sollten dann aber mit ihrer Anschauung schliesslich doch durchdriugen.
Schon am Ende des 16. Jahrhunderts erheben sich die ersten Zweifel au
der Richtigkeit der alten Auslegung. An erster Stelle stellt dabei, soviel
ich sehe, Tycho Brahe. In seineu 'Astronomiae instauratae progym-
nasmata (Prag 1602) I. De admiranda Xova Stella anno 1572 exorta" wendet
er sich auf Seite 653 gegen Philippus Appianus, der in einem an den
Landgrafen Wilhelm v. Hessen gerichteten Schreiben aus Tübingen vom
26. Dezember 1572 gesagt hatte:
Experientia docet, conspectos Cometas semper peculiares et tristes efl'ectus
subsecutos, quem ad modum ex multis Historicis et Astrologorum libris ac Obscr-
nationibus videre est. Generaliter autem de his loquendo, portendunt ingentem
saepenumero siccitatem, turbulentes ventos, Terraemotum, magnos aestatis ardores,
intensaque hyemis frigora, frugum perditionem et penuriam, annonae caritatcm,
famem, magnam et subitancam pestem, atque alios graues morbos. bellum, nia-
gnorum et potentium Principura mortem, quam mirabiles Regnorum et Politiarum
mutationes comitari solent, et plura eiuscemodi. Atque quo diutius uisi fuorint et
magis ßxi manserint (uli ille, de quo hie aginius) eo uehementiores et diuturniores
fore effectus, seque in aliquot sequentes annos extendere solent.
■;^>S Lauffer:
Tycho Bralic hat sich von diesen Anschauungen bereits frei gemacht.
Er. der als Sterndeuter von Fürsten und Herren so viel in Anspruch ge-
nommen ist, schreibt bezüglich des Kometen dennoch klar und deutlich:
Nee tarnen ea quae post Cometarum atque Ascititiorum Siderum procreationem
in Terris eueniunt. ab his omnia dependent. cum procul dubio alias habeant causas
(S. 543.)
- Die entscheidende Wendung in der Beurteilung der Kometen brachte
der Engländer Edmund Halley, der zuerst die Elliptizität der Kometen-
bahn nachwies. Er behauptete die periodische Wiederkehr der Kometen
und berechnete, dass der Komet von 1682 im Jahre 1759 wiederkehren
würde, wie er denn auch tatsächlich am 25. Dezember 1758 zuerst wieder
beobachtet ist.
So sind es Halleys zutreffende Forschungsergebnisse vor allen Dingen
gewesen, die den europäischen Kulturvölkern einen sicheren Stand gegen-
über der Erscheinung der Kometen verschafft und die damit der Kometen-
fiircht ihren Nährboden im eigentlichen Sinne entzogen haben ^).
Immerhin stand Halley — von den Verdiensten seiner astronomischen
Berechnungen abgesehen — bezüglich der allgemeinen Beurteilung der
Wirkung der Kometen auch unter seinen Zeitgenossen durchaus nicht
mehr allein da. Vielmehr hatten sich die Fachastronomen schon um die
Wende des 17. und 1 8. Jahrhunderts von dem Glauben an die bösen Wir-
kungen des Kometen losgelöst. So begegnet uns im Jahre 1714 ein
Tübinger Doktorand Christian Karl Müller, der eine Dissertation 'Come-
tologia eclectica: De cometarum cauda sive coma et eorum effectu atque
significatioue' einreichte. Darin stellt er eine Reihe italienischer, fran-
zösischer, englischer und deutscher Äusserungen aus den 80er und 90er
Jahren des 17. Jahrhunderts zusammen, die sich meist schon direkt ab-
lehnend verhalten, z. B. ein aus Köln datiertes Schreiben vom Jahre 1682
Spie les comi'tes ne sont point le presage d'aucun malheur : 'Signa tristium
temporum non sunt." Müller selber stellt dann in dem Abschnitt 'De
Cometarum effectu' die wissenschaftliche Behauptung auf, dass die Kometen
zwar mancherlei physische Veränderungen hervorrufen, dass sie aber nicht
als böse Vorzeichen zu betrachten seien.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts ist in den astronomischen Fach-
kreisen die rein wissenschaftliche Betrachtung des Kometen und die ab-
lehnende Haltung gegenüber dem Glauben an seine Wunderwirkungen
schon völlig durchgedrungen. So schreibt Christian Gottlieb Sem 1er,
„Vollständige Beschreibung von dem Neuen Kometen des 1742. Jahres"
(Halle. Renger 1742):
Die Gestalten der Cometcn sind entweder erdichtete oder wahre. Die ersten
kommen von den Geschichtsschreibern her, welche ofTt ihrer Einbildung, oder gar
1) Über die Belege zum Kometenglauben Lei Shakespeare vgl. Jolin Bartlett,
"Concordance to Shakespeare' (London lOOC.) S. 254 unter dem Schlagwort 'comef.
Der Komet im Volksglauben. !",>
dem Wahn des unverständigen Pöbels gar zu sehr in Beschreibung der Comcten
gefolgt sind. Bald eignen sie ihnen die Figur einer Kriegs-Posaune zu, bald sind
sie wie Brat-Spiesse erschienen, bald haben sie einen grossen Bocks-, Juden- oder
Capuziner-Bart gehabt, oder sie haben wie Pferde-Mänen ausgesehen, bald sind sie
Schwerdter und Sebel, oder wie Pfeile gewesen, andere hatten wie Krieges-Schilder
oder gar wie Fässer gesehen. Und wenn ihr die erdichtete Gestalt des jetzigen
Cometen wissen wollet: so fraget die Unverständigen, von welchen ihr vernehmen
werdet, daß sie ihn einen Staub-Besen oder gar einer Ruthe vergleichen. Habt
ihr Lust dergleichen Träume mit vielen Anmerkungen von ihren Bedeutungen zu
lesen; so wird euch Plinius (in Historia Natural. Lib. II. Cap. 25) oder noch
besser Hevelius (in Cometographia) hierinnen dienen können, welcher letztere
euch noch dazu diese seltsamen Gestalten in Kupfer vorstellet.
Wenn man zu gleicher Zeit neue Hypothesen aufstellte, die uns heute
fast ebenso anmuten wie die Äusserungen des Aberglaubens. >venu z. B.
Semler sich ausführlich darüber verbreitet, dass es 'höchst wahrscheinlich
ist, dass auf der Fläche des Kometenkopfes vernünftige Einwohner sich
betiuden', so können wir diese Yorstellungsreihen hier nicht weiter verfolgen.
Das Wichtige ist, dass seit jener Zeit die Astronomen zu der modernen
naturwissenschaftlichen Beobachtung und Beurteilung der Kometen über-
gegangen sind. Die Kreise der Gebildeten sind ihnen darin gefolgt. Aber
das ist doch nur allmählich und schrittweise geschehen. So setzt auch
der eben genannte Semler (a. a. 0. S. ü3) zwar umständlich auseinander,
'wie ungewiss, und schlecht beschaffen die Cometen-Deuterey sei", aber
dennoch sieht er sich gezwungen, auch die Bedeutung des von ihm be-
sprochenen Kometen nach den Sterndeuterregeln auszulegen, damit man
nicht etwa sage, die Auslegung von der Bedeutung, des Kometen wäre für
ihn zu hoch und schwer, und darum verwerfe er sie. Bei ihm finden
wir dann auch wieder einen Hinweis (S. 131), dass aus dem Laufe der
Kometenbahn besondere Schlüsse gezogen wurden, wenn er sagt:
Es setzen aber die Sterndeuter von den Cometen, folgende Regel: Ein
Comet, welcher sich von Mittag gegen Mitternacht bewegt, bedeutet Veränderung
der Gesetze und einen neuen König; bewegt er sich aber von Mitternacht gegen
Mittag, bringt er Überschwemmungen und teure Zeiten.
Wer würde bei diesen Ausführungen Semlers nicht erinnert an die
Worte der Weisen vom Morgenlande (Matth. 2, 2): „Wo ist der neu-
geborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgen-
lande, und sind gekommen, ihn anzubeten?" Und so ist bekanntlich auch
die Vermutung ausgesprochen, dass der 'Stern von Bethlehem" in der
Erscheinung des Halley"schen Kometen vom Jahre 11 vor Christus zu
erkennen, und dass daher die Geburt Christi elf Jahre eher anzusetzen
sei, als unsere Zeitrechnung sie annimmt.^)
Wie der Kometenglaube in den weiteren Kreisen der Gebildeten im
18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts immer noch nachspukte, haben
1) Vergl. Das \Yeltall Jahrg. 7 S. 113.
30 Lauffer:
wir schon gelegentlich erwähnt. Es mag liier noch daran erinnert sein,
dass auch in dem bekannten 'Orbis sensualium pictus' des Joh. Amos
Oomenius l)ei dorn Kap. 149 'Die Vorsehung' Gottes' sich ein Kometen-
bild findet, von dem die Unterschrift sagt: 'Das menschliche Schicksal
ist nicht zuzuschreiben dem Glück oder dem Zufall oder dem Einfluss
der Sternen, (zwar die Schwantzstern, Cometen, pflegen nichts Guts an-
zudeuten, wie man insgemein vorgiebt) sondern Gottes allsehendem Aug
und dessen allregierender Hand\^)
Dann aber mehren sich auch in den nicht astronomischen Schriften
die Stimmen, die die Kometenfurcht im Ernst oder im Spott bekämpfen.
Auf Goethes 'Drohende Zeichen" wurde schon hingewiesen. Ähnlich
äussert sich Schiller in dem Gedicht 'Rousseau".
Neu und einzig — eine Irresonne,
Standest Du am Ufer der Garonne,
Meteorisch für Franzosenhirn.
Schwelgerei und Hunger brüten Seuchen,
Tollheit rast mavortisch in den Reichen;
Wer ist schuld? — Das arme Irrgestirn I
So schreibt J. P. Hebel in seinem 'Schatzkästlein des rheinischen Haus-
freundes" (Tübingen, Cotta 1811. S. 200):
Der Comet bedeutet ein Unglück. Man darf sicher darauf rechnen, entweder
es entsteht innerhalb Jahresfrist ein Krieg, oder ein Erdbeben, oder es gehen
ganze Städte und Königreiche unter, oder es stirbt ein mächtiger Monarch, oder
geschieht sonst etwas, woran niemand eine Freude haben kann. Dies ist aber
nicht so zu verstehen, als wenn der Comet das Unglück herbeyzöge, oder des-
wegen erschiene, um wie ein Postreuter es anzuzeigen .... Allein es geschieht
auf dem weiten Erdenrund, irgendwo, diesseits oder jenseits des Meeres, alle Jahre
so gewiss ein grosses Unglück, dass diejenigen, welche aus einem Cometen
Schlimmes prophezeihen, gewonnen Spiel haben, er mag kommen, wann er will.
Um endlich die geschichtlichen Zusammenstellungen mit demselben
Kometen des Jahres 1811 abzuschliessen, mit dem wir sie auch begonnen
haben, verweise ich noch auf Karl v. Holtei's Erzählende Schriften
Bd. 2!> ('Vierzig Jahre" I. Breslau. Trewendt 1862) S. 100. Dort sieht
man, wie damals alter Glaube und aufgeklärte neue Erkenntnis aufeiu-
understiessen. Holtei berichtet folgendermassen :
Von dem, was um jene Zeit die Zeit erfüllte, von dem Zuge des grossen
französischen Heeres und seiner Bundesgenossen, ist mir durchaus kein Merkmal
der Erinnerung geblieben, wenn nicht die Behauptung, auf die ich mich noch aus
dem Munde meiner Pflegemutter und ihrer Freundinnen besinne: dass der drohende
Krieg durch den Kometen vom Jahre Achtzehnhundert Elf veranlasst und herbei-
geführt sei, dafür gelten soll. Ich war ein verzweifelt aufgeklärter junger Mann
und kämpfte mit den schärfsten Waffen der Physik und anderer Künste, die man
uns in der Schule dargereicht, gegen Aberglauben und Gespensterfurcht, — wohl
verstanden, bei hellem Sonnenschein, denn im Dunkeln gab ich klein bei — und
1) Zweite Aullage (Nürnberg 1755 S. 592. Die erste Auflage erscliien ITiC)
Der Komet im Volksglauben. 31
deshalb stritt ich auch gegen air und jede Consequenz, die meine Alten-Weiber-
Umgebungen aus dem Kometen zu ziehen suchten.
Man sieht hier, wie seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Kometen-
furcht allmählich in die Unterschichten des deutschen Geisteslebens herab-
sinkt, wie das, was früher ein Teil der allgemeinen Weltanschauung ge-
wesen war, schliesslich im volkstümlichen Aberglauben seinen letzten
Niederschlag findet. Hier hat es aber auch im Laufe des Id. Jahr-
hunderts sich weiter von Mund zu Mund fortgepflanzt und ist auch in
unseren Tagen noch lebendig geblieben.
Für ganz Deutsehland und für alle seine einzelnen Teile lässt es sich
belegen, dass der lieutige Volksglaube noch überall an der bösen Aus-
legung des Kometen festhält. Wuttke sagt darüber: Die Kometen gelten
allgemein, schon bei den alten Indern, als Vorboten von allgemeinem
Landesunglück, von Krieg, Pest, Teuerung usw.*) In Oldenburg bedeutet
ein Komet einen Krieg oder eine ähnliche Heimsuchung. Strackerjan
gibt für die Zeit vom 17. bis ins 19. Jahrhundert folgende Belege dafür.
Der Oldenburger Chronist Winkelmann erwähnt, dass im November 1618
ein erschrecklicher Kometenstern mit einem langen brennenden Schwanz bei
klarem Himmel m ganz Deutschland 30 Tage lang gesehen sei als rechter Herold
und Vorbote der künftigen oOjührigen göttlichen Strafe. Ebenso sieht zu der Zeit
der Pastor Fabricius in Rastede einen Kometen, der 'A Tage gesehen worden,
als Vorhersager von Krieg und Pestilenz an. Als 1S58 der prachtvolle donatische
Komet längere Zeit am nächtlichen Himmel strahlte, sprach die ganze Welt
wiederum von Krieg, und viele glaubten später, er habe den Zusammenstoss
Österreichs mit Frankreich und Italien im Jahre 1859 angekündigt.^)
In Mecklenburg sagt man allgemein; 'wenn ein Komet erscheint,
kommt Krieg'. ^) Ebenso ist (ter Komet für Schlesien als vorbedeutendes
Zeiclien für Krieg und Teuerung bezeugt.^) Im badischen Oberlande hält
man die Kometen nach E. H. Meyer für Zuchtruten, die Krieg oder
Teuerung ankünden.^) Aus der Pfalz schliesslich hören wir, dass Sonnen-
finsternisse und Kometen, besonders die letzteren, allemal ein grosses
Unglück: Krieg. Verheerung, Pest. Raupenfrass oder ein Mäusejabr be-
deuten.^)
Eine besondere Art der Einwirkungen, die den Kometen zugeschrieben
wurden, besteht darin, dass man auffällig geformte Hühnereier auf ihren
1) Ad. Wuttke, Der deutsche Yolksaberglaube der Gegenwart.» 11)00. S. lOO. Be-
züglich der Inder beruft er sich auf Albrecht Weber, Zwei vedische Texte über Omina
und Portenta Abhandl. d. Berliu. Akad. d. Wissensch. 1859) S. 334.
2) Strackerjan, Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1, 20—21.
3) Bartsch, Sageu, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg 2, 202.
4) Drechsler, Sitte, Brauch und Volksglaube in Schlesien 2, l;'.5.
5 E. H. Meyer. Badisches Volksleben S. 515.
G: Kleeberger. Volkskundliches ans Fischbach in der Pfalz 1902 S. 46. [Ferner vgl.
Zingerie, Sitten des Tiroler Volkes 1857 S. 134; A. John, Sitte in Westböhmen 1905
S. 234; Sebülot, Folklore de France 1, 51: Pitre, Usi e costumi del popolo siciliano
3, 3ß. 1SS9.]
32
fvauffei
Eiufluss zurückführte. Solche 'Naturwunder' haben zu verschieileuen
gelehrten Schriften Anlass gegeben. Sie sind auch wiederholt auf Flug-
blättern dargestellt, von denen Archenhold a. a. O. einige abbildet. Auch
dieser Glaube lebt noch heute unter der Oberfläche fort. So wurde im
Jahre 1911 in der Nähe von Hamburg ein auffallend windschiefes Ki ge-
funden, dessen Missgestalt vom Volksglauben mit den Kometen des Jalires
in Verbindung gebracht wurde.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die böse Vorbedeutung des
Kometen immer und überall als feststehend angesehen wurde. Er er-
scheint daher auch niemals in Weihnachtsspielen oder auf älteren Weih-
nachtsbildern. Der 'Stern' wird dort nach biblischem Vorbild immer
festgehalten. Das bleibt auch besonders da zu beachten, wo der Stern
durch einen auf die Geburtsgruppe gerichteten Strahl etwas Ähnlichkeit
mit einem Kometen erhält.
Erst als man im 18. Jahrhundert sich von der alten Auffassung des
Kometen freizumadien begann und als die Aufk'ärung auch in ihrer Weise
Kritik an der Bibel übte, erst da begann der Streit darüber, ob der Stern
der Weihnachtsnacht ein Komet gewesen sei oder nicht. So veröffentliclite
1742 der Brandenburgische Rector Heyne ein 'Sendschreiben an einen
guten Freund auf dem Lande, worinne gezeiget wird, dass der Stern, der
den Weisen aus Morgenland erschienen, ein Comet gewesen ist', worauf
Semler (Vollst. Beschr. 1742 S. 114 ff.) mit einem umständlichen astrono-
mischen Gegenbeweis antwortete.
Endlich ist noch eins zu bemerken. Trotz der schlimmen Folgen, die
man mit der Erscheinung eines Kometen verband, wird dieser, wie es
scheint, doch immer nur mit Gott selbst als dessen Zuchtrute in Verbindung
gebracht. Als Teufelswerk erscheinen die Kometen, soviel ich sehe, nie-
mals, und so werden auch des Teufels Dienerinnen, die Hexen, denen
doch sonst Unwetter, Sturmfluten und böse Naturerscheinungen aller
Art in die Schuhe geschoben sind, für Kometen niemals verantwortlich
gemacht.
We-m wir mit der also gewonnenen Kenntnis von der abergläubischen
Beurteilung, die das deutsche Volk Jahrhunderte lang der Erscheinung
eines Kometen entgegenbrachte, uns nun noch einmal kurz überlegen,
welche Folgerungen sich daraus für den Geschichtsforscher und für den
Volkskundler ergeben, so zeigt sich, dass die sorgfältige Sammlung der
einschlägigen Quellen nach mancher Richtung wertvoll sein muss. Die
planmässige Zusammenstellung geschichtlicher Nachrichten über Elementar-
ereignisse, die der Gesamtv erein deutscher Geschichts- und Altertums-
vereine infolge der Wiener Beschlüsse vom Jahre 1906 in die Wege leitet,
wird sich daher auch bezüglich der Kometenforschung sehr nützlich er-
weisen. Sie wird nicht nur die Kenntnis der geschichtlichen Quellen über
die Beobachtungen von Kometen in mancher Hinsicht vermehren,
Der Komet im Volksglauben. 33
und sie wird dadurch rieht nur den Astronomen eine möglichst lücken-
lose Reihe geschichtlicher Nachrichten über die Erscheinung von Kometen
darbieten, aus der sich unzweifelhaft für mehr als eine dieser Himmels-
erscheinungen die Beobachtungsdauer mit annähernder Genauigkeit wird
feststellen lassen, und die dann vielleicht auch die Möglichkeit bietet, die
periodische Wiederkehr ein und desselben Kometen noch über die neun-
zehn Fälle hinaus, bei denen es bis jetzt gelungen ist, einwandfrei zu be-
rechnen. Vielmehr werden dabei auch die geschichtlichen und volks-
kundlichen Forschungen einen erheblichen Gewinn haben.
Geschichtlich betrachtet, ist es uns ja klar geworden, dass es sich bei
den Kometen um durchaus typische Erscheinungen handelt, mit denen
ganz bestimmte Beurteilungen verbunden waren. So haben wir es bei
jedem Kometen mit einem typischen historischen Moment von treibender
Kraft zu tun. Wir kennen die Auffassung, die man in der Vergangenheit
davon hatte, und die Folgerungen, die die Menschen der Vergangenheit
daraus für die eigene Lebensführung zogen. Mit diesen Auffassungen und
mit diesen Folgerungen müssen also unzweifelhaft manche geschichtlichen
Ereignisse, deren Grund wir sonst nicht einsehen würden, in Verbindung
gebracht werden, und so wird sich von hier aus manche geschichtliche Er-
kenntnis ermöglichen, die uns sonst vielleicht immer verschlossen bleiben
würde.
Endlich aber wird sich durch die Kenntnis der Ausdeutungen, die
die Kometen zu verschiedenen Zeiten erfahren haben, auch für die allge-
meine Geschichte des Aberglaubens wichtiges Material ergeben. Das wird
vor allem nach einer ganz bestimmten Richtung von Wert sein. Bei dem
Kometenglauben liegen die Verhältnisse ja anders als bei fast allen
sonstigen Arbeiten, die die Geschichte und die Daseinsformen des Aber-
glaubens aufzudecken suchen: Es ist bekannt, dass der abergläubische
Mensch sich von den für vorbedeutungsvoll gehaltenen Ereignissen immer
nur die zu merken pflegt, bei denen er eine böse Folgeerscheinung
tatsächlich glaubte feststellen zu können. Wieviele gleichartige Er-
scheinungen er aber dabei in seiner Statistik übergeht, das lässt sich
so gut wie niemals ermitteln. Bei dem Kometenaberglauben liegen die
Dinge anders. Hier ist gerade der Teil, der sonst zweifelhaft bleibt, zu-
verlässig bezeugt. Hier kennen wir die Zahl der beobachteten Vorzeichen
annähernd genau. Hier können wir also vergleichen, welche späteren
Folgen der Aberglaube mit ihnen in Beziehung setzt, über wie lange Zeit
man die Nachwirkungen noch glaubte feststellen zu dürfen, und vor allem
auch, zu welchen Auskünften man griff" in den Fällen, in denen die ge-
fürchtete böse Folgeerscheinung scheinbar nicht eingetreten war, wie
man sich dann half, um die Bösartigkeit des Kometen schliesslich doch
anscheinend überzeugend in die Erscheinung treten zu lassen.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 1. 3
34 Lauffer:
So lassen sich also aus diesen BeoLaclituugeu sowohl methodisch iüv
die Aberghiubeiisforschiiog als auch inhaltlich nach der Seite der Völker-
psychologie umfangreiche und mannigfaltige i^^rgebnisse gewinnen.
Anhangweise möchte ich hier noch ein paar völkerkundliche Nach-
richten über afrikanischen Kometenaberglauben anschliessen, die ich durch-
weg den freundlichen Bemühungen meines Kollegen Meinhof und seiner
Hilfsarbeiter am Hamburgischen Kolonialinstitut verdanke und die die
Kometenberichte bei R. Andree, 'Ethnographische Parallelen und Ver-
gleiche" (Stuttgart 1878, S. 113) in mancher Hinsicht ergänzen.
Der eingeborene SprachgehilCe Abudu Rashid erzählte über den Kometenglauben
der Hausa folgendes: Im Jahre 130(J der Hidschra des Propheten sah man zuerst
einen Kometen, d. h. im Jahre 1884 christlicher Zeitrechnung. Als dieser Komet
erschien, fürchtete sich jedermann: denn man glaubte, das Ende der Welt sei
herbeigekommen. Da versammelten sich die Leute, die 'Schriftgelehrten', die
Manner und die Frauen. Man legte den Rosenkranz nicht mehr aus der Hand,
hielt an am Gebet und flehte zu Gott. Ein weiser Malam sagte zu den Leuten
des Hausalandes: „Dieser Komet bringt mancherlei Kunde. Zunächst, dass grosse
Könige der Welt sterben werden. Krankheit und Plage wird überhand nehmen,
Krieg und Veränderung in den Zeitumständen. Nicht wird man mehr kennen
Gehorsam noch Erbarmen. Die Weiber werden ihren Männern nicht mehr folgen,
Kinder nicht mehr ihren Eltern. Sklaven nicht mehr ihren Herren, Untertanen
nicht mehr ihren Königen." Und so geschah's; denn mit der Zeit des Kometen
hat sich jedes und jedes verändert. Der Komet aber erscheint alle 26 Jahre, oder
auch alle 28. So ist es.
Die Hausa glauben beim Erscheinen eines Kometen, es gibt Krieg: sie glauben,
es tritt ein Sterben ein, ganz grosse Könige werden sterben. Sie glauben, die
Welt würde umgekehrt. Sie glauben, was man noch niemals erlebt habe, würde
man dann erleben. Krieg wird kommen in Menge und Seuchen, Krieg Zwischen
solchen, die einander die Nächsten sein sollten: Muslime sollen vertilgen Muslime,
Christen ihre Brüder, die Christen, Heiden ihre Brüder, die Heiden. Wir rufen
einem Kometen zu und pflegen zu sagen: „Geschwänzter Stern, dein Anblick be-
deutet nichts Gutes".
Der Suaheli Mtoro bin Mwenyi Elbakari aus Bagamoyo sagte: Der Komet ist
ein Zeichen, er kommt nicht umsonst. Als in Afrika einer erschien, hiess es:
Fremde werden kommen, Leute aus dem Meer — die Gelehrten sagten: Europäer —
und werden das Land einnehmen.
HoUis, The Naudi (Oxford 1909. S. 79. 81. 100) schreibt: When the new
moon is seen, when shoting-stars or a comet are visible, or when there is an
eclipse of the run or moon the Naudi spit and pray for good luck . . . Shooting
Stars and comets are a sign of great ill future — especially the latter — and
when people see them they must spit and offer up a prayer. ... A comet is
regarded as the precursor of great misfortune. When one is seen. war, drought
famine, disease, and ruin may be exspected as a result.
Bei Hollis, The Masai (Oxford 190.'). S. 277) fmdet sich das Folgende: When
the Masai see a comet, thev know that a grcet trouble will befall them, the cattle
Der Komet im Volksglaiibeii. 35
will die, there will be a lamine, and their people will joiu tiie enemies.^) It is
Said that a coraet was once seen before the Europeans arrived. and as some
Masai childien were watering the cattle at a pond after herding them, a creature
resembling an ox but green in colour issued from the water. The children were
frightened, and kiilod ii. They then disembowelled it, and found that its body
was füll of caul-fat instead of blood. On returning to the kraal they related what
had occured. When they raedicin-man heard the story, he said: 'If we see
another comet, people who are green in colour will come out of the water and
Visit our country. Should the be killed, caul-fat instead of blood will be seen
issuing from their bodies? Shortly after the appearance of the next comet the
Europeans arrived. Ft was formerly believed that they had no blood, and that
their bodies were füll of caul-fat.
Der afrikanische Spiachgehilfe Christian Baumann (Hamburg) schreibt mir
über den Kometenglauben der Bergdamara (Üeutsch-Süd- West-Afrika) das Folgende:
Die Kometen werden als rnglücksbringer nicht gern begrüsst. Erscheint ein
solcher, so stehen dem Stamme oder dem Lande schwere Zeiten bevor, oder sie
befinden sich schon in solchen, in denen Sterbefälle in den Häuptlingsfamilien
eintreten können, ein schlechter Regenfall, Trockenheit und Hungersnot, oder
Epidemien aller Arten unter Menschen und Tieren ausbrechen. Unglücklicherweise
fielen tatsächlich mit Kometenerscheinungen auch sehr oft in ihrem Volksleben
unvergesslich schwere Zeiten zusammen. So z. H. erschien ein Komet im Jahre
der grossen Menschen- und Rinderpest. Dann llHÜ/11 zur Zeit des Erscheinens
des Halleyschen Kometen erfolgte der Tod des letzten Bergdamara-Oberhäuptlings
Cornelius Goreseb in Okombahe. Diese und ähnliche Fälle befestigten in dem
Bergdamaravolk den Glauben, dass ein Erscheinen von Kometen im Zusammen-
hang mit unglücklichen Zeiten stände.
Haiiiburir.
Bohueulieder.
A (.n Arthur Kopp.
Die ^YallrscheinUcll zunächst im südwestlichen Viertel Deutschlands
heimische, dort altüberkommene Redewendung 'Das geht noch übers
Bohnenlied' scheint sich in den letzten Jahrzehnten infolge des uneinge-
schränkten lebhaften Verkehrs über das ganze deutsclie Sprachgebiet
verbreitet zu haben, so dass man sie jetzt wohl als jedermann bekannt
voraussetzen und als allgemein volkstümlich bezeichnen darf. Sie besagt
meistenteils etwa 'das ist unerhört oder unglaublich, das ist gar zu närrisch
oder töricht, es übersteigt jedes erlaubte Mass, jeden Begriff oder jede
Vorstellung". Doch ^Yerden die Worte von vielen auch äusserst unbe-
stimmt, fliessend und verschwommen angewandt, so dass man gar keinen
rechten Sinn dabei verstehn und suchen, sondern oft nur eine nichts-
1) The Dinkas (am mittleren Nilj bave a sin.ilar tradition. iKauimaiiD, Schihle-
rungen S. 1-22.)
3»
36 Kopp:
sagende lledensart wie maucli andere festlegen kann, zur Äusserung von
Staunen oder Zweifel oder auch zur blossen Bekundung der Aufmerk-
samkeit auf etwas als ausserordentlich Vorgetragenes. Die meisten ver-
binden eben, wenn sie vom Bohnenlied sprechen, damit gar keinen Ge-
danken an irgend ein bestimmtes, ihnen vertrautes Lied. Selbst in den
umfangreichsten Sammlungen neuzeitlicher so kunst- wie volksmässiger
Lieder findet man kein jetzt noch übliches, in diesen Zusammenhang
passendes Bohnenlied, und es dürfte schwerlich mehr ein solches geben.
auch im Volksmunde nicht. An Lieder wie 'Wenn hier ein Pott mit
Bohnen steht', oder 'Trinkt, ihr deutschen Brüder', worin es heisst 'Lasst
den Türken ihre Bohnen', oder den Kiiidersingsang 'Eine kleine weisse
Bohne führte mich nach Engelland', oder sonstige Verse, worin zufällig
und nebensächlich auf ganz unverfängliche Weise der Bohnen gedacht
wird, lässt sich nichts anknüpfen. Die meisten wnirden in Verlegenheit
geraten, wenn mau sie danach fragen wollte, welches Lied ihnen vor-
schwebe bei der Anführung des Bohnenliedes und woher jene Redensart
ihrer Meinung nach eigentlich stamme. Nein, vielmehr sie würden sich
nicht in Verlegenheit bringen lassen, da man im alltäglichen Verkehr viel
zu sehr gewöhnt ist, alle möglichen Ausdrücke, ja Dutzende von eigen-
artigen Redewendungen ganz gedankenlos zu benutzen, ohne dass man
sich und andern Rechenschaft von Ursprung und Herkunft gibt oder
geben kann. Das trifft häufig sogar die gelehrtesten und gewaltigsten
Kenner, Meister und Beherrscher der Sprache.
Früher nun gab es mehr als genug deutsche Bohnenlieder, solche
Lieder, worin die Bohne dem Ganzen das eigentliche kennzeichnende
Gepräge verleiht und gewissermassen die Hauptrolle spielt; aus dem
16. Jahrhundert sind mehrere derartige noch überliefert. Das bei Schöfi'er
und Apiarius ohne Zeitangabe zu Strassburg um 1536/37 erschienene
Liederbuch von 65 Liedern (Goedeke, Grundr.^ 2, 32) enthält allein drei
Nummern, die man unzweifelhaft als wirkliche Bohnenlieder bezeichnen
muss: Nr. 6 'Man sagt von geld und grossem gut' in 5, Nr. 7 'Wer lützel
bhalt und vil verthut' in 6, Nr. 35 'Wer hoffart treibt mit fremdem gut"
in 3 zehnzeiligen Strophen, alle drei mit gleichem Kehrsatz 'Nun gang
mir aus den bonen'. Nr. 7 dieses Liederbuchs findet man auch im Lauten-
buch Neusidlers, Nürnberg 1536 'Wer wenig bhalt und vil verthut"
(Goedeke^ 2, 29) ; Bruchstücke von Nr. 6 und 7 bei Fischart, siehe Ch. A.
Williams, Zur Liederpoesie in Fischarts Gargantua, Diss. 1909 S. 56.
Ein viertes Lied mit eben diesem Kehrsatz in 3 zwölfzeiligen Strophen,
beginnend 'Frisch ist mein sin, klein ist mein gwin, gar tapfer wil ichs
wagen' überliefern Ivo de Vento, Newe Teutsche Lieder, München 1570
Nr. 17; Fühler, Teutscher Lieder XX, München 1585 Nr. 12 (Goedeke-
2,47 u. 55); Val. Haussmann, Lieder 1597 Nr. 22. Diese Lieder müssen
im 17. und 18. Jahrhundert verschollen gewesen sein. Später sind sie
Bolmenlieder. 37
durch neuzeitliche Forscher uiul Sammler mehrfach wieder gedruckt, so
durch Docen in seinen Miscellanea 2, 254/5 Nr. 6 und 7 des Liederbuchs
von Schöffer und Apiarius mit gehaltvollen Bemerkungen über das Bohnen-
lied, Zusätze S. 12; dieselben beiden Lieder Uhland Nr. 235/6; ebenso
Mittler nebst 'Frisch ist mein sinn Nr. 681)— 91; dieselben drei wie
Mittler auch Böhme, Altd. Liederbuch S. 435/6 Nr. 461 und 462a und b,
dagegen alle drei des Liederbuchs von Schötfer und Apiarius im Lieder-
hort 3, 97 — 99 Nr. 1174—76. Erwähnenswert ist noch ein Lied aus Harnisch,
Liedlein 1591 in Böhmes Altdeutschem Liederbuch S. 389 Nr. 307 'Was
sol ich machen dann aus dir", worin die zweite von 4 siebenzeiligen
Strophen beginnt 'Ich sich, du bist weder heiss noch kalt, drum ge mir
aus den bonen bald". [Ohr. Holländer 1575 in Neue ])reuss. Provbl. 3. F.
8, 168. 1861. Wickram, Werke 2, 286 dichtete 1557 ein Lied im Ton:
Gang mir auß den bonen. |
Wenn die Redensart vom Bohnenlied nach Docen als in Schwaben
be>;<»nders verbreitet anzusehen ist, so berichtet Mittler S. 521 „Der Refrain
in diesen Liedern bezieht sich auf den im XVL Jahrhundert üblichen
Witz: wenn die Bohnen blühen, gibt es viel Narren, und hat den Sinn:
lass mich in meiner Narrheit ungestört, ich will ein Narr bleiben". . . .
„So kam es. dass das Bcdmenlied sprichwörtlich als Inbegriff aller Narr-
heit aufgeführt werden konnte, und noch jetzt hat man in Hessen, in
Frankfurt und weiter südlicli die Redensart: das geht nocii ül)er das
Bohnenlied".
Ausser Schwaben und Hessen kommt für das Bolmenlied und die
davon abgeleitete Redensart besonders noch die Schweiz in Betracht.
Vor allem bezieht man sich auf eine Stelle von Anshelms Berner Chronik
6, 107 (abgedruckt oder behandelt in den Ausgaben des Nik. Manuel
von Grieueisen S. 91, von Bächtold S. CXXXI, in der Einleitung zu seinen
Schweizerischen Tolksliedern von Tobler S. CXL, in Goedekes Grund-
riss' 2,339. in Böhmes Liederhort 3,99.) Danach wurden im Jahre 1522
zu L)<H-n zwei Fastnachtspiele des dortigen berühmten Dichters und kunst-
reichen Malers Nik. Manuel öffentlich aufgeführt, eins, der Totenfresser
'berührend alle Missbräuch des ganzen Babstthumbs uff der Pfaffen Fass-
nacht, das ander von dem Gegensatz des Wesens Christi Jesu und sines
genanten Statthalters, des römischen Babsts uff die alte Fassnacht.
Hiezwischen uff der Eschen Mitwuchen ward der römische Ablass mit
dem Bohnenlied durch alle Gassen getragen und verspottet". Diese Nach-
richt mit ihren genauen tatsächlichen Angaben veranlasste die Frage,
welches Bohnenlied hier gemeint sei. Die Frage mag vielleicht nicht
ganz so mttssig sein als die, welches der sprichwörtlichen Redensart zu-
grunde liege; doch wird sich das, falls nicht anderswoher Genaueres und
Näheres über Inhalt und Beschaffenheit jenes Bohnenliedes ermittelt wird,
ebensowenig ausmachen lassen.
3S Kopp:
Drei von den vier genannten, anscheinend vollständig erhaltenen
Bolinenliedern wollen einen Anlauf nehmen zu kecker Ausgelassenheit
entsprechend nintwilliger Fastnachtslaune, wonach es als höchste Weisheit
hingestellt wird, nicht zu knausern, sondern alles draufgehen zu lassen,
sich um die Zukunft keine >Sorge zu machen, sich des Lebens nach Mög-
lichkeit zu freuen und es in vollen Zügen zu geuiessen. Aber dieser au-
gestrebte Frohsinn, diese schalkhafte Munterkeit, wozu geistige Freiheit
und Überlegenheit gehören würde, bleiben unentwickelt in den Ansätzen
stecken, die rechte Stimmung witziger Ungebundenheit will nicht auf-
kommen, man traut sich nicht und wagt sich niclit aus sicli selber und
aus der gewohnten Enge heraus. Von den drei Schöfferschen entspricht
nur das eine 'Man sagt vo7i geld und grossem gut" (Nr. (>) einigermassen
jener unbekümmerten, sprudelnden Lustigkeit, wie sie manche späteren
Schlemmer- und Fastnachtslieder zeigen. Aber das unmittelbar folgende
'Wer Kitzel bhalt und vil verthut" (Nr. 7). warnt als Hegeustück dazu
vor den verderblichen Folgen, predigt Massigkeit und mahnt zu ge-
sittetem Lebenswandel in Zucht und l^jhrbarkeit: es ist Avohl von den
drei Schöfferschen als das jüngste zu betrachten, weil es andre Bohuen-
lieder, zu denen es in Gegensatz tritt, mindestens also <las bei Scliöffer
unmittelbar vorangehende, bereits als bekannt voraussetzt. Ebenso ge-
dämpft und vorsichtig äussert sich die Lebenslust in dem dritten Schöffer-
schen Gedicht 'Wer hoffart treibt mit fremdem gut", worin das erste Ge-
sätz vor Verschwendung, das mittlere vor GeistesdünkeJ, ilas dritte V(»r
Unzucht warnt. Dies ist unstreitig das älteste von den vier erhaltenen
Bohnenliedern. Abgesehn von dem unfreien h^mpfinden. der ungelenken,
plumpen Ausdrucksweise verrät sich auch im Gemäss ein archaistischer
Zug. Li den ältesten Liederbüchern gerade finden sich ein ])aar Beispiele,
dass für den Strophenbau Yerse von 4 Hebungen bei männlichem und
solche von 3 Hebungen bei weiblichem Schluss als gleichwertig beliandelt
werden, wie hier in der zweiten und vierten Zeile der zweiten Strophe
das erstere (4 H m), dagegen in den entsprechenden Zeilen der ersten
und letzten Stro])he das letztere regelrechte Mass (3 H w) anzutrefTen
ist. Dass letzteres nach dem zugrunde liegenden Schema vorausgesetzt
werden muss, ergibt sich aus der Yergleichung der andern Bohnenlieder.
Das Gemäss in den drei Schöfferschen ist Silbe für Silbe genau das gleiche,
so dass alle nach derselben Melodie gesungen werden könnten, wie für
Nr. (5 und, vielleicht als Parodie dazu gedacht, Nr. 7 nur eine Melodie
geboten wird. Auch das Pühlersche Schema stimmt im Silbenmass genau
damit überein, nur dass hier, wie bei den drei Schöfferschen Liedern in der
zweiten, auch in der vordem Hälfte die Zeilen von 4 Helmngen aufgelöst
sind zu -2 mit einander gereimten Hälften von je 2 Hebungen und so das
bekannte zwölfzeilige Schema, die Dutzendstrophe hervorgeht. Beide
Strophenformen, die zwölfzeilige des Pühlerschen wie die zehnzeilige <ler
Bohnenlieder. 8<>
Schöffersclieu Bohnenlieder •••ehören \m Ki. .lahrliiindert zu den aller-
1»eliebtesten nnd geläufigsten. Sie beruhen, bei völliger Übereinstimmung
im Silbenmass und blosser Teilung der aelitsilbigen Zeilen durch den
Keim, auf jener schon längst in der mittelalterlichen lateinischen wie
deutsciien Poesie üblichen, ihrerseits durch Yerdoppelung eines vierzeiligen
Schemas entstehenden achtzeiligen Strophenform, worin regelmässig 4hebige
Verse zu 8 mit solchen zu 7 Silben bei 3 Hebungen abwechseln: 4 11 m
3 w 4 mal ab ab c d c d. Zerlegt man hier die Zeilen ö und 7 in ge-
reimte Hälften, dann erhält man die zehnzeilige Form der Schöfferschen
Lieder: 4 H m 3 w 2 y' 2 2 m 3 w 2 X a b a b c c d o v d — zerlegt man
aber wie 5 und 7 auch die Zeilen 1 und 3. sonach alle vier ungeraden
Zeilen, so hat man die Pühlorscho Form: 2 2 ni 3 w 4X aab ccb
dde ffe.
In der Melodie zu IS'r. (? und 7 des alten Strassburger Liederbuches
finden kleine Unterschiede statt. Auf den ersten Yers mit seinen 8 Silben
entfallen bei Xr. (l nur 11. bei Nr. 7 aber 13 Noten. Diese geringen
Abweichungen beschränken sich auf die vordere Hälfte des Gesätzes.
während in dessen zweitem Teil Note für Note der Singweise überein-
stimmt. BeilS^r. ß ist Paulus Wüst, bei Nr. 7 Thomas Sporer als Urheber
der Vertonung angegeben. Auch in dieser Hinsicht erweist sich Nr. .'15
desselben Liederbuchs als das früheste. Die von B. Arthopius gesetzte
Weise läuft ganz einfach und altertümlich, auf Jede Silbe kommt eine
Note, der Ton dieses Liedes hat offenbar den beiden andern Liedern
als Vorbild und Grundlage gedient, ja, für die 4Iauptsache, den Kehrsatz,
sind wie die W^orte so die den 7 Silben entsprechenden 7 Noten in allen
drei Bohnenliedern genau dieselben geblieben.
Ausser der Gleichheit in Tonfall und Silbenmass nebst etwaiger
Gleichheit in der Singweise finden sich in den vier Bohnenliedern auch
Anklänge des Wortlauts. Alle vier haben denselben Kehrreim, der, am
Schluss jeder Strophe nachdrücklich wiederholt, für viele bisweilen das
l<]inzige bleibt, was sie vom ganzen Liede behalten: 'geh mir aus den
Bohnen" — aha, das Bohnenlied! Zudem fangen die drei Schöfferschen
alle mit demselben Reim an: 'Man sagt von Geld und grossem Gut", 'Wer
lützel bhalt und vil verthuf, 'W^er Hoff'art treibt mit fremdem Gut":
mancher hört aus alledem auch nur heraus: Gut — Thut — Gut — ,
wobei Neuere vielleicht an den schönen Vers aus der Jobsiade denken
mögen 'Hut, Hut. Hut. Hut, Hut thut gut", eine von uns ver-
trauensseligen deutschen Micheln leider nicht genug beherzigte Nacht-
wächterweisheit. Innerhalb der Lieder fallen auch ähnliche Wendungen
auf; so reimt in der ersten Strophe von SchöfFer Nr. 6 und in der dritten
von Schöffer 35 witz: spitz; in der zweiten Strophe von Nr. 7, in der
ersten von 35 thür: für; in der vierten von Nr. 6, in der zweiten von
Pühlers Lied versichern die Poeten, dass bei ihnen 'kein Geld schimlich
40 Kopp:
werden" solle. üie Wiederkehr dieser gleichen Ausdrücke hängt innig
damit zusainnion. dass Gedankengang und Grundstinimung auf denselben
Mittelpunkt gerichtet sind, die Fastnacht. Wenn auch das eine mehr
den heitern Genuss des der Lust geweihten Augenblicks, das andere
mehr die nachträglichen Folgen als trüben Hintergrund in Vorahnung des
leidigen Katzenjammers bei der unausbleiblichen Ernüchterung im Sinne
hat; so bleibt ihnen doch Zeit und Anlass gemeinsam, und man bemerkt
feinere Schattierungen und Färbungen doch erst, wenn man mit prüfendem
urteil und geschärfter Aufmerksamkeit an diese Liedergruppe herantritt,
wälirend man sonst von den verschiedenen Abstufungen kaum etwas
wahrnimmt. Es lässt sich behaupten, dass der grossen stumpfen Masse der-
jenigen, die damals eins oder das andre jener Lieder kennen lernten oder
ein ]»aar Strophen sich aneigneten, das Vorhandensein mehrerer selb-
ständiger und voneinander getrennter Singstttcke gar nicht zum Bewusst-
sein kam. Wenn jede Strophe des einen Liedes ohne weiteres in das
andere versetzt w^erden kann, ohne nach Sprache, Stoff und Silbenmessung
davon abzustechen, wenn einmal diese Strophen, ein anderes Mal jene
vereinigt und als eine Ganzheit zusammeugefasst werden, wozu bisweilen
im Laufe der Zeit neue, nach Lust und Laune hinzugedichtete treten, so
werden Aussensteheude leicht alles vermengen und nur den allgemeinen
unbestimmten Eindruck von Einem Liede gewinnen: so genau wirds dabei
nicht genommen. Beispiele für diese Vorgänge des Durcheinanderwerfens
und Zusammenschmelzens oder Durchsetzens mit neuen Bestandteilen finden
sich bei Liedern, die nach Form und Lihalt gleichartig sind, im späteren
Volksgesang nicht selten. Wenn man also jetzt noch die Redensart vom
Bohnenlied anwendet, obschon man kein solches kennt, so geht offenbar
dieser schwache Nachhall auf die verschollenen älteren Bohnenlieder im
allgemeinen zurück, und es wäre ganz vergeblich, ergründen zu wollen,
welches einzelne Bohnenlied gemeint sei. Jene Lieder, sowohl erhaltene
wie verlorene von ähnlichem Inhalt und gleicher Form, sind eben das
Bohnenlied. Ebenso muss man auch die vielumstrittene Notiz der Berner
Chronik auffassen. W^enn der Ablass mit dem Bohnenlied herumgetragen
wurde, so kann es ein Spottgedicht nach der Melodie des Bohnenliedes
gewesen sein; kam der besagte Befrain 'So gang mir aus den bonen"
darin vor, dann mag es dennoch ein für diesen Zweck neu gedichtetes
darstellen: immerhin liegt auch die Möglichkeit vor, dass eins von den
drei Bohnenliedern des in Strassburg erschienenen Drucks gemeint sei.
Will man aber ein bestimmtes nennen, so muss man sich wohl mit
Böhme für Nr. o5 entscheiden.
Indessen ist bei jener Notiz noch ein Umstand zu berücksichtigen.
Neben dem zur -Verspottung des Ablasses durch alle Gassen getragenen
und vom Volk abgesungenen Bohnenlied werden zwei von Nik. Manuel
verfasste Fastnachtspiele genannt, im Anschluss an welche das Lied an-
Bohiienlieder. 41
sclieiiiend vorgetragen wurde, nicht als Eingebung des Augenblicks von
der hin- und herflutenden Menge, sondern als einstudierter Chorgesang in
geordneter Prozession. Dann könnte Manuel für diesen Zweck eigens
ein Lied verfasst haben, und, wenn das der Fall wäre, dieses verloren
oder eins der noch vorliegenden sein, in letzterem Falle wieder unzweifel-
haft Nr. o5. ein zu der sonstigen Art Manuels passendes Lied. Es ist
nicht nötig, dass das Lied sich auf den Ablass inhaltlich bezog; der in
jeder Strophe wiederkehrende Satz 'nun gang mir aus den bonen' wie schon
die blosse Melodie des allbekannten alten Bohncnliedes, den Ablasskrämern
entgegengehalten, war Spotts genug. Jedermann kannte damals die Be-
deutung der überlieferten Redensart 'einem das Bohuenlied singen", und
wo dieses ertönte, wusste man schon von weitem, dass jemandem der Kehraus
gespielt würde, wie ja dem üblichen Refrain entsprechend nur damit
gemeint sein konnte: 'Du bist verrückt, mein Kind', 'scher dich, pack
dich, troll dich forf. Wenn aber auch ein beliebiges, älteres Bohnen-
lied sehr wohl die gewünschte Wirkung hervorzubringen vermochte, so
scheint Nik. Manuel doch am Berner Bohnenlied vom Jahre 15'22 näher
beteiligt gewesen zu sein, da sich später im Gedächtnis der Familie
Manuel das Bohnenlied auffallend fest behauptet und vermöge familiär-
intimer Tradition eine gewisse Vorliebe dafür zu herrschen scheint. Im 1548
verfassten ^Weinspiel" von Hans Rudolf Manuel, dem Sohne des Nikolaus
(Bächtold S. 384; Neudr. 101/2 S. -29). wird imter besonders volkstümlichen
Weisen 'das bonenlied" erwähnt, und auch im 'HochzeitsspieF für Albrecht
Manuel und Magd. Nägelin wird es als landläufig vorausgesetzt, worauf
Bolte zuerst hingewiesen hat (Liederh. 3, BU)-
Die stehende Formel 'geli mir aus den Bohnen" war von ihrem Ur-
sprung an wohl nicht nur auf närrisches Wesen oder fastnachtmässiges Treiben
eingeschränkt, sondern daneben lief stets die mehr allgemeine, mehr
abgeblasste Bedeutimg 4a8s mich ungeschoren, bleib mir vom Halse,
geh mir aus dem Gehege: Goedeke hat sich dadurch verleiten lassen,
bonen für gleichbedeutend mit 'Bahnen' zu halten, wie bei vielen Worten,
in denen jetzt a sich durchgesetzt hat, in früherer Zeit o gebräuchlich
war oder Schwanken zwischen a und o bestand. Goedeke blieb hart-
näckig bei seiner Ansicht, auch nachdem diese von Böhme mit Recht als
unhaltbar bezeichnet worden war, und wiederholte sie noch in der zweiten
Auflage seines Grundrisses (S. 85, vgl. S. 339), obschon er doch selber
vom 'Bohnenlied' spricht, während man ein Lied schwerlich 'Bahnenlied'
nennen würde,, selbst wenn im Refrain 'bonen' für 'bauen' stehen könnte.
Im Deutsehen Wörterbuch ist auch die Redensart zusammengestellt mit
Ausdrücken 'wie man auch sagt: einem in die Erbsen, in die Schoten
gehn": dementsprechend sagt man auch 'einem in die Wicken gehn',
obschon hier 'in die Wicken gehn' — wie meist 'in die Binsen
oehn" — öfter für "verloren gehn" gebraucht wird. Weshalb die Hülsen-
42 Kopp :
brächte bei derartigen Ausdrücken bevorzugt werden, mag merkwürdig
erscheinen, vielleicht gab die Bohne den ersten Austoss dazu.
Dass das Bohnenlied mit seinem ständigen Kehrsatz und sogar die
Wendung 'das geht noch über das Bohnenlied' weit vor das 16. Jahrhundert
zurückgeht, zeigt eine Stelle, worüber man bei Tobler liest: ..In einem
l>uzerner Neujahrsspiel aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (bei
Moiie, Schauspiele 2, 406) heisst es:
diser sach bin ich fast müed,
es ist mir über's bonenlied —
was mehr auf Cberdruss an langweiliger Wiederholung als auf Ibermass
der Sache selbst deutet." (Schweiz. Yolksl. S. CXLI: Grimm. I). W. 2.
•226). Schon damals war das Bohnenlied alt, ja, veraltet und abgeleiert,
mau bezeichnete damit etwas unsäglich Albernes und Abgeschmacktes.
Diese Geringschätzung, dieser Begriff des Nichtigen, Wertk»sen.
<Tleichgültigen konnte desto leichter auf das Lied übergehn wnd ihm,
wofür es noch andre Belegstellen gibt, anhaften, da schon die Bohne seit
ältester Zeit im gewöhnlichen Sprachgebrauch dieselbe Bedeutung hat.
Wie man jetzt noch im alltäglichen lässigen Gespräch sagt -nicht die
Bohne', gleichbedeutend mit 'nicht im geringsten', ähnlich wie 'nicht <lie
Laus, nicht die Spur, nicht so viel wie Schwarz unter dem Nagel" — wo-
von manches in gebildeter Gesellschaft und im schriftlichen Gebrauch
nicht mehr vorkommen dürfte — so wendet schon Walther von der Yogel-
weide den Ausdruck an: 'kleiner danne ein bone' d. i. so gut wie niolits,
oder an einer Stelle, die vielleicht schon auf Bohnonlieder anspielt:
waz eren bat Fro Bone (Frau Boline:)
daz man so von ir singen sol?
'Nicht eine bone, nicht eine lialbo bone. einer bone(n) wert" lässt sich
aus verschiedeneu älteren Schriftwerken belegen.
Die deutschen Wörterbücher (Grimm 2, 225; Wander. Sprichwörter-
Lex. 1,425 u.a.) beschäftigen sich eingehend mit Bohne, Bohnenlied und
allem, was drum und dran hängt, und bringen manches über die Be-
ziehungen der Bohne zur Narrheit. Im Riesenwerk der Brüder Grimm
wird unter anderm eine Stelle aus Fischarts Bienenkorb angeführt 'die
bonenblüst gibt vil gecken' und zur Erklärung derartiger Stellen die
Bohnenblüte 'lieblich süss, aber betäubend" genannt. Wander führt u. a. an:
„Die Bohnen blühen, die Narren ziehen — Feves fleuries temps de
folies — Les feves sont en Heur, les fous sont eu vigueur — Als de
boonen bloeijen, de zotten groeijen — Er ist in den Bohnen. Im Nieder-
deutschen für: er ist trunken, seiner Geisteskräfte nicht mächtig, auch für
Geistesabwesenheit ohne Rausch; er irrt sich, ist in Verwirrung. Die
Bohnen, besonders einzelne Arten, sollen während der Blüte so stark
duften, dass. wer sich lange darin aufhält, betäubt wird. Holl. Hij is in
de boonen — Hij is in de boonen, en plukt erwten". Aus Rüttler ist
Bolmenlieder. 4^
oben schon yermerkt die sprichwörtliche Redensart: "Wenn die Bohnen
blühen, gibt es viel Narrend (Wander 1. 42G: Tobler S. CXLI.) Wichtige
Belege bietet Kaltf 'In de boonen zijn': Tijdschrift v. ndl. taal-en letterk. t*.
263—08.
W^enn das bisher bßhaudelte Singen und Sagen über die Bohne fast
ganz nach dem südwestlichen Deutschland, hauptsächlich nach Schwaben
und Schweiz führte, weiter nach der Mitte zu nur Hessen in Betracht
kam, so verweisen, wie schon die zuletzt ausgehobeuen Stellen, die meisten
sonstigen von der Bohne wie vom Symbol oder Abzeichen der Narrheit
ausgehenden Redewendungen, Formeln und Yerse nach dem niederdeutschen,
überwiegend aber nach dem nordwestlichen, an Frankreich stossenden
(cebiet und nach dem nördlichen Frankreich selbst. Die vermittelnde
Brücke zwischen Nordwest und Südwest für manche sprachlichen Erschei-
nungen wie für manche Yolksgobräuehe stellen Elsass und ausser dem
recht weit hinauf gefassten Xiederrhein, Burgund her. oder statt letzt-
genanntem Hessen-Nassau. Die Niederlande steuern ein längeres Bohnen-
lied bei, das im Antwerpener Liederbuch vom Jahre 1544 Nr. 54 zu finden
ist: Yan den boonkens. ühi sotten ende sottinnekens, / ghi meyskens also
net, al sidy sot van sinnekens, / ghi hoort doch altemet ... 10 zwölfz.
(Tesätze; Kehrwort 'als die boonen bloeijen, ,i;hi coemt hem veei te by."
Auch wird zur Bezeichnung der Singweise für ein andres l.iod nngofülin:
■Meysken gaet uten boonen, u eerken hangt daer au", und wieder für
ein andres -Wat zouk met all de boonen doen", und für ein drittes 'Boonen
plucken', wo doch überall auch nur jetzt verschollene Bohnenlieder ge-
meint sein können. Darüber handeln ii. a. Kaltt'. Het lied in de mid-
deleeuw S. 353, vgl. S. 470; Böhme. Eiederhort .".. 100: Fl. v. Dnyse. Het
oude nederlandsche lied 2, lOTC-Sl; vgl. 1, 150. u. ;3, -ioSl.
Bei Kalff und Duyse findet man auch interessante Bemerkungen üher
die Formen, deren sich der Trieb eingefleischter Torheit und launig an-
genommener, vorübergehend an- gewissen Festen üblicher Narrenfreiheit
im niederländischen Gebiet bediente, wovon die Beziehungeu der im
Anfang des 15. Jahrhunderts bereits altbegründeten, von Antwerpen damals
nach Brabant eingeführten Gilde 'Blauwe Schulte" zum Narrenschitt'e Brant.s.
des berühmten Stras.sburgers, hervorgehoben zu werden verdienen. Alte
Yolksbräuche, Festlichkeiten, Umzüge voll ausgelassener Lust und Lebens-
freude mit mächtigem Aufgebot von allen möglichen Fratzen und Narren.
Riesen, Drachen, Schiften und alle den zum Teil noch altheidnischen, zum
Teil altkirchlichen Typen und Masken waren im ganzen Bereich der Nieder-
lande, zumeist aber im Süden so beliebt und allgemein verbreitet wie
nirgend sonst und haben sich bis an die Schwelle der Gegenwart vor dorn
Ausbruch des freventlich entzündeten Welibrandes überall in Belgien, selbst
in den grossen Weltstädten wie Brüssel und Antwerpen, behauptet. Über
die zum Dreikönio-sfest übliche Wahl des Bohnenkönigs vermöge der iß
44 Kopp:
den Kuchen eiugebaekenen Bohne geben mehrere der im vorigen an-
geführten (Schriften genügend Auskunft. Verwiesen sei noch auf 0. Frhr.
V. Iveinsberg-Düringsfeld, Das Festliche Jahr (1863 S. 21 — 23 u. ö.), er-
innert au das bekannte 'Der König trinkt" (Le roi boit), an die lustigen
Darstellungen dieses wichtigen Aktes mit ihren falstaffartigen Figuren des
Dolineukönigs auf den Gemälden vieler flämischer Künstler (z. B. Steen,
•Jorda«ns u. a., Cassel, München, Wien, Paris u. ö.) das Gedicht 'Der König
trinkt" unseres in seiner Art alles umfassenden Hans Sachs nicht zu ver-
gessen (Xeuausg. 9: Bibl. d. lit. V. 125 S. 392).
AVeun aber auch in Flandern, Brabant nnd benachbarten Gegenden
iie Bohne meist nur in ganz allgemeinem Sinne die Narrheit kennzeichnen
soll, daneben deutet sie vorzugsweise die besondre Gattung verliebter
Narrheit an. Duyse wendet sich mit Unrecht gegen Böhme, der (Lh. 3, 99)
gemeint hat: „Doch scheint im niederländischen Volksglauben die Bohne
auch Beziehung auf jungfräuliche Ehre gehabt zu haben." Auf keine
menschliche Neigung wird von allen Völkern öfter der Ausdruck Narrheit
oder Tollheit angewandt als auf Liebesraserei. Das erhaltene Bohnenlied
aus der Antwerpener Sammlung v. J. 1544 ist unzweideutig erotisch und
wimmelt von derben Zweideutigkeiten, wie das ganze Liederbuch von
knotigen und zotigen Anspielungen pornographischer Art in einem Grade,
dass unsere hochdeutschen Liederbücher, in denen doch auch manches
mitunterläuft, im Vergleich dazu für keusch und engelrein gelten können.
Und jener Liedanfang, auf den Böhme hinweist, 'Meysken gaet uten boonen.
) eerken hangt daer an" lässt sich beim besten Willen gar nicht anders
auslegen. Es ist im Grunde nur Wortklauberei, daran zu deuteln.
Wichtiger mag die Frage sein, wie gerade die Bohne zu diesem üblen
Rufe kommt. Hier muss nun zuvörderst berücksichtigt werden, dass in den
Zeiten, auf die nachweislich alle jene Redensarten, der Volksaberglaube von
den schädlichen Eigenschaften und Einflüssen der Bohne, das Bohnenlied
nid alle Fäden dieser Art zurückweisen, unsre hübschen, bunten, zierlichen,
rankenden Bohnen völlig unbekannt waren, die erst im letzten Drittel des
16. Jahrhunderts aus dem Orient und Amerika nach dem Nordwesten
Europas eingeführt worden sind. Alles Böse mit aller üblen Nachrede
fällt somit auf die sogenannten Grossen, Puff- oder Sau- oder Pferde-
Bohnen. Darüber handelt ein trefflicher Aufsatz von K. E. H. Krause:
'Die Bohne und die Vietzebohne", Jahrbuch d. V. f. niederd. Sprachf. IG,
;,3_(;5, und mit Benutzung dieses Aufsatzes bieten J. W. Muller en
A. Kluyver in ihrem 'Woordenboek d. ndl. taal", d. 3 (1902) Sp. 438— 50
zum Worte 'boon' einen die Pflanze vom sprachlichen, volkskundlichen,
literarischen und kulturhistorischen Gesichtspunkt klar beleuchtenden und
fast völlig erschöpfenden Abschnitt. Nebenbei muss erwähnt werden, dass
der niederdeutsche Name 'Vietzebohne' nichts mit Sankt Veit zu tun hat,
woran wegen der ihr zugeschriebenen berauschenden Wirkungen gedacht
Bohnenlieder. 45'
werden könnte, sondern einfach die richtige lateinische Benennung vicia
faba für die Puffbohne wiedergibt, wogegen die später eingeführte Kletter-
bohue, die meist mit 'Vietzebohne' gemeint wird, als feineres Gewächs
mehr im Garten, wie jenes gröbere mehr im freien Felde angepflanzt, iu
botanischer Sprache Phaseolus vulgaris heisst. Auch Phaseolus und faseln
stehen in keinem etymologischen Zusammenhang. Aber Yicia hängt wohl
mit Wicke zusammen.
Sobald von den vornehmen Ausländerinneu wie den türkischen Bohnen
abgesehen und auf die viel früher in Deutschland eingebürgerten alten ehr-
lichen Puffbohnen zurückgegriffen wird, erklärt sich manches leichter
und gewinnt an Deutlichkeit. Wenn wir von einem Dummkopf sagen
'er hat zu viel Bohnen gegessen', so schreiben wir dieser als besonder*
grob geltenden Kost eine verdummende Wirkung zu, von wo der Weg
zum Begriff der Torheit oder Narrheit nicht mehr weit ist. Auch der
Ausdruck 'dumm wie Bohnenstroh" dürfte darauf beruhen. Der frühere
Volksglaube vom betäubenden und sinnverwirrenden Einfluss der Blüte
könnte dabei vielleicht ganz entbehrlich werden oder als Nebengrund in
Betracht kommen, wie ja nirgend im bunten, vielverschlungenen Gewebe
des Menschengeistes die Fäden sich einzeln und glatt sondern lassen.
Auch die Geringschätzung der Bohne darf nicht wundernehmen. Sie wird
offenbar als gut genug für Schweinemast betrachtet, aber als ungeeignet
zur menschlichen Kost — daher der Name 'Saubohne"; doch soll 'Pferde-
bohne' wohl auch die Grösse, neben der verächtlichen Bezeichnung als
Viehfutter, andeuten. Schafsbohne wie blaue Bohne, Kaffeebohne nebst
Bohnen anderer Pflanzen liegen ausserhalb dieses Gedankenkreises, aber
sie spielen bisweilen mit hinein und stehen in Wechselwirkung damit.
Die Puffbohne findet übrigens immer noch selbst in den vornehmsten
Kreisen ihre Liebhaber und sagt einem noch so verwöhnten Gaumen zu,
selbst beim schöneren und zarteren Geschlecht, wenngleich ihrer stets
auch von ihren treusten Verehrern mit einem leisen Anflug neckischer
Laune gedacht wird. Sie reicht bis ins graueste Altertum zurück, war
in Ägypten, Troja, Hellas und Rom vielbegehrt und hochverehrt, in
Italien bis in die Neuzeit hinein die wichtigste Hülsenfrucht und be-
liebtes -Nahrungsmittel der breiten Volksmassen und spielte wohl vor
Einführung der Kartoffel in der Kost aller Schichten der meisten Länder
Europas hindurch eine Hauptrolle. Aber auch im Altertum stehen manche
Sonderbarkeiten mit ihr in Zusammenhang. Wem fällt nicht sogleich
das pythagoreische Bohnenverbot ein? Wander (5, 1030 Zusätze und Er-
läuterungen) gibt hierzu die beiden landläufigen Erkläri^ngen : „Pythagoras
untersagte den Genuss der Bohnen, weil sie unreines Blut erzeugten, die
Heiterkeit der Seele störten: wenn sie im Frühling blühten, erfasse
Schwindel die Köpfe." — (Sp. 1031) „Enthalte dich der Bohnen. Ein
Ausspruch des Pythagoras, durch den er seinen Schülern sagen wollte:
4G Aoj.p:
Mische dicli nicht in öffentliche Angelegenheiten, wo mit Bohnen ab-
iiestinnnt wurde." (Diog. L. 8, .'34: K. J. AVeber. Demokritos, 8. Ster.-
Aiisg. 4> -15.) — l'jin beciuemes Auskunftsmittel in früheren Zeiten war
•es. Unerklärliches auf ägyptischen Ursprung zurückzuführen, so das pytha-
goreische Bohneuverbot auf den heiligen Brauch der ägyptischen Priester.
(Her. n 39-, Schopenhauer, Fragmeute z. Gesch. d. Philos. § 2.) Will
man aber ganz auf neuzeitlicher Höhe stehen, so wird man vielleicht mit
■Chamberlain (Grundlagen des 19. Jahrh. Volksausg. 1915 S. 129) das
Jjohuenverbot für „indisches Erbgut" erklären.
Dass Bohnen ein wohlfeiles tmd bequemes Mittel bei Wahlen und
Abstimmungen boten, leuchtet ein, und so kann es nicht wundernehmen,
dass noch über das Mittelalter hinaus die Bohnen in privaten Zirkeln,
■Gesellschaften, Vereinen, Gilden und sogar in amtlichen städtischen und
kleinstaatlichen Körperschaften für solche Zwecke benutzt wurden, also
desgleichen zur Wahl des Bohnenkönigs, der, als Narrenkönig ohnehin
gedacht, seine Geltung der Bohne verdankt und seinerseits wieder ihre
•(reltung als Narrenfrncht zu stützen vermag. Ein Beispiel für diesen
Vorgang bietet ein Festgedicht auf die Königswahl der Gilde van den
Witten Beer, Brügge 1392 (Oudvl. Liederen en and. Gedichten: Maetsch.
■d. vi. Biblioph. II i>, S. 479 — 488). worin der junge Jan van Gruthuse
feierlich eingeführt und bei dieser Gelegenheit angeredet wird als 'ghe-
<'oroneert bi den ghelucke van der bone".
Indes halten sich die bisher vorgebrachten durchweg rein ratio-
nalistischen Erklärungen zu sehr an das Ausseuwerk. Um tiefer in den
inneren Zusammenhang zu dringen, ist es nötig, die Bedeutung der Bohne
bei manchen Völkern, zumal bei den Römern, im Totenkult zu berück-
sichtigen. Die leidigen Folgen von reichlichem Bohnengenuss, Ver-
<lauung8beschwerden und quälende Träume führte man auf die Seelen der
Verstorbenen zurück, wie Krankheit. Alpdruck im Volksaberglauben all-
gemein der Tätigkeit solcher dem Grab entstiegenen bösen Geister,
(Dämonen, Vanipyre, Gespenster, Mahren, Alben usw.) zugeschrieben wird.
Man fürchtete, zugleich mit den Bohiien die daran haftenden oder darin
eingeschlossenen Unheilsmächte der Abgeschiedenen in sich aufzunehmen.
Vgl. darüber z. B. in volkstümlich anziehender Ausführung Reling und
Bohnhorst, Unsere Pflanzen* 1904 S. 329, besonders aber in wissenschaft-
licher und völlig einleuchtender Begründung F. Boehm, De symbolis
Pythagoreis, Diss. Berlin 1905 p. 14—17.
Auch die Beziehungen der Bohne zur Erotik sind nicht so wunderbar.
Der bei gesunden unverbrauchten Leuten stets rege natürliche Trieb
saugt mit verwegener Einbildungkraft aus allen Dingen und bei jeder
Gelegenheit Nahrung und ist unerschöpflich in der Aufspürung von Bildern
und Gleichnissen — wie sollte da gerade die sonst so vielgenannte Bohne
beiseite gelassen werden? Schon die Form der mächtigen Schote gab
Bohnenlieder. 47
sicher Anlass zu priapischen Scherzeu, uiul kecken Burschen willkommenen
Stoff, um verschämte Mädchen rot zu machen. Deutlicher zu werden, ist
wohl nicht nötig. Ferner wirkt reichlicher Bohnengenuss wohl aucih als
Eeizmittel. Und wenn man jetzt Erfahrungen über den sinnver-
wirrenden Einfluss der Blüte nicht mehr sammeln und keine Bestätigung
des Volksglaubens mehr finden kann, so darf man vielleicht auch diese
Redensarten gar nicht wörtlich nehmen, vielmehr mag darin nur eine
Ausstrahlung des allgemeinen Faseins über die Narrenfrucht liegen. Der
neue Lenz, der beginnende Sommer, der wunderschöne Mai, die wonne-
same Zeit, wenn alles von Säften und Kräften quillt und schwillt, von
frischen Lebenstrieben strotzt und blüht, hat von jeher für die Jugend
beiderlei Geschlechts als besonders anreizend und verführerisch gegolten,
der Mensch kann sich dem allgemeinen Naturgesetz nicht entziehen, das
einfachere Naturkind zu Zeiten überwiegend ländlicher Bevölkerung noch
weniger als die kühlen Verstandesmenschen der Städte — so kann es
nach allem Gesagten weiter nicht befremdlich sein, dass man früher die für
verschiedene Länder verschiedene Zeit, in der die Leute liebestoll werden,
unbestimmt geiuig als die Zeit bezeichnet Svenn die Bohnen blühen .
Bohnenlieder als Gesänge, worin Albernheiten, Ungehörigkeiten und
Narreteien aller Art vorgestellt werden, haben somit nichts Befremdliches.
Durch Zusammenstellung von Narrentum und Bohnenblüte sollte zunächst
vielleicht gar kein ursächlicher Einfluss angedeutet werden, sondern
lediglich der Zeitpunkt, und gerade die Bohnenblüto zur Bestimmung des
nur zeitlichen Nebeneinandergehens anzuwenden, lag vor Einführung der
Kartoffel und anderer Feldfrüchte näher als jetzt, weil in den Jahr-
hunderten, als die Redensarten entstanden, die Bohne noch als Volks-
nahrungsmittel' viel wichtiger war. wahrscheinlich also recht grosso
Flächen mit ihr bebaut wurden und ihre Blüte sich am stärksten der
Nase und dem Auge bemerkbar machte, sofnit für den Beginn der
schönen, wonnigen, sehnsüchtig erwarteten Jahreszeit als kennzeichnend
gelten konnte.
In seinem Liederhort (3,100) will Böhme dem Inhalt von Bohnen-
liedern noch einen andern Stoffkreis beilegen auf Grund eines kindlichen
Fragespiels, das Erk ISäS zu Sulzbach an der Bergstrasse hörte: 'Was
ist das Bohnelied ?■ fragte ein hessisches Bauernkind; das andere ant-
wortete: 'Es laaft e Erwes em Dach enutf'. Dazu bemerkt Böhme:
„Kiermit ist etwas Unmögliches bezeichnet" und vermutet (S. 99), „dass
ein bis jetzt unbekanntes Fastnachtslied oder ein Lied von unmöglichen
Dingen, das viel Albernes und Langweiliges enthält, zu der Redensart
(Das geht noch übers Bohnenlied) Anlass gab". Der Schritt von un-
glaublich närrischen und seltsamen zu ganz unmöglichen Dingen ist zwar
nicht gross, aber Böhme geht mit seiner darauf begründeten Schluss-
folgerung zu weit. Hinter diesem Kinderschuack ist nichts weiter zu
48 Kopi>; ßohnenlieder.
suchen. Er mag nun in der Antwort bestehen, die jemand auf die Frage,
was eigentlich das Bohnenlied sei, scherzhaft gab. Dass Kinder und auch
andre gelegentlich nach dem Liede, wovon immer die Rede geht, sich
erkundigen, ist selbstverständlich, und weil niemand ein solches kennt
oder anzugeben und vorzusingen weiss, so mag einmal jemand einem
lästigen Prager mit jenem unw^irschen Verweisen von der Bohne zur Erbse,
gewissermassen von Pontius zu Pilatus, kurz und gut gedient haben.
Redensarten, worin die beiden Hülsenfrüchte zusammen vorkommen, gibt
es noch mehr: 'Bohnen Erbsen sein lassen' sagt man gleichbedeutend mit
'krumm gerade sein lassen', 'aus den Bohnen in die Erbsen" mit ^aus
dem Regen in die Traufe', u. a. m. Man könnte sogar in der Antwort
eine Spur entfernter Erinnerung an die Zeit, in der die rankende Bohne
neben der Ackerbohne aufkam, vermuten. Das Bohnenlied wäre so das
Lied von der toll gewordenen Puffbohne, die gleich der Erbse, ja, hoch
über sie hinweg sich emporzuranken sucht, und "über das Bohnenlied gar
hinaus' wäre schon über die längsten Stangen und höchsten Däclier. Doch
ist es wohl gescheiter, sich dabei zu beruhigen, dass in jeuer Antwort
von der das Dach hinauf laufenden Erbse nur der Sinn steckt: Ein Narr
fragt mehr, als alle Weisen beantworten können. Auch der lachende
Philosoph K. J. Weber wurde gelegentlich nach dem Bohnenliede gefragt,
und selbst er mit all seiner staunenswerten Belesenheit in allen witzigen
und scherzhaften Schriftwerken wusste nichts darüber zu sagen in seinem
Demokritos 2, 1.38.
AVenn aber KalfF (Het Lied in de middeleeuw. S. .'^54) meint: „Dit is
alles wetenswaardig, maar brengt ons geen stap nader tot de oplossing
der eigentlijke vraag", so liegt hier zu so pessimistischen Äusserungen
kein Grund vor. Kalff hat offenbar nicht zur Genüge bedacht, in wie
hohem Grade das menschliche Wissen Stückwerk ist und wie bei jeder
anscheinend noch so leichten und einfachen Aufgabe meist unlösliche
Reste bleiben. Bei volkstümlichen Redensarten und verwilderten Ranken
uralter Volksweisheit oder völkischen Glaubens und Aberglaubens nun
gar alles bis in die geringsten Einzelheiten aufklären zu können, darf
man von vornherein gar nicht erwarten und muss man vielleicht niclit
einmal wollen, denn das heisst seine Hoffnungen zu hoch spannen und
Unmögliches verlangen. Solche geistigen Wildlinge, bei deren Entstehung
keine scharf und folgerichtig denkenden Köpfe beteiligt waren, sondern
trüb und verworren gärendes Massenempfinden sich Ausdruck verschaffte,
locken den, der sie bis auf die letzten Gründe zurückverfolgen und ab-
leiten will, nur zu leicht in unergründliche Tiefen. So betrachtet, steht
es in diesem Falle nicht ungünstig um Kenntnis und Nachweis der Zu-
sammenhänge, gewisse Grundzüge sind für eine lange Reihe von Jahr-
hunderten festgestellt, ' und so dürften auch die hier gebotenen Dar-
legungen, so wenig Neues darin zu finden sein mag, die Forschung
Bolte: Deutsche Märchen aus dem Nachlasse der Brüder Grimm. 49
immerhin sogar mehr als einen 'Stap' vorwärts bringen, womit selbst-
verständlich nicht gesagt werden soll, dass andre nicht noch weiter ge-
langen könnten.
Marburg in H.
Deutsche Märclien
aus dem Nachlasse der Brüder Grimm.
Von Johannes Bolte.
(Vgl. oben 25, 31—51. 372-380. 2(i, 19-42.)
4. Die Prinzessin im Sarge und die Schild wachet).
Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten aber gar keine Kinder;
da wurde der König einmal recht böse, und da rief er: 'Nun wollte ich doch,
dass ich ein Kind hätte, und wenn es auch der lebendige Teufel wäre.' Und
alsbald bekam die Königin eine Tochter, die war so schwarz wie ein Rabe und
so hässlich, dass man ordentlich angst wurde, wenn man sie ansah; und sie
brüllte wie ein Tier und war ganz unklug. Und da sie nun zwölf Jahre alt war,
sagte sie zum König, er möchte ihr ein Grab mauern lassen. Das wollte er aber
gar nicht tun; da fing sie aber so an zu brüllen, dass er es aus Angst tat. Und
da Hess der König ihr ein Grab mauern in der Kirche gerade hinter dem Altar; da
legte sie sich hinein, und es wurde ein Deckel drauf gelegt, den konnte sie aber
selbst wieder davon werfen. Und alle Nacht mussten sechs Soldaten sich ab-
wechseln, um bei ihrem Grabe zu wachen, so hatte sie es befohlen. Wenn man
aber des Morgens in die Kirche kam, so hatte die Prinzessin alle umgebracht;
und die andere Nacht mussten wieder sechs andere beim Grabe wachen, und die
brachte sie wieder um, und das währte zwei Jahre.
Da ging der König einmal spazieren, da begegnete ihm ein Junge: da sagte
der König: 'Mein Sohn, wo willst du hin'?' Da antwortete der Junge: 'Ach, ich
wollte mich gerne vermieten bei einem Schuster oder Schneider.' Da antwortete
der König: 'Wie heisst du denn?' 'Ich heisse Friedrich.' Da sprach der König:
'Du sollst dich nicht vermieten, sondern du sollst bei mir Soldat werden. Du
kannst Offizier oder du kannst werden, was du willst; nur musst du eine Nacht
bei dem Grabe meiner Tochter wachen.' Das wollte aber Friedrich gar nicht
tun; denn er wusste wohl, wie es den Soldaten immer erging. Da ihn aber der
König so viel quälte, da tat er es endlich. — Wie er aber nun des Abends in
die Kirche kam, da ward es ihm so angst ums Herz, dass er wieder herauslief.
Als er aber vor das Tor kam, da stand da so ein weisses Männchen, das sagte:
'Wo willst du hin, mein Sohn?' Da sagte Friedrich: 'Ach, ich wollte nur ein
wenig spazieren gehen.' Da sagte das Männchen: 'Ich weiss es wohl, du wdlst
desertieren, weil du angst bist, die Prinzess würde dich auch umbringen. Geh
aber nur wieder zurück, sie soll dir nichts tun. Und nun will ich dir auch
1) Steht ohne Überschrift auf vier mit Seideüfiiden zusammengehefteten Oktav-
blcättern unter den um 1818 aus der Familie v. Haxt hausen eingesandten Märchen.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 1. *
50 Bolte:
sagen, was du tun musst. Wenn du in die Kirche kommst, dann musst du beide
Arme ausbreiten, und dann musst du vor den Altar hinknien und beten und immer
an Gott denken; und was dir dann auch geschehen mag, du darfst gar nicht auf-
sehen und auch nicht von der Stelle gehen.' — Friedrich tat so, wie ihm das weisse
Männchen gesagt hatte. Als es nun elf Uhr war, da stand die Prinzess aus ihrem
Grab auf und nahm einen Säbel und schlug Friedrich so damit, dass das Blut
immer herunterlief; aber er fühlte gar keine Schmerzen und betete immer zu Gott.
Sie- fing so fürchterlich an zu brüllen, dass es die Leute in der Stadt hören
konnten, und sie sagte ihm, er möchte doch aus der Kirche gehen, aber er stand
gar nicht auf, und die Prinzess schlug ihn immerzu, bis es zwölf Uhr war, da
ging sie wieder in ihr Grab.
Wie nun der König den andern Morgen in die Kirche kam und sehen
wollte, wie es dem Friedrich ergangen, da sass er noch vor dem Altar und betete.
Da wunderte sich der König sehr, und die ganze Stadt freute sich. Die folgende
Nacht mussten wieder sechs Soldaten wachen, die hatte sie aber alle wieder um-
gebracht; und die dritte Nacht sollte Friedrich wieder wachen.
Da er nun in die Kirche kam, wurde ihm aber so angst, dass er schnell
fortlief. Vor dem Tore begegnete ihm wieder das weisse Männchen: er sollte
gar nicht angst sein, heute Nacht aber sollte er sich in der Länge vor den Altar
aufs Gesicht legen und gar nicht aufsehen und immer beten. Und Friedrich ging
auch wieder zurück und tat alles, wie das weisse Männchen befohlen hatte. Und
als es elf Uhr schlug, kam wieder die schwarze Prinzessin und fing ganz schrecklich
an zu brüllen und schlug ihn; aber er betete immer zu Gott, bis es zwölf Uhr
war; da ging sie wieder in ihr Grab.
Der König konnte das Wunder gar nicht begreifen, da er den Friedrich noch
am Leben sah, und er versprach ihm viel Gold und Silber, wenn er noch eine
Nacht bei ihr wachen wollte. Das wollte Friedrich aber gar nicht tun, denn er
dachte: 'Heute Nacht bringt sie dich gewiss um, und lieber will ich so weit laufen,
als mich meine Füsse tragen können.' Er ging also heimlich fort; als er aber
vor das Tor kam, da kam das weisse Männchen wieder her und sagt: 'Mein
Sohn, heute Nacht musst du noch beim Grabe wachen, und dann wirst du deine
Belohnung auch bekommen. Wenn die Prinzessin heute Nacht aufsteht, so musst
du dich gleich in ihr Grab legen und immer beten und an Gott denken; und
wenn sie auch noch so viel bittet, du möchtest aus ihrem Grabe gehen, so darfst
du es doch nicht eher tun, bis sie ganz schneehagelweiss vor dir steht; und wenn
sie dann an zu weinen fängt, so kannst du aufstehen.'
Als Friedrich nun in der Kirche war, betete er recht andächtig zu Gott.
Und da es elf Uhr war, stand die Prinzessin auf, und Friedrich legte sich ge-
schwinde in ihr Grab. Da fing sie so an zu schmälen und zu brüllen, dass man
glaubte, die ganze Kirche wäre eingesunken; aber Friedrich betete immer zu Gott.
Endlich fing sie an zu bitten und sagte ihm, er möchte nur aus ihrem Grabe gehen,
sie wollte ihm auch nichts tun. Das sah er so ein bisschen auf, da hatte sie ein
weisses Fleckchen über den Augen; und wie er wieder aufsah, war die Stirne
ganz weiss, und dann das ganze Gesicht. Da betete er recht zu Gott, und als
es bald zwölf Uhr war, da stand sie ganz schneeweiss vor ihm und glänzte wie
die Sonne und fing an zu weinen und sagte: 'Stehe nur auf, lieber Friedrich!
Ich tue dir nichts mehr, denn du hast mich erlöst.' Und wie sie dies sagte,
schlug es zwölf Uhr, und er stand auf. Da erzählte sie ihm, dass sie vierzehn
Jahre wäre verwünscht gewesen, weil ihr Vater damals gesagt habe, er wollte ein
Kind haben, und wenn es auch der lebendige Teufel wäre.
Deutsche Märchen aus dem Nachlasse der Brüder Grimm. 51
Und wie sie ihm so erzählte, taten sich auf einmal die Gräber auf, und alle
Soldaten, die die Prinzessin umgebracht hatte, waren wieder lebendig; aber die
ßärte waren ihnen so lang gewachsen, dass sie bald auf der Erde schlurrten.
Und als der König in die Kirche kam, war sie ganz voll von Soldaten, und an
der Tür trat ihm Friedrich mit der Prinzess entgegen. Die war aber so schön,
dass er gar nicht glauben wollte, dass sie seine Tochter wäre; wie sie ihm aber
erzählte, dass Friedrich sie erlöst habe, gab er sie ihm zur Frau. Und der König
liess noch am selbigen Tage ein grosses Gastmahl anrichten, wo alle die Soldaten
mitassen; denn sie waren sehr hungrig. Friedrich aber wurde nach dem Tode
des Königs König.
Das Märchen erinnert an die oben 25, 50 erwähnte 'Braut des Zauberers', aber
die Erlösung der verwünschten Jungfrau vollzieht sich hier anders: A. Durch einen
unbedachten Wunsch der Eltern (vgl. Grimm Nr. 25 und 108) ist die Prinzessin
dem Teufel verfallen; — B. Nach ihrem Begräbnis verlässt sie nachts ihr Grab in
der Kirche und erwürgt gleich einem Vampir') die wachehaitenden Soldaten. —
C. Endlich erlöst sie einer, nicht durch stillschweigendes Ertragen von Qualen
(wie bei Grimm nr. 92 und 93), sondern indem er sich auf den Rat eines Greises
auf der Kanzel, am Altar und im Sarge verbirgt.
Aus dem Oberwallis bei Jegerlehner 1913, S. 114 nr. 139 'Die verwünschte Königs-
tochter' = Bächtold, Schweizer Märchen 1916 S. 166. Heanzisch bei Bunker nr. 85
'S MüUpüchkint'. Aus Oberhessen: Wolf, Hausmärchen S. 258 'Die Leichenfresserin'.
Bindewald, Oberhessisches Sagenbuch 1873 S. 142 'Gehobener Teufelsbann'. Aus dem
Rheinlande: Simrock, Märchen nr. 2 'Das Königskind'. Aus der Gegend von Halle:
Sommer 1846 S. 104 nr. 5 'Die Königstochter im Sarge und der Soldat'. AusWaldeck:
Curtze S. 168 nr. 28 'Die Königstochter und der Soldat'. Aus Hannover: Busch. Ut
61er Welt S. 9 nr. 2 'Die schwarze Prinzessin'. Aus dem Harze: Ey S. 1 'Die Schild-
wache'. Pröhle, M. für die Jugend nr. 11 'Wache, Wache, Eonde raus'. Aus Olden-
burg: Strackerjan^ 2, 500 zu § 635 'Von dem Jüngling, der nicht bange war' (eine
Variante zu Grimm 4). Aus Pommern: Jahn, Volksmärchen 1, 90 nr. 16 'Hans der
Grafensohn und die schwarze Prinzessin' und S. 356; danach Zaunert S. 189. Blätter für
pommersche Volkskunde 2, 24 'Die verwunschene Königstochter' und 7, 81 'Die Teufels-
prinzessin'. Aus Posen: Knoop, Poscner Märchen, Progr. 1909 S. 6 nr. 3 'Die verhexte
Königin'. Aus Ostpreussen: Lemke, Volkstümliches 3, 167 nr. 64 'Die stumme Prin-
zessin'. — Dänisch: Grundtvig, Folkejeventyr 1, 142 nr. 13 = Leo-Strodtmann 1, 148
'Die Prinzessin im Sarge'. Grundtvigs hsl. Register nr. 138. Kristensen, Danske folke-
seventyr 1888 S. 219 nr. 33 'Prinsessen i kisten'. Kristensen, Aev. fra Jylland 3, 265 nr. 50
'Vagten i Kirken'. — Norwegisch: Skar 6, 90 'Den svarte Jomfruva'. — Isländisch:
Arnason 2, 440 = Poestion S. 233 = Rittershaus S. 150 nr. 33 'Bängsimon' (entstellt). —
Französisch: Sebillot, Contes pop. de la Haute-Bretagne 3, 38 als Fortsetzung des zu
Grimm nr. 16 gehörigen Märchens nr. 3 'La rose'. Luzel, Legendes ehret, de la Basse-
Bretagne 2, 309 'Le soldat qui dehvra une princesse de l'enfer' (vorher die treulose
Gattin, Bolte-Polivka 1, 127). Revue des trad. pop, 7, 693 'Le grillon, le hannetou,
l'araignee' (zuerst Streiche des Meisterdiebs); 15, 641 'L'enfant du diable'; 19, 367 'lia
fille Vampire'. — Italienisch: Widter - Wolf nr. 13 'Die Prinzessin im Sarg und die
Schildwache' (Jahrbuch f. roman. Lit. 7, 257); vgl. R. Köhler 1, 320. Finamore 1, 2, 16
als Fortsetzung des zu Grimm 29 gehörigen Märchens nr. 56 'Le tre pile de lu dijavule'.
— Rumänisch: Obert nr. 34 'Der alte Husar' (Ausland 1858, 117). P. Schullerus nr. 54
'Die Kirche des Teufels' (Archiv f. siebenbürg. Landesk. 33, 507). §äinenu S. 873. —
Serbokroatisch: Mijat Stojauovic, Pucke pripov. S. 137 nr. 31. Kojanov-Stefanovic
1) Vgl. Hock, Die Vampyrsagen und ihre Verwertung in der deutschen Literatur
(1900), auch Jellinek, oben 14,' 322.
4*
52 Bolte :
S. 132. Strohal 1, 109 nr. 18. 19. 2, 90 nr. 37 = Leskien, Balkanmärchen nr. 35 v^vorher die
Blume auf dem Grabe der Teufelsbraut: Bolte-Polivka 2, 12G); Strohal 2, 254 nr. 12. Kres
4, 350 nr. 19 = Krauss 1, 424 nr. 93 'Das Liebespaar'. Zbornik jslav. 18, 145 nr. 54. — Slowe-
nisch: Gabrscek S. 226 nr. 29. Slov. Glasnik 8, 31. — Slovakisch: Czambel S. 391
§ 204. Sbornik mus. slov. 15, 134 nr. 6. — Cechisch aus Österr. Schlesien: Polivka,
Povidky lidu opav. a bram. S. 74 nr. 29. Aus Böhmen: Nemcova, När. buch. 2, 19 nr. 14.
Maly S. 145 nr. 13. Popelka 1880 1, 27 nr. C. = 1888 S. 103 nr. 8. Hosek 2, 2, 148 nr. 20.
Popelkovii S. 156. Kubin, Podkrkonosi zap. nr. 27 und 137 iPubl. der böhmischen Akademie
der Wiss., noch im Drucke). Aus Mähreu: Kulda 2, 8 nr. 60. 3, 147 nr. 14. (Jesky Lid. 5,
460 nr. 7. Tille S. 58 nr. 26a; S. 81 nr. 29: S. 94 nr. 34 (Narodopisny Sbornik 7, 108.
125. 8, 39). Elpl S. 40 nr. 8. — Wendisch: Rabenau, Spreewald S. 128 = Cerny S. 208.
Veckenstedt S. 338 nr. 5. — Polnisch: Veckenstedts Zs, f. Volkskunde 1, 25 'Die Tochter
des Schulzen und der Kirchensänger'. Mitt. der schles. Ges. f. Volksk. 3, 6, 44. Malinowski 1,
29 und 70. Zaranie ^laskie 2, 189. Kolberg 7, 71 nr. 151. 152 (verbunden mit einer
Mahrtensage). 8, 138 nr. 55. 56. 14, 72 nr. 16. 17 (aus Posen). 19, 228 nr. 10. Ciszewski,
Krak. 1, 175 nr. 128. Mater, antropol. 6, 150 nr. 6, 10, 269 nr. 40. Lud 9, 182
Chelchowski 1, 124 (vgl. Knoop 1909 S. 7). Zamarski S. 106. — Kleinrussisch: Drago-
mauov S. 267. Sadok Baracz S. 137. Etnograf. Zbiruyk 7, 24 nr. 30. 7, 90 nr. 48. 49.
12, 167 nr. 170. Cubinskij 2, 27 nr. 7. 2, 410 nr. 118. Manzura S. 60. Rudcenko 2, 27
nr. 12. Sbornik Charkov. istor.-tilolog. 6, 165. Letopis istor.-filolog. novoross. univ. 3,
122. 184 nr. 5. Hrincenko, Mater. 2, 325 nr. 232. Sbornik Miller S. 182. — In anderen
Fassungen muss der Held seine zauberkundige Braut in der Kirche oder auf dem Fried-
hofe hiiten (Etnograf. Zbirnyk 34, 140 nr. 913. Zbiör 4, 33 nr. 3. Sbornik Charkov. 3,
201. Manzura S. 136. Dragomanov S. 395. Hrinöenko 2, 110 nr. 88. Cubinskij 1, 200)
oder auch im Hause der Gestorbenen (Hrincenko 1, 66 nr. 92. 93. 1, 284 nr. 209. Drago-
manov S. 71 nr. 14. Mater. Grodn. 2, 371 nr. 15). Auf Grund der Volkssagen dichtete
Gogol seine Erzählung 'Vij'; vgl. daüber N. Th. Sumcov in der Kijevskaja Star-ina 1892,
Heft 3 und K. Nevirova in den Zapysky ukrain. nauk. tov. Kijev 5, 42. — Weiss-
russisch: Karlowicz S. 29 nr. 19. Weryho S. 45 nr. 11. Dobrovoljskij 1, 547 nr. 23. 1,
554 nr. 24. Romanov 4, 124 nr. 65. Sejn, Mater. 2, 66 nr. 33. 2,402 nr. 227. Federowski
2, 308. — Grossrussisch: Afanasjev» 2, 324 nr. 207. 2, 326 nr. 208c. = Ralston
p. 271 'The headless princess' und p. 274 'The soldier's midnight watch'. Chudjakov 1,
45 nr. 11. 12. Sadovnikov S. 44. 309 nr. 104. Oncukov S. 369 nr. 152 (der dankbare Tote).
Zapiski Krasnojarsk. 1, 99 nr. 51 = v. Löwis nr. 48 (statt des dankbaren Toten hilft der
hl. Nikolaus, dessen Bild der Kaufmanussohn vor Schlägen bewahrt hat, wie bei Radioff 1,
329). 1, 125 nr. 63. 1, 15 nr. 3 (Nikolaus). 2, 31 nr. 9, Etnograf. Obozr. 53, i'8 (Einsiedler
anstatt des liL ;^Nikolaus). — Litauisch: Dowojna Sylwestrowicz 1, 196. 2. 129 —
Lettisch: Treulaud S. 244 nr. 125. Zbior 18, 369 nr. 41. - Estnisch: Kletke,
Märchensaal 2, 60 'Die bezauberte Prinzessin' - Ausflug nach Ehstland 1807 (Meiningen
1830) S. 186 (sie wird zuletzt zerhauen, einer Schlange entledigt und zusammengefügt,
wie in einigen Märchen vom dankbaren Toten). — Finnisch: Aarnes Register
nr. 307 'Die Prinzessin im Sarge'. — Magyarisch: Stier-Gaal S. 97 nr. 10 'Die Prinzessin
im Sarge'. Berze Nagy nr. 53 'Die zum Tanze gehenden Prinzessinnen' und nr. bi 'Baka
Janos'. — Zigeunerisch aus Serbien: Mitt. f. Zigeunerkunde 2, 106. Aus Norduugara:
Groome p. 141 nr. 41. — Armenisch Aus der Bukowina: Wlislocki, M. der Armenier
1891 S. 89 nr. 33 'Die Menschenfresserin' (der Bruder tötet sie, stellt den Sarg in eine
Kapelle und holt auf den Rat des Mönches von der Zauberin einen jene belebenden Gold-
ring). — Kafferisch: Junod, Ba-Ronga p. 320 (angehängt au eine Variante zu
Grimm 133).
5. Fürchten lernen^).
Et was mol enen Jungen, de wull upt Gruelen reisen. Do seg he to sin
Moder: 'Giff nii en Buelken met Appeln!' — 'Dat will ick dohn, dat will ick
1) Aus demselben Faszikel wie oben 25, 32 nr. 1 ; ohne Überschrift. Aus dem
Münsterland vor 1816.
Deutsche Märchen aus dem Nachlasse der Brüder Grimm. 53
dohn.' Da gonk de Junge wull dör den Wold, he kam vor son graut Hues:
Klink, klink, klink, klink. 'Well is der vor?' — 'Ick sin en Jungen, de wull upt
Gruelen reisen.' — 'Dünn kumm men hier! Wi hebt en Timmer, do spöckt et up.'
— 'Dat döt em nich, dat döt em nich. Giffet mi en Pötken met Water, dat'k
Appelsoppe koken kann!' — Un as he de Soppe ferdig hadde, un as de Klocke
twerlwe schlog, do gonk de Döhr up emoel los, da keimen twe Kerls herinn, de
hadd'n Sark up'n Nacken un en dauden Kerl derinn. Se settet en derhen. 'Ick
will di lück von mine Soppe giewen; un löst du et mi ut et Muhl laupen, dann
giewe ick die en vör't Muhl.' Nu giff he em wier en Liepel vull, dat löt he ut
et Muhl laupen. Klaps, giff he em een upt Muhl. Da richtet sick de Daude up
in't Sark un seg to den Jungen: 'Krieg du de Schute (Schaufel) ut dat Sark.' —
'Dat doh du sölwen!' Da nam de daude Kerl de Schute up'n Nacken: 'Nu folge
mi un grafe rai en Lock!' — 'Dat doh du sölwer!' Un de Daude gröff en Lock,
do seg he to de Jungen: 'Treck de drey Pötte met Geld herut!' — 'Dat doh du
sölwer!' He trock drey Pötte met Geld herut: 'Eenen is vor dy, enen vor de
Lüde in Huse, enen vor de armen Lüde.' Un do verschwant dat Geist. Da nam
de Junge den Pott met Geld un gonk wier to sine Moder: 'Do, Moder, hebbe ji
en Pott mit Geld; dat is von't Gruelen reisen,' — 'Reise morgen du men wier
upt Gruelen.' — 'Je, et is alle Dage kene Kermiß.'
Dat un dat is ute,
Nu will wi es no Mickschen [Marie] gohn,
Dat heff sone schewe Schnute.
Gehört zu KHM. nr. 4 'Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen' (ßolte-
Polivka l,-22).
6. Sankt Peters Matter i).
Als Petrus im Himmel ankam und sah, dass seine Mutter noch im Fegefeuer
war, ward er sehr betrübt und bat: 'Lieber Herr, erlaube mir, dass ich meine
Mutter aus dem Fegefeuer erlöse!' Seine Bitte ward ihm gewährt. Als nun
Petrus mit seiner Mutter sich aus dem Fegefeuer erhob, um gen Himmel
zu fahren, da hatten sich viel arme Seelen an seiner Mutter Rock gehängt
und hofften mit herauszukommen. Die aber war neidisch und schüttelte sich, dass
alle wieder herabfielen. Petrus aber erkannte daraus das böse Herz seiner Mutter
Tind liess auch sie wieder los. Da fuhr sie wieder hinab ins Fegefeuer, wo sie
noch wohl sein mag, wenn sie sich nicht gebessert hat.
Aus Schlesien bei Philo vom Walde 1883 S. 89 'Die Mutter des hl. Petrus'. Aus
dem Böhmerwald: oben 17, 100 'Die .Mutter des hl. Martin'. Aus der deutschen Sprach-
insel Lusern in Norditalien bei Bacher, Lusern 1905 S. 82 'Die Mutter von St. Peter". —
Schwedisch: Selma Lagerlöf, Kiistuslegender, 3. uppl. 1906 p. 185 = Christuslegenden 1904
S. 199 'Unser Herr und der h. Petrus' (Lud U, 166). — Italienisch aus Wälschtirol:
Schneller 1867 S. 7 nr. 4 'Die Mutter des h. Petrus'. Aus Friaul: Ostermaim, Proverbi
friulani 1876 p. 216. Aus Corsica: Ortoli p. 235 'La mere de St. Pierre'. Aus Venedig:
'Bernoni, Leggende nr. 8 'De la mare de San Petro, che la vien fora da l'inferno oto
giorni ogni ano'. Aus Verona: Balladoro, Folklore veronese 1900 nr. 36 'La mare de san
Piero'. Aus Bre£cia: Eivista delle trad. pop. ital. 1, 856. *Mazucchi, Tradizioni dell' alto
Polesine 1898 'La madre di S. Pietro'. Pitre, Novelle pop. tose. nr. 2<; 'La mamma di
San Pietro'. Gradi, Proverbi p. 23 undSaggio di letture varie p. .52. Pico Luri diVassano
(L. Passarini), Modi di dire proverbiali 1874 p, 219 nr. 452. Bagli, Novelle in dialetto
romagnolo 1887 p. 22 'La mamma di S. Pietro' (Atti della Deputazione di storia patria
vor 1816
1) Aus demselben Faszikel wie oben 25, 32 nr. 1; also aus dem Münsterland
54 Bolte:
per le prov. di Romagna 3. serie, 5). Aus Benevent: Corazzini p. 472. *G. de Giacomo,
II popolo di Calabria 1, 119 nr. 41. Aus Sizilien: Pitre, Saggio di fiabe nr. 2; Studio
critico sui canti pop. 18G8 p. 89; Fiabe pop. sie. 3, 65 nr. 126 'Lu porru di S. Petru' =
Crane p. 192^ vgl. p. 362= Mounier p. 31. — *Mamo, Li cunticeddi di me nanna 1881 nr. 12.
— Portugiesisch: Braga nr. 120 'Lendada raäe de sam Pedro'. — Griechisch: Tom-
maseo bei Gradi. — Kumänisch: Miklosich, Wandrungen der Rumunen 1879 S. 9
(Denkschriften der Wieuer Akademie, phil. - histor. Cl. 30). — Slovenisch: Strekelj
Volkslieder 1, 444 nr. 413—414. Ebd. 1, 448 nr. 419 holt der h. Thomas Vater, Bruder,
und Schwester glücklich aus der Hölle, wirft aber die Mutter zurück, weil sie nach dem
Branntwein verlangt. Zwei weisskrainische Lieder bei Saselj 1, 56 nr. 17a— b. — Serbo-
kroatisch: Ein Volkslied aus Kroatien bei Strekelj 1,443 nr. 412; aus Istrien in Hrvat.
nar. pjesme Mat. Hrvat. 1, 41 nr. 22; aus Dalmatieu ebd. 1, 39 nr. 21; andre Fassungen
ebd. 1, 506 — 508. Ein Lied aus dem östlichen Serbien bei Vuk Stef. Karadzic,
Srpske nar. pjesme 1891 1, 138 nr. 208 = Kapper, Gesänge der Serben 1852 2, 350 'Sanct
Peters eigne Mutter'. Fragmentarisch vom Amselfelde bei Jastrebow, Obycaji S. 123. Eine
montenegrinische Prosalegende bei Rovinskij, Cernogorija 2, 2, 496. Andre Volkslieder
aus Istrien in Nasa Sloga Abt. 6, 6 nr. 4; ebd. S. 5, nr. 3 wird Petrus' Vater nicht ins
Paradies eingelassen. Aus Westungarn bei Kurelac S. 130 nr. 488, — Bulgarisch: aus
Westbulgarien im Sbornik min. 4, 130 nr. 2 = Sapkarev8-9, 388 nr. 238 (Mutter des ver-
storbenen Kindes). Aus Etropol ebd. 4, 129 nr.3 (der Engel zieht die Frau am Zwiebel-
steugel empor). Volkslied aus Mazedonien bei Struga Miladinovci S. 47 nr. 44; aus Prilep
ebd. S. 49 nr. 45; ferner S. 50 nr. 46 und aus Sofia S. 56 nr. 49. Colakov S. 341 nr, 90.
Hies S. 104 nr. 75 (Mutter abgewiesen). — Cechisch: in einem Volksliede aus Mähren
bei Susil S. 2 nr. 2 hört König David von Maria, dass seine Mutter in der Hölle sitze,
und befreit sie durch sein Geigenspiel, womit er den Teufel überwindet. — Polnisch
aus Posen: Kolberg 15, 172. Aus dem Gouv. Lublin: Kolberg 17, 207 nr. 20, Aus dem
Gouv. Plock: Chelchowski 2, 92 nr. 75 (Petrus zieht seine Mutter dreimal am Zwiebel-
stengel aus der Hölle). Aus dem Bez. Wieliczka: Mater, antropol. antrop. 4, 192,
Kaleudarz Lubelski na rok 1893: 'Petri Mutter (s. W^isla 7, 624). — Kleinrussisch aus
Galizien: Etnograf. Zbirnyk 13, 101 nr. 287, 13, 254 nr. 434 (Gott zieht eine sündige Seele
an einem Knoblauchstengel empor). Lud 9, 69 nr. 4. Aus Südungarn: Etnogr. Zb. 30, 85
nr. 41 (Maria zieht die Frau an den Blättern von der Tochter Gebetbuch empor). Volks-
lied von St. Peters Mutter bei Holovackjj 2, 45. Aus der Ukraine: Kulis, Zapiski 1, 307
(Seher Onysym). Aus dem Gouv. Charkov: Etnograf. Obozr, 13-14, 85 = Sumcov 1893
S. 4 (Bettler zieht sie an der ihm geschenkten Zwiebel empor). Etnogr. Obozr. 18, 106
(Salomos Mutter, Zwiebelstengel). Gouv. Minsk: Karskij, Mater, severnomalorus. 2, 49
(Mutter eines armen Mannes). Gouv. Sedlec-Lubliu: ^ivaja Star. 12,464 (Vater, der kein
Vaterunser gebetet hat, sinkt in die Hölle). — Weissrussisch: Kariowicz S, 45 nr. 30a
(fremde Frau), Gouv. Minsk: Sejn 2, 363 nr. 212 wie bei Kariowicz nr. 30b (ungenannter
Sohn\ Federowski 3, 274 nr. 540 (Gott, Zwiebelstengel). Romanov 4, 32 nr. 27 ('Bruder
Christi': Strick aus Hanf und Spreu reisst, als die Mutter schilt). 4, 188 nr. 47 (Haar-
büschel bleibt in der Hand des Sohnes). - Grossrussisch nach einer Hs. desl7.Jahrh.
in Pamjatniki star. rus. literatury 1, 99-102 (der Sohn einer Sünderin betet um ihre Er-
lösuno- aus der Hölle, packt sie au den Haaren und wirft sie aus dem Pfuhl zur linken
in das klare Wasser zur rechten). Dagegen gehört das Lied von der sündigen Mutter
bei Kirejevskij, Russkije nar. stichi (Moskauer Ctenija 3, 9, 212) nicht zu unsrer Legende,
sondern ist durch das Speculum Magnum veranlasst: vgl. Wladimirov, Velikoje zercalo
1884 und Karnejev, Das Lied von dem barmherzigen Weibe (Zürn. mm. nar. prosv. 1892
6 225\ Dostojewskij, Brüder Karamasov 3, cap. 7, 3 legt die Legende dem Freuden-
mädchen Gruscheuka in den Mund (Engel, Weib, Zwiebelstengel). Afanasjcv, Nar. rus,
legendy S, 30 nr. 8 (Bruder Christi, Strick aus Flachshede). In einem Märchen aus dem
Terekgebiete am Kaukasus (Sbornik Kavkaz. 15, 2, 135 nr. 16) fällt die alte Frau des an
der Erbsenranke zum Himmel kletternden Greises von seinem Bücken herab; er lässt sich
an einem aus seinen Almosen zusammengesetzten Stricke zu ihr herunter, aber der ^Strick
trägt keine sündigen Menschen. Aus dem Gouv. Moskau: Ziv. Starina 16, 5, 15 (die
Deutsche Märchen aus dem Nachlasse der Brüder Grimm. 55
geizige Schwieger nagt im Jenseits an dem Kraute, das sie einst einem Bettler geschenkt).
— Lettisch aus Kurland: Treuland S. 276 nr. 135 (der Geist der Schwieger, die nur
einmal einem Bettler zwei Rädchen aus Baumrinde geschenkt, wünscht sich Essen von
jenem Tische). — In einer tscheremissischen Sage (Znamenskij 1S67 in Vestnik Jevropy
12,62), die N. Th. Sumcow, Die Legende von der sündigen Mutter (Kiew 1893 S. 71; aus
Kijevskaja starina 1893) und Alex. N. Veselowskij, Razyskanija v oblasti rus. duchov. sticha
5, 153 (1889) erwähnen, versucht ein Mann den andern an einer Zwiebel aus der Hölle zu
ziehen. In einer mongolischen bei G. Potaniu, Ocerki severozapadnoj Mongolii 2, An-
merkungen S. 35 ^^ soll der gottlose Reiche von der Erde verschlungen werden, aber das
Büschel Pferdehaare, das er Moses geschenkt, hält ihn mitten zwischen Erdoberfläche und
Hölle fest.
In einem Aufsatze über St. Petrus den Himmelspförtner vergleicht R. Köhler
(Aufsätze über Märchen 1894 S. 48) ein deutsches Gedicht des 15. Jahrh. (Mones
Anzeiger 1836, 192. Germania 33, 270), in welchem Petrus einen Holzhauer»
der wohl fleissig gearbeitet, aber sonst nichts Gutes getan hat, auf seine Bitte an
seinem Schlägel in den Himmel zu ziehen versucht. Als sie aber zur obersten
Staffel kommen, fällt der Stiel, an dem der Mann sich festhält, aus dem Schlägel,
und er stürzt hinab zur Hölle. Auch ein niedersächsischer Schwank bei Scham-
bach-Müller S. 322 'Weshalb die Pfarrer keine Perücken mehr tragen' gehört
hierher: Petrus will einen Pfarrer in den Himmel hinaufholen und fasst ihn bei
den Haaren; aber da behält er die Perücke des Pfarrers in der Hand, und dieser
fällt hinunter.
Die Legende weiss von St. Peters Frau Perpetua und seiner Tochter Petronilla
nicht viel zu berichten; doch die Volkssage hat sich auch mit diesen beschäftigt.
Seine Gattin Petrona führt Hayneccius 1562 in seiner Komödie 'Hans Pfriem' vor;
drei Töchter von tierischer Beschaffenheit schildert ein dänisches Märchen (oben
11, 252. 19, 314); von seinen Schwestern redet ein italienisches Märchen bei
Schneller nr. 3 und ein englischer Nachtsegen bei Chaucer (Cauterbury Tales, The
milleres tale v. 300; Academy 18, 64. 156. 1880).
Berlin.
Kleine Mitteilunsjen.
Wurstbetteln uud Wurstreime iu Sachsen.
Im November wurde seit alters bei den deutschen Bauern das Vieh, vor
allem das Borstenvieh, für den kommenden Winter eingeschlachtet, um es nicht
den Winter über durchfüttern zu müssen. An das Schweineschlachten, das
unter Umständen in unseren sächsischen Dörfern auch mit der Kirmes verbunden
wird, knüpfen sich eine Reihe Ansingelieder der Dorfjugend, besonders der
ärmeren Kinder, deren ich in Sachsen mit Hilfe vieler Lehrer eine grosse Anzahl
gesammelt habe.
Immer, wenn in irgendeinem Bauernhofe ein fröhliches Fest mit dem im
bäuerlichen Leben dabei beliebten 'Schmausen' gefeiert wurde, fanden sich auch
ärmere Dorfgenossen ein, um ihren üblichen Anteil zu heischen. Ist diese Bettel-
sitte unter Absingen volkstümlicher Reime nun auch meist auf die Kinder und
vielfach (in Städten noch) auf die Bitte um Wurstbrühe beschränkt, so war sie doch
ursprünglich wie manche andere Sitte ein Ausdruck der alten Dorfgemeinschaft,
56
Müller:
die die 'Nachbarn' in Freud und Leid zusammenhielt. Am meisten hat sich der
alte Brauch, daß die jungen Burschen und Kinder ihren herkömmlichen Anteil
an der Schlachtschüssel bekommen und in scherzhaften Reimen darum bitten,
noch in der Wendei erhalten. Hier sind ja teilweise heute noch junge Mädchen
und Burschen in den Spinngesellschaften (piaza, pfazy) vereinigt, und diese be-
sonders benutzen jedes in der Nachbarschaft stattfindende Schweineschlachten,
um unter den Fenstern des betreffenden Hauses 'Wurst zu kreißen' (kolbasu stonac)
oder 'Wurst zu stöhnen', indem sie Geräusche ausstoßen, als ob sie vor Hunger
nicht weiter könnten. Dabei singen sie etwa:
1. Ae, ae, ae koibaze! d. h. Ä, ä, il, Würstel
njechcece-li nam koibazow dac, Werdet ihr uns nicht Wurst geben,
njeb'dzemy Wascho Janca brac! werden wir nicht euren Janko nehmen.
Ae, ae, ae, koibaze'. (Wuttke, Sächsische Volkskunde S. 35S.)
In manchen Dörfern (das Folgende nach einem Aufsatz von Fiedler, Wurst-
stöhnen bei den Wenden, Luziöan 1868 S. 62 nach der Übertragung von Dr. Pilk
in Pilks handschriftl. Sammlung im Archiv f. sächs. Volkskunde) begibt sich nur
eine Abordnung der Spinnte unter die Fenster des Hauses und singt 'Stöhnverschen'
folgender Art:
My smy sej w hromadze zradzili
a vry soaas njejsce nedzeli.
My smy tu piisti tudy k warn
mace-li zanu lubosc knam,
da dajce nam, dajce nam stoz
chcece nam dac
a njedajce nam tu doiho stac
wase warn bioto teptaci
nasz nam crije torhaci!
Ach, hdy by ta hospozka tak dobra
byta
sebi tun nozik wzaia
a tu kotbasku krata,
preco so jej ton nozik zlamit
a tu koibasku cylu data,
preco so wona zaniolila,
preco tej kotbascy wöbe data!
Hospodarja chcemy sadzic zablido
karan jom' piwa, wklencu jorn' wina,
khocu jom' pjenjez do rukow dac.
Hospozku chcemy k njom prisadzic,
cei'iku jej kudzeiku
mjehku je catcicku
smjetank je butry do rukow dac.
Jurka pak chcemy won wozenic.
rjanu jom NN ec Marku dac.
Hansku pak chcemy won wozenic,
rjanoh' je NN ec Janka dac.
(Usw., je nachdem der Hausherr Kinder hat.)
Auch Einzelpersonen kommen manchmal stöhnen;
Och, och! ow, ow! Ach, ach, o, o!
Mi chceso tych wasich dobryclikolbasow! Mich sehnts nach euren
Wir haben uns zusammen beraten,
und ihr habt uns nicht erwartet.
Wir sind hier zu euch gekommen,
ob ihr einige Liebe zu uns habt,
so gebt uns, gebt uns, was
ihr uns geben wollt,
und lasset uns nicht hier lange stehn,
euch euren Kot treten,
uns unsere Schuhe zerreissen!
Ach, wenn doch die Hausfrau so gütig wäre,
sich das Messerlein nähme
und hier ein Würstchen schnitte,
wenn ihr doch das Messerlein bräche
und sie das Würstchen ganz gäbe,
wenn sie sich immerhin irrte,
immerhin der Würstchen zwei uns gäbe!
Den Hausherrn wollen wir setzen hintern
Tisch,
ihm einen Krug Bier, ihm ein Glas Wein,
ihm eine Katze voll Geld in die Hände
geben.
Die Hausfrau wollen wir ihm an die Seite
setzen ,
ihr einen feinen Rocken,
ihr ein weiches Semmelchen,
ihr ein Töpfchen Butter in die Hände geben.
Görgen aber wollen wir bald verheiraten,
ihm die schöne NNs Mariechen geben.
Agnes wollen wir bald verheiraten,
ihr den schönen NNs Hans geben.
mten Würsten!
Kleine Mitteilungeu. 57
oder:
4. Ae, ae, ae! ^7 ä, ä,
Kak so mirtych wasich koibasow chcel wie michs nach Würsten sehnt!
(Luzican 1868, 62, vgl. auch Haupt und Schmaler, Volkslieder der Wenden 1, 269.)
Die erhaltenen Würste hängt man darauf im Spinnstubenhause in die Esse,
•wo man sie bis zur 'langen Nacht', dem letzten Spinnabend vor Weihnachten,
hängen lässt. Dann nimmt man sie herunter, bratet und isst sie, wobei man
■Gebäck zuspeist und Kaffee trinkt. Auch W. v. Sohulenburg (Wend. Volkstum
in Sage, Brauch und Sitte, S. 147 ff.) führt Wurstlieder und die Sitte des Betteins
der Mädchen aus der Spinnte um Wurst an.
5. Üch, üch, üch, üch (stöhnend) Üch, üch, üch, üch,
neb' dzoco zenu wurstu dac, werdet ihr keine Wurst geben,
da neb' dzomy se tu wasu Hanku (oder so werden wir nicht euer Hannchen (oder
Hanska) brac'. Häuschen) nehmen (= heiraten).
Aus der preussischen Wendel (Gegend von Burg) gibt v. Schulenburg folgende
'Wurstlieder' an:
6. Wir haben gedacht, sie haben geschlacht't.
Wir haben gerochen, sie haben gestochen.
Kommt er nicht raus, kommt sie doch raus
und bringt uns jedem eine (ein Paar) Wurst (Würste) heraus.
Nicht zu gross und nicht zu klein,
so, dass sie geht in den Kober hinein,
lasst uns nicht so lange stehn,
wir müssen noch weiter gehn.
Dieses deutsche Liedchen ist allgemein üblich. Weniger häufig ist die
wendische Fassung desselben Liedes:
My smy zamysliii, az wy st'o slachtowali.
My smy culi, wy sco stapali.
Njeprizo w6n wen, ga prizo wona.
A priiiaso nam por jeSnicow wen.
Nie cu welikich, nie cu maikich,
als take, az do kobele zo.
7. Wy SCO zinsa wasu rednu sytu swinu Ihr habt heute euer schönes fettes Schwein,
wy sco zinsa slachtowali, Ihr habt heute geschlachtet,
jezuice sco gutowali, Würste habt ihr gemacht,
CO ga sco z tym puchai'om? Doch was habt ihr mit der Blase gemacht?
Kusk nam daj.^o Gebt uns ein Stück,
kusk nam dajso, gebt uns ein Stück!
nie se iiezagranajso. Redet euch nicht aus.
Dajso nam mafko abo wele, Gebt uns wenig oder viel,
tak az nekryiiomy .sele. so dass wir nicht ein ganzes Kalb kriegen.
Dajso nam kusk jesnicy. Gebt uns ein Stückchen Wurst,
snaps nam dajso, Schnaps gebt uns,
gnaps nam dajso, Schnaps gebt uns!
nie se nezagraiiajso. Redet euch nicht aus,
aby wy zenogo doma i'iemeli. als hättet ihr keinen zu Haus.
My smy was gor dei'e wizeli. Wir haben euch gar wohl gesehen,
ako sco z teju flasku sli, als mit der Flasche ihr gegangen seid.
net se wizi, tak aku was. Jetzt zeigt es sich, so wie bei euch,
net se wizi, tak nej' nizi. jetzt zeigt es sich, so ist es nirgendwo.
Wy nam dajso, Ihr sollt uns geben,
58 Müller:
coz wy ma^o. "was ihr habt.
Wy Jane dobre luze, Ihr seid mal gute Leute,
■was b'zomy chwalis precet^uzi. euch loben wir immer überall.
Auch der alte Kettenreim 'Der Herre schickt den Jockei aus' (Bolte-Polivka,
Anmerkungen zu Grimm, KHM. 2, 100) wird in einer Spielart nach v. Schulenburg
als Wurstlied verwendet.
1. Der Müller schickt den Martin aus; (>.... der Ochse sollte das Wasser
der Martin soll den Haber schneiden. saufen usw.
Der Martin schnitt den Haber nicht 7. . . . der Fleischer sollte den Ochsen
und kam auch nicht nach Hause. schlachten usw.
2. Da schickt der Herr den Pudel raus.
der Wurstmann sollte die Würste
der Pudel sollte den Martin beissen. machen usw
Der Pudel biss den Martin nicht, g ^i^,. Wurstmann machte die
der Maxtin schnitt den Haber nicht usw. ^.^^^^^ ^.^^^ ^^^^
3. . . . der Knüppel sollte den Pudel und kam auch nicht nach Hause.
schlagen usw. Kommt er nicht raus, kommt sie
4. . . . das Feuer sollte den Knüppel doch raus
brennen usw. und bringt nur eine Wurst heraus,
5. . . . das Wasser sollte das Feuer nicW zu gross und nicht zu klein,
löschen usw. dass sie geht in den Kober hinein.
Pilk bringt in seiner handschriftl. Sammlung die Melodie eines wendischen
Stonanje- — d. h. Stöhn- oder Wurstwinselliedes aus Guttau bei Bautzen.
10.
-S[ — ^ > ^ i^ll — ^_I_^i I IS. 1— s=# — = S^-
My smy tu pris - li tu - dy kwam hac ni - ma - ce za - nu lu-bosckuam,
Wir sind hier ge - kom-men zu euch, ob ihr kei - ne Lie - be zu uns habt,
C^Z • * 8 BZI_*_,_0 0 0 — 1-0 0 0 ^- — ,_1_^^ — ^ — ^.JJ
my smy sej hro-mad- ze zra- dzi- li a wy so nas njej-sce rad - zi - li.
wir ha- ben ucs zu-sam - men be- ra- ten, und ihrhabtsuns nicht ge - ra- ten.
Nach einem Aufsatz in der Casopis Macica Serbska 1>177 H. 30 S. 101 (so
nach Pilks handschr. Sammlung IL Ser. cit.) gab es in der Wendel früher sogar
eine Art Vereinigung unler den jungen Burschen, die den Zweck hatte, zu Fastnacht
von Hof zu Hof zu gehen und um Speck, Wurst usw. zu betteln. Diese 'Wurst-
brüderschaft (Kolbasnica)' wurde später von der Obrigkeit untersagt, weil sie oft
spektakelten und tagelang verzechten, was sie durch eine Art 'Mundschenken' an
Geld für Bier eingesammelt hatten. Auch soll das Tanzen dabei sehr wild ge-
wesen sein, häufig hätten die Tänzerinnen sogar alles zum Trunk hergeben müssen,
was sie in ihren Taschen gehabt hätten. Das 'Wurstwinseln' oder 'Wurstgrunzen' ist
auch im deutschen Teile der Oberlausitz weit verbreitet unter Anwendung von
volkstümlichen Reimen.
10. Winselte, winselte, Wurscht, Wurscht, nahmts nä iebel, mir seiu groob.
W^urscht, Weiße Strimp und schwarze Schuh
Wurscht, Wurscht, dos is mei Leben, und gaa^ a grüß Stück Wurscht dazu,
der Nubbr hoot a Schwein geschlacht't Lußt uns nä gor lange stihn:
und hoot de Wurscht rafcht fett gemacht. mer wulln a Hoisel weiter gihn.
Wurscht im Tiegel, Fleesch im Toop, (Neukirch = so nach Pilk.)
Kleine Mitteilungen.
59
Wollte man einen Wurstwinseier necl
satz gefüllte Wurst, schickte ihm aber Ta
11. Winselte, winselte, Wurscht, Wurscht,
Wurscht,
bei Ns. da han se grüßen Durscht,
se han a fettes Schwein geschlacht't
und han daraus viel Wurscht gemacht.
W^inselte, winselte Majoran,
12. Winsel, winsel, Worscht,
mich hungert und mich dorscht,
ich hab gebiert, ihr bot geschlacht'
und mir a Worschtel raet gemacht.
Es de Worscht ne recht geroten.
:en, so gab man ihm eine mit Kaffee-
gs darauf eine richtige.
wollte gern a Wirschtel han,
nä zu grüß und nä zu kleene,
vun der Mittelsuvte eene.
Wurscht im Tiegel, Fleesch im Toop,
nahmts nä iebel, mir sein groob.
(Neukirch, Pilk.)
so gaat a Stecke Schweinebroten.
Weiße Strimpe, schwarze Schuh,
brengt de grüße Worscht herzu.
(Friedersdorf b. Pulsnitz.)
Winselte, winselte Majo-ran, hinte sei mer äl-le ran, weiße Strimpe, schwarze Schuh,
brengtdegrußeWorscht anzu.Wennmer ne de gru-ße krieng, seimer mitderkleen zefried'n.
wenn mer ne de klee-ne krieng, seimer met an
Steckl zefried'n.
(Hauswalde b. Pulsnitz.)
Var.: 1. — wolln mer. — Zusatz: — . Und wenn mer nich e Stickl krieng, sei
mer mit'm Knittel zefriedeu. (Hauswalde b. Pulnitz;.
W'inselte, winselte, Majoran,
hinte (= heute) sein mer olle ran
Weiße Strümpfe, schwarze Schuh,
14. W^inselte, winselte, Majoran, brengt de grüße Worscht herzu.
Sein de W^örschte ne geroten,
gat mr a Stücke Schweinebroten.
Hauswalde b. Pulsnitz, auch Herold i. Erzgeb.
Winsel, winsel, Majoran, der Fleescher is a guder Mann,
der Fleescher hot a Schwein drschlön, der uns a Stückel Wurst gän kann.
Friedersdorf b. Pulsnitz.
16. Winselte, winselte, Majoran,
N. hat e Schwein erschlän.
17. Winselte, winselte, Majoran,
N. hat a Schwein erschlän,
Weiße Strümpfe, schwarze Schuh,
brengt de grüße Wurscht herzu.
18. W^inselte, winselte, Majoran,
hinte sei mer olle ran.
Weiße Strümpfe, schwarze Schuh,
brengt de grüße Wurscht herzu.
N. is a guter Mann,
den mer a gebrauchen kann.
Mag er sich bedenken
und mir e Würstel schenken.
Gottschdorf b. Kamenz.
wenn mer ne de grüße kriegen,
sei mer mit dr kleen' zefrieden.
Geißmannsdorf (Oberlausitz).
Wenn er hot a Schwein geschlacht,
hot er 0 an uns gedacht,
hättT ni an uns gedacht,
häfr's 0 ni tut gemacht.
Hauswalde bei Pulsnitz.
(30 Müller:
19. Winsel, -winsel, Majoran, ihr habt gestochen,
ihr habt euer Schwein drschlan, Wurst, Wurst, Wurst!
wir habens gerochen, Wiesa b. Kamenz.
20. Winselte, winselte, Majoren, vun der Mittelsurte eene.
ich mecht gern e Werschtel hon, Wilschdorf b. Stolpen.
ni ze grüß un ni ze kleene,
Var.: 1. Winslak, winslak — . (Lückersdorf b. Kamenz.) — nur 1 u. 2. (Ärnsdorf).
- Zur 'Schlächtermost' (= Schweinschlachten).
21. Reibe, reibe, Majoran,
ich will 0 e Wirschtel hon. Großschweidnitz bei Löbau.
22. Winsel, winsel, Majoran, Wenn sie ist nicht geraten,
bringt die große Wurst heran. tuts auch Schweinebraten.
Ärnsdorf.
23. Winsel, winsel, Wurscht,
mich hungert und mich durscht.
Ich hab gehört, ihr habt geschlacht
und mir ein kleines Würschtel gemacht.
Kamenz.
Zusatz: Ich hätt' mich eingebeten,
ich bin hierher getreten. Großnaundorf h. Pulsnitz.
24. Winsel, winsel, Wurst, Wurst, Wurst, sie wird sichs wohl bedenken
Frau N. hat en roten Rock, und mir e Wirschtel schenken.
Ärnsdorf.
25. Winsel, winsel, Wurst, Wurst, Wurst, Herr N. soll recht lange leben,
großen Hunger, großen Durst. wenn er uns tat e Würstel geben.
Ärnsdorf.
26. Winsel, winsel, Wurst, Wurst, Wurst, Herr N. wird so gut sein und mir ein
Weiße Strumpf und schwarze Schuh, Stückchen geben.
und en Zipfel Wurst dazu. Ärnsdorf.
Wurst, Wurst, das ist mein Leben,
27. Winselte,winselte, Wurscht, Wurscht,Wurscht, Sin de Würschtc nich geraten,
Wurscht ist mein Leben, gebt e Stückel Schweinebraten.
Wurscht kinnt'r geben. Kamenz.
28. Winsel, winsel, Worscht, mich hongert und mich dorscht,
N. hat an ruten Rock, se greift so garne an Worschttopp,
Do werd se's'ch o bedenken und mir a Worschtel schenken.
Friedersdorf b. Pulsnitz.
29. Winsel, winsel, Worscht, mich hungert und mich dorscht.
Ich ho gehiert, ihr hot geschlacht und hot mr ane Worscht gemacht.
Kommt er ne raus, kommt sie ne raus,
Do aein's de geiz'gen Leute. Grossnaundorf bei Pulsnitz.
Var. 3. Es de Worscht ne recht geroten, so gat a Sticke Schweinebroten.
Weiße Strempe, schwarze Schuh, brengt de grüße Worscht herzu.
Friedersdorf b. Pulsnitz.
2. — und hat recht gute Wurst gemacht.
3. Sollt de Wurst ne sein geroten, gebt mir e Stückel Schweinebrotfn.
Friedersdorf b. Pulsnitz.
30. Winsel, winsel, Wurst, Wurst. Wurst.
N. die haben ein Schwein geschlacht, hab'n mir wohl ne Wurst gemacht.
Frau N. in dem roten Rock, die greift so gern in Talertopp,
wird sich nich erst bedenken und mir e Würstchen schenken.
Lange Stange übers Haus, gebt mir doch e Würstchen raus. Ärnsdorf.
Kleine Mitteilungen. 61
Winsel, winsel, Bäuerleiu, gebt mir doch ein Würstelein,
nich zu groß und nich zu kleene, sondern von der mittelu eene.
Arnsdorf.
'Wurstbrummen'.
32. Brumm, brumm, brumm, bei N. hän se a Schwein geschlacht,
brumm, brumm, brumm, und daraus hän se Wurscht gemacht.
Brumm, brumm, brumm, kimmt ha ne raus, kimmt sie ne raus,
brengts Ma'gel do a Wirschtel raus, brumm, brumm, brumm.
Steinigtwolmsdorf.
'Wurstgrunzen'.
83. Grunze, grunze, Wurscht, der Bettelmann hat Durscht,
ihr habt e großes Schwein geschlacht't und habt auch großen Durscht gemacht..
Grosspostwitz bei Bautzen.
34. Grunze, grunze, Wurscht, 's fliegt a Vogel übersch Haus
und bringt de größte Wurscht mit raus.
Oberlausitz: Walddorf b. Eibau.
35. Grunz, grunz, Schwein geschlacht, hott'r keene Wurscht gemacht?
Is se nich geroten, schenkt mr a Sticke Schweinebroten.
Kittlitz bei Löbau.
36. Grunze, grunze, Wurscht, der Bettelmann hat Durscht.
Wurscht an Tiegel, Fleesch an Topp,
nalimts ne übel, mir sein grob. Rodewitz in Böhmen ^b. Haida).
37. Grunze, grunze, Wurscht.
Wurscht an Tiegel, Fleesch au Tupp,
nahmts ne übel, mir sein grob, Wiltheu. Arnsdorf.
38. Wurst in Tiegel, Wurst in Tiegel,
Fleesch in Tupp, Fleesch in Tupp,
Friß du Igel, friß du Igel,
Buttermilchsupp! Schandau. Mitt. Vcr. sächs. Vk. 3,324.
Var.: 4. Hopp, hopp, hopp! (Folhern b. Großenhain). — 4. das schmeckt gut (Gorbitz).
39. Wurscht in Tiegel, Wurscht in Tiegel,
Fleesch in Tupp,
alle Liese, alle Liese,
bist rächt grubb.
Grünberg i. S.-Altcnburg (Frost, Chronik v. Grünberg S. 62).
40. Wenzelsgahle, hupp, hupp, hupp,
Fleesch an Tiegel, Wurscht an Tupp. Oderwitz.
41 Wurscht in Tiegel, Wurscht im Tiegel, Krautsalat,
mir ä bissel, dir ä bissei, das schmeckt delikat. Glauchau.
Var.: 1. Wurschteltiegel, Wurschtelticgel, Fleesch in' Topp. 2. Mir ä Stickel, dir e
St.- gut. Weinböhla.
42. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht,
habt groß und kleine Wurst gemacht.
Die große gebt ihr mir, die kleine behaltet ihr.
Dieser Reim wurde früher auf einem Zettel mit dem Bettelsack in das Haus ge-
worfen, wo gerade .,Hausschlachten" stattfand. Mühltroff i. Vogtl.
43. E e e, Schwein geschlacht und dazu viel Wurst gemacht,
Ist sie nicht geraten, so gebt mr e Stick Schweinebraten.
Die Schüssel hat en golden Rand, N. hat ene milde Hand
Und wird sich wohl bedenken und mir e Wirschtel schenken.
In den Wendendörfern nördlich und nordwestlich von Löbau.
^2 Müller:
44. N. N. haben ein Schwein geschlacht, haben auch große Wurst gemacht,
N. N. werden sich"s wohl bedenken und mir auch ein Würstchen schenken.
Kotitz b. Löbau.
45. Herr N. hat e Schwein geschlacht und hat uns keine Wurst gemacht.
Das soll er sich bedenken und uns eine schenken. Arnsdorf.
Var.: 1. Mein Nupper — hat recht viele W. g. 2. Ar wird sichs wohl b. u. ward
mer eene seh. (Wilschdorf b. Stolpen.)
- 46. M, m, m, die Leute harn e Schwein geschlacht, volle Schüssel Worscht gemacht,
warn sich wohl bedenken und uns e Wirschtel schenken. Nostitz b. Löbau.
47. K haben e Schwein geschlacht, Wurst gemacht, Wurst gemacht,
's Teppchen hat en goldnen Rand [N. hat ne milde Hand],
N. könnens wohl bedenken und mir och e Würschtel schenken.
Nostitz b. Löbau.
48. Ä, ä, Schwein geschlacht und ne grosse Wurst gemacht, weisse Strümpfe rote
Schuh und ne große Wurst dazu. Kohlwesa b. Löbau.
49. Habt ihrne a Schwein geschlacht? Habt ihr ne o Wurscht gemacht? ch, ch, eh.
Es ist uns allen wohlbekannt, Frau N. hat ne milde Hand,
se wird sich nich lange bedenken und uns a Stücke Großwurscht schenken.
Herwigsdorf b. Löbau.
50. Ban Bauer N. hon se e Schwein geschlacht, ch, ch, ch.
Der Fleescher hot viel Wurscht gemacht, ch, ch, ch.
Schmeiß den Basen übersch Haus, ch, ch, cb,
breng uns ack e Wirschtel raus, ch, ch, ch. Olbersdorf b. Zittau.
ÖL E, e, e, Schwein geschlacht und dazu viel Wurst gemacht,
is se nich geraten, so gebt mr e Stückchen Schweinebraten.
De Schüssel hat en golden Rand, N. hat ene milde Hand
und wird sich wohl bedenken und mir e Wirschtel schenken. Nostitz b. Löbau.
52. Ä, ä, Kobasse (wend. kolbazy =Würste), der Nachbar hat e Schwein geschlacht,
hat ene Schüssel voll Wurscht gemacht,
er wird sich wohl bedenken und uns e Würschtel schenken.
Trauschwitz b. Löbau.
53. Ä, ä, Kobasse, sein de Wirschte gutt geroten? Gebt mr a Sticke Schweinebroten
oder a Sticke Wurscht, Wurscht,
Lange Letter übersch Haus, gebt mr doch a Wirschtel raus!
Und der mitn gülden Finger wird schun dran denken
und mr a Wirschtel schenken. Kittlitz b, Löbau.
54. Ich hab gehört ihr habt geschlacht, habt groß und kleine Wurst gemacht.
Gebt mir nur die großen, die kleinen laßt ihr hängen,
gebt mir Kuchen und Branntewein, nachher guck ich auch zur Tür mit nein.
Rechenberg i. Erzg.
55. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht, habt große und kleine Wurst gemacht.
Gebt mir eine von den langen, die kurzen könnt ihr in die Esse hangen.
Bobenneukirchen i. Vogtl.
56. Bei Schustern han se e Schwein geschlacht ne weit vu Schneiders Pfütze,
de grüße Wurscht, de grüße Wurscht die kimmt in meine Mütze.
Hertigswalde.
57. Herr N. hat ein großes Schwein geschlacht,
er mag sich wohl bedenken und uns e Würstchen schenken.
Frau N. hat einen roten Rock, sie greift nich gern in Talertopp.
Lauge Stange übers Haus, gebt uns doch e Würstel raus.
Arnsdorf.
Kleine Mitteilungen. 63
58. Frau N. hat en roten Rock, sie greift nich gern in Würsteltopp,
sie mag sich nur bedenken und uns e Würstel schenken.
Herr N. ist e guter Mann, er hat e großes Schwein geschlacht.
Rote Strümpfe, schwarze Schuh, gib uns e Stückchen Wurst dazu. Arnsdorf.
59. Lange Stange übers Haus, gebt mr doch e Würstel raus,
nich zu groß und nich zu kleene, von der Mittelsorte eene. Arnsdorf.
Var. mit Zusatz: 3. Wurst, Wurst, das ist mein Leben, das muß unser Bauer geben.
Winsel, Winsel, Majoran, möchte gern e Würstel ham. Arnsdorf.
GO. N. is a guter Mann, den wir o gebrauchen,
Wenn'r bot a Schwein geschlacht, hot'r o an uns gedacht.
Hot'r ne an uns gedacht, hot'r o kees tut gemacht. Hauswalde b. Bischofswerda.
(51. Bei unnern Nachbar warsch halt schien, die ham e Sau geschlacht,
die ham e grüße Worscht gemacht, dös war e wahre Pracht.
Ülsnitz i. Vogtl.
62. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht, habt große und kleine Wurst gemacht.
Die großen gebt mir, die kleinen behaltet ihr. Altenburg.
63. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht, habt kurze und lange Wurst gemacht.
So gebt mir eine lange, die kurzen lasset hangen. Vogtland.
64. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht, das hat mir vielen Spaß gemacht.
Und weil das Schwein recht fett gewesen, bekommt Bettelmann auch gute Spesen,
die allerschönste Kleukerwurst die stillt den Hunger, Bier den Durst.
Arnsdorf.
65. Der Teller hot an gilden Rand, der Votter ,'od. d. Nupper) bot anne milde Hand.
Er wird sich schön bedenken und mir a Wirschtel schenken.
Kittlitz, Nostitz, Trauschwitz b. Löbau.
66. Im Eigenschen Kreise ladet man die Nachbarn gern auch mit altherkömmlichen
Reimen ein;
Heut ist geschlachtet ein Riesenschwein.
Gefüttert ist's mit Leberwurst und Lein,
Drum ist das Schweinchen auch nicht zu klein.
Es wiegt genau zehn Pfündeleiu.
Ich lade freundlich ein zum fetten Schwein.
Kiesdorf a. d. Eigen, (b. Ostritz).
67. An euerm Hause hing ein Schwein, das haben wir gesehen,
Da dachten wir in uusern Sinn, dort möchten wir hingehen.
Der Schulze ist ein guter Mann, den man gebrauchen kann.
Denn wenn er hat ein Schwein geschlacht, hat er an uns gedacht.
Kamenz.
68. Wir stehn uf eire Steene, uns frieren unsre Beene,
Wir haben gerochen, ihr habt gestochen.
Raus, raus, Schweinewürstel raus.
Wurscht, Wurscht, Wurscht in'n Tiegel,
Fleesch in'n Topp
Schmeckt nich ibel.
Ihr seid grob.
Rute Strümp und schwarze Schuh
Und ne große Wurscht dazu. Löbauer Gegend.
69. Bittel, battel, Leinewand, gib mr was in meine Hand,
laß mich nich ze lange stehn, muß a Häusl weiter gehn.
Lange Leiter übersch Haus, werft mir nur ne Grützwurscht raus.
Nostitz b. Löbau.
Q4. Müller:
70. Morng früh halbachte, wenn de Bauern schlachte,
loß iech mir e Wörschtel gam, häng iech's na an meeu Tannebaam.
Lugau i. Erzgeb.
71. Guten Tag, Frau Pote, menne Mutta söte,
•wenn se täten Schweine schlachten, selln se mir a Werschtl machen,
wenns ni ins Kerbl gäng, selln se's uffn Buckl häng'n.
Friedebach i. Erzgeb. Kechenberg i. Erzg.
Im Yogtlande findet beim Schlachtfest das sogenannte 'Einhängen' statt, indem
verkleidete Burschen und Mädchen einen an einem Stab befestigten Sack durch
das heimlich geöffnete Fenster schieben und dabei den Reim sagen:
72. Schön guten Abend, ihr Schlachtfestgäste, sitzt ihr denn noch hart und feste?
Hättet ihr mich zur Schlachtschüssel gebeten, so wäre ich nicht vor das Fenster
getreten.
Gebt mir was von eurem Schwein, doch es darf zu klein nicht sein.
Wallengrün im Vogtl.
73. Die Rosa is net su genau, die gibt uns was von ihrer Sau.
Schön guten Nahmt, ihr lieben Gäste, gebt uns was von eurem Feste,
gebt uns keine Kuöchelein, wir haben ein stumpfes Messerlein.
Planschwitz i. Vogtl.
An anderen vogtländischen Orten herrschte (nach einer Zeitungseinsendung
im 'Vogtland. Anzeiger' 14. Februar 1903) die Sitte des sogenannten 'Spiess-
reckens' beim Schweinschlachten. Die Kinder gingen gegen Abend in das Haus,
wo Schlachtfest war, und stellten dort heimlich ein Gefäss ein, in dem ein Zettel
möglichst mit einem Gedicht lag, so z. B. mit dem Reime:
74. Wir recken heut en Spieß, einer Wujst sind wir gewiß,
und will uns wohl das Glück, setzt's auch vom Fleisch ein Stück.
Das Sauerkraut schmeckt auch gar fein, drum muß es stets beim Schlachtfest sein,
gebackne Kloß und Meerrettig, nein, etwas Bess'res gibt es uich.
Nun schönen Dank im voraus noch und dazu euch ein "donnernd Hoch".
Nach ungefähr einer Stunde stellten sich die Kinder wieder ein, um möglichst
unbemerkt den Krug zu holen, der mit Wurstsuppe, wohl auch mit Wurst oder
Fleisch, Kraut oder Klössen gefüllt war, am reichlichsten, wenn die Spender be-
freundete Kinder vermuteten. Manchmal gab es auch zum Schabernack statt der
erhofften Genüsse Asche mit Wasser vermischt oder als Wurst ein- Stück Holz
im Kruge oder überhaupt gänzlich leere Gefässe. — Im westlichen Erzgebirge
und im Vogtlande heißt das Schlachtfest „Krummbä" = Krummbein nach dem
Krummholz, an dem das Schwein mit den Hinterbeinen aufgehängt wird. Auch
hier spricht sich die alte Nachbarsitte in einem Liede aus. Man singt gern, wenn
das Wellfleisch, das Sauerkraut und die Klöße aufgetragen werden:
75. Allegro. ^_^
Geh mer mol rü-ber, geh mer molrü - her, geh mer mol rüber zum Schmied. Der
^
— ä.
'Schmi'ed der hat ne Saugeschlacht und aus 'n Schwanz ne Wurst ge - macht.
Geh mer mol rü - ber, geh mer mol lü - ber, geh mer mol rüber zum Schmied,
Kirchberg i. Erzgeb.
Kleine Mitteilungen. ß5 ■
Das Mittelstück des Liedchens erscheint in verschiedener Fassung: der hat
ne grüße Sau geschlacht und hot en Zentner Wurscht gemacht. (Affalter i.Erzgeb.)
— der Schmied der hot e Sau geschlacht, der Schuster hat de Wurst gemacht.
(Rotschau bei Reichenbach.)
Auch mehrstrophig erscheint das Lied:
76. 1. Geh liier mol rieber, geh mer mol rieber,
geh mer mol rieber zum Schmied.
Der Schmied, der hot e Kanepee,
und wenner'sch draufsetzt, do huppst de in der Höh.
Geh mer mol rieber, geh mer mol rieber,
geh mer mol rieber zum Schmied.
2. Geh .... Schmied.
Der Schmied der hot e Sau geschlacht
un hot seiner Frau kene Wurst gemacht.
Geh .... Schmied.
3. Geh .... Schmied.
Der Schmied der bot drei Töchterlein,
die wollten gern verheirat sein.
Geh .... Schmied. Zwickauer Gegend.
In den wendischen Dörfern der Lausitz, vor allem nach Preussen zu, wird
auch die Fastnacht gern durch Schweineschlachten ausgezeichnet. Auch dabei
geht man singend Gaben heischen, die Jugend geht 'zembern' oder 'zerapern',
wobei es auf die Würste besonders abgesehen ist. Mehrere solche Bettelreigen
zu Fastnacht, leider ohne bestimmte Ortsangabe, bringt Braunsdorf in einem Auf-
satz 'Das Zempern in der wendischen Lausitz'. (Gebirgsfreund 1897, Nr. 5, 1./3.):
77. Wir honn gedacht, jeh honn geschlacht;
wir honn gerochen, jeh honn geschtochen.
Kommt he nich raus? Kommt he doch raus
und brängt uns eene Worschc heraus.
Müllers Vetter (der Hauswirt), guder Mann,
schneid uns doch die lange an.
Müllers Muhme, gude Frau,
seid doch nicht so sehre genau.
Wir honn gedacht, jeh honn geschlacht
un honn uns keene Worscht gebracht.
Brängt Worscht, Worscht, Worscht I
In einigen Spreewaldorten sollen auch die Kinder mit dem sogenannten 'Fast-
nachtsspiess' zempern gehn, einem oben zugespitzten, mit bunten Bändern ge-
schmücktem Stocke, an dem mehrere kreuzweis stehende spitze Querhölzer be-
festigt sind. Hierbei lautet das Ansingeliedchen:
78. Fastnacht ist hier, sechs Dreier zu Bier,
sechs Dreier zu Speck, gehn wir gleich wieder weg.
Oben in den Forschte (Firste, bei der Feueresse) hängen zwei Wörschte,
die lange gib mir, die kurze behalt dir.
Schneid weg, schneid weg, ein groß Stück Speck;
schneid Raum, schneid Raum und nicht in den Daum.
79. Zemper, zemper, Donnerstag, morgen is Freitag,
oben in der Forschte hängen viel Wörschte,
gebt mir doch die lange Worscht, laßt die kurze hängen.
Ich stehe uf en Steenchen, mich frieren meine Beenchen.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 1. 5
56 Müller:
Laßt mich nicht zu lange stehn, ich muß noch'n Stickchen weiter gehn.
Gebt mir een paar Eier, spring ich wie der Geier,
gebt mir een Stück Speck, oder ich springe über eire Hausschwelle weg.
Vor den Kaufmannsläden singt die Schar:
80. Zemper, zemper, Gasse, Bier in der Flasche,
Eier in den Kober, Geld in die Tasche,
Oben in der Forschte hängen eure Wörschte,
gebt mir die langen, laßt die kurzen hangen.
Ich bin der kleine König, gebt mir nicht zu wenig.
Laßt mich nicht zu lange stehn, ich möchte noch'n Häuseben weitergehn.
Ich möchte hin nach Polen,
Polen ist ein weiter Weg, seht ihr nich, daß dunkel wird?
Auch in der sächsischen Oberlausitz auf deutschem Sprachgebiete begegnen
uns ähnliche 'Zemperlieder':
81. Semper, Semper, Donnerstag, morgen ham ma Feiertag.
Oben in der Firste hängen die Bratwürste.
Gebt uns nur Stangen, daß wir sie erlangen.
Wir können nicht lange stille stehn, wir müssen ein Haus weitergehn.
Dittersbach bei Ostritz.
Das 'Spiessrecken' beim Schweineschlachten, und zwar gern in irgend einer
Vermummung (daher auch dafür der Ausdruck 'Masch'kra' gehen, d.h. Maskerade g.)
finden wir auch in der Oberpfalz wieder (Mitt. u. Umfragen z. bayr. Volkskunde
1898, nr. 4, S. 3):
82. Ich reck, ich reck an Spieß,
a Trumm (= Stück) Fleisch und Wurscht is ma g'wiß.
83. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht
und habt recht große Wurst gemacht,
drum bitt' ich den Herrn und seiue Frau,
sie möchten mir geben ein Stück von der Sau,
den Sausack (d. i. Preßwurst) will ich nicht begehr'n,
den ißt Herr und Frau selber gern.
Die Gaben werden an den Haken des Spiesses gehängt. [Ebenso in Deutsch-
böhmen; vgl. Unser Egerland 4, 18. 7, 11. 24. 40. 8, IG.J
Erzgebirgischer Wurstbettel reim.
84. Oben in der Firste hängen frische Würste,
Die dünnen laßt dort hängen, die dicken gebt mir!
Ich steh auf Euerm Steinchen (= Türschwelle), mich friert an meinen Beinchen,
Laßt mich nicht so lanjie stehn, ich muß ein Häusel weiter gehn.
Macht ein bißchen fix, ich bin ein kleiner Klix (= Wicht).
Gebt mir nicht zu wenig, ich bin ein kleiner König.
Eier in den Kober, Bier in die Flasche,
Blanke Pfennigstücke in die Tasche
Und ein Stückchen Speck, dann spring ich von eurer Türschwell weg.
Gegend v. Olbernhau.
Niederlausitzer Zemperlied.
85. Zemper, zemper, Donnerstag, morgen ist der Feiertag.
Oben in der Ferschte häng'n gebrot'ne Werschte.
Laßt uns nicht zu lange stehn, wir müssen weiter zempern gehn.
Zemper in der Kasse, Bier in der Flasche,
Eier in den Kober. [Luckau. Vgl. Niederlausitzer Mitteilungen S, ^Oö.]
Kleine Mitteilungen. 67
"Wenn wir uns nach fernerliegenden Parallelen umschauen, so finden vfir zu-
nächst in Meyers Deutscher Volkskunde S. 214 nur einen kurzen Hinweis, dass in der
Eifel maskierte Burschen im Christmonat bei Bausschlachtungen auftreten mit
dem Spruch:
86. Wurstle heraus, Wurstle heraus, 's isch e brave Fra im Haus.
Manchmal strecken die heischenden Burschen auch ein Säckle durch das
Fenster mit solchen 'Wurstliedle'.
Aus Grossschwabhausen (um 1870) führt Schläger (oben 17, 4U2) ein hierher
gehöriges Ansingelied an:
87. Ich hab gedacht, ihr habt geschlacht,
habt groß- und kleine Wurst gemacht,
drum bitte, bitte, bitte,
gebt mir ne recht groß- und fett- und dicke
rein in meine kleine Ficke.
Aus Hessen liegen 'Rlowessprüche' vor, die auch Wurstreime sind, da die
'Klowese', maskierte Kinder, mit solchen Sprüchen am 6. Dez., am Klowesabend,
bei den Metzgern um Wurst betteln. (Lewalter, Dtsch. Kinderlied und Kinder-
spiel S. 216.)
88. Ich hab gehört, ihr hälft geschlacht, ihr hätt't für mich ne Wurst gemacht,
nicht so groß und nicht so klein, damit will ich zufrieden sein.
89. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht und für mich ne Wurst gemacht,
nicht so klein und nicht so dünn, ganz genau nach meinem Sinn.
90. Ich hab gehört, ihr habt geschlacht, habt so große Würste gemacht,
habt so große und so kleine, sind als wie die Mühlensteine.
91. Da oben in der Forschte, da hängen lange Wörschte.
Gebt mir eine lange, die kleinen die laßt hangen!
Gebt mir ein Stück Speck, dann geh ich wieder weg.
Bei der 'Metzgete' in der Schweiz sind folgende Reime gebräuchlich (Züricher,
Kinderlied und Kinderspiel im Kanton Bern S. 70):
92. Gnyppi, gnappi, gnou, gät mer vo-n-öuer Sou,
nid gar weni, nid gar vil, vo de-n Ohre bis zum Stil.
93. Ich stande-n-uf em ehalte Stei, gät e mer e Batze so cha-n-i hei.
94. Mueter, lueg da, 's isch e Bueb da, huderyady, huderyady, hudery.
Mueter, gib im Wurst, 's isch e brave Burscht, h., h., h.
Mit den oben angeführten Zemperliedern aus der Lausitz berühren sich die
Fastnachtsreime bei Frischbier, Preuß. Yolksreime und Volksspiele nr. 792. 797;
Böhme, Kinderlied u. Kdsp. nr. 1623. 1663, 1716—1718; Simrock, Kinderbuch
890; Erk-Böhme, Liederhort 3, 1216. [Für Basel weist die Sitte des Wurst-
bettelns um die Neujahrszeit E. Hoffmaun-Krayer (Schweiz. Archiv f. Volkskunde
7, 103; Schweizer Volkskunde 2, 2) bereits zu Anfang des 15. Jahrhunderts nach;
Luther erzählt in seinen Tischreden (Ausg. y. Förstemann 2, 168), wie er als Knabe
in der Fastnacht vor den Türen gesungen habe, Würste zu sammeln; in Hebels 'Statt-
halter von Schopfheim' (Werke ed. E. Keller 2, 58) schickt der Friederli drei Räuber
seiner Bande zum Ueli, der ein Schwein geschlachtet hat, und heisst sie 'ums Würstli
singen'. Über das 'Karrideln' in Treuenbrietzen vgl. oben 12, 470; über das
Wurstsammeln der Schmiede in Gcseke in Westfalen Zs. f. rhein. Volksk. 10, 64.]
Löbau i. Sa. Gurt Müller.
68
PoHvk£
Nachträge zu den Personifikationen von Tag und Nacht.
(Oben 26, 313 ff.)
1. Das weisse und das schwarze Knäuel (S. 317 f.).
Den von mir zusammengestellten Märchen ist noch eine armenische Fassung,
die im ganzen zu Grimm KHM. nr. 111 zu rechnen ist, anzureihen. (Revue des
trad. pop. 19, 337 ff.) Als am dritten Abend das Feuer verlöscht, geht der jüngste
Bruder Feuer suchen, das er auf dem Gipfel eines Berges erblickt. Unterwegs trifft
er einen überaus alten Greis, der, auf der Spitze des Berges sitzend, ein Knäuel
schwarzen Zwirnes abwickelt, neben sich ein grosses Knäuel weissen Zwirnes.
Der Greis sagt ihm, er sei die Zeit, er wickle bei Nacht den schwarzen Zwirn, .
bei Tag den weissen Zwirn auf. Der Held nimmt dem Greise das schwarze
Knäuel aus den Händen und lässt es den Berg hinabrollen; er solle das Knäuel
von neuem anfangen, damit die Nacht länger dauere. Er kommt zu einem regel-
rechten Kessel, worin sieben Rinder kochen, mit einem Dämon dabei, und 39 da-
neben, die schlafen. Er schiebt den Kessel bei Seite, nimmt alles Feuer und
kehrt zu dem Bruder zurück. Der Greis wird hier also nicht gefesselt.
2. Der weisse und der schwarze Widder (S. 318 f.).
Bei der Bearbeitung einer Übersicht des slowakischen Märchenschatzes
fand ich in dem hs. Heft sign. XlUa des Museums in Türe. Sv. Martin (Ober-
ungarn) noch eine hierher gehörige Fassung des Märchens von der Entführung
der Prinzessinnen in die Unterwelt. Es wurde von H. Pivko im Dialekt von
Neutra in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. erzählt.
Abweichend von dem oben angeführten cechischen und serbokroatischen
Märchen sind erst bei der Hochzeitsfeier nacheinander die aus Gold und Silber
erbauten Schlösser samt den jungen Frauen verschwunden, und zwar gleichfalls
um Mitternacht unter grossem Getöse. Der jüngere Prinz geht mit seinen Dienern,
das Schloss zu suchen, und kommt, der Blutspur folgend, zu einem tiefen Brunnen.
Unten erblickt er die beiden Schlösser und hört von seiner Frau, dass sie der
Riese hierher gebracht habe und dann zu dem roten Meere gegangen sei, um seine
tiefen Wunden zu heilen. Sie gibt ihm einen goldenen Apfel; wenn er nur sagt:
„Spring, Schloss, in den Apfel", so wird er das Schloss wegtragen können. Einen
ebensolchen Apfel bekommt er von seiner Schwägerin. So lässt er beide von
seinen Dienern hinaufziehen. Während dessen erblickt er zwei Widder, einen weissen
und einen schwarzen und läuft ihnen nach, bis er zu einem alten Weibe kommt.
Das Weib rät ihm, die Schlösser zu Hause aufzustellen und dann zum roten Meer
zu eilen, wo jener Riese schläft, um ihn zu töten, solange er noch im tiefen
Schlafe ist. Auf der rechten Seite hat er ein Gläschen mit stärkendem Wasser,
in der linken eins mit einschläferndem Wasser; aus dem ersten soll er trinken
und dann beide Gläschen vertauschen; wenn er den Riesen umgebracht, soll er
zurückkommen, den weissen Widder fangen, nicht den schwarzen, denn das sei der
Teufel, und der würde ihn in die Hölle bringen. Mit einem Pfeifchen, das er von
der Alten bekommen, ruft er die Diener herbei, lässt sich hinaufziehen, stellt die
Schlösser auf, gibt die Äpfel seiner Frau und eilt zum roten Meer zum Riesen.
Den überwindet er leicht nach dem Rate der Alten und wirft ihn in das
rote Meer. Dann sucht er die Widder auf. Der weisse entwischt ihm, der
schwarze springt ihm in die Hände, xmd so wird er in die Hölle getragen. Die
Teufel bringen ihn zu Luzifer. Luzifers Tochter verliebt sich in ihn, und der
Prinz muss einwilligen, sie zu- heiraten, denn sonst wäre er auf dem feurigen
Bette verbrannt worden, und er wird nun von den Teufeln wie ein König ver-
Kleine Mitteihxngen. 69
ehrt. Als er einmal mit seiner Frau in den Garten geht, sieht er dort viele frucht-
bare Bäume; einer trägt nur eine sehr schöne Birne, die aber nach dem
strengen Befehl Luzifers niemand essen darf. Luzifers Tochter sagt ihm, dass,
wer die Birne aufesse und das Kerngehäuse hinter sich werfe, sich dort befinden
werde, wo er wolle. Als er nun nach einer Weile allein ist, klettert er auf
den Baum, isst die Birne und wirft das Gehäuse hinter sich; da bricht ein
grosser Sturm los, und in einer kurzen Weile ist er daheim bei seiner Frau.
Als Luzifers Tochter erfährt, dass er zu Hause ist und sie vergessen hat,
dringt sie in ihren Bruder, ihm wieder die Schlösser und die Frauen zu rauben.
In der Gestalt eines Königs kommt er in das Schloss, verwandelt sich nachts in
einen Käfer und dann in eine Mücke und findet die zwei goldenen Äpfel; er ver-
schwindet durch das Fenster, lässt die Schlösser mit den Frauen in die Äpfel
springen, geht zum roten Meer und hängt sie dort hoch oben auf.
Der Prinz sucht nun wieder jenes alte Weib auf, erfährt von ihm, wo die
Schlösser sich befinden, dass Luzifers Sohn in ihnen wohnt und die Äpfel in
einem Eimer hinablässt; das Weib gibt ihm einen Kater, der springt in den
Eimer und fängt die Äpfel. Der Kater will mit den Äpfeln weglaufen, der Prinz
schiesst nach ihm und verwundet ihn. Gleich wird aus dem Kater ein Jüngling.
Der Prinz bekommt die Äpfel, lässt die Schlösser hineinspringen, kehrt nach Hause
zurück, stellt die Schlösser auf den alten Ort und lebt nun glücklich mit der Frau
und seinem Bruder.
Die slowakische Fassung stimmt ziemlich stark mit der von B. Nemcova be-
arbeiteten cechischen Erzählung überein, viel mehr als mit der serbokroatischen,
aber ein direkter Zusammenhang ist kaum anzunehmen. Das Motiv mit dem
helfenden alten Weib ist durchgeführt; es steht dem Helden schon in der Hölle
bei, bei B. Nemcova wird er schliesslich erlöst; die slowakische Fassung weiss
nichts davon. In der cechischen Fassung werden nur die goldenen Dächer ge-
raubt, und der Held findet in ihnen zwei schöne Mädchen, die Töchter des Riesen,
die ihm ziemlich dasselbe wie das alte Weib der slowakischen Fassung sagen. Eher
beruhen diese und die Vorlage der cechischen Erzählerin auf einer gemeinsamen
Quelle. Die serbokroatische Fassung ist eine verblasste und verderbte Wieder-
gabe derselben. Einen direkten Zusammenhang mit der cechischen Erzählung
möchte ich nicht mehr voraussetzen.
Prag. Georg Polivka.
Zu Bd. 25, 314: Zachariae, Ein Salomonisches Urteil.
DieErzählung aus dem'Buch der Frommen' wird von Strack mit folgenden Worten
wiedergegeben: „In dem 'Buch der Frommen' von Jehuda ben Samuel dem Frommen,
der um 1200 in Regensburg lebte, wird zur Begründung der Vorstellung, dass
Eltern und Kinder auch in physischer Hinsicht einen Körper bilden, folgendes mit-
geteilt (Ausgabe Bologna 1538, §232; ebenso Basel 1581): Ein reicher Mann fuhr
mit seinem Diener über das Meer und nahm eine grosse Summe Geldes mit.
Bald darauf starb er in der Fremde. Da bemächtigte sich der Diener aller
Schätze, indem er sich für den Sohn ausgab. Kurze Zeit nach der Abreise des
Mannes aber hatte die schwanger zurückgebliebene Frau einen Sohn geboren. Als
dieser herangewachsen, wendete er sich an den Gaon Saadja (in Sura, lebte 892
bis 942). Der Gaon riet ihm, zum König zu gehen. Der König beauftragte Saadja,
die Sache zu entscheiden. Diese Hess beiden zur Ader und legte dann einen aus
des Vaters Grabe geholten Knochen in das Blut des Dieners; jedoch der Knochen
70 Jacoby, Leumann-Bolte: Kleine Mitteilungen,
saugte das Blut nicht auf. Wohl aber geschah dies, als der Knochen in das
andere Blut gelegt war; denn sie waren Ein Körper. Da gab Saadja das Ver-
mögen dem Sohne" ^).
Ich hatte s. Z. bereits auf die Erzählung der Gesta Romanorum aufmerksam
gemacht und damit verglichen chinesischen Glauben: „Zur Agnoszierung des
Skeletts ihrer Eltern lassen auf dasselbe die Kinder ihr Blut fallen: dringt dies in die
Knochen ein, so sind es die elterlichen. Durch Waschen derselben mit Salzwasser
kann das Gelingen der Probe verhindert werden. Zwei Verwandte müssen bei
der Blutprobe sich einen Stich beibringen und das Blut in Wasser lassen. Sind
sie Vater und Kind, Mutter und Kind, Mann und Frau, so fliesst das Blut zu-
sammen, sonst nicht" ^). Diese Mitteilung stimmt mit der Blutprobe der von
Zachariae gesammelten Erzählungen auffallend überein und gibt wesentlich mehr
als der dort erwähnte tonkinesische Brauch.
Luxemburg. A.dolf Jacoby.
Zum Doruröschen-Märchen.
Bolte und Polivka schreiben im ersten Band ihrer Anmerkungen zu Grimms
Märchen (1913 S. 441), dass Dr. Reinhold Spiller sich in seinem dem Dorn-
röschen gewidmeten Programm von 1893 bei Erörterung der Herkunft dieses
Märchens noch auf die Seite Grimms gestellt habe. Demgegenüber glaubt Spiller,
der kürzlich verstorben ist, in einer hinterlassenen Notiz darauf aufmerksam
machen zu müssen, dass er sich vielmehr bestrebt habe, wenigstens die direkte
Herleitung des gekannten Märchens aus den Edda-Sagen als unmöglich zu erweisen
und Entlehnung aus Indien vorläufig wahrscheinlich zu machen.
Strassburg i. E. Ernst Leumann.
Durch ein bedauerliches Versehen habe ich Spillers Ansicht über das Märchen
von Dornröschen unrichtig wiedergegeben. Seitdem ist auch Panzer (Studien zur
germanischen Sagengeschichte 2, 137. 1912) entschieden gegen die Grimmsche
Ansicht vom Zusammenhange des Märchens mit der Siegfriedsage aufgetreten,
während Petsch (Paul-Braunes Beiträge 42, 8 )— 97. 1916) wieder eine Einwirkung der
kürzeren Fassung des Märchens, die er für die ursprüngliche hält, auf die Helden-
sage annimmt. Kampers (Mitt. der schles. Ges. f. Volksk. 17, 181 — 187. 1915)
kann ich augenblicklich nicht nachschlagen.
Berlin. Johannes Bolte.
1) H. L. Strack, Blutabei glauben bei Christen nnd Juden. 2. Abdruck 1891 S. 37.
2) Schweizer Volkskunde, 3, 46 nach Neuburgcr und Pagel, Handbuch der Geschichte
der Medizin 1, 34.
Berichte und Besprechungen. 71
Berichte und Besprechungen.
K.RhamnijUrzeiUicheBauernhöfe im germanisch-slawischen Waldgebiet.
Ein Buchauszug.
(Fortsetzung, vgl. üben 26, 385-399.)
n. Abschnitt:
Die urnordische Wohnung und der Übergang von dem Saal zur Stofa. •
(S. 377—536.)
7. Kapitel. Die urnordische Saalwohnung.
(S. 377-419.)
Nach einer kurzen Kennzeichnung seiner Hauptquellen, 'Om Privatboligen pä
Island i Sagatiden' des isländischen Philologen Gudmundsson und 'Kunst og Hand-
vaerk i Norges Fortid' des norwegischen Architekten Nicolaysen, beginnt Rh am m zu-
nächst mit der Darstellung der
skandinavischen Wohnung in der Sagazeit
d. h. in der Zeit von etwa 1000 bis in die Mitte des 13. Jh. n. Chr. Für diese
Zeit ist nämlich die isländische Sagaliteratur gleichzeitig und daher besonders zu-
verlässig, und kurz vor diese Zeit (874) fällt auch die Besiedlung Islands durch
die Norweger und damit die Übertragung der altskandinavischen Wohnung nach
Island. Sie bestand im wesentlichen aus drei Teilen: stofa, eldhüs und skali.
Die stofa, der eigentliche Wohn- und Gästeraum, ist sehr geräumig (fasst bis
100 Personen) und dreischiffig. Im Mittelschiff befinden sich mehrere längliche
Feuerstätten arinn, auf denen das geheiligte Feuer brennt, das einerseits der Be-
leuchtung, andererseits aber besonders auch dem Weihen der Speisen und Ge-
tränke dient, die über das Feuer zugereicht werden. Die Feuerstätten stehen un-
mittelbar auf dem gestampften Lehmboden. Die drei Schiffe werden durch die Hoch-
säulen {sula) geschieden, die in zwei Reihen den Raum durchziehen und das
Firstdach tragen, in dessen Mitte sich die Lichtöffnung {Ijori) befindet. Die Seiten-
schiffe zerfallen in Querräume, die durch je zwei Hochsäulen begrenzt werden
und Stabgolfe heissen. Sie bestehen aus Bretterbühnen imllr, von denen die
vordersten an dem Mittelschiff niedere Stufen (Dielen) für die Füsse bilden,
während man auf den höheren rückwärtigen sass und lag. Die mittleren Stab-
golfe in beiden Seitenschiffen, die vom Lichte der Dachöffnung besonders bei der
alten Ost-Westrichtung der utofa am meisten getroffen waren, enthielten die ein-
ander gegenüberliegenden Ehrensitze (S. 383).
Das eldhus, Feuerhaus, ist in diesem Zeitraum ausschliesslich Küche und
enthält den Kochherd {eldgrö/, gröf = Feuergrube, eldsti = Feuerplatz) und den
Backofen. Der Kochherd ist nicht nur in unserem Zeitraum vom geselligen und
geheiligten Feuer des arinn der stofa scharf zu unterscheiden, sondern er war
nach Rh.s Ansicht auch schon vor dem Aufkommen der stofa in der Saalperiode
vom arinn geschieden. Die uralten Sitten, die sich an den arinn knüpfen (das
Zureichen und Weihen der Getränke über ihn) schliessen es nach Rh. völlig aus,
dass er auch einmal Kochherd gewesen sei. Diese Auffassung des Verfassers ist
insofern wichtig, als er daraus für die Folgezeit den Schluss zieht, dass die heu-
tige norwegische arestue direkt aus der altnordischen stofa, die rggoimstue aber aus
dem eldhus, das bereits eine engere Verbindung von Kochherd und Backofen auf-
weist, hervorgegangen sei.
72 Berichte und Besprechungen.
Die skali (Schlafraum) war ganz wie die stofa gebaut, nur enthalten hier die
Seitenschiffe die Schlafverschläge, welche aber hier nicht pallr, sondern set ge-
nannt werden. Einer von ihnen, der hvilugolf, war besonders abschliessbar, ge-
legentlich auch mit einem unterirdischen Gang versehen und den Hauswirten vor-
behalten. In der ersten Zeit nach der Landnahme (874) finden wir übrigens auf
den Bauernhöfen die skali noch nicht ausgebildet; damals schlief vielmehr das
Gesinde auch im eldhus, und Rh. meint, dass damals der Herd mit dem Backofen
an einem Ende des Mittelschiffes gestanden sei.
Nicht nach Island mitübernommen wurde ein viertes Gebäude, dass die
Norweger neben diesen drei in der skandinavischen Heimat besassen, das 'Bauer',
bur oder skemna. Es war zweigeschossig, wobei das Obergeschoss Qoptr = Boden)
den Schlafraum für den Hausherrn und den Nähraum für die Frauen enthielt.
Im übrigen diente es als Getreide- und Pleischspeicher. Dieses Gebäude
ist ungemein weit verbreitet: In Norwegen (und zwar in Telemarken) ist
es noch 1844 nachweisbar, aber auch in Schweden, Smaaland, Dänemark, England,
Fühnen und Altniedersachsen (als jungfrubur der Vornehmen), dann aber auch in
Finnland und Russland finden sich seine Spuren. Ob es von den Norwegern nur
im Sommer oder auch im Winter benutzt wurde, ist zweifelhaft. Nach Island
wurde es, wie gesagt (Rh. nimmt an, aus Mangel an Holzmaterial), nicht mitge-
nommen; dort finden wir es vielmehr in seine Teile zerlegt, wobei der Schlafraum
des Hausherren dem eldhus angegliedert wurde, wodurch sich dessen Bedeutung
erhöhte. (— S. 391.)
Die Wohnung der Saalzeit.
Wie sah nun die Wohnung aus, aus der sich diese, aus den Quellen
recht klar ersichtliche Wohnung der Sagazeit entwickelte? Rh. stimmt da
zunächst mit Gudmundsson überein, wenn dieser die Trennung der stofa und des
eldhus für die älteste Zeit für unmöglich hält. Auch bei den übrigen Germanen
kommt eine solche Scheidung nicht vor. Allein für die älteste Einrichtung ist
Gudmundsson das wallisische Sippenhaus des 12. Jahrhunderts entgangen, das uns
in seiner Einrichtung ganz in die Urzeit versetzt. Es besteht aus senkrechten
Baumstämmen und Flechtwerk, ist oben mit den Wipfeln zusammengebunden,
enthält aber bereits einen dreischiffigen Saal. Ähnliche Formen werden auch in
der Edda geringschätzig erwähnt. Im Gegensatz zur Sagazeit kennt die Edda nur
ein einheitliches Gebäude, den Saal (salr), die Halle (Aö//), mit einer einfachen,
aus geschlagenem Lehm bestehenden Einrichtung, die zum Schlafen und zum
Sitzen dient, dem ßet. Das JJet bezeichnet deutlich die seitlichen erhöhten Bühnen
im Gegensatz zum golf, dem vertieften Fussboden des Mittelschiffes. Grössere
Schwierigkeiten bringt aber das im selben Zusammenhang vorkommende Wort
bekkr (Bank). Der Ansicht Gudmundssons, dass ein und dieselbe Einrichtung
beide Namen führte, je nachdem ob man darauf sass oder lag, widerspricht Rh.
Es bleibt die Frage, ob mit bekkr nicht eine auf das flet gestellte Bank gemeint
war. Rh. findet die Erklärung im schon genannten Walliser Sippenhaus des
12. Jahrhunderts. Auch dessen Seitenschiffe enthielten die Schlafstätten, da aber
dort der vordere Rand dieser Schlafbühnen zum Sitzen diente, so ist die Analogie
für den salr sehr naheliegend; nach Rh. ist also bekkr der vordere, vielleicht
durch Bretter abgemarkte Teil des üet. Allerdings deutet einiges darauf hin,
dass später im Ehrengolf (nndoeyi.) erhöhte Ehrensitze aufgebaut wurden. Nach
Gudmundsson wäre dieser Rand des flet das set gewesen. Rh. (S. 401—405)
führt dem entgegen aus, dass das set erst später für die Bezeichnung dieses ganzen
Randes, der ursprünglich durchwegs bekkr geheissen habe, angewendet worden
Berichte und Besprechungen. 73
sei. Zuerst habe es aber nur die Randverzimmerung (seisiücke) und vor allem die
Randverzimmerung der Schlafstätten des bür bedeutet. — Noch eingehender be-
schäftigt sich (S. 406—419) der Verfasser mit dem .70//'. Dieses Wort kommt in
drei Bedeutungen vor, erstens als Fussboden schlechthin, zweitens als Raumabteil
(stafgolf) und drittens als die erste, nächst der Tür gelegene Abteilung des salr.
In sehr schönen Nachweisen aus zahlreichen Stellen der altnordischen Dichtung
und Prosa bringt der Verfasser namentlich für die letztgenannte Bedeutung des
golfes interessante Belege. Auch weist er das Vorkommen des golfes in dieser
Bedeutung für Schweden, Finnland und Grossrussland (als golbec) nach. Er
kommt zum Schluss, dass das Wort ursprünglich überhaupt jeden vertieften
Raumabteil, also 'Bucht' bedeutet habe und dass sich diese Bedeutung dann
einerseits auf den gegen das erhöhte flet vertieften Boden des Mittelschiffes und
dann auf die 'Buchten' (als Raumabteilungen) überhaupt übertragen habe. Es
hätte also ganz ähnliche Bedeutungswechsel wie unsere Worte 'Flur' und 'Boden'
durchgemacht.
8. Kapitel. Das Aufkommen der stofa und ihre Stellung in der Wohnung der Sagazeit.
(S. 419—464.)
Im Gegensatz zu Gudmundsson, der auch für die Eddazeit schon die stofa
als das eigentliche Wohnhaus ansieht und die Bezeichnungen fiöllr und sab- nur
für dichterische Ausdrücke hält, ist Rh. der Anschauung, dass die stofa aus einem
Nebengebäude, nämlich aus der Badestube entstanden und erst um die Wende
des Jahrtausends in Skandinavien eingedrungen sei. Er stützt sich dabei be-
sonders auf die alten norwegischen Gesetze (Norges Garale Love IV) aus der
Mitte des 12. Jahrhunderts, die auch in dieser Zeit an erster Stelle noch immer
deutlich ein salhus nennen und den Ausdruck sto/a geflissentlich, eben als etwas
von geringerer Abkunft, umschreiben (S. 422). In sehr ansprechenden Beleg-
stellen aus verschiedenen alten Sagen (S. 422—427) sucht der Verfasser nachzu-
weisen, dass auch in der Sagenzeit noch viele 'nach alter Art' gebaute 'Hallen'
mit Schlafstätten vorkamen und ausdrücklich in Gegensatz zu etwas Neuem, näm-
lich eben zur neuen stofa, bzw. zur '■hirdstofa' (der königlichen Stube) gesetzt
werden. — Gudmundsson ist, wie gesagt, der gegenteiligen Ansicht; er glaubt, dass
der Name 'höU' erst im 12. Jahrhundert an die Stelle der alten hirdutofu (Königs-
halle) getreten sei. Nach ihm hätte also die alte stofa das bedeutet, was nach
Rh. der salr war, also auch das jlet enthalten. Aus diesem flet der stofa hätte
sich nach Gudmundsson einerseits das set und andererseits der pallr entwickelt.
Abgesehen von seiner überhaupt gegenteiligen Ansicht hält Rh. auch diese Ab-
leitung des pallr aus dem flet für unmöglich: Das flet habe eine flache ungedielte,
der pallr aber eine stufenförmig aufsteigende und vor allem gedielte Über-
fläche gehabt. Noch heute bezeichnet 210I bei den Kleinrussen die Schlafbühne
und bei den Grossrussen den gedielten Fussboden. Diese Tatsache ist nun ent-
scheidend für Rh.s Auffassung von der 'stofa überhaupt. Nach ihm war der palr
ursprünglich das erhöhte stufenförmige Schlafgerüst in der Badstube. Nach ihm
ist ferner aus dieser Badstube die skandinavische stofa entstanden, wie dies auch
auf dem ganzen deutschen Gebiet der Fall war (Nachweise aus der lex Alam. und
Bajuv.). In dieser Annahme befindet sich Rh. zunächst in voller Übereinstimmung
mit allen neueren Hausforschern, auch mit Meringer. Aber nun folgt der Abschnitt
in Rh.s Theorie, der ihn eben in scharfen Gegensatz besonders zum letztge-
nannten Forscher bringt. Während Rh. nämlich für Deutschland zugibt, dass
dort das Entscheidende bei der Erhebung der Badestube zur -Stube' der Ofen
74 Berichte und Besprechungen.
war, ist er für den Norden der Ansicht, dass dort das Entscheidende der pallr
war. Nicht der Ofen der Badstube sei in die nordische stofa übergegangen und
habe ihr den Namen gegeben, sondern das stufenförmige Gerüst, der pallr. Die
stofa kenne im Gegensatz zum ehi/ms keinen Ofen, sondern nur das rituelle offene
Herdfeuer. Sie hat also den Ofen der Badestube nicht mitübernommen. Ebenso
ist Rh. der Ansicht, dass der pallr der Badestube nicht von Russland aus nach
Norwegen, sondern umgekehrt mit der Badstube von Skandinavien aus nach Finn-
laßd und Russland gewandert sei. Als Beweis dafür dient ihm eben der Name
pal/r, da das Wort bei einer Entlehnung aus dem Slawischen von der slawischen
Form polok abgeleitet sein müsste. Rh. hält also jmllr (= Pfahl) ebenso wie
Pflug für ein altgermanisches Wort').
Diese Annahmen geben dem Verfasser auch Anhaltspunkte für die Zeit, in der
die stofa-Wohnung in Skandinavien eingedrungen sein muss: die Entlehnung der
Worte istuba (von stofa) und bmija (von badstofa) muss nach Rh. in der Zeit vor
den grossen Wanderungen der Slawen stattgefunden haben; das heisst: die stofa-
Wohnung muss sich schon in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung
bei einem germanischen Stamm im Innern Russlands gefunden haben.
Zusammenfassend ergeben sich dem Verfasser für die nordische Urzeit also
als skandinavische Wohnungsbenennungen hüll, salr und eldhus: hüll = Halle des
Königs oder Fürsten, salr = die Wohnung des freien Mannes; eldhiis (im alten
Wortsinn) aber werden in dieser Zeit beide Gebäude und überhaupt jeder mit
Herdfeuer versehene Bau genannt. — Es ist nun naheliegend, anzunehmen, dass
aus dieser urnordischen Wohnung alles das in die neue stofa-Wohnung über-
nommen worden ist, was von den alten Einrichtungen dem neuen Räume an-
passungsfähig wTa\ An die Stelle des salr tritt die stofa mit dem pallr, an jene
der höU die hirdstofa und drykkjustofa, das salhüs schlechthin aber wurde zum
blossen eldhus oder zur eldaskali herabgesetzt, das gegenüber dem alten salhus
eine blosse Küche war. In längeren Auseinandersetzungen (— S. 456) sucht der
Verfasser unter Hinweis auf interessante Stellen der alten Sagen und Gesetze
darzulegen, wie dieses eldhus oder, wie es auch genannt wurde, die eldaskali nun
in Kampf mit der stofa tritt und wie sich diese neuen Räume gegendweise ver-
schieden entwickeln. So lässt sich ein eigenes Schlafhaus (skali) für diese Zeit
nur auf Island nachweisen, während in Norwegen seine Stelle eine eigene dnjkk-
juskäli ('Trink'- oder 'Gästehaus') vertritt, die aber gewöhnlich schon jetzt dnjkL-
jusiofe genannt wird. In der Königshalle erfolgte die Scheidung zwischen alten
und neuen Einrichtungen schärfer und deutlicher, sie zeigt schon in der Über-
gangszeit entweder die alte saalartige oder die neue stofa-Form. Im Bauernhof
aber findet sich noch lange die eldhus-Form neben der stofa, die am Bauernhof
anfänglich wohl nur mehr als besonderer, sozusagen als Prunkraum Eingang fand.
Es fragt sich nun, ob das flet und die eldgrof (der Kochherd) erst, wie Gud-
mundsson meint, in der späteren Zeit, wo die eldaskali zur blossen Küche ward,
in diese Aufnahme fand, ober ob sie schoiT früher neben den alten arinn im salhus
vorhanden waren. Im Gegensatz zu Gudmundsson ist Rh. der letzteren Ansicht.
Er nimmt an, dass im ersten stafgolf neben der Tür bereits der Kochherd, und
zwar schon in Verbindung mit dem Backofen bestand, und stützt sich dabei vor
allem auf die Tatsache, dass in späterer Zeit in Island die getrennten Formen
des neuen eldhus (mit Kochherd und Backofen) und der skali (Schlafhaus) ein-
1) Vgl. zu dieser Ableitung oben 20, 33'2— 3o6 u. 449—450 die Besprechung von
0. Schrader.
Berichte und Besprechungen. 75
fach dadurch entstanden seien, dass man diesen ersten stafgolf vom übrigen
Raum abschnitt, wodurch er zur Küche und der übrige Teil zum Schlafhause
wurde. Er hält es für unmöglich, dass das alte rituelle arirm-Feuer jemals auch
als Kochfeuer benutzt wurde und der Kochherd (eldgrof) also etwa erst durch das
Aufkommen der stofa entstanden sei. (Polemik gegen Meringer S. 463— 4G4, der
die Urbedeutung des arinn als Feuergrube und Kochherd fasst.)
9. Kapitel: Rückstände des Saales in der stofa-Wohnung.
(S. 46J-53G.)
Die von Rh. angenommene Verbindung von salhus und Küche schon in der
Eddazeit (die er übrigens nur für das Haus dos Gemeinfreien, nicht für das der
Vornehmen behauptet) wird ihm durch eine Betrachtung des heutigen jütischen
'aö/,s' noch sicherer. In Jütland bezeichnet heute noch der Ausdruck sah ent-
weder das Vorhaus mit der Küche, oder direkt die Küche oder den Backofen-
und Brau-Raum. Hier sehen wir also, wie sogar das Wort sals, das ursprünglich
den ganzen Raum bedeutet, durch das Eindringen der stofa (in Jütland stow) auf
den Küchenteil beschränkt wurde, so dass also der letztere unbedingt sehen im sals
enthalten gewesen sein rauss. Dasselbe entnimmt Rh. auch einer Schilderung
Linnes von den alten Rauchstuben in Schonen, wo neben der Stube (mit dem
deutschen Hinterlader — bilaegger) ein bis unters Dach offenes Vorhaus mit Herd,
Rauchmantel und Backofen unter dem Namen '■forstofa'' oder '■fremmers'' besteht,
nach Rh. eben ein Rest des alten vom e/fM(/s-Saal abgeschnittenen, mit Kochherd
und Backofen versehenen 1. stafgolf es. Das Wort fremmers ist ihm für seine An-
sicht ein neuer Beweis; er leitet es von framlms (Vorhaus) ab, stellt sich also
(S. 475) vor, dass es schon in der Saalzeit unmittelbar neben dem beim Giebel-
eingang gelegenen, mit der eldgrof ausgestatteten 1. stafgolf als wirkliches Vor-
haus bestanden habe. In der stofa-Zeit ist dann der Hauptabschnitt des Saales mit
den rituellen Langfeuern von der stofa mit Beschlag belegt, der kleine Abschnitt
des ersten stafgolfes aber mit dem framhus zu einem eigenen Küchenraum
{fremmers) vereinigt und wie die stofa mit einer eigenen hjre (Rauchloch) ver-
sehen worden.
Im folgenden (S. 477 — 492) befasst sich Rh. eingehend mit den Feuerstätten
der stofa-Wohnung, dem skorstev, pisel und bilaegger. Es fragt sich vor allem, ob
die stofa nach der Abtrennung der Küche ihre alte arinn nun ein halbes Jahr-
tausend, nämlich bis zum Auftauchen der neuen .Feuerstätte, beibehielt, die erst
im 12. Jahrhundert (im nordwestlichen Fjordland als Rauchofen, im Süden als
Kamin mit Rauchabzug = skorste?i) eindringt. Für den Süden (Südschweden und
Jütland) bejaht dies der Verfasser, da es sich ihm aus Glossen und späteren
archivalischen Nachrichten (S. 477—480) deutlich zeigt, dass dort der skorsten bei
seinem Eindringen direkt auf die alte offene arhm traf, die dann unter seinem
Einfluss an die Wand gedrückt und kaminartig ausgestaltet wurde. Noch viel
später findet sich für den skorsten geradezu die Bezeichnung arne (vgl. S. 489).
Auf seiner langsamen Wanderung nach Norden hatte der skorsten, den wir im
13. Jahrhundert in Gotland finden, die Nordspitze von Jütland noch nicht erreicht,
als er vom deutschen Hinterlader eingeholt und rasch verdrängt wurde. Wir
finden diesen dann als sjyis, peis., jnsel ursprünglich in stumpfwinkliger Form und
etwas von der Wand abgedrängt und später auch in Übergangsformen, die ihn
stellenweise der Gestalt des skorsten näher bringen (S. 492).
Im folgenden (S. 493—501) bespricht dann Rh. das dänische framhus, das er
als selbständiges Vorderhaus erkennt, und den jütischen pesel, sowie überhaupt die Ent-
76 Berichte und Besprechungen.
wickhing des jütischenSaalhauses(S. 497— 501). Schliesslich kommt er wieder auf seine
bereits besprochene Theorie, dass beim Hause der Gemeinfreien der vorderste Teil des
sah- als Küche gedient habe, zurück (S. 501—506) und führt als weitere Beweise hier-
für noch die Tatsachen an, dass bei der heutigen Aneinanderreihung von Küche
und Stube in Norwegen und Schweden die Küche noch immer an der Giebelseite
neben der Giebeltüre liegt, ebenso wie in der rßgstue der norwegischen Westküste
der rogovn mit seiner grue immer noch dieselbe Stelle innehat. — Dafür, dass
die -Küche nur bei den Gemeinfreien im Saal selbst war, bei den Vornehmen
aber ein eigenes, vom alten Saal oder eldhus getrenntes Gebäude war, dient dem
Verfasser das aus Dänemark (besonders aus Jütland) überlieferte stekarehun (Brat-
haus) als Beweis, das sich heute noch in der Bezeichnung siegem erhalten hat
(S. 513).
In ausführlicherer Weise befasst sich dann Rh. mit einem nach seiner An-
nahme ebenfalls aus der Saalzeit stammenden Rückstand, nämlich mit dem Golf
in Schleswig. Dort heisst nämlich heute noch das schmale, zwischen Wohn-
und Wirtschaftsräumen durchgehende Vorhaus framgulv. Da sich nun die Gulf-
einteilung auch bei den Friesen, Juten Qfremers') und Finnen erhalten hat, so ist
wohl anzunehmen, dass die Bezeichnung gulv in dem mitten zwischen diesen
liegenden Schleswig auf die alte Bedeutung als Raumteil zurückgeht. Rh. be-
kämpft daher (S. 518—521) die von Lauridson (Gm tysk og dansk Bygningsskik
i Sönderjylland) vertretene Ansicht, wonach der im Gebiete von der Eider bis
zur Arlaa und von Husum bis Schleswig als gvh- oder lo bezeichnete und zugleich
auch als Tenne dienende Mittelraum ein alter Herdraum wäre. Vielmehr ist Rh.
der Ansicht, dass in den genannten Gegenden sächsische Einflüsse gewirkt und den
alten hier wie in Schleswig bestehenden framgulv mit der alten Kammertenne (lo)
nach dem Vorbilde des sächsischen Mittelschiffes zu einem ausgeweiteten Raum
zusamraengefasst hätten. Er beruft sich dabei besonders auf Mejborg (Nordiske
B0ndergaarde . . .), der aus alten schleswigschen Häusern und Nachrichten ausdrück-
lich die nebeneinander bestehenden Räume lo und framgulv nachweist. Rh.
stellt sich also die Sache so vor (S. 523—527), dass die stofa hier auf westgerma-
nisch-dänischem Boden zu einem inneren Teil des Saales, also in den Saal
hineingebaut wurde, wobei der alte Vorraum des Saales als framgulv überblieb
und die Küche bildete (Nachrichten aus der Insel Lolland und Arrö); ganz im
Gegensatz zum nordgermanisch-skandinavischen Gebiet, wo die stola ihr eigenes
Vorhaus aus der Badestube mitübernommen und auch der späteren Wohnstube
übergeben hat. Das führt Rh. zu einem Exkurs über diese Wohnstube, den y?/.»?/
(S. 527—531). In Übereinstimmung mit Meringer und im Gegensatz zu Lauffer
gehört nach seiner Ansicht zum Wesen des Pisels nicht nur die Geräumigkeit,
sondern auch die Heizbarkeit. Der Urpisel sei bei den Langobarden in Italien
(leges Langob. 'furnum in pisale') zu suchen und sei von dort aus samt seinem
Kachelofen nach Norden in die Stube und in die dörns übergegangen. Er teilt
dazu eine Nachricht aus einem Schwaizwaldtal mit, wo der Kachelofen geradezu
als phiesel bezeichnet wird. — Es fragt sich nun (S. 531—536), ob die innere
Übereinstimmung zwischen dem jütischen fremers und dem schleswigschen fram-
gulv (beide sind ursprünglich Vorhäuser) auch für die beiderseitigen Haupträume,
den schleswigschen pisel und den jütischen sioiv Geltung hat. Allein es ergeben
sich hier mancherlei Widersprüche, die aber Rh. dadurch aufzuklären sucht, dass
er annimmt, der pisel habe auf seiner Wanderung nach Norden in Schleswig un-
mittelbar den Saal angetroffen, während er an der Grenze nach Jütland schon
auf die im Vordringen nach Süden begriffene nordische atofa gestossen sei.
Berichte und Besprechungen. 77
III. Abschnitt:
Die altnordische Wohnung in der stofa-Zeit.
(S. 537—83.)
(0. Kapitel. Das Baugerüst (Ansdach und Sparrendach).
(S. 537-589.)
Nach der Definition der beiden Dachgattungen (Ans- oder Firstdach) und
Sparrendach setzt sich der Verfasser in sehr breiter Weise ( — S. 556) mit Nico-
laysen auseinander, der das Sparrendach für die altskandinavische Form heilt,
während Rh. das Ansdach für heimisch in den Nordländern erklärt. Sein Haupt-
bevveis sind jütische Quellen, aus denen er nachweist, wie dort das von Deutsch-
land hereindringende Sparrendach immer mehr das alte First- oder Ansdach ver-
drängte, so dass es schliesslich als altertümliche, rohe Form verspottet wurde.
Jenseits des Sundes finden wir das Firstdach aber noch jetzt. Dass das dänische
Sparrendach aus Deutschland eingedrungen ist, beweisen ihm zahlreiche Kon-
struktionsbezeichnungen (Rem, lede, streband, spaend, hanebielke u. a.). In Nor-
wegen aber erwähnen die ältesten Quellen durchaus die Bestandteile des Ansdaches
(«'<.s- und raptr) und erst die vom 13. Jahrhundert ab auch die des Sparrendaches
(sperra). Bei der eingehenden Beschreibung des heutigen skandinavischen Daches
(S. 55G— 563) findet Rh. in der Einrichtung des naamtrod (d. i. die riegeiförmige
Gestaltung des untersten, auf die Seitenwände des Hauses aufliegenden Dach-
Langholzes) einen neuen Beweis für das Alter des Ansdaches. Dieser naamtrod,
der das Herabgleiten der Dachhölzer und des Grassodenbelages verhindern muss,
hat eigentlich beim Sparrendach, wo die Dachhölzer ohnehin an den Sparren fest-
gehalten werden, keinen Sinn. Da er aber dennoch auf den heutigen Sparren-
dächern überall angewendet wird, so sieht Rh. darin eben ein Überbleibsel des alten
Ansdaches, welches den naamtrod haben musste. Im folgenden (S. 563—574)
befasst sich Rh. eingehend mit dem nordischen Rauch- und Lichtloch, der Ijore,
die von Nicolaysen für seine Annahme eines alten Sparrendaches ins Treffen ge-
führt wird. Rh. ist der Ansicht, dass dieses Lichtloch (genaue Beschreibung aus
den ragstuen des 18. Jahrhunderts S. 5G5— 568) mit seinem verschliessbaren Deckel
in allerältester Zeit nicht am First selbst, sondern in dem der Sonne zugekehrten
Dachabhang angebracht gewesen sei. Solche haben sich in sehr alten schwe-
dischen Häusern noch erhalten (S. 574). Als es dann später auf den First hinauf-
rückte, hat ihm dennoch das Firstdach keine unüberwindlichen Schwierigkeiten
bereitet. Vielmehr sieht Rh. in der isländischen Einrichtung der 'Zwergstützen'
und der Auswechslung des Firstbalkens durch Beifirste die auch beim Firstdach
leicht mögliche und tatsächlich durchgeführte Lösung. Das Folgende (S. 574—589)
bringt Beispiele von Übergangsformen, eine weitere Polemik gegen Nicolaysen
und die Beschreibung (S. 583—589) der äusseren Dachbekleidungen, Firstlinien,
Dachreiter und Giebelzierden.
II. Kapitel. Die setstofa und ihre Einrichtung.
(S. 589-660.)
Aus den altnordischen Quellen wissen wir. dass sich König Olaf Kyrre
(Ende des 11. Jahrhunderts) mit der Umgestaltung der Königshallen befasste.
Diese bestand vor allem in der Verlegung des Ehrensitzes (öndvegi) auf die
Giebelseite und die Vertauschung des offenen Herdes durch einen in die Ecke
gesetzten Rauchofen. Spätere norwegische Gesetze belehren uns, dass diese
Änderungen auch ins bäuerliche Haus übergingen und dass die neueingerichtete
stofa nun überall setstofa genannt wurde. Rh. betrachtet nun die heute noch be-
Yg Berichte und Besprechungen.
stehenden alten nordischen Rauchstuben, die im wesentlichen noch auf dem Boden
der selstofn stehen. Deren gibt es nun zweierlei Arten: die rogoi-nstiieyi im west-
lichen Küstenstriche Norwegens, besonders in Bergen und Drontheira, und die
<irestiiei} im Süden und in der Mitte des Landes, heute meist vom Peisofen ver-
drängt. Wo die arestuen heute noch vorkommen, werden sie durchwegs auch als
Küche benützt, sind also heute zum reinen ildhus (Peuerhaus) herabgesunken.
Dagegen hat sich bei den rogovtistuen noch heute die Trennung von stofa und
eJilfuis erhalten. Es folgt nun (S. 596—635) eine genaue Darstellung der setsfofa
in Norwegen, die mit einer in alle Details eingehenden Beschreibung des Auf-
baues der Rauchstuben eingeleitet wird. (S. 600—603 ein sehr lehrreicher Exkurs
über die Türen: Drischbel und Hecketür.) Mit Nicolaysen hält Rh. dafür, dass
die setstofa gegen die alte stofa um 90 Grade gedreht worden sein müsse, da
auch hier der jetzt auf die Giebelseite verlegte öndvegi der Sonne entgegengesehen
habe. In der Westseite der setstofa befand sich ihre einzige Türe, die in ein
Vorhaus (forstue) führte. Hinter diesem Vorhaus lag eine von ihm abgetrennte
Kammer (kleve), die eine Schlafstätte enthielt, aber (besonders im eldhus) auch
Speisekammer war. An den Aussenseiten der einen oder beider Langwände zog
sich ein Umgang (skot) hin»), der heute bis auf geringe Überreste überall ver-
schwunden ist. Der rogovn wird auf S. 608—610 eingehend beschrieben und in
zwei Bildern dargestellt. Die übrige Einrichtung besteht aus der Hochsitzbank
an der Langwand, dem 'andvegen' an der einen türlosen Giebelwand und dem
vor ihm stehenden Langtisch, der quer über die ganze Stube reichte und in
mehreren Fällen eine aufhängbare Platte war (Rh. hält ihn für eine deutsche
Einrichtung). Mehrere Nachrichten weisen darauf hin, dass die setstofa in den
Erdboden vertieft war. — Ihre Einrichtung hat sich, wie gesagt, im wesentlichen
in der mgomstue, aber, wenn wir den Herd ausnehmen, auch in der arestue er-
halten. (Beschreibung der letzteren mit Bildern S. 613—618.) Es handelt sich nun
um die Frage, ob die Benennung setstofa von set als Sitz, oder von set als Schlaf-
platz (wie wir ihn in der isländischen Schlafskali finden) hergeleitet ist. Zu-
nächst weist Rh. in interessanten, zum Teil selbst gesammelten Nachrichten für Nor-
wegen, Schweden und das westliche Finnland deutliche Spuren eines ehemaligen
Schlafgerüstes in den Stuben (laß) nach. Da sie im östlichen Finnland fehlen,
ist er der Ansicht, dass sie nicht von der russischen polati, sondern aus dem
Westen hergekommen sein müssen. Nun finden wir sie aber auf Island auch
schon für die Sagazeit bestätigt. Wenn also das loft aus der heidnisch-islän-
dischen skali in die setstue übergangen ist, so dürfen wir dasselbe auch für die
sonstigen Schlafstätten annehmen, und deshalb ist Rh. der Ansicht, dass die set-
stofa ihren Namen von set als Schlafstätte habe. Es folgt dann die Betrachtung
der setstofa auf Island (S. 627—635). Auch hier folgte auf die alte heidnische
Pallstofa eine Stube ganz anderer Art, nämlich zunächst die bactstofa. Diese be-
sass einen Badstubenofen, demgegenüber sich das mmßet, ein unansehnliches
Lager, befand. Doch scheint der alte j^allr daneben noch lange fortbestanden
zu haben, da sich noch in einem Inventar von 1615 zwei palle vorfinden. Im
grossen und ganzen aber dringt auch hier die neue Einrichtung Olaf Kyrres durch.
Mit der Einführung des Ofens geht die Bevorzugung der Hinterwand Hand in
Hand. Der Fussboden wird hier erhöht und der Ehrensitz unter dem Namen
hdsaeli (Hochsitz) hierher verlegt. Der isländische Ofen war ein steinerner Bad-
stubenofen (nicht zu verwechseln mit dem aus Lehm geformten Backofen). Er ist
ebenso wie der Hochsitz in der isländischen Stube wenigstens in deutlichen
1) Vgl. darüber oben 25, 197 --205.
Berichte und Besprechungen. 7!)
Resten bis heute erhalten geblieben. Die auf diesem Hochsitz erwähnten lokrekja
hält Eh. für Schrankbetten. Im Mittelraum zwischen Hochsitz und Ofen befand
sich eine Verzimmerung mit erhöhter Stufe, nach Rh. eben der alte set, der zu-
nächst nur als umlaufende Stufe (skar) aus der alten skali übernommen wurde,
wonach die isländische hadstofa auch skarabochtofa genannt wurde.
Die setstofe in Schweden (S. 635—652). Sie unterscheidet sich von der
norwegischen, aber auch von der isländischen dadurch, dass hier an die Stelle der
arinn nicht ein rogovn, sondern ein regelrechter Backofen (entnommen aus dem
alten stekareJms = Brathaus) trat. Aus den Beschreibungen von Linne und Hylten-
Cavallius sehen wir, dass die schwedische setstofa in drei Teile zerfiel: Neben der
Tür stand der Backofen und die fjrufva (Feuerherd), denen sich in neuerer Zeit
häufig der spis zugesellt. Diesem Teil, in dem sich auch das Federvieh aufhält,
folgte der Mittelteil, mit Langbänken, auf denen auch geschlafen wurde. Der
letzte Abschnitt ist die eigentliche gute Stube mit Hochsitz, Tisch und gallhänk.
Heute enthält sie die Schlafstellen der Wirte, trägt aber noch immer den Namen
saetesio/a. Für das verschiedene Ansehen dieser drei Raumteile, die auch in der
gemeinsamen Decke abgemarkt waren, führt Rh. sehr interessante altschwedische
Gesetzesstellen aus Heisingen an, die für den Totschlag verschiedene Bussen an-
setzen, je nach dem Raumteil, in welchem er verübt wurde. Daran schliesst sich
ein Exkurs über die Sitzordnung (S. 644 f.) und dann ein langer Exkurs über den
schwedischen Speicher, in dem der Verfasser die Ansicht, dass die schwedische
gallhänk aus dem loft übernommen sein könnte, ablehnt. Er führt auch eine Reihe
persönlich gesammelter Mitteilungen an, aus denen hervorgeht, dass sich diese
Einrichtungen nicht nur auf die von Hylten-Cavallius und Linne beschriebenen
Gebiete, sondern auch über das schwedische Nordland erstreckt hatten. (Vergleich
zwischen den allschwedischen s/af/iae?!^: und den steiriscben Kinder-Schiebebetten).—
Gemeinsamkeiten. (S. 652—666.) In allen spätmittelalterlichen skandina-
vischen Stuben finden wir also einerseits die Benennung setstofa und anderseits
die beherrschende Stellung der Giebelseite. Dagegen wird der Feuerungsraum
mit dem Ofen (entgegen der altheidnischen Heiligkeit des Feuers) zu einem
minderen Alltagsraum herabgedrückt. Trotz der Vielen Verschiedenheiten (z. B.
arestue und rogovnstue) müssen wir also für die Entwicklung dieser Gemeinsam-
keiten doch ein und denselben Anstoss annehmen, und diesen sieht Rh. eben in
den Neuerungen Olaf Kyrres. Dabei ist freilich der set für das Mittelstück eine
Annahme, die vielen (vom A^erfasser ehrlich besprochenen) Schwierigkeiten be-
gegnet, doch sieht er für dessen einstiges Vorhandensein doch noch spätere
deutliche Spuren (z. B. in Mügges Reiseskizzen aus dem Norden 18U).
12. Kapitel: Das Alter der setstofa und Ihr Verhältnis zur pallstofa.
(Langpall und Querpall, das fiel der setstofa?)
(S. 661—718.)
Der erste Teil dieses Kapitels (S. 661—669) ist der Polemik gegen Nicolaysen
gewidmet, dessen Theorie der Ansicht des Verfassers allerdings völlig entgegen
steht. Nicolaysen hält nämlich dafür, dass die Bauernstube schon in heidnischer
Zeit den Hochsitz auf der Giebelseite gehabt hätte, dass der seitliche öndvegi mit
seinen Antwegsäulen nur für die Königshalle und das Gästehaus anzunehmen sei
und dass der pallr dieser heidnischen Bauernstube nur aus schmalen Langbänken
bestanden habe. Letzteres ist nun für Rh. nicht nur wegen seiner Ableitung des
slavischen Schlafgerüstes (polati) vom pallr der nordischen stofa unmöglich, sondern
er sucht es auch aus der skandinavischen und isländischen Sagaliteratur zu wider-
30 Berichte und Besprechungen.
legen und weist darauf hin, dass das Wort noch heute in der Bedeutung Sitzphitz,
Erdbank und Giebehvand vorkomme.' Auch nennen die alten norwegischen Ge-
setze den ("nidvegi überall, auch in Bauernhäusern, als Sitzplatz des Hausvaters.
Neuerdings zieht er sodann die rituelle Bedeutung des Herdfeuers heran, die es
in heidnischer Zeit unmöglich gemacht habe, den Ehrensitz auf die Giebelseite zu
verlegen. Auch der durch die ganze Breite reichende Langtisch der setstofa habe
nur als sklavische Nachahmung des alten öndvegi einen Sinn gehabt, wie er denn
auch heute bereits überall zu einem Ecktisch zusammengeschrumpft ist. Wenn,
wie Nicolaysen behauptet, die beiderseitigen pallr nur schmale Wandbänke gewesen
seien, dann sei eine behagliche Unterhaltung über die Herdfeuer hinweg durch die
Breite des Mittelraumes (20 Fuss) gar nicht denkbar. Nur wenn der pallr eben ein
breites Lager war, dann wurde der Mittelraum so eng, dass die an den Rändern
des pallr einander Gegenübersitzenden miteinander gemächlich sprechen konnten. —
Doch gibt Rh. die grossen Schwierigkeiten, die sich im Verhältnis von setstofa
und pallstofa ergeben, zu und widmet ihnen im Folgenden neuerlich eingehende
Betrachtungen. Zu diesen Schwierigkeiten kommt noch die Verwirrung, die sich
aus den Gegensätzen zwischen Lang- und Querpall ergeben. Rh. hält dafür, dass
sich die Scheidung zwischen Lang- und Querpall erst im Laufe der Entwicklung,
und zwar auf Island vollzogen habe. In Norwegen aber zeigt die heutige Be-
deutung vonimll als Giebelwand ebenso wie z. B. die Redensart: ^Die Braut vom
pall lösen", sowie die Verbindung des Ausdruckes pall mit andwege, dass dort die
Fäden noch mehr durcheinanderlaufen. Auch in Schweden zeigen sich ähnliche
Schwierigkeiten. Ja Rh. selbst macht (im Gegensatz zu den nordischen Forschern,
die diese Einrichtung für eine spätere Entstehung halten) darauf aufmerksam
(S. 693—705), welche Schwierigkeiten sich weiter aus der im südlichen Norwegen
häufigen Langtür für seine Annahme des Langpall ergeben. Obwohl es seiner
Annahme günstig wäre, hält er nämlich deren Ablehnung für die ältere Zeit nicht
für so einfach und weist auf Fälle hin, wo sich ausser der Türe auf der Lang-
seite auch noch turmartige Vorbauten (Barfrö- und Ramloftstuben) befinden. Vor
allem aber beweist ihm die von Eilert Sun dt aus dem Ostlande mitgeteilte
Tatsache (S. 705—711), wonach dort die Stuben grössere Tiefe als Breite haben,
so dass also die Giebelwände gleichsam zu Langwänden weiden, das Alter der
Querpallstuben. Vielleicht hängt mit dem Vorherrschen dieser Querpallstuben
im Osten zusammen, dass hier auch das Firstdach vorherrscht, während bei den
Langpallstuben im Nordwesten, die der Säulenreihe nicht entraten konnten, das
Sparrendach überwiegt. Rh. gibt also zu, dass in den alten Bauernstuben wahr-
scheinlich der Querpall überwogen habe, sodass bei ihnen die Kyrreschen Neue-
rungen ausser dem Ofen nur eine Erhöhung dieses Querpalles zur Folge gehabt
hätten. Allein neben diesem Querpall habe auch bei ihnen ein Langpall bestanden,
und das dadurch sehr breite Gebiet der pall-Einrichtung in den alten Stuben be-
weist ihm eben neuerdings deren Wichtigkeit und gibt ihm für seine Theorie von
der Entlehnung der stofa durch die Slaven und deren Benennung nach dem Haupt-
stück dieser stofa (dem pallr) nur um so grössere Sicherheit. Er weist noch auf die
von Fritzner (im 'Ordbog over det gamle norske Sprog') gemachte Unter-
scheidung von zwei Gattungen pallr hin, wonach ä pall (= auf dem pall) eben den
Querpall und i pall (= in dem pall) eben den Langpall bedeute. Am Schlüsse dieses
Kapitels betrachtet Rh. nochmals das altnordische flet. (S. 711—718). Im
Gegensatz zu Gudmundsson ist er der Ansicht, dass auch das flet in die setstofa,
und zwar als umlaufende Erdstufe des set übernommen worden sei. Er führt
nicht nur eine Anzahl stehender Redensarten (ganga ä flet, fara a flet, i flat a
foelugh u. a.) sondern auch zwei interessante Gesetzstellen an, die deutlich auf das
Berichte und Besprechungen. 81
Vorhandensein des llet auch in der mittelalterlichen Bauernstube des Nordens
hindeuten. Gerade diese stehenden Verbindungen des Wortes flet bringen den
Verfasser dann wieder auf weitere Gedanken über die Geschichte des flet; er deutet auf
Zusammenhänge mit lappländischen Häusern der Urzeit und auf die Möglichkeit hin,
dass das Küchenflet des Saales zur Zeit der stofa (als die eigentliche Hochflet-
einrichtung verschwand) in den Vordergrund trat und sich in dieser Gestalt als
flacher Fussboden an der Feuerstelle behauptete. Der häufige Fall in der An-
wendung des pars pro toto würde dann die im Deutschen zu beobachtende Be-
deutung des flet als Herdraum schlechthin erklärlicher machen.
13. Kapitel: Die Naclitherbergen, die Hofordnung, Sohlusswort.
(S. 718—803.)
Die Xachtherbcrgen (Gaden Wirtschaft) (S. 718—744). Ausser den schon
besprochenen Hauptwohnräumen finden sich in den Nordländern allenthalben auch
noch gadenartige Nebengebäude, Speicher, und zwar in drei Arten: 1. Zeug- und
•Gewandspeicher, bei denen das Gewand an den Stangen des Gebälkes aufgehängt
ist; diese dienen bei den Finnen und Slaven, auch beim geraeinen Bauern, im
Sommer auch als Schlafräume für die jungen Leute, weshalb Rh. diese Einrichtung
auch für das alte Skandinavien annimmt. Aus den nordischen Quellen ist die
Gepflogenheit, im (oft des gadens zu schlafen, freilich nur für den Adel und die
grossen „Odelbauern" nachweisbar. Neben dem Zeugspeicher finden wir dann 2.
den Kornspeicher, der wegen Feuersgefahr meistens vom Haus weiter abseits liegt,
und 3. den Mehlspeicher mit den täglichen Speisevorräten. In Norwegen sind
diese drei Speicher gewöhnlich in zwei Gebäude zusammengezogen : das seiigebod oder
■loft, ein langgestrecktes, zweigeschossiges, unterkellertes Gebäude mit den Türen
auf den Langseiten, aussen angebrachten Stiegenaufgängen und einen das Ober-
geschoss (den eigentlichen loß) auf drei Seiten umgebenden Aussengang und das
madhod oder stalmr, ein kleines, quadratisches, auf Pfosten aufgestelltes, einge-
schossiges Gebäude, das die Speisevorräte birgt. Das Hauptgewicht liegt auf dem
sengebod, das die Hauptwertgegenstände des Hauses in sich bewahrt und dessen
loft als wahres Staats- und Herrenzimmer gilt und mit prächtigen Zimmermanns-
zieraten geschmückt ist. Dietrichsson hält daher das ^/ö/'«/- überhaupt nicht
für altertümlich, sondern für eine jüngere Erscheinung. Rh. ist der gegenteiligen
Meinung, indem er auf die ausserordentlich weite Verbreitung dieses durch seine
Pfosten vor Ungeziefer geschützten kleinen Gebäudes über finnisches, slavisches
•und deutsches Gebiet hinweist. — Nun spielt die erstgenannte Speicherart, das
loft, wie schon erwähnt, auch als Schlafgemach eine grosse Rolle, woraus sich
auch erklärt, dass es in den Quellen so viel erwähnt wird. Vor allem ist die
Sitte, das /"/'/ ausser für die Haustöchter auch für die Gäste als Schlafgemach zu
benutzen, sehr weit verbreitet; die alte Zeit nahm daran keinejlei Anstoss. In
Telemarken, aber auch in Russland dient es übrigens auch als Ehegemach und
Wochenbettzimraer. Seine Hauptbedeutung aber bleibt seine Benutzung als
Sommerwohnraum für die Töchter. In den Sagas erscheint es geradezu als das
„Boudoir" der Töchter. Da sich nun der dafür im Nordischen häufig gebrauchte
Ausdruck skemna, nach Rh.s Ansicht auch im kamnio der kleinen finnischen
Kleiderspeicher (ebenfalls Sommerschlafgemächer) wiederfindet und anderseits die
nicht nur in Skandinavien, sondern auch in Deutschland und in der Schweiz ver-
breitete Sitte der Nachtfreierei, Kilt- und Gasseigänge eigene getrennte Schlaf-
stellen für die Töchter voraussetzt, so sieht Rh. in all dem uralte, frühgermanische
Zusammenhänge. Der im Nordischen für das loft auch übliche Ausdruck jnng-
frubur ist ihm ein weiterer Hinweis für diese Ansicht.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 1. 6
^■2 ]?erichte und Bespreclumgen.
Die Hofordnung.
Allgemeines über den s k an di im vischen Hof. (S. 7-14 — 758.) Nach
den übereinstimmenden alten Nachrichten aus Norwegen, Schweden und den
Inseln Island, Üland und Gotland war der skandinavische Bauernhof in Stuben-
hof und Wirtschafts- bzw. V^iehhof geteilt. Beide sind im Viereck gestellt, aber
durch einen Zaun getrennt. Die Namen für den Wohn- oder Stubenhof sind:
sjuer/.vd (Üsterdal), mangard (üland), storpard (Gotland), uppijnrd (Smaaland).
Er enthält die Innenhäuser (lud/nts): Stuben, Herbergen, Loft, Gaden. Der
Wirtschafts- oder Viehhof heisst naritgard (üsterdal), ladiujard (Üland), lillgard
(Gotland), fdgard (Schweden, Smaaland) und enthält die Aussengebäude (ndlnts):
Ställe und Wirtschaftsgebäude. Diese alten Benennungen haben sich meist bis
heute erhalten, auch wo, wie dies häufig, z. B. in Dänemark immer, der Fall ist,
der Zwiehof nicht mehr besteht. Besonders in den noch heute in Schweden und
Norwegen gebräuchlichen Bezeichnungen i7i/niK und ndlms sieht Rh. (im Gegen-
satz zu Gudmundsson) deutliche Hinweise auf dieses alte Zwiehhofsystem. Mit Nach-
druck weist der Verfasser auf den grundlegenden Unterschied zwischen dieser alt-
nordischen und der altdeutschen Hofeinrichtung hin. In Deutschland ein Zusammen-
wohnen mit dem Vieh unter einem Dach, in Skandinavien ein System, das deutlich
aus dem Wunsche, das Vieh von der Menschenwohnung möglichst abzusondern,
hervorgegangen ist. Wie wir aber sehen, stimmt mit dieser skandinavischen Hof-
anlage die friesische überein (mit ihren getrennten fölmx^ nntlma etc.) und noch
deutlicher, wie der vierte Abschnitt zeigen wird, die Hofanlage der südöstlichen
Zentral-Alpen, besonders in Kärnten und Steiermark.
Der Stall (S. 758—772.) In allen skandinavischen Gebieten ist der Viehsiall
im wesentlichen gleich eingerichtet: Das Vieh steht in Ständen (und zwar in Nor-
wegen und Schweden je ein Tier, in Dänemark ihrer zwei), den Kopf gegen die
Wand gerichtet. Futtergang besteht keiner. Die Stände waren ursprünglich durch
Bretterwände voneinander geschieden und gedielt. Nur diese Stände (nicht aber der
ganze Stall) heissen bas, baase. Auch diese Einrichtung zeigt sich, wieder im Gegen-
satz zum niedersächsischen Haus, in Friesland (wo sich übrigens auch Spuren des
Sprachgebrauches von 6oo.s finden). Dies, sowie gewisse andere Zusammenhänge
in der angelsächsischen, friesischen, cimbrischen und skandinavischen Stallein-
richtung, vor allem der Gegensatz in der Bezeichnung hus (Häuser) ^^q^^qw die Be-
zeichnung stall (von Stelle) lässt Rh. einen alten grundlegenden Wirtschaftsgegensatz
zwischen den nordgermanischen, ingväonischen Stämmen und den Westgermanen
erkennen.
Die Scheune (S. 772— 7öO). Soweit die skandinavische Scheune als ge-
trenntes Gebäude auftritt, nimmt in ihr in der Regel die Dreschtenne die Mitte
zwischen den seitlichen Banseräumen ein. Diese Dreschtenne aber ist nicht zum
Einfahren geeignet, sondern über den Banseräumen oft sehr beträchtlich (bis zur
Augenhöhe) erhöht und ausserdem durch hohe Schwellen von der Aussenwelt ge-
trennt. Das Getreide wird durch Luken unmittelbar in die Banseräume abgeladen.
Diese Erhöhung der Tenne ist nicht überall gleich, in Südschweden und Dänemark
z. B. viel weniger deutlich durchgeführt. Auch findet sich im gebirgigen Nor-
wegen eine mit Tennbrücke ausgestattete Einfahrtstenne. Eine mit den
schwedischen Einrichtungen auffallende Übereinstimmung zeigt die Tenne im alten
Nordturingo, die ebenfalls (im Sachsenspiegel eigens erwähnte) hohe Scheide-
wände (bislag) besitzt, die sie von den Banseräumen trennt.
Die Zäune (S. 780—783). Während im übrigen Deutschland, auch schon
für dJs Mittelalter, überall der mühsam geflochtene Etterzaun nachweisbar ist,.
Berichte und Besprechimf^en. §3
herrscht in Skeindinavicn und in den deutschen Alpen der Band- oder Ringzaun
vor. Er besteht aus Pfostenpaaren, die in gewissen Abständen voneinander in den
Boden gerammt sind und an weiche die schräg zwischen sie gelegten Bretter oder
Stangen mit Weiden- oder gedrehten Nadelholzringen angebunden sind. Besonders
in Gotland iässt sich dieser Zaun sehr weit zurüclvverfolgen. Der deutsche ge-
flochtene Etterzaun findet sich heute noch ab und zu in Deutschland (in Alt-
bayern als nur im Oberteil geflochte Abart des ,Wide'- oder ,Stecken'-Zauncs)
und besonders im südwestslawischon Gebiet (bei den Slowenen und am Balkan).
Der Vierkant (S. 783 — 801). Während die Hofanlage im heutigen Norwegen
und ebenso im nördlichen und mittleren Schweden ganz regellos ist, hat sie sich
auf Üland und Gotland so erhalten, dass dort die Gebäude des ladugard stets zu
einem in der Richtung zum mangard geöffneten Vierkant zusammengebaut sind.
In Dänemark, Jütland und bis Schleswig hinein ist dieser Vierkant durch die
Anschiebung des Wohnhauses ganz geschlossen. Rh. vertritt die Ansicht, dass
dieser geschlossene Zwiehof-Vierkant in vorgeschichtlicher Zeit als der alte
Bau der gotischen Stämme das ganze alte Götarike (mittlere Schweden) er-
füllt habe. Kommt er doch heute noch auf Üland und am benachbarten Festland-
teil (dem westlichen Götaland), aber auch in Gotland vor. Erst die Abwanderung
der Goten nach Süden und das Nachdrängen nördlicher Stämme hat die allmähliche
Zersetzung dieses Baues mit sich gebracht. (Hinweise auf altgotische Gesetzes-
Stellcn S. 787/8). Auch die starke und noch heute wirksame Verbreitung des
Vierkants im Dänischen (Pläne aus Halland, Seeland, Fünen S. 789 — 792) spricht
für die einstige Bedeutung dieses Baues. In Übereinstimmung mit Mejborg
wendet sich daher Rh. gegen Lauridsons Ansicht, dass der Vierkant erst spät
in Dänemark aufgekommen sei; er stützt sich dabei auf die auffallende Schmalheit
der dänischen Wirtschaftsgebäude, auf die überall nachweisbare Hauptzufahrt
unter fortlaufendem Dachstuhl, auf die von Gudmundsson und P. v. Möller
beigebrachten Quellenbelege aus dem 13. und lö. Jahrhundert und auf die gerade
in Dänemark deutlich nachweisbaren alten vierkantigen Burg- und Stadthof-
Anlagen.
Schlussbetrachtung (S. 8U1 — 803). Es ergibt sich für die alte Zeit eine
bedeutende wirtschaftliche Überlegenheit des skandinavischen gegenüber dem
deutschen Bauern. Im ersten Bande hat sich gezeigt, dass die altskandinavische
Landhufe die deutsche Landhufe derselben Zeit um das Doppelte übertraf. Hier
sehen wir dasselbe für die Hofanlase; denn der altskandinavische Zwiehof ist
doppelt so gross als der deutsche Bauernhof. Endlich zeigt sich, dass der Saal
in Skandinavien bis in geschichtliche Zeiten hinein die ausschliessliche Wohnung
der Gemeinfreien ausmachte (auch in der *7o/W blieb neben den verhältnismässig
geringfügigen Änderungen die alte DreischifTigkeit), während in Deutschland der
Saal um dieselbe Zeit schon überall auf die Kreise des Adels und der Hochfreien
zurückgedrängt is^ und die Bauern sich mit dem bescheidenen Fletz und Ären
begnügen müssen."
(Schluss folgt.)
Graz. Victor v. Geramb.
84 Büclieranzeigen.
Bücheranzeigen.
Schweizerisches Archiv für Tolkskuiitle, herausgegeben von Ed. Hoff-
mann-Krayer und A. Rossat. 20. Jahrgang. (Festschrift für Eduard
Hoffmann-Krayer, herausgegeben im Auftrage des Vorstandes von
'Hanns Bächtold.) Strassburg i. E., Karl J. Trübner 1916. YII,
539 S., gr. 8°.
Von den vielen volkskundlichen Zeitschriften, die seit der Begründung unseres
Organs ins Leben getreten sind, nimmt neben den Hessischen Blättern für Volks-
kunde das Schweizerische Archiv ohne Zweifel die erste Stelle ein. So darf es
als berechtigt erscheinen, den "20. Jahrgang dieser Zeitschrift, der von einer grossen
Reihe von Gelehrten ihrem Begründer und Herausgeber Eduard Hoffmann-
Krayer als Festgabe dargebracht und von Hanns Bächtold herausgegeben worden
ist, eine längere Anzeige zu widmen. Über eine Inhaltsangabe kann diese bei dem
Umfange des Bandes im allgemeinen nicht hinausgehen. Aber auch schon eine
solche dürfte ein Bild von dem hohen Werte dieses schönen Werkes geben.
Einen Beitrag zur Geschichte der schweizerischen Volkskunde liefert H. Dübi
in Auszügen aus dem hsl. Nachlass Jacob Samuel Wyttenbachs, die sich besonders
auf die körperlichen Typen und Charaktereigenschaften der verschiedenen Be-
völkerungsteile der Schweiz (Bergländer, Plattländer usw.) beziehen.
L Rütimeyer behandelt 'Einige archaistische Gerätschaften und Gebräuche
im Kanton Wallis und ihre prähistorischen und ethnographischen Parallelen'. Haus-
und Eigentumszeichen, Kerbhölzer, Steinlampen, Kinderspielzcug, Ornamentik,
Kesselkctte, Kerbbalken statt Treppe, Speicherpfahl bauten, Masken und Masken-
bräuche werden in dem sehr umfangreichen, mit zahlreichen vorzüglichen Ab-
bildungen versehenenen Aufsatz besprochen. Die beigebrachten Parallelen aus
Vorgeschichte und Ethnographie sind in höchstem Grade bemerkenswert. Alter-
tümliche Gebräuehe und Gerätschaften, sowie allerlei Sagen der Hirten schildert
B. Ginet-Pilsudzki in 'Almenviehzucht im Tatragebirge in Polen'. Derselbe
gibt in einer französisch geschriebenen Abhandlung eine von Abbildungen begleitete
Typologie der in letzter Zeit vielfach behandelten litauischen Kreuze, ihre Geschichte
und ihren Zusammenhang mit heidnischen Vorstellungen. Mehr ins Gebiet des
Volksglaubens fällt der Aufsatz 'Landbau und Altes Testament' von A. Bertholet,
in dem mannigfache mit dem Ackerbau zusammenhängende Gebräuche und Volks-
meinungen der alten Juden als Reste der vorjahvistischcn Religion nachgewiesen
werden. Proben von den Erzeugnissen eines waadtländischcn Volkskünstlers, naive
und doch mit sicherem Stilgefühl geschnittene Silhouetten, veröffentlicht Th. De-
lachaux mit Abbildungen und Tafeln.
C. W. von Sydow weist als volkstümliche Grundlage für Perraults Kunst-
märchen 'Riquet a la houppe' das Rumpelstilzchenmärchen nach. A. Rossat
teilt in Fortsetzung seiner 'Foles' das Märchen von Aladin mit der Wunderlampe
in der Mundart des Berner Jura mit. Zahlreich sind die Beiträge zur Volks-
dichtung: A. Aarne berichtet über die Organisation und Bezugsverhältnisse der
finnischen A^olksliederausgabe. Einige Soldatenlieder aus der Zeit der Zuzüger
(1792—1798, Zusammenziehung der Schweizer Truppen in Basel) bringt der in-
zwischen verstorbene R. Forcart-Bachofen, ein portugiesisches Volkslied (Ver-
gleich der Geliebten mit einer Rose) J. Leite de Vasconcellos. Eine umfang-
reiche Untersuchung widmet John Meier dem Soldatenlied 'Ein Schifflein sah
Bücheranzeigen. 85
ich fahren, Cnpilän und Leutenanl'; er weist die einzelnen Bestandteile des Liedes
(Einleitungsstrophe, die aus dem in mehreren Fassungen bekannten Schäferlicd
'Schäfer, sag, was willst Du essen?' entstandene Frage: 'Was sollen die Soldaten
essen?' usw. und der Refrain) und deren Herkunft nach. Aus dem Volkslieder-
schatz der Berner Stadtbibliothek bringt 0. von Greyerz Proben aus den Dich-
tungen des in Bütschwil, Bezirk Alt-Toggenburg, geborenen und in der zweiten
Hälfte des IG. Jahrhunderts tätigen Berner Oberländer Dichters Bendicht Gleiting,
sowie mehrere volkstümliche Behandlungen des Themas vom 'alten und neuen
Eidgenossen', in denen das Reislaufen und Pensionenunwesen bekämpft wird. Eine
bisher ungedruckte, sehr derbe Versnoveile des Schweizers Jörg Zobel (15. Jahr-
hundert) 'Der geäffte Ehemann' teilt J. Bolte mit und verweist auf andere Be-
arbeitungen dieses beliebton Themas: in einem besonders grotesken Einzelzuge
stimmt die vorliegende Passung merkwürdigerweise mit der altindischen der
('ukasaptati übercin. Eine rätoromanische Ballade von dem wider ihren Willen
verlobten Mädchen bringt C. Decurtins in Urtext und Übersetzung mit einigen
erklärenden Anmerkungen. Über volkstümliche Theateraufführungen im Oberwallis,
das Verhältnis von Schul- und Volksdrama, die Rollo des Narren und anderes
berichtet Mathilde Eberle. Aus einer handschriftlichen 'Copia' vom Anfang des
19. Jahrhunderts veröffentlicht E. Wymann eine witzige Beschreibung einer 1696
in Gersau abgehaltenen Karfreitags-Prozession, in der die Teilnehmer mit sonder-
baren Attributen in parodistischer Absicht aufgezählt werden. Ein besonders für
die jetzige Zeit, in der allerlei Kriegsaberglauben reichlich wuchert, interessantes
Thema behandelt A. Becker in einem Aufsatz über Gebetsparodien. Von allen
zu diesem Gegenstand mir bekannten Abhandlungen zeichnet sich die vorliegende
durch reichhaltigste Literaturangaben aus. Allerlei Anekdoten und Schwanke aus
dem Sarganser Land erzählt A. Zindel-Krcssig, mundartliche Schnurren von
der im Siinmenland volkstümlichen Person des Lugitrittli H. Zahler. H. Mercier
plaudert über Genfer Kinderspiele, besonders das Seilhüpfen der Mädchen, und
teilt zahlreiche dabei gesungene Spielreime mit. Eine 320 Nummern umfassende
Sammlung alter schweizerischer Sprichwörter hat S. Singer aus der gleichzeitigen
Literatur unter Hinzuziehung einiger lateinischer Handschriften zusammengestellt
und mit Nachweisen versehen. Sprichwörter enthält auch der Aufsatz von
K. Bohnenberger über die Ennetberger Walliser, d. h. die Bewohner der
deutschen Sprachinseln im Pogebiet, von denen ausserdem allerlei Volkstümliches,
besonders volksläufige Lieder, mitgeteilt werden, die der Verfasser bei seinen
Arbeiten über die Grammatik der deutschen Walliscr (1913) und sonstigen noch
zu erwartenden Darstellungen gesammelt hat. Unter anderem wird einiges Neue
über Gressoney gebracht (vergl. oben 25, 2U6 ff.}; interessant sind die Reste einer
Geheimsprache, die die viel umherziehenden Gressoneyer früher unter sich zu
gebrauchten püegten.
Allerlei persönliche Erlebnisse aus dem Gebiet des schweizerischen Aber-
glaubens teilt E. Buss mit, Unglück prophezeiende Vögel und andere Tiere, heilige
Pflanzen, Hexen-, Teufel-, Gespenster-, Zwergengeschichten, Vorzeichen, Zauberei.
Interessantes Aktenmaterial zur Schalzgräberei im Kanton Zürich im IG.— 18. Jahr-
hundert bringt E. Stau bei; verwiesen sei besonders auf einen ausführlich be-
handelten Fall der Anwendung des sogenannten Chri^toffelgebetes (vergl. Schw.
Arch. 21, 38). Li Erweiterung von A. Dieterichs Aufsatz über den Ritus der ver-
hüllten Hände (Kl. Schriften S. 440 ff.) bringt E. Fehrle Beispiele aus dem
deutschen Volksglauben für diese Sitte bei. In allen diesen F'ällen dürfte nach
Fehrle's Meinung der Zweck der sein, zauberkräftigen Gegenständen durch die
86 Bücheranzeigen.
Berührung mit der hlossen Hand nicht ihre Kraft zu nehmen. Weit ausführlicher
wird derselbe Brauch von H. Bächtold untersucht. Besonders verbreitet ist die
Sitte in den Hochzcitsritualien (Brauttaschentuch, Auflegen der Stola), wo sie als
ein Rest der ursprünglichen velatio sponsorum zu betrachten ist. Bächtold's Satz,
dass die Sitte der Händeverhüllung im Volksbrauch ausschliesslich mit kirchlichen
Zeremonien verknüpft und bei uns daher wohl kirchlicher Ursprung anzunehmen
sei, kann nach den von Fehrle beigebrachten Beispielen nicht in vollem Um-
fange beigestimmt werden. Über das Meer im jütischen Volksglauben plaudert
H. F. Feilberg, Entstehung des Salzgehaltes im Meerwasser, Mittel gegen Sturm-
fluten und Sandstürme, Schifferaberglauben, Meinungen über Ebbe und Flut. Eine
besondere Erscheinung im Zauberaberglauben behandelt K. Helm, nämlich die
Häufung der Zaubormittol, die sich besonders bei Amuletten feststellen lässt, die
oft wahre Kollektionen der verschiedensten zauberkräftigen Gegenstände darstellen.
Eben dahin gehören die Zusammenstellung zahlreicher Heiligenbilder in Schutz-
briefen, die Anlegung ganzer Segensamnilungen. In gewohnter Reichhaltigkeit
stellt P. Sartori Beispiele aller Zeiten und Völker für den Glauben zusammen,
dass im Zauber gewisse Gegenstände nur dann wirken, wenn sie gestohlen sind.
Einen kurzen Beitrag liefert A. de Cock über die Anschauungen des Volkes,
zumal in den Niederlanden, über das 'weerog'- (Gerstenkorn), das man sich nach
allgemeinem Volksglauben zuzieht, wenn man angesichts von Sonne, Mond oder
Sternen seine natürlichen Bedürfnisse verrichtet, was auch aus einer Anzahl von
INamen und sprichwörtlichen Redensarten hervorgeht, die sich auf diese Augen-
krankheit beziehen. Gleichfalls ins Gebiet der Volksmedizin schlägt der Aufsatz
von H. Höhn über den Kropf (Struma): besonders wird hier auf die Heilmittel
eingegangen, unter denen sich auch Segensformeln befinden.
In einer sehr gehaltvollen, auch volkspsychologisch und politisch interessanten
Skizze 'Volksbräuche und Volkswohlfahrt' schildert -C. Pult eine Reihe von Ge-
bräuchen des wirtschaftlichen und geselligen Lebens aus dem bündnerischen Gebiet,
in denen sich die Charaktereigenschaften der Bewohner, Sinn für Würde, feste
Organisation und gegenseitige soziale Verpflichtungen einerseits, Frohmut und
neckisches Wesen andererseits aussprechen. Mit Recht bedauert er bürokratische
Massregeln gegen diese schon an und für sich vor der modernen Kultur immer
mehr zurückweichenden Gebräuche. Einen Überblick über die heute noch be-
stehenden oder erst seit kurzem erloschenen Gebräuche im Kreislauf des festlichen
Jahres in Wil (St. Gallen) gibt G. Kessler. In dem 'Deux paillasses' betitelten
Beitrag von L. Gauchat wird ein Versuch gemacht, die verschiedenen über-
lieferten Bedeutungen der waadtländischen Patois-Form 'patifou' (Komische Person
bei Maiumzügen, Gemeindebeamter, Abtrittfegcr, Vogelscheuche, heute = alberner,
nicht recht zurechnungsfähiger Mensch) in ihrem Zusammenhang zu erklären. Die
Beziehung auf dt. 'Bettelvogt' ist vielleicht nicht abzuweisen, doch scheint es mir
wenig glaublich, in der Bedeutung 'komische Person' das Ursprüngliche zu sehen.
Da bei übermütigen Frühlingsumzügen öfters auch Genieindebeamte, Büttel,
Polizisten usw. als Spassmacher auftreten, möchte man eher die amtliche Bedeutung
an den Anfang der Reihe setzen. Was sich hinter dem ersten Bestandteil der
rätselhaften Bezeichnung verbirgt, wird leider nicht untersucht. Dagegen gibt
Gauchat im 2. Abschnitt seiner Arbeit aus dem ihm vorliegenden Material für das
Glossaire romand eine Erklärung des bisher nicht gedeuteten Wortes 'prevai' in
einem waadtländischen, früher im Archiv verölfentlichten Lied. Es bedeutet Bett-
stroh oder -heu. Sehr interessant sind die von K. Brandstetter in dem Auf-
satze 'Die Ratze im Schweizerdeutschen und im Indonesischen' gezogenen sprach-
lUicheranzeigen. 87
liehen und volkskundlichen Parallelen. Einen eigentümlichen, einst in ganz Italien
verbreiteten und auch heute noch nicht ausgestorbenen Brauch untersucht R. Corso
in einem 'La scapigliata' überschrieboncn Aufsatz. Er besteht darin, dass der B^eier
eines Mädchens, besonders wenn die Eltern gegen die Verbindung sind, versucht,
dieses vor der Kirche zu küssen und ihr gleichzeitig eine Haarsträhne abzuschneiden
(daher der Name) oder ihr das Kopftuch oder andere Teile der Oberkleidung zu
rauben, worauf im allgemeinen jeder Widerstand der Eltern aufhört, da andern-
falls das Mädchen auf sonstige Verheiratung nicht hoffen darf. Corso sieht hierin
nicht, wie Pitre u. a. Spuren einer Raubehe, sondern gewissermassen ein abge-
kürztes Verfahren in der Vollziehung der für eine regelrechte Eheschlicssung
üblichen Formalitäten. In ein ähnliches Gebiet gehört P. Geigers Untersuchung
über den 'Kiltgang'. Es werden die verschiedenen Formen dieser eigentümlichen
Sitte behandelt und mit ähnlichen Gebräuchen aus aller Welt zusammengestellt,
sowie ein Versuch gemacht, die verschiedenen Wurzeln des Brauchs aufzudecken.
Den Verlauf einer amerikanischen Hochzeit in New York schildert Frau Sarasin-
Von der Mühll; die Gebräuche unterscheiden sich w'enig von den in Deutschland
üblichen. Bemerkenswert ist höchstens das an die antiken Katachysmata erinnernde
Bestreuen des jungen Ehepaares mit Reiskörnern. In einem kurzen Aufsatz über
die blaue Farbe bei Totenbräuchen sucht P. Geiger als den Grund für deren
Verwendung apotropäische Bedeutung nachzuweisen.
In Umfang und Inhalt geht 0. Wasers Beitrag 'Volkskunde und griechisch-
römisches Altertum' weit über die einem Zeitschriftenaufsatz im allgemeinen ge-
stockten Grenzen hinaus. Er gibt zunächst einen Überblick über die Geschichte
der antiken Volkskunde, wobei er, wie billig, von Albrecht Dieterich ausgeht, und
über die wichtigste einschlägige Literatur. Indem er sich weiterhin an das von
Hoffmann-Krayer vorgeschlagene Einteilungsschema anschliesst, bespricht er die
einzelnen Seiten antiken Volksiebons, zeichnet mit umfassender Quellenkenntnis
das bisher Geleistete und verweist auf noch nicht gelöste Aufgaben und noch nicht
genügend ausgeschöpfte antike Quellen, aus denen er selbst zahlreiche besonders
ke-nnzeichnende Proben bringt. Auf Einzelnes einzugehen, ist hier unmöglich;
jedenfalls ist diese Abhandlung ein wahrer Schatz für jeden auf diesem Gebiet
Tätigen, und die junge Wissenschaft der Volkskunde des Altertums darf stolz
darauf sein, dass der inhallreichste und wertvollste Beitrag des ganzen Bandes
ihrem Gebiete entnommen ist und von einem so hervorragenden Gelehrten ge-
schrieben wurde. Dass die Arbeit in Hoffmann-Krayers Zeitschrift und in seinem
Ehrenbandc erscheinen konnte, beweist zugleich, dass das Schweizerische Archiv
und sein Herausgeber von jeder engherzigen Beschränkung weit entfernt ist. Dass
die Zeitschrift sich in diesem Geiste zum Nutzen der wissenschaftlichen A'olks-
kunde weiter entwickle, ist der Wunsch, den wir dem verdienstvollen Gelehrten
zum 20. Jahrgange widmen.
Berlin-Pankow. Fritz Boehm.
Eugen Fehrle, Deutsche Feste und Volksbräuche. Leipzig und Berlin,
B. G. Teubner. 1916. (Aus Natur und Geisteswelt Nr. älS.) 107 S. S».
Geh. 1,25, geb. 1,50 Mk.
Die als ein früheres Bändchen der Teubncrschen Sammlung erschienene Dar-
stellung deutscher Volksfeste und V^olkssitten von H. S. Rehm wird durch die
vorliegende, auf der Höhe der Wissenschaft stehende Neubehandlung in erfreu-
lichster Weise ersetzt. In zwei Hauptteilen werden zunächst die Jahresfeste, dann
g^ P.üclieranzoigen.
die wichtigsten Eteig-nissc im Menschenleben behandelt. Bei einem in den Bahnen
Albrecht Dieterichs wandelnden Gelehrten, wie es Fehrlc ist, versteht es sich \on
selbst, dass nach Massgabe des knappen Raumes auch auf die Entstehung unserer
deutschen Volksfeste und -brauche eingegangen und auf besonders auffallende Gegen-
stücke anderer Völker hingewiesen wurde. Mit besonderem Nachdruck und Erfolg
ist dies in dem ersten Teile des Buches geschehen; gewisse, immer wieder her-
vorgehobene Grundgedanken, z. B. das Bestreben, beim Beginn eines neuen grösseren
Zeitabschnittes Übel abzuwehren, Segen zu gewinnen und die Zukunft zu erfahren^
bieten eine Art Richtlinie in der Fülle der Einzelerscheinungen und ein metho-
disches Mittel zu ihrer Erkenntnis, man vgl. etwa die Ausführungen über Weih-
nachten, Neujahr und Dreikönig (S. 11 — -29). Auch im zweiten Teile begnügt sich
P. meist nicht mit der einfachen Aufzählung von Meinungen und Bräuchen, sondern
sucht sie zu deuten und unter gemeinsame Gesichtspunkte zu bringen. Manche
Erklärung würde hier vielleicht noch überzeugender wirken, wenn sie etwas ein-
gehender hätte begründet werden können; dazu aber mangelte es bei der gerade
für diesen Abschnitt erdrückenden Stoffmenge offenbar an Raum. Besonders-
erfreulich sind die zum grossen Teile auf eigene Aufnahmen zurückgehenden Ab-
bildungen. Dies schöne Werk, das für die Verbreitung grundlegender volkskund-
licher Kenntnisse und damit vertiefter Heimatliebe wie wenige geeignet ist, in so
gegenwaits- und zukunftsschwerer Zeit fertiggestellt zu haben, sichert dem Ver-
fasser wie dem Verleger gleicherweise warmen Dank.
Berlin-Pankow. Fritz Boehm.
Walther Hofstaetter, Deutschkunde. Ein Buch von deutsclier Art untl
Kunst. Mit 2 Karten, 32 Tafeln und 8 Abbildungen. Leipzig und Berlin,
B. G. Teubner 1917. 172 S. gr. 8«. geb. 3 Mk.
'Deutschkunde', ein an und für sich weiter Begrilf, ist auch in der von dem
Herausgeber des Buches gewollten Beschränkung nicht zweifelsfrei umrissen. Er
sieht in ihr die Zusammenfassung des Wissens, das im einzelnen für Geschichte^
Kirchen- und Literaturgeschichte und Geschichtliches in der Erdkunde auf den
Schulen vermittelt wird. Er will eine Grundlage geben für die notwendigsten
Kenntnisse aus der Vorgeschichte der Volks- und Literaturkunde, Kunst- und
Musikgeschichte; die Deutschkunde soll nach ihm den klaren Überblick über
unsere Gesamtentwicklung, die Einsicht in die inneren Zusammenhänge unserer
Kultur und die Erkenntnis geben, was in all dem deut-ch ist. Dieser Zielsetzung
entspricht in dem Buche selbst ein gewisses Schwanken zwischen Betrachtung und
Darbietung, ein Mangel, der noch dadurch verstärkt wird, dass es sich nicht um
das Werk eines einzelnen, sondern um Aufsätze von fast einem Dutzend ver-
schiedener Verfasser handelt. Freilich dürfte es nur wenige geben, die allein
Einzelkenntnisse und Genie genug besässen, um eine solche Deutschkunde zu
liefern. Ein schönes Beispiel solcher umfassenden Betrachtung ist der letzte
Aufsatz, in dem Rob. Petsch die geistige Entwicklung in ihren Hauptzügen be-
handelt. Und je näher diese geistreiche Darstellung dem Ziel kommt, um so
weniger kann sie sich bei Einzelheiten aufhalten. Deshalb dürfte auch das heran-
wachsende Geschlecht, dem der Herausgeber sein Buch gern in die Hand geben
will, gerade seinen besten Abschnitten doch ratlos gegenüberstehen, und selbst
unter den Männern und Frauen, denen es in Stunden rückschauender Betrachtung
ein Weggenosse sein will, wird es verhältnismässig nur wenige geben, die einer
solchen kulturphilosophischen Betrachtung mit vollem Verständnis folgen können.
Notizen. 3<)
Der Volkskunde ist ein vergleichsweise grosser Raum gewidmet, in dem
Dr. Emil Lehmann über Märchen, Sagen, Religion, Brauch und Sitte, der Heraus-
geber über ländliche Siedelung, Bauernhaus imd äussere Formen des gesellschaft-
lichen Lebens handelt. Dass dieser volkskundliche Teil zu den besten der Samm-
lung gehöre, kann leider nicht gesagt werden; die Schwierigkeit, auf so be-
schränktem Raum zugleich reichlichen Stoff zu bieten und diesen von hoher Warte
aus zu betrachten, ist hier doch wohl übergross gewesen, zumal fast die gesamte
Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens, Mönchstum, Ritterwesen, Bauern- und
Bürgertum, sogar Waffen- und Heerwesen behandelt werden. Über eine sum-
marische Darstellung des Tatsächlichen kommt der Verfasser hier selten hinaus.
Sehr befremdend ist es, dass vom Volkslied so gut wie gar nicht die Rede ist,
obwohl doch gerade in ihm die Eigenart des deutschen Wesens am besten zum
Ausdruck kommt. Auch in dem von H. Abort verfassten Aufsatz über die deutsche
Musik ist diese empfindliche Lücke nicht ausgefüllt; was hier (S. 14«) über das
Lied gesagt wird, gehört entschieden zu den schwächsten Teilen des Aufsatzes;
zur Unterscheidung von Volkslied, volkstümlichem Lied und Kunstlied wird nicht
einmal ein Versuch gemacht.
Der Herausgeber sieht in dem Buch einen Versuch. Dass er gelungen ist,
dass er bei einem so gewaltigen Ziel in der vorliegenden Form überhaupt gelingen
kann, scheint bei aller Anerkennung für den Eifer des Verfassers und seiner Mit-
arbeiter, sowie des um die Buchausstattung sichtlich bemühten Verlages, sehr
zweifelhaft.
Berlin-Pankow. Fritz Boehm.
Notizen.
J. Bendel, Zur Volkskunde der Deutschen im Böhmerwalde. Sitten und Gebräuche,
Sagen, Lieder und Volksschanspiele. Mit Abbildungen von M. Liebenwein. \Yien und
Prag, k. k. Schulbüchpr-Verlag 1915. 190 S. -eb. 3,50 Kr. — J. Bendel, Zur Volks-
kunde der Deutschen im östlichen und nördlichen Böhmen. Sitten und Gebräuche,
Sagen, Lieder und Märchen. Mit Abbildungen von 0. Schneider und J. Wagnor. Ebd.
1915. 184 S. geb. 3,50 Kr. — Die beiden enipfeJiIenswerten Jugendschriften sollen die
Heimatliebe der Deutschböhmen durch eine kurze Übcrsiciit ihrer Herkunit und Geschiclite
und einen Einblick in ihr Volksleben fördern; und das geschieht in durchweg anschaulicher
Weise durch Schilderung besonderer Volksfeste, Sagen. von der weissen Frau und Rübe-
zahl, Lieder, Märchen und Schauspiele, wie des Höritzer Passionsspielcs, des bayrischen
Kiesels und der Genovefa. Nur für das Märchen hätten wir einen besseren Vertreter
als die nach Milcnowsky erzählten 'Drei Hunde' gewünscht. — (J. B.)
J. K. Brechenmacher, Drei Fabeln unseres Lntcrklassenlescbuchs stoffgeschiclitlich
untersucht: 1. Der Fuchs und der Rabe. 2. Stadimaus und Feldmaus. 3. Mütterliche
Liebe eines Storches Magazin für Pädagogik 79, 17—33. Stuttgart 191<i). — St. Augustin
und das mecransscliöpfende Knäblein, eine stoffgeschichtlichc Untersuchung (ebd. 79,
134-141). Nützliche Zusammenstellung; vgl. oben K;, 90. 42G. 21, 336. — Allerhand
Spiegelungen eines Gedankens: volle Ähren neigen sich (ebd. 7, 298 f.\ — J. B.)
Franz Cuniont, Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum, deutsch
von Georg Gehrich. Zweite, verbesserte und veimehrte Auflage. Leipzig und Berlin,
B, G. Teubner 1914. XXVIII, 347 S. 8". 5 'Slk. — Bei dem engen Zusammenhange
zwischen Religionswissenschaft und Volkskunde halten wir es für unsere Pflicht, auch
au dieser Stelle auf das ausgezeichnete ^^'erk des belgischen Forschers hinzuweisen, dessen
zweite Auflage, textlich von der ersten nicht wesentlich abweichend, in den Anmerkungen
und Literaturangaben nach dem heutigen Stand der Wissenschaft vei vollst ändigt in vor-
«)0 Notizen.
nclimem Gewamic vorliegt. Es ist ein wahrer Genus«, diese geistreichen und tiefen Vor-
träge zu lesen, deren Übersetzer es vorzüglich verstanden hat, die scharf pointierte
Sj)rache des Originals wiederzugeben. Ein volles Verständnis der religiösen Bewegungen
des römischen Weltreiches und damit auch des Christentums ist unmöglich ohne Kenntnis
vom Wesen der siegreich eindringenden orientalischen Kulte, und dies vielseitige Problem
kann auch einem weiteren Leserkreis kaum klarer und gründlicher nahegebracht werden
als durch Cumonts Darstellung. — (F. R
Johanna W. P. Drost, Het nederlandsch kinderspel voor de 17. eeuw. 's-Graven-
hage, M. Nijhoff 191-i. XVI, 173 S. 8". — Währen! über das vlämische Kindcr.-piel ein
Yortreffliclies achtbändiges Werk von A. de Cock und J. Teirlinck (1902 — 1908) vorliegt,
besitzen die Holländer noch keine ähnliche Arbeit. Dicsi ni Mangel sucht die Verf. des
vorliegenden tüchtigen Buches, einer Leidener Doktordissertation, wenigstens teilweise
abzuhelfen, indem sie die durch niederländische Zeugnisse des Mittelalters und des IG. Jahrh.
beglaubigten Kinderspiele schildert. Sie benutzt dazu Dichtungen und Prosawerke wie
auch Wörterbücher dieser Zeit und AVerLe der bildenden Kunst und zieht zur Deutung
die Literatur der Nachbarländer Deutschland, Frankreich und England in ausgedehntem
Masse heran, ohne die Grenze des Jahres IGOO streng innezuhalten; denn nicht immer
erhellt die Art des Spieles sogleich aus dessen Namen. Sie scheidet sechs Gruppen:
Lauf- und Fangspiele, Spring- und Tummelspiele, Wurfs|)ielo, Spiele mit Marmeln, Nüssen,
Knöcheln, Münzen, Nachahmungsspielc und verschiedene Spiele mit Geräten. Die ein-
gehende und anschauliche Darstellung wird durch die Reproduktion einiger Bilder von
Brueghel d. Ä. und andrer und ein Register unterstützt. Da die Verf. selber über die
Vollständigkeit ihrer Liste sehr bescheiden denkt, so möchte ich mir den Hinweis er-
lauben, dass das S. 125 angeführte Breviarium Grimani auf Taf. 50 der Peiinischen Aus-
gabe von 1862 in der Marter Christi das Spiel darstellt, das im Egerer Fronleichnams-
spiele (oben 19, 384) 'Kop auf ins Licht' genannt wird, und dass E. van Heurcks und
Boekcnoogcns Imagerie populaire flamande (1910) einige Abbildungen von Kinder-
belustigungen enthält. Möchte das solide Büchlein bald eine die folgenden Jahrhunderte
durchmusternde Fortsetzung cihalten! — (J. B.)
Rudolf Eckart, Der Wcbrstand im Volksmund. München, Militärische Verlags-
anstalt 1917. Mit 9 Holzschnitten von Jost Amman 1573. VII, 124 S. 8'. 3 Mk.
(Numerierte Fürstenausgabe 23 Mk.). — Mit geschickter Hand hat der Herausgeber aus
der Fülle volkstümlicher Äusserungen über den Krieg und den Kiiegersfand, die sich in
Sprichwörtern, Soldaten-, Volks- und Kinderliedern, Geschütz- und Waß'eninschriften
iinden, aus den grossen Sammelwerken (,Wander, Wunderhorn u. a.) eine Reilie besonders
bezeichnender Beispiele ausgewählt. Zumal unsere Kämpfer, für die das Buch in erster
Linie bestimmt ist, werden, wenn sie es in einer ruhigen Stunde durchblättern, ihre Freude
an diesen Kernworten haben, in denen sich deutscher Sinn und deutsches Gemüt so viel
unmittelbarer ausdrücken als in vielen tauben Blüten unserer Kriegspoesie. Besonders zu
loben ist die äussere Ausstattung, die kernigen Lettern und die trefflichen Holzschnitte
Ammans. Mit Recht hat der Kriegsminister v. Stein dem Verleger geschrieben, dass das
'wunderschöne Buch jedem Soldaten Freude machen muss'. Gewiss auch dem Nicht-
soldaten! — (F. B.i
G. W. Leibniz, Deutsche Schriften, hsg. von W. Schmicd-Kowarzik. Mit einem
Bildnis. 1. Band: Muttersprache und völkisclie Gesinnung. (Philosophische Bibliothek
Bd. 161.) Leipzig, F. Meiner 191 G. XL, 112 S. 8\ Geh. 2 Mk., geb. 2,60 Mk. - Zum
200. Todestage von G. W, Leibniz tritt der Verlag mit dem Plan einer 8 Bände um-
fassenden Ausgabe der deutschen Schriften des Pliilosophen hervur. Der 1, Band, hsg. vom
Privatdozenten Dr. Walther Schmied-Kowarzik, liegt bereits vor. Unter dem Sammel-
begriff Muttersprache und völkische Gesinnung sind folgende Schriftchen vereinigt: Er-
mahnung an die Deutschen, Unvorgreifliche Gedanken, Eine deutschliebende Gesellschaft,
Denkschrift von der Aufrichtung einer Akademie in Deutschland; beigefügt sind Teile
aus den Schriften zur Gründung der Berliner Wissenschafts-Akademie, Gedichte; ferner
Übersetzungen aus lateinischen und französischen Schriften, die Muttersprache und Deutsch-
tum betreffen, Stücke aus Abhandlungen ; sachliche und 8i)rachlichc Anmerkungen be-
Notizen. 91
scliliesscn den 112 Seiten umfassenden Band. — Mit Freude linden wir den deutsch-
■völkischcn Gedanken bei dem grossen Philosophen in einer Zeit vor, die in Deutschland
selten National^efülil aufkommen liess: dass dieser Gedanke aber nicht der zentrale des
Polyhistors war, darüber dürfen wir uns nicht täuschen. Die Einleitung hätte das stärker
betonen müssen: durch die an sich berechtigte Zusammenstellung, die aber in der
■wägenden Beurteilung kein genügendes Gegengewicht findet, macht sich das Büchlein
eines ähnlichen Fehlers Echuldig wie Eugen Reicheis Gottschedzusammenfassungen. Die
wichtige Frage, wie das Deutschtum sich bei L. entwickelte, welche Bedeutung da fein
Aufenthalt in Leipzig, in Mainz, in Frankfurt, in Hannover, in Berlin hatte, wird nicht
berührt. Einige oft wiederholte Irrtümer hätten nicht weiter verbreitet werden sollen:
Thoniisius hat nicht ali erster deutsche öfl'entliche Vorlesungen gehalten; über Job.
Valentin Andrea und die Rosenkreuzerei sind die Akten noch nicht geschlossen. — Trotz
dieser Ausstellungen wird die Samnilung deutscher Schriften I-eibnizcns empfohlen werden
können. — (Fritz Bohrend.)
Karl Heiterer, Altsteirisches. Mit Abbildungen. Graz, Deutsche Vereinsdruckerei
und Verlagsanstalt J91G. 104 S. gr. 8". ;>.50 Kr. — ^Yie di.i früher erschienenen
R.s (Älplerblut 1902, Waldbauernblut 1910, Ennstalcrisch 1913; zeichnet sich auch die
vorliegende Sammlung durch Frische und Unmittelbarkeit der Beobachtung aus. Bei
seiner langjährigen Schultätigkeit hat der Verf. Gelegenheit gehabt, das Volk gründlich
kennen zu lernen, ausserdem hat er sich, wie er dankbar hervorhebt, der Mitarbeiter-
scliaft seiner Frau in reichlichem Masse zu erfreuen gehabt. Wie in den genannten
früheren Schriftoi reiht er in bunter Folge seine Schilderungen vom Lelen und Denken
der Steirer aneinander. Mit Bedauern s-tellt er fest, dass auch in diesem Lande alte
Sitten und Bräuche durch die neuzeitliche Entwicklung reissend schnell verdräuj^t werden.
Besonders Avertvoll sind die zahlrtichen mitgeteilten mundartlichen Bezeichnungen. —
(F. B.)
0. Stiehl, Unsere Feinde. 9ü Cbarakterköpfe ;ius deutschen Kriegsgefangenen-
lagern. Stuttgart, J. HüfTmann [191G]. 32 -(- 96 S. 8'. 1,20 Mk. — Die hier getotene
Auslese von Typen der gegen uns unter AVaffen stehenden Völker mit ihren bunt-
gemischten Hilfskräften ist nidit nur von allgemeinem, sondern auch von besonderem
Interesse für Ethnographie und Volkskunde. Die Abbildungen, die der Verf. in seiner
Tätigkeit als Offizier in einem Durchgargs-Gefangenenlager aufgenommen hat, sind
mustergültig ausgeführt. — (F. B.)
Aus Jen
Sitzuiigs-Bericliten des Vereins für Yolkskiinde.
Freitag, den 26. Jannar 1917. Der Vorsitzende, Hr. Geh. Reg.-Rat Prof.
Dr. Roediger, erstattete den Jahresbericht und dankte dem Kultusministerium für
den wiederum gewährten Zuschuss von GOO Mk. zur Herausgabe der Vereins-
zeitschrift. Der Schatzmeister, Hr. Franz Trcichel, gab den Kassenbericht und
■wurde mit dem Dank der Versammlung für seine Mühewaltung entlastet. Der
Kassenprüfung hatte sich der Obmann des Ausschusses, Hr. Geh. Reg.-Rat.
E. Friedel, in dankenswerterweise unterzogen. Die Zahl der Vereinsmitglieder
beträgt zurzeit 193. Die hierauf vorgenommene Neuwahl des Vorstandes ergab
dieselbe Zusammensetzung wie bisher. Das von Hrn. Direktor Dr. Georg Minden
gestiftete Dankzeichen für Verdienste um die Volkskunde (Satzung s. oben 2G, 427)
wurde alsdann mit einer Ansprache des Vorsitzenden erstmalig' für das Jahr 1917
dem hochverdienten zweiten Vorsitzenden, Hrn. Prof. Dr. Johannes Bolle, über-
reicht, der mit herzlichen Worten dem Verein und dem hochherzigen Stifter
dankte. Dann hielt Frl. Rose Julien einen durch Lichtbilder und Vorlagen er-
läuterten Vortrag über Volkstum und deutsche Kultur in der Bukowina.
92 Brunner:
Freitag, den 23. Februar 1917. Her Yorsitzciulc, (ich. Rat Roodigcr,
widmete den verstorbenen Mitgliedern Prof. Axel Olrik, Kopenhagen, und Frl.
Marie Rehsoner, Freiburg i. Br., warme Gedenkworte (vgl. auch oben 26, 429
bis 430). — Dann sprach Hr. Oberlehrer Dr. Oskar Ebermann über das Thema:
Eine geistliche Deutung der Schwurhand. Schon bei primitiven Völkern wird die
Hand beim Schwur erhoben, gleichsam als Anrufung der Gottheit, die zu allen
Zeiten als Rächerin des verborgenen Meineides gilt. In der Literatur zur Volks-
kunde sind die Fälle zahlreich, wo sofortige göttliche Strafe des Meineides in der
selbstgewählten Form den Schuldigen trifft. Zahlreich sind auch die volkstüm-
lichen Mittel zur Abwendung solcher Strafe und die Redewendungen, die sich auf
den Schwur beziehen, wie z. B. 'Etwas auf die Gabel nehmen', 'Von sich weg
schwören' usw. Ein i. J. 1698 geschriebenes Heft, das eine Auslegung des Eid-
schwures mit Deutung der Schwurhand durch religiöse Bezeichnungen enthält,
wurde eingehend besprochen. Der Inhalt scheint von einer gedruckten Vorhige
abgeschrieben zu sein, und es fand sich auch in der Kgl. Bibliothek ein älterer
Einblattdruck, dessen Inhalt teilweise übereinstimmt. Die Handschrift dürfte von
einem Geistlichen herrühren und hatte ebenso wie jene Drucke den Zweck, das
Volk von Meineiden abzuschrecken. In der Besprechung des Vortrages wurde
darauf hingewiesen, dass aus dem Grabe wachsende Hände, die in Sagen eine Rolle
spielen, nicht nur als Meineidszeichen, sondern besonders auch als Folge und
Warnung vor Widerstand gegen die Eltern ausgelegt werden. Das Öffnen der
Fenster soll das Volk vor dem Meineide abschrecken, und schon im klassischen
Altertum finden sich gewisse Bestimmungen, die vielleicht einen ähnlichen Sinn
haben. Was die meist sngenhaften abgehauenen Hände betrifft, so dürften sie
nicht durchaus als Zeugnisse für Meineidsstrafen betrachtet werden, sondern auch,
vielleicht als sog. Leibzeichen, die in Registraturen aufbcwahtt wurden. — Hr.
Dr. Erich Gutmacher gab alsdann unter Zugrundelegung der kürzlich bei
E. Diederichs erschienenen Sammlungen von P. Kretschmer und P. Hambruch
Beiträge zur Märchenforschung aus dem Bereiche der neugriechischen und Südsee-
märchen. Das neugriechische Märchen ist oft teilweise aus dem altgricchischen
abgeleitet, gemischt mit türkischen und anderen Elementen. Typisch sind die
Drachenmärchen, das Motiv der schwachbärtigen Leute usw. Hambruch in seinen
'Südscemärchen' schildert die Schwierigkeit der Erforschung bei den Wilden.
Hüterinnen des Märchenschatzes ahui dort alte Frauen, von denen die Mädchen
schon in früher Jugend ausführlich unterrichtet werden. Besonders wichtig für die
Ausgestaltung und das Studium der Märchen ist der Traum. D.r Alptraum ist
einer der wirkungsreichsten. Die Kenntnis des Personennamens spielt im Märchen
der sogenannten Primitiven eine bedeutende Rolle. Wer den Namen weiss, hat
die Macht über die Seele des Menschen. Daher ist schon im Alten Testament ver-
boten, den Namen Gottes auszusprechen; man braucht dafür mannigfache Um-
schreibungen, wie Elohim, Adonai usw. Vergleichbar sind tabuistische Voi Stel-
lungen bei den Ozeanicrn und anderwärts Allgemeine Motive kommen in den
Südscemärchen mehrfach vor, z. B. die Mühle zum Salzmahlen, um das Meer zu
salzen, die auch in der Edda und bei den Finnen begegnet. Am Schlüsse der
Südscemärchen wird häufig die naive Bemerkung hinzugefügt, man brauche es
aber nicht zu glauben. Hr. Direktor Dr. Minden knüpfte an den Voitrag einige
Bemerkungen über die weitere Verbreitung mancher Märchenmotive, z. B. die
ursprüngliche Stummheit, wie bei Brutus und Parnval, und — mit Hinblick auf ein
in Tonga verbreitetes merkwürdiges Napoleonsmärchen — den bei Chamisso ge-
nannten 'Napoleon der Südsce'. Bezüglich des Traumes erinnert er an die Auf-
Sitzungs- Berichte. 93
fassung Karls von den Steinen, dass er der Ursprung des Cnstorblichkeitsglaubens
sei. Hr. Geh. Rat Roediger vertrat die Meinung, dass das Märchen nicht aus
dem Traum entstanden sein könne. Denn man träume nicht Neues, sondern nur
Erlebtes und Gedachtes.
Freitag-, den 23. 31ärz 1917. Der A'orsitzende, Hr. Geh. Rat Roediger, legte
ein neu erschienenes Buch von Prof. Dr. Joh. Bolte vor, betitelt: Alte flämische
Lieder im Urtext mit den Singweisen, Leipzig, Insclverlag. Dann sprach Frl. Rose
Julien als Ergänzung zu ihrem Vortrage in der Januarsitzung über volkstümliche
Helden und Feste der Ruthenen. In den Volksliedern der Ruthenen, die Lyrik
und Epik vereinen, werden die Volkshelden besungen und die Kämpfe des
18. Jahrh. zwischen Kosaken und Polen, welche die Grossrussen zur Unterjochung
der ersteren ausnutzten. Auch spielen in den Liedern eine Rolle die rusalha oder
Wassernixen und die rilen genannten Waldgeister. Aus dem Feslkalenderder Ruthenen
wurde erwähnt das Weihnachtsfest mit seinen Umzügen und sog. KoJladeuhcdern,
die zur Spendung von Esswaren auffordern. An diesem Feste wird der Tisch mit
Heu bestreut. Am Grünen Donnerstag wird als Symbol des Winters 'die Alte'
verbrannt. Die strenge 401ägige Fastenzeit vor Ostern sucht man durch das
überreiche Osteressen, paska, weltzumachen, für das lange vorher gerüstet wird
und wofür man oft wertvollen Besitz verschleudert. Auch herrscht bei diesem
Essen grosse Gastfreiheit, und die Osterglocken klingen ununterbrochen Tage
hindurch. Die jungen Männer stellen Osterpyramiden und springen zwischen die
Mädchen herab. Am 5. Mai, dem üeorgstage, wird bei den Ruthenen und Huzulen
das sogen. lebendige Feuer erzeugt, das Vieh über die Asche gejagt und auf die
Weide gelassen. Am Johannistage stellt man Bäumchen herum und springt über
angezündete Feuer. Der Eiiastag im Juli ist ein Feiertag, ebenso der Demetrius-
tag, der zur Erinnerung an die Schlacht auf dem Amselfclde begangen wird. Bei
den Huzulen gibt es auch einen Wieselfeiertag. Die Ruthenen sind übrigens sehr
höfliche Leute, und ihr Gruss ist recht zeremoniell. Man kennt auch spinnstuben-
artige Zusammenkünfte, in denen die Volksüberlieferungen gepflegt werden. —
Hr. Geheimrat Roediger hielt hierauf einen Vortrag, betitelt: Etwas von den An-
fängen unserer volkstümlichen Dichtung. Behandelt wurden nicht die allerersten,
sondern Erzeugnisse von der Zeit an, wo Kunst- und Volksdichtung sich scheiden,
schon mit dem Eindringen des Christentums, deutlicher zur Zeit Karls d. Gr.
Ursprünglich ist nur die schriftlosc Volksüberlieferung Trägerin solcher Dichtung,
und nur Zufall ist es, wenn einmal volkstümliche Poesie in alter Zeit aufgezeichnet
wurde. So ist uns ein althochdeutsches Lied auf den heiligen Georg überliefert,
•das etwa um 900 entstanden und um 1000 aufgezeichnet wurde. Der Redner trug
es in Übersetzung vor, um zu beweisen, dass es volkstümlichen Stil zeigt. In dem
schmucklosen Liede fehlt der sonst zur Legende gehörige Drachenkampf, der ihr
aber keineswegs ursprünglich zukommt. Sie gehört vielmehr zu den Legenden
vom unzerstörbaren Leben. Die späteren bänkelsängerischen Kirchenlieder des
17. Jahrh. behandein den Drachenkampf als Hauptsache. Etwa 50 Jahre älter ist
das Loblied auf den heiligen Gallus, von Ratbert nach mündlicher Überlieferung
gedichtet und von Ekkehard IV^. in lateinischer Übersetzung erhalten. Es war für
den Gesang des Volkes bestimmt, hat in seiner Daistellung die grösste Ähnlichkeit
mit dem Georgslied und zeigt einige Formeln, die noch nach Jahrhunderten wieder-
kehren. Diese christlichen Heldenlieder nähern sich den Lobliedern, die uns in
der Form der Totenklagen aus alter Zeit bezeugt sind (Jordanes, Beowulf).
Im älteren Spervogelton haben wir Klage-, Lob- und Scheltlieder in einfachster
.Form. Ein altes Spottlied ist das von Liebwins Brauen bei der Vermählung seiner
C)^ P)rimner:
Tochter, woran Hildebrand nicht gedacht hat, als er das Kcsselliedchen der Kinder
als altes Elochzeitslicd erweisen wollte. Die Frcudenlicder haben in Bayern und
Österreich noch eine Erinnerung in den volkstümlichen Ausdrücken Gaudi und
Lätizel zurückgelassen. Für volkstümliche Tanz- undBallspiellieder gibt es Belege
in den Carmina burana des 13. Jahrh.. die auch für die alte volkstümliche Liebes-
lyrik heranzuziehen wären. Doch wollte der Vortragende auf sie nicht näher
eingehen.
' Freitag, den 27. April 1917. Der 2. Vorsitzende, Prof. Dr. Joh. Bolte,
eröffnete in Vertretung des durch eine Reise am Erscheinen verhinderten 1. Vor-
sitzenden die Sitzung und sprach über das angebliche Berliner Weihnachtsspiel
von 1597. Der Vortrag wird später in der Zeitschrift abgedruckt werden. Literatur-
Torlagen: A. v. Löwis of Menar, Ostsee und Ostland Bd. 5, Die Baltischen Provinzen^
Märchen und Sagen. Berlin-Charlottenburg 1!>16. Robert Petsch, Das deutsche
Volksrätsel, Strassburg 1917. C. Zi'brt, Koüzelny proutck (Zauberrute), Prag o. J.
Berliner Haushaltungs-Calender von 1779 und Anhänge zu dem Historisch- und
Geograph. Calender auf das Jahr 1737 u. ff. Berlin. — Der Unterzeichnete
sprach an der Hand einer noch ungedruckten mundartlichen Beschreibung von
P. N. Jacobsen in Nottfeld (1908) über Altanglisches Bauernleben. Über das Bauern-
haus in Angeln, das im Norden dänisch-friesischen, im Süden sächsischen Einfluss
zeigt, haben bereits Meiborg in seinem trefflichen Werke, Das Bauernhaus im
Herzogt. Schleswig, und Pessler in der Zeitschrift Deutsche Erde 7, 18 alles Nötige
mitgeteilt; über den Garten und die übrige Wirtschaft, ferner über die Volkstracht,
das Dorfleben, die bäuerlichen Feste, alte Sitten, Gebräuche und Volksglauben
konnten aber noch weitere Mitteilungen gemacht werden, die weniger bekannt
sind, obwohl über einige Punkte, z. B. über den Erntegebrauch der Vock, bei
Kück und Sohnrey, Feste und Spiele des deutschen Landvolks S. 159 bereits
Aufklärung gegeben ist und auch in der Kieler Zeitschrift 'Die Heimat' sich
manche Darstellungen aus dem Angliter Volksleben finden. Die einzigen landes-
kundlichen Schriften über Angeln, nämlich: H. N. A. Jensen, Angeln, Flensburg 1844,
und F. W. Otte, Bemerkungen über Angeln i. J. 1791, Schleswig 1792, bringen
wenig über die Volkskunde der Landschaft. Die erstere soll, wie verlautet, neu
herausgegeben werden und wird hoffentlich diese Lücke ausfüllen, wozu die Hand-
schrift von Jacobsen nützliche Dienste leisten könnte. Auch für ein Schleswig-
Holsteinisches W^örterbuch dürften hier wertvolle Beiträge entnommen werden
können; denn das alte holsteinische Idiotikon von Schütze bedarf wohl mancher
Ergänzung. Durch eine Mitteilung des Herrn F. Treichel über Löffelopferung
im Schwarzwalde entspann sich eine Erörterung über die Bedeutung des Löffels
in der Volkskunde, deren Ergebnis war, dass die Verwendung gerade des Löffels
als Opforgabe von Zahnlcidenden unerklärt ist.
Freitag, den 18. Mai 1917. Der 2. Vorsitzende, Prof. Bolte, widmete dem
am 10. April 1916 verstorbenen A^olksforscher Giuseppe Pitre in Palermo herzliche
Worte des Gedenkens. Der Vortragsraum war reich geschmückt durch eine grössere
Anzahl von Studienblältern, die von der Malschule des Vereins der Künstlerinnen unter
Leitung des Hrn. Maler Karl Wendel während des Winters in den Räumen
der Kgl. Sammlung für deutsche Volkskunde gemalt worden waren. — Hr. Prof.
Dr. Eduard Kück sprach über: Walther von der Vogelweide und seinen Spruch:
'Ich hört ein wazzt r diezen'. Der Vortrag wird später in der Zeitschrift abgedruckt
erscheinen. — Hr. Prof. Dr. Joh. Bolte sprach zum Einschmelzen unserer Kirchen-
glocken unter Hinweis auf den am Schluss dieses Heftes abgedruckten Aufruf
des Verbandes Deutscher Vereine für Volkskunde, der zur Feststellung aller auf
Sitzungs-Berichte. 'J5-
unsere Kirchenglocken bezüglichen Sagen und Gebräuche, auch der neueren, und
ihrer Inschriften auffordert. Schon A^or 500 Jahren licss Friedrich, der erste
Rohenzoller in der Mark, Kirchenglocken zu Kanonen umgiessen; auch Feter d. Gr.
und die erste französische Republik verschafften sich so Kanonenmetall. Während
die eigentliche Glockentaufc als feierlicher Akt galt, hat der Volksmund den
Glocken oft, besonders in Berlin, humoristische klangdeutende Namen gegeben.
Sonst trugen sie vielfach lateinische Namen und wurden nach ihrem Gebrauch
benannt. Nach dem Volksglauben lieben die Glocken die Heimat und werden
wegen ihres frommen Zweckes vom Teufel heftig angefeindet. Übrigens
wurden auch Kanonen zu Glocken umgegossen. So sollen die Glocken der
Marienkirche in Berlin aus Kanonenmetall gegossen sein, und in neuerer Zeit
wurde bekanntlich die grosse, im Ton etwas missratene Doraglocke von Cöln aus
1870 erbeuteten französischen Kanonen hergestellt. Hr. Rektor Monke teilte noch
mit, dass man im Havellande glaube, durch Glockenläuten das Gewitter beeinflusse:-»
zu können, ähnlich wie durch das sogen. AVetterschiessen im Alpenlande. Auf die
Anfrage, woher Goethe den Stoff zu seiner Dichtung von der wandelnden Glocke
entnommen habe, erwiderte Hr. Prof. Bolte, man erzähle in Weimar eine Anekdote
von Goethes Sohn, die eine Erklärung dafür liefere. — Zum Schlüsse sprach ein.
Flame, Hr. Herbert Märten s, über das Hämische Wanderlied. Erst in diesem
Kriege ist der Name Flanderns als eines alten germanischen Landes viel genannt.
Aus der Vermischung alter germanischer Stämme entstanden die Flamen. Ihre
Literatur war in älterer Zeit meist Übersetzung aus dem Französischen, wie ja
auch Heinrich von Veldeke im 12. Jahrh. seine Eneide mehr nach französischem
als vergilischem Muster dichtete. In der Mitte des 19. Jahrh. verklang das flämische
Volkslied, und die Flandern eigentümlichen Volkssänger starben aus. In der
alten Zeit wurde Karl d. Gr. im flämischen Liede viel besungen, 1260 wurde das
Epos Reinhart Fuchs gedichtet, und um 1520 erschien in Antwerpen der flämische
Eulenspiegcl. Verbreitet ist das Märchen vom Schmiede, der den Teufel prellt,
und die ergreifende Ballade vom Blaubart, der im flämischen Gebiete Ritter
Haiewein heisst. Der Redner las in dankenswerter Weise eine Anzahl Dichtungen
in seiner uns vertraut klingenden flämischen Mundart vor.
Berlin. Karl Brunner.
Gedenket iinsrer Glocken!
In den nächsten Monaten wird eine grosse Zahl von Kirchenglocken in Deutsch-
land zu militärischen Zwecken beschlagnahmt werden. Und wenn dabei auch die
durch Alter, Kunstwert und schönen Klang hervorragenden Glocken verschont
bleiben sollen, so werden doch viele andre verschwinden, die vordem die Herzen
vieler Geschlechter in festlich frohen und ernsten Stunden erbaut und gerührt
haben. Darum tritt an alle Freunde des deutschen Volkstums die Mahnung heran,
ihr Andenken festzuhalten und sowohl die Sprüche, mit denen sie geziert waren,
als die mannigfachen Bräuche und Sagen, die sich in den einzelnen Ortschaften
an sie knüpfen, sorgsam aufzuzeichnen.
In den meisten Bundesstaaten werden auf Anregung der betrefl'enden Kultus-
ministerien die Generalkonservatoren, Provinzialkonservatoren und deren Ver-
trauensmänner vor der Zerstückelung der Glocken, die zumeist oben im Glocken-
<)(^ Gedenket unsrcr Glocken!
stuhl geschehen wird, für die Abforuiung des Bildschmuckes und der Schrift-
zeichen durch Glockengiesser und Former sorgen Natürlich werden sie an so
bemerkenswerten Inschriften wie dem alten, durch Schillers Gedicht berühmt
gewordenen Vers
„Defunctos plango, vivos voco, fulgura frango"
nicht vorübergehen; aber auch die jüngeren lateinischen und deutschen Spruch-
inschriften sind der Beachtung und Aufzeichnung im örtlichen wie im all-
gemeinen Interesse würdig. Hierbei mitzuwirken sind der Geistliche und der
Lehrer des Ortes in erster Linie berufen. Sie sind auch besser als irgend jemand
geeignet, eine Sammlung der Bräuche und Sagen vorzunehmen, da diese eine
längere Befragung der Landleute und eine Vertrautheit mit ihren Anschauungen
erfordert, die man bei einem Ortsfremden nicht voraussetzen darf. An diese
Herren, ebenso aber auch an alle sonstigen Freunde der deutschen Volkskunde,
ergeht daher unsre herzliche Bitte, durch Umfrage alsbald festzustellen:
1. welche Bräuche bei der Taufe der Glocken, der Aufhängung und Ab-
nahme geübt werden,
•2. ob eine besondere Läuteart (ßeiern, Bimmeln, Kieppen) bei bestimmten
Gelegenheiten, in der Weihnacht, Neujahrsnacht oder vor Allerseelen,
üblich ist,
3. die im Volksmunde üblichen Namen einzelner Glocken, die Deutung ihrer
Rufe und Gespräche,
4. den Glauben an ihren Schutz vor Unwetter, Krankheit und bösen Mächten
oder an ihre vorbedeutende Kraft,
5 Sagen von Glocken, die in der Karwoche auf Reisen gehen; von ge-
raubten und geretteten, versunkenen und aus dem Wasser oder der Erde
emporsteigenden Glocken; von dem beim Glockenguss ermordeten Lehr-
buben usw.
Was die rege Phantasie unseres Volkes im Nachsinnen über diese Wahr-
zeichen des christlichen Gottesdienstes seit Jahrhunderten hervorgebracht hat, und
was bei der lebhaften Teilnahme, mit der vielerorten das Volk den Schicksalen
seiner Kirchenglocken folgt, an bemerkenswerten neuen Sagen und Bräuchen
auftaucht, wolle man nicht für leer und bedeutungslos halten, sondern als ein
Zeugnis seines Geisteslebens aufschreiben und einem der Unterzeichneten, der
Königlichen Sammlung für deutsche Volkskunde in Berlin (Klosterstr. 36) oder der
Geschäftsstelle des Verbandes Deutscher Vereine für Volkskunde in Freiburg i. Br.
(Silberbachstr. 13) einsenden.
Namens des
Verbandes Deutscher Vereine für Volkskunde:
Professor Dr. Bohnenberger (Tübingen). — Professor Dr. J. Bolte (Berlin).—
Geheimrat Professor Dr. Kuhn (München). — Professor Dr. Fr. von der Leyen
(München). -- Professor Dr. John Meier (Freiburg i. Br.). — Professor P. Sartori
(Dortmund). — Pfarrer 0. Schulte (Grossen Linden bei Giessen). — Hofrat Pro-
fessor 0. Seyffert (Dresden). — Geheimer Regierungsrat Professoi Dr. Siebs
(Breslau). — Professor Dr. M. Wingenroth (Freiburg i. B.).
Ganga til frettar.
Von Rudolf 3Ieis8ner.
(Sclüuss zu S. 1—13.)
Die nordischen Berichte erzählen oft von Männern und besonders
von Frauen, die übernatürliches Wissen besitzen, deren Blick Dinge er-
schaut, die den andern verborgen sind; an sie wendet man sich [ganga til
frettar), wenn man Zukünftiges oder sonst Verhülltes erfahren will. Das
Vorauswissen künftiger Dinge erscheint vielfach als eine Gabe, die be-
sondere Mittel der Zukunftserforschung überflüssig macht. So erkennt der
Seher oft schon beim Anblick eines Menschen, ob er im allgemeinen zum
Glück oder Unglück bestimmt ist, er kann aber auch einzelne Geschicke
ohne weiteres voraussehen. Daneben gibt es besondere Handlungen, die
von dem spdmadr oder der spdkona vorgenommen werden, um zukünftiges,
zu erfahren. Die Auskunft aber, die uns unsere Quellen über diese
Handlungen geben, ist nicht ausreichend, die Einzelheiten der DivinatioDs-
bräuche klarzustellen. In framuynn wie in framdss wird gewöhnlich durch
fram- die Zukunft bezeichnet, in die der Begabte hineinsieht, von der er
Kenntnis hat. Ob ursprünglich fvain- räumlich aufgefasst wurde? Jeden-
falls ist aus sijnn zu schliessen, dass der Weissager ursprünglich etwas-
sah, entweder den Vorgang selbst oder Zeichen irgendwelcher Art, die
er deutete. Hier ist am ehesten eine Anknüpfung an die Divination
möglich, wie sie in Schottland und auf den Hebriden bezeugt ist. Im
Kap. 46 der grossen Saga von Olaf Tryggvason (Fornm. s. 1, 76) wird er-
zählt, wie die alte Mutter des Königs Valdamar von Gardariki prophezeit^
dass ein vor kurzem geborener norwegischer Königssohn, der zu gewaltigen
Taten bestimmt sei, als Kind au den Hof Valdamars kommen und dort
aufwachsen würde. Dass es eine russische Seherin ist, von der die Saga
erzählt, kommt nicht in Betracht. Die Alte ist gebrechlich und liegt
immer zu Bett, aber sie ist framsßn af fitons anda. Am ersten Julabend
wird sie in die Königshalle vor den Hochsitz des Königs getragen und
von ihm gefragt, ef hün sa'e nokkura ütlenda hofdingja edr hermenn
vilja dgirnast riki hans. Die Alte findet dafür kein Anzeichen, en pö se
ek mikla s;jn ok mikils verda; nun folgt die Weissagung über Olaf. Hier
ist also der Vorstellung, dass wirklich Gesehenes, mit dem Auge Er-
fasstes verkündet oder gedeutet wird, sehr klar Ausdruck gegeben.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1Ö17. Heft 2. 7
2S Meissner:
Die Erforschung der Zukunft durch Träume, die im Leben der Nord-
germanen so wichtig ist, kann ich im folgenden unberücksichtigt lassen.
Frett, ganga til frettar kommen öfters in Verbindung mit seidr vor. Er
wird nach Snorri den Äsen durch Freyja gelehrt als eine den Wanen
eigentümliche Kunst: hon kendi fyrst med Asum seid, sem V<muvi var
titt. Yngl. s. kap. 4. Er wird verwendet at vita orlog manna {fatum, urlag
Notker Boethius 280, 14 Pip.) ok öordna hluti, svd ok at gera monnum hana
eda öhami7igju eda canheileiidi, svä ok at taka frd monnum vit eda afl ok
gefa odrum, Yngl. kap. 7. Der seidr, der eine Einwirkung irgendwelcher
Art bezweckt, kann hier übergangen werden, Snorri sagt, der seidr sei
den Göttinnen zugewiesen worden, weil die Männer der Götterwelt dieses
Treiben für ihrer nicht würdig angesehen hätten. Freilich Odin selbst
ist auch ein Meister in dieser Kunst. Snorri will erklären, warum der
seidr meist von Frauen ausgeübt wird, er weiss nicht, dass hierin uralter
Brauch sich erhalten hat. Über den seidr handeln ausführlich Finnur
Jönsson (prjär ritgjördir für Päll Melsted S. 5ff.), Gering (Über Weis-
sagung und Zauber im nord. Altertum, Kiel 1902), und über die berühmte
Stelle der Eirikssaga Magnus Olsen in Maal og Minne 1916, 1 ff. Die
Schilderung in der Eirikssaga, ein Glanzstück isländischer Erzählungskunst,
ist so ausführlich und klar, dass man sich auch besonders merken muss,
was hier nicht berichtet wird. Thorkell lädt die späkona auf seinen Hof,
um sie über die Landesnot zu befragen. Die Antwort wird erteilt, indem
von der späkona ein seidr veranstaltet wird (16, H; 16, 8 Storni). Das
geschieht im Hause, am Tage; porbjnrg, die späkona, sitzt dabei d seid-
hjaUinum, die Frauen des Hofes schliessen einen Kreis um sie, und Gudridr
spricht das Zauberlied, das zum seidr notwendig ist, die vardlokur. Die
späkona erklärt, dass viele Wesen (nättürur^) hinzugekommen seien und
sich an dem Liede erfreut haben, die vorher unhold waren, nun könne
sie Dinge leicht erkennen, die ihr vorher verborgen gewesen seien. Die
Seherin empfängt also ihre Weisheit durch mystische Verbindung mit
Wesen, die durch ein Zauberlied, das sie nicht selbst spricht, angezogen
werden. Olsen a. a. 0. nimmt an, dass vardloka ursprünglich bedeute 'das
die Geister Einschliessende', d. h. einen die Seherin umgebenden Kreis
singender Personen {raddlid).
Gudridr ist zwar eine Christin, aber noch herrscht das Heidentum in
Grönland. Es ist also festzustellen, dass hier beim seidr keine Mitwirkung
der Götter erbeten wird, kein Opfer stattfindet. Auch ist nicht davon die
Rede, dass die späkona in der Nacht vorher sich drausseu in geheimnis-
vollem Tun vorbereitet {ätiseta). Die einzige Vorbereitung, die erwähnt
wird, ist, dass sie am Abend vorher bestimmte Speisen zu sich nimmt
1) Die Anwendung dieses Wortes zeigt, dass der Erzähler von dem ursprüngliclieu
Wesen der wissenden Geister keine Vorstellung mehr hatte. Auch dass diese Wesen
durch das Zauberlied erfreut werden, ist Ausdeutung.
Ganga til frettar. 99
([{erzen von verschiedenen Tieren). Sie muss eine Nacht auf dem Hof
geschlafen haben, ehe der seidr veranstaltet werden kann, aber Träume
liegen ihrer Weissagung nicht zugrunde. Der seidr besteht hier also darin,
dass die Seherin einen magischen Kreis herstellt, zu dem die Geister
durch ein Zauberlied gelockt werden. Von ihnen erfährt die rolva, was
sie wissen will. Die schon erwähnte Schilderung der Vatnsd. s (S. 19)
ist nicht so klar, vor allem ist der Satz peir Tngjaldr efna par seid eptir
fornum sid til pess at menn leitadi eptir forhguvi sinum zunächst auffallend.
Dass die spdkona auf den Hof gekommen ist, wird erst im nächsten Satz
gesagt. Doch darf man das eftia wohl in dem Sinne verstehen, dass sie
veranlassen, dass ein seidr vorgenommen wird, Zukünftiges zu erfahren.
Dafür spricht, was dann weiter erzählt wird. Die Seherin Heidr in der
Orvar-Oddss. (kap. 2) führt ein raddlid von 15 Knaben und 15 Mädchen
mit sich, pn-iat par skijldi kvedandi vnkil, sem hon rar. Ingjaldr lädt sie auf
seinen Hof und bewirtet sie. Der weitere Verlauf ist hier aber ein ganz
anderer als in der Eirikssaga. Während die Bewohner des Hofes schlafen
gehen, begibt sich die v^lva mit ihrem raddlid ins freie nk efldi seid. Am
Morgen darauf fragt Ingjaldr, hrersu seidri?ui hefdi gengit. Die vnlca ant-
wortet, sie glaube jetzt der Dinge gewiss zu sein, die zu erkunden Ingjaldr
ihr aufgetragen habe. Sie nimmt dann ihren Sitz ein und die Männer,
Ingjaldr zuerst, ganga til frettar. Hier findet also die Zauberhandlung
wählend der Nacht draussen im Freien statt, ohne dass die Fragenden
zugegen sind. W^as die volca draussen vornimmt, wie sie zu ihrem Wissen
gelangt, wird nicht gesagt; da sie aber ihren Chor bei sich hat, ergibt
sich, dass auch hier Zauberlieder, wir dürfen ohne weiteres sagen vardlokur^
ein wesentlicher Bestandteil des seidr sind.
Wenig ist aus der bekannten Szene in der Saga Hrolfs kraka zu ent-
nehmen (Kap. 3). Die seidkona, rolva Heidr sitzt in der Halle des Königs
Frödi auf dem scidlijallr. Der König hat ihr eine bestimmte Frage vor-
gelegt; er will wissen, was aus den beiden von ihm vergeblich gesuchten
Söhnen seines Bruders Halfdan geworden ist und wo sie sich aufhalten.
Die Seherin gibt ihre Antworten in Versen. Zu beachten ist, dass sie sich
in einem starken Erregungszustande befindet (shrr pä i snndr kjoptimuni
ok geispar mjok ok rard lienni pä Ijöd d mimni). Signy, die Schwester der
beiden Halfdansölme, die unerkannt in der Halle sitzen, wirft der Seherin
einen Goldring zu, weil sie merkt, dass die nächsten Worte der Heidr zur
Entdeckung der Brüder führen müssen. Nun will die rglra nicht fort-
fahren und widerruft, was sie gesagt hat; der König zwingt sie aber durch
Drohungen, ihm nocli deutlicher Auskunft zu geben: hün gapir pä mjok.,
ok rerdr erfidr seid rinn ok nu kvad Intn visu. Hier wird also mit seidr
nicht eine Zauberhandlung bezeichnet, die der eigentlichen Weissagung
vorausgeht, sie ermöglicht, sondern seidr ist die Handlang des Auskunft-
erteilens selbst und bezieht sich auch auf den Zustand, aus dem heraus
IQQ Meissner:
die volva unter Zeichen starker Erregung ihre Sprüche formt. Dass dieser
Schilderung" eine lebendige Anschauung von dem eigentlichen Wesen des
seidr zugrunde liegt, ist nicht anzunehmen. Die Darstellungen in der < )rvar-
Oddssaga und Eirikssaga sind unbedingt bedeutsamer.
Kenningar wie scerda, vignt seidr für Schlacht, in denen sädr wie
sonst galdr gebraucht wird, sprechen dafür, dass beim seidr das Zauber-
lied die Hauptsache ist. Vergleicht man die Darstellung der Eirikssaga
mit der der Qrvar-Oddssaga, so kann wohl kein Zweifel darüber sein, dass
beim seidr weder Zeichen noch Opfer in Frage kommen können, die
Seherin gewinnt ihr Wissen von unsichtbaren Wesen, die durch ein Zauber-
lied gezwungen werden, es ihr auf geheimnisvolle Weise mitzuteilen.
In der Orvar-Oddssaga aber vernimmt die vQica diese Stimmen in der
Nacht und au einsamem Orte. Das Eigentümliche hierbei ist die Mit-
wirkung des raddlid. Wenn sonst in der Xacht und draussen Zauber
geübt wird, um Verhülltes in Erfahrung zu bringen, ist der Fragende
allein.
Die ütiseta, das sifja üti wird in den nordischen Quellen oft er-
wähnt; welche Handlungen vorgenommen, ob Zaubersprüche angewandt
werden, auf welche Weise der draussen Sitzende sein Wissen erlangt, er-
fahren wir dabei nicht. Das Christenrecht der norwegischen Gesetze ver-
bietet die ütiseta, das isländische Gesetz erwähnt sie nicht unter den ver-
botenen heidnischen Gebräuchen. Aus dem Wortlaut des norwegischen
Verbots geht hervor, dass auch hier wie beim seidr Geister gezwungen
werden, ihr Wissen mitzuteilen, ütisetu at vekia troll upp at fremia heidni
med Jwi (iGn\a\ängs\oY 32) Ngl 1, 19, und darnach in andern Gesetzen
wiederholt, vtisetinnenii er troll veckia Ngl 2, 497.
Es ist anzunehmen, dass die ütiseta zunächst dazu bestimmt ist, die
Verstorbenen dazu zu zwingen, ihr höheres Wissen mitzuteilen. Wie
die Vorstellungen vom Zustande der Verstorbenen verschieden sind und
sich wandeln, wird auch die ütiseta verschiedene Formen gehabt haben.
Setzt der Leichnam im Hügel eine Art von Leben fort, so erzwingt der
Zauber körperliche Erscheinung des Toten'). Sind die Seelen von den
1) Eine ganz eigentümliche Totenbefragung ist bei Saxo geschildert (1, 3S Müller).
Der Zauberspruch wird auf ein Ilolzstück geritxt, das dem Toten unter die Zunge ge-
schoben ^vird und ihn zum Spreclien zwingt. Die Toten können unter Umständen durch
ihre blosse Erscheinung erkennen lassen, was der Beschwörer zu erfahren wünscht. So
ist es bei der Totenbeschwörung, die Thrandr von Gata vornimmt. (Fa^r. s. Kap. 40). Er
will wissen und vor Zeugen feststellen, auf welche Weise Sigmund und seine Gefährten
ums Leben gekommen sind. Von den Toten erscheinen zwei in triefenden Kleidern, sie
gehen möglichst nahe an das Herdfeuer heran und strecken ihre Hände danach aus -
sie sind ertrunken; der dritte, Siegmund, tritt blutbespritzt herein und trägt seinen Kopf
im Arm - er ist erschlagen worden. Die Beschwörung wird hier innerhalb des Hauses
vorgenommen. Um das Herdfeuer stellt Thrandr ein im Viereck geschlossenes Gehege,
innerhalb dessen er Platz nimmt (r/rindr fjörar hetr haiin gera med fjoriim honium).
Das Gehege wird mit neun Linien umzogen (»/« reiict ristr prdudr alla irr/n >it frd
Ganga til frettar. 101
Körpern gelöst, so ist anziinehmoii, dass sie unter dem Zauber in Tier-
gestalt erscheinen oder auch ganz unsichtbar bleiben und auf ge-
heimnisvolle Weise dem Fragenden sich mitteilen. — Yerblasst die
Vorstellung der ursprünglich befragten Wesen, so wendet sich der Zauber
an alles Geisterhafte, was in der dunklen Nacht auflebt, im Flüstern der
Blätter, dem Rauschen des Wassers, in Zeichen aller Art zu dem Ver-
stehenden spricht. — Dass die ntiseta auch im Norden — vielleicht
ursprünglich allein — an Gräbern vorgenommen wurde, ist an sich
glaublich im Hinblick auf die bekannten Zeugnisse aus den andern
germanischen Gebieten. Eine nordische Stelle ist in diesem Zusammen-
hange erwähnenswert: hinn fijrva lut af sinnar var Iiann heidinn oc
hofdingi annarra Uhirkia, hinn fnrgazti at utisetum ok alhkonar ödädum
Heil, manna s. 2, 411, 15. Der Übersetzer hat hier in eigentümlicher
Weise seine Vorlage umgebildet, denn liinn fragazti at ütisetum gibt das
lat. sejmkhronim violator wieder (hie autem primo gentilis fuit, latronum
maaimus et scpulchrorum violator, atque in ornnibus flagitiis opinatissimus) .
Auch i[\eütiseta kann mit einer bestimmten Fragestellung vorgenommen
werden: snl segja menn, at Gunnhildr . . . k'fi sitja üti til sigrs Hdkoni:
en fjat ritradi, at peir skyldi berjask cid Inga um nött, en aldrigi um dag.
Heimskr. Hak. Herd. Kap. 16 (2. Hälfte des 12. Jahrb.). Diese Stelle
zeigt, wie fest das norwegische Volk diesen Brauch bewahrte. Es ist
charakteristisch, dass Skidi auf seiner nächtlichen Traumreise an der Küste
Norwegens mit einem Manne in Streit gerät, der vtiscta ausübt:
ütisetuna eftir lianyi
ok (ctlar spädöms leita.
Skidar. 56. Sveinn brjöstreip, der stafnbüi des Orkneyjarls Fall übt
unter Christen den heidnischen Brauch der ütiseta. Er wird daher, wie
das in christlich gefärbter Erzählung öfter vorkommt, als ein Mann von
dunklem, unheimlichem Äusseren geschildert (Fiat. b. 2, 448 fP.). Er
erfährt durch die ütiseta zukünftige Dinge, nach der Meinung der Christen
vom Teufel selbst. Als er getötet ist, erklärt der Bischof das für eine
grindunumj. Dass Thrandr eine Beschwörungsformel gebraucht, wird nicht gesagt. Er
verbietet den Anwesenden, ihn anzureden, und sitzt eine Zeitlang da, bis die Toten er-
sclieineu. Nach Beendigung der Zauberhandlung ist er ermattet: ok eptir petta ri'ss
/»■(indr at st'-iiniim ok varpar maniUga ondunni. Die neun Linien sollen natürlich zum
Schutze des Beschwörers dienen. Wenn der Sitz der isländischen Richter von solchen
Linien umzogen wird, deren tberschreiten Unbefugten bei Strafe rcrboten ist, so darf
man auch hier an die Nachwirkung der magischen Bedeutung denken; noch mehr gilt
das von der Umgrenzung des Kampfplatzes beim Holragang, Zwei eingeritzte Linien um-
geben den Platz der Richter: peir scolo rista reito 11 fyrir i'da» pat er dijmendr sitja
Grägäs 72 cod. reg. Der feldr, auf dem der Zweikampf stattfindet, wird durch drei im
Viereck geschlossene Linien eingehegt, das äusserste Viereck ist ausserdem durch vier
Stäbe bezeichnet: prir reitar skidu umhvcrps feldinn fds hreidir, iH frd reif um skulu veru
ste>i(fr JV ok heita pat hQshir Kormakss. Kap 10. Eine neunfache Umkreisung findet sich
bei der Beschwörung, die Romuald vornimmt (s. unten die Stelle aus der Mariusaga).
102 Meissner:
Landreinigung. Hiermit ist eine weitere Entwicklung der vtiseta sclion
angedeutet, sie wird zur Teufelsbeschwörung; dabei tritt dann die Er-
fragung zukünftiger Dinge mehr in den Hintergrund, der Beschwörer sitzt
draussen in der Nacht, um sich Reichtum, Zaubergewalt u. a. zu ver-
schaffen.
Der ütisefa entsprechen gleiche Bräuche im deutschen Altertum, die-
sich in mannigfacher Umbildung bis in die Gegenwart erhalten haben,
besonders das Draussensitzen auf Kreuzwegen (Grimm, Dt. Myth."
Ö. 1069; Koegel, Literaturgesch. 1,29; Wuttke, Yolksaberglaube^ §359:
E. H. Meyer, Mythologie d. Germanen, Strassburg 1903, S. 308; Golther^
Handb. d. germ. Myth. S. 644 ff). In Ideotharsazzo. hleodarsizzeo, 7iegro-
manticus (Gloss. 1, 215, 33) ist einmal, wie in ütisefa das Sitzen aus-
gedrückt, zweitens wird angedeutet, dass das Gehör bei dieser Zukunfts-
erforschung hauptsächlich beteiligt ist.
Auch bei den Japanern gibt es eine Art von Divinatiou auf Kreuz-
wegen. Sie wird am Abend vorgenommen. Auf einem Kreuzweg stösst
der Frager einen Stock in den Boden, Neben ihm nimmt er seinen
Stand und sucht nun aus den Bemerkungen Vorübergehender, die er er-
lauscht, die Antwort ^auf seine Fragen zu entnehmen. Gegen die Ein-
wirkung böser Geister schützt man sich durch ausgestreuten Reis (Hastiugs,
Encyclopaedia of Religion and Ethics 4, 802 b).
Eine ganz eigentümliche Divination wird im gäl. mit taghainn be-
zeichnet. Schon J. Grimm erwähnt sie unter den Arten der Zukunfts-
erforschung, Dt. Myth. * 2, 934. Eine poetisch ausgestaltete Beschreibung
gibt W. Scott (The Lady of the lake 4, 4—5):
It is, because last evening-tide
Brian an augury hath tried,
of that dread kind which must not be
unless in dread extremity,
the taghairm call'd
Duncraggan's milk-white bull they siew.
bis reeking hide
they stretch'd the cataract beside,
whose waters their wild tumult toss
adown the black and craggy boss
of that huge cliff, whose ample verge
tradition calis the Hero's Targe.
Couch'd on a shelve bencath its brink,
close where the thundering torrcnts sink,
rocking beneath their headlong sway,
and drizzled by the ceaseless spray,
midst groan of rock, and roar of stream,
the wizard waits prophetic dream.
Vgl. ferner Mac Culloch, The religion of the ancient Celts p. 249:
Halliday, Greek divination p. 131. Dalyell (The darker superstitions of
Ganga til frettar. 103
Scotland. Glasgow 1835, S. 495) gibt folgende Schilderung, die in den
wesentlichen Zügen mit der Beschreibung bei W. Scott übereinstimmt:
here the querent was wrapped in a cow's hide, his head alone remainin^
free, and carried by assistants to a solitary spot, er left under the arch formed
by the projected waters of a cataract; where he continued during night, while
other beings seeming to flit around him, he derived that Inspiration from them,
which he delivefed as an oracular reponse to his comrades, on the following day.
taghainn wird mit Widerhall, Echo, übersetzt. Darf man annehmen,
dass auch hier die Offenbarung durch das Gehör vermittelt wird? J. G.
Campbell freilich (Superstitions of the Highlands and Islands of Scotland
p. 311) gibt taghait'vi mit spirit-call, the calling of spinU from the vastjj deep
wieder. Der Verfasser bemerkt, dass diese Art der Divination jetzt völlig
vergessen ist. — Mit taghairm wird, so berichtet er p. 304fF., auch eine
grässliche Art der Teufelsbeschwörung bezeichnet, die darin besteht, dass
der Beschwörer lebende Katzen über dem Feuer brät, bis der Böse in
Katzengestalt erscheint, auf die gestellten Fragen Antwort gibt oder sich
zu den verlangten Leistungen verpflichtet {gicing his supper to the devil).
Hierzu vgl. Roskoff, Geschichte des Teufels 1, 327. Ein Meisterlied dos
H. Sachs im schwarzen Tone Klingsors erzählt von einem Nigromanticus,
der mit einem Bürger wettet, alle Katzen der Stadt eines Nachts auf dem
Markt zusammenzubringen. Er bindet eine alte Katze an einen Bratspiess
und zündet Feuer um sie an, alle Katzen kommen zusammengelaufen und
heulen mit der gequälten. Hier ist die Beschwörung zu einem 'Spass'
geworden, freilich heisst es noch: 'und darnach sein peschwerung sprach'
(H. Sachs, Schwanke 5, 239 ed. Goetze). Alle Wahrscheinlichkeit spricht
dafür, dass das Wort taghairm auf diese Zauberhandlung erst übertragen ist.
In hohem Grade altertümlich dagegen erscheint die Divinations-
handlung, die unter dem Wasserfall vorgenommen wird.
Die Verwendung der Tierhaut ist auch sonst vielfach bezeugt, besonders
bei Incubationsriten, vgl. Halliday a. a. O.; Deubner, De incubatione,
Lpz. 1900, p. 27. Der Fragende überträgt auf sich die in der Haut
steckende magische Kraft. Sitzen auf der Tierhaut bei einer ntiseta be-
zeugt die bekannte Stelle aus dem 19. Buch der Canonensammlung des
Burchard v. Worms: vel in bivio sedisti supra taurinam cutem, ut et ibi
futura tibi intelligeres (Friedberg, Aus deutschen Bussbüchern S. 84).
Die Handlung wird hier in der Neujahrsnacht vorgenommen, die ja
überall als besonders zur Divination geeignet gilt. Unmittelbar vorher
wird das Sitzen auf dem Dach erwähnt: aut supra tectum domus tuae
sederes, ense tuo circumsignatus, nt ibi videres et intelligeres quid tibi
in sequenti anno futurum esset. Abwehrendes Schwert und Tierhaut finden
wir in einer nordischen Legendenübersetzung^):
1) Vgl. S. IX in Ungers Einleitung. Die Legende fehlt in den von ihm eingesehenen
lateinischen Sammlungen. — Auch mir ist es bisher nicht gelungen, die lat. Vorlage dieser
104: Meissner:
pd er pü ceiluzt at fara til hardaga imöt lieidmnn monnum, pd ferr pü Hl
sköcjar nockrs, Pess er nähegr er borg Pinni, ok med per pjönn pinn einn, sä er veit
med per gloep pinn. Pü hdr pd bJodga eina nautshüd petiia, ok eptir pat gjorir
pü med blödreßi pess sverdz, er pii ert gyrdr nin reita iLmhverfis hüdma ok kcedr
par yfir galdra yßr peim reitum. Eptir pat setz pü ä hüdma ok koedr Par galdra,
par til er fjändinn sjdlfr sf/nilzt per ok vueler vid pik ok segir per pd hluti, er pü
vilt rita, ok eptir pat veitir kann p>'r si7m krapt, til pess at pü sigrizt i bardaga ü
(h'inutn ]>ininn. Mariusaga 730, 11.
Hier finden wir die neun Bannkreise wieder, durch die aach Thrandr
sicli schützte.
Ausführlich und in mehreren Beziehungen lehrreich ist die Schilderung
des Divinationsverfahrens bei Jon Ärnason, pjödsögur 1, 436. Die Zeit ist
die Neujahrs- oder Johannesnacht, der Ort ein Kreuzweg, von dem aus vier
Wege, ohne sich weiter zu teilen, zu vier Kirchen, d. h. zu vier Friedhöfen
führen. Ein uraltertümlicher Zug ist es, dass die Toten es sind, die ihr Wissen
mitzuteilen gezwungen werden. Der Beschwörer liegt wie beim taghainn
eingehüllt in eine Tierhaut (Rind oderWalross), er hat eine Axt bei sich, die
er zwischen den Händen hält. Er muss so bis zum Morgengrauen liegen,
ohne sich zu rühren, in unverbrüchlichem Schweigen, stets auf die Schneide
der Axt, nicht rechts oder links davon sehen. Der alte Sinn der bösen
Zauber abwehrenden Waffe scheint hier vergessen, man könnte fast denken,
dass eine hypnotisierende Wirkung beabsichtigt ist. Es kommen nun aus
den Friedhöfen alle Verwandten des Beschwörers, die dort begraben liegen,
und erzählen ihm, was er wissen will^).
Die Form des taghairm, dass der Fragende unter den Bogen eines
Wasserfalles gelegt wird, erklärt sich aus dem uralten und weit ver-
breiteten Glauben an die wissenspendende Macht des Wassers^). Über
Legende zu linden, so dass unsicher bleibt, was au der Schilderung der ütiseta nordisch
ist. Die Erzählung geht aber jedenfalls zurück auf die vita S. Barbati (Acta Sanctorum.
Februar o, 139; krit. Ausgabe von Waitz in den Script, rerum Langob. p. 555).
1) Bei Anzengruber sitst der Schatzgräber in der gleichnamigen Erzählung bei der
Teufelsbeschwörung mit blankem Schwert auf der Kuhhaut; ausser dem Schwert hat er
noch zum Schutz eine geweihte Kerze bei sich (Werke 4, 55). Interessant ist die Schil-
derung der ütiseta in Hammershaimbs F;crosk Anthologi (1, 34-2 . Zweck der Beschwörung
ist die Erlangung von Reichtümern, sonst erinnert manches an die iHiscta in den islän-
dischen Volkssagen. Der Beschwörer sitzt auf einer Kalbshaut, die er auf einen Kreuz-
weg gelegt liat. Er muss eine Axt ununterbrochen schleifen, darf seine Augen nicht von
der Axt wegwenden, was er auch von den Trollen gefragt wird, nichts anderes sagen als:
eg l-vöki, cg kvöki (ich schleife, ich schleife). Die Trolle versuchen dann die Haut am
Schwanz fortzuziehen: da muss er, ohne sich umzuwenden, mit der Axt den Schwanz ab-
schlagen, und die Axt darf niclit schartig werden. Gelingt ihm das, sind die Schätze sein,
die von den Trollen um ihn aufgehäuft werden.
2) Auch das Meer ist wissend. Nach irischem Glauben kann der Kundige* vom
Strande aus einen Zauber auf die Wogen legen und versteht dann, ob das Meer einen
Toten beklagt oder ein grosses Ereignis verkündet. Mac CuUoch, The religion of the
ancient Celts p. 179. In den schönen Versen des Ynglingatal
ok aiistmarr Gi/mia Ijöd
'ofri soenskum at gainni krcdr
Gauga til fiettar. 1()5
Incubation an heiligen Quellen im Altertum vgl. Halliday, Greek divi-
iiation p. 128 ff. Zum taghainn verweist er auf die Schilderung der
Faunusquelle bei Yergil (Aen. 7, 81 ff.). Hier findet sich der magische
Gebrauch der Tierhaut (des Opfers freilich) wieder:
huc dona sacerdos
cum tulit et caesarum ovium sub nocte silenti
pellibus incubuit stratis.
Die vseitere Ausdeutung gehört dem Dichter an, der wohl überhaupt hier
Fremdes übertrcägt (Heiuze, Yergils epische Technik ^ S. 176, 2). Ein
Wachen an Quellen wird bei den Angelsachsen verboten: si quis sortilegia
vel divinationes exerceat, vel vigilias suas ad fontem aliquem (bis wa:ccan
rct ffinigum wylle ha-bbe), vel ad aliam quamcunque creaturam, praeter
at Dei ecclesiam, habeat. Ecgberti Poenitentiale 4, 19. Zum Sinn von
creatura vgl.: ad fontem aliquem, vel ad lapidem, vel ad arborem vel ad
alias quaslibet creaturas. 2, 22.
Die Bewegung des Wassers ruft die Vorstellung eines bewegenden
NYesens hervor. So ist die aus der Erde rinnende Quelle, der brausende
Wasserfall die Stätte, wo man mit diesen Wesen in Yerbin-dung tritt:
at ti'üa d lundva-ttir at sc / lundiwi wda haugum ada forsovi svd ok üti-
sa'ttar at spyria orlaga NgL 2, 308 (neueres Christenrecht des Gulap). Die
Erwähnung der ütisetu an dieser Stelle weist darauf hin, dass man sich
auch im Norden an die im Wasserfall Hausenden fragend wandte. Ein
isländischer Wasserfallverehrer ist porsteinn raud;nefr: liann hlötadi forsinii
.... liami rar ok framspin mjok. Landn. 110, 15 F. I.
Wie der Seher, so empfängt auch der Dichter oder ^lusiker seine
Gabe vom Wasser oder den an das Wasser gebundenen Wesen. Der norw.
Fossegrim, der das Geigenspiel lehrt, wohnt im Wasserfall. Ganz an den
gälischen Brauch des taghainn erinnert die leider lückenhaft überlieferte Stelle
am Anfang der Jömsvikingadräpa des Bischofs Bjarni Kolbeinsson, und es
ist wohl kein Zufall, dass dies Zeugnis gerade von den an der schottischen
Küste gelegenen Orkneys stammt:
vaskak f[rödrj und forsinn
fdrk aldregi at goldrum.
Hier wird das Wissen wie beim taghairni durch das Sitzen unter
dem Wasserfall erworben, es ist eine Zauberhandlung, bei der die Yor-
stellung eines im Wasserfall hausenden, menschenähnlich gedachten
Wesens nicht vorausgesetzt zu werden braucht.
liegt wohl mehr als die moderne Vorstellung vom 'Lied der Wogen'. Das Lied hat
wirklich einen InhaU, der von dem Toten in seinem Grabe am Strande verstanden wird.
Wie bei den Gewässern des Landes wird auch beim Meer dann das Wissen übertragen auf
die im Wasser lebenden Wesen, vgl. die nordischen Sagen vom murinennill.
Bonn.
106 Schläger:
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung.
Von Georg Schläger.
Yorbemerkung.
Bei den Vorarbeiten zu einer knappen, grundrissmässigen Darstellung
des Kinderliedes und -Spieles empfand ich bald, welche Schwierigkeit
es bereiten würde, die grundlegenden Fragen in der geforderten Kürze
und doch verständlich zu behandeln. So viel nämlich in den letzten Jahr-
zehnten besonders von Philosophen und Anthropologen für die Erforschung
des Spiels geleistet worden ist, so fehlt es doch an einer kürzeren Zu-
sammenfassung des weitschichtigen Stoffes unter dem Hauptgesichtspunkt,
von den gewonnenen Grundlagen aus den Weg zur Beurteilung der
einzelnen volkskundlich wichtigen Spielgruppen so deutlich wie möglich
zu bezeichnen. Ich habe mich deswegen entschlossen, zur Entlastung mei-
ner späteren Arbeit ein paar vorbereitende Aufsätze zu schreiben und sie
den Lesern dieser Zeitschrift zu unterbreiten.
I. Über Wesen und Ursprung des Spieles.
Die wissenschaftliche, auf den Kern des Wesens zielende Betrachtung
des Spiels scheint mit Kant^) zu beginnen. In der nachgelassenen Schrift
über Pädagogik (§§ 64, 66) bezeichnet Kant treffsicher zwei Merkmale,
die sich auf lange hinaus als besonders bedeutsam erwiesen haben: das
Spiel ist freie, selbstgewählte Beschäftigung, und es ist Selbstzweck.
Dahin gehört z. B. das Spazierengehen: wer nur im Gehen selbst Zweck
und Genuss sucht, wird sich auch Zeit nehmen und behaglichen Um-
weg nicht scheuen, wem aber Arbeit oder erwartete Gesellschaft das Ziel
vorschreibt, der wird gern den kürzesten Weg wählen. — Und in der
Kritik der Urteilskraft finden wir wenigstens andeutungsweise einen der
wichtigsten Zusammenhänge aufgewiesen. Der ästhetische Sinn, dem Kant
seinen Platz zwischen Erkenntnis- und Begehrungsvermögen anweist, hat
mit diesen beiden nichts zu tun, sondern 'beruht lediglich in Lust und
Unlust: er forscht nicht, er fordert nicht, er urteilt in reiner Betrachtung,
ohne Zweckvorstellung, mit „freiem und uninteressiertem Wohlgefallen".
Besonders scharf bezeichnet sich die Grenze gegen die Welt der sittlichen
Forderungen. Die moralische Denkungsart „enthält ein Gebot und bringt
ein Bedürfnis hervor, da hingegen der sittliche Geschmack mit den Gegen-
ständen des Wohlgefallens nur spielt, ohne sich an eines zu hängen"
(§ 5, Schluss). Hier ist mit genialem Tiefblick die innere Verwandtschaft,
ja Wesensgleichheit von Spiel und Kunst erkannt.
1) Vgl. K. Fischer, Geschichte der neueren Philosophie ö'*, Heidelberg 1S99, S. 410 bis
447. — Über die nachkantischen Auffassungen Tgl. R. Eisler, Wörterbuch der philosophi-
schen Bpgriffe^ Berlin 1910, unter 'Spiel'.
Einige CTi-undfragen der Kinderspielforschung. 107
Kants Andeutungen hat Schiller^) in den Briefen über die ästhetische
Erziehung des Menschen weitergebiklet. Es gibt zwei gegensätzliche
Grundtriebe unserer sinnlich-vernünftigen Natur, die jeder für sich unser
Leben einseitig anspannen: der sinnliche Trieb (Sachtrieb) gibt sich
der Natur mit ihren Kräften hin, der Form trieb will Gesetz und Not-
wendigkeit in die ungestalte Masse der 'Empfindungen' bringen, sie be-
herrschen. Aus ihrem gleichstarken Wirken gegeneinander ergibt sich
aber sofort ihre Versöhnung in einem mittleren, dem 'ästhetischen' Zu-
stande, den wir einem dritten, vermittelnden Triebe verdanken, dem Spiel-
trieb. Dieser ästhetische Zustand, der frei und uninteressiert in reiner
Betrachtung aufgeht, lässt sich bildlich so darstellen, dass beide Wagschalen
nicht etwa leer, sondern mit gleichem Gewichte beschwert einander gleich-
schweben; Ergebnis und zugleich ausschliesslicher Gegenstand ist die
Schönheit. In diesem freien Spiele der Phantasie mit der blossen Form
der Dinge erhebt sich der Mensch aus der einseitigen Herrschaft der bei-
den Gruudtriebe, aus Ideenzwang und Sinnenrausch zur Freiheit, zur
wahren 'Menschheit'. Dieser Zustand ist freilich nirgends rein vorhandeu.
aber das Spiel („alles das, was weder subjektiv noch objektiv zufällig ist
und doch weder äusserlich noch innerlich nötigt" Brief 15) kommt ihm
am nächsten. So gipfelt Schillers Gedankenreihe in dem berühmten Aus-
spruch: „Der Mensch spielt nur. wo er in voller Bedeutung des Worts
Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt" (Brief 15}
Über Kant hinaus sucht Schiller von der blossen Wesensbestimmung
zu den W^urzeln des Spieles -vorzudringen. Er hat auf den Kraftüber-
schuss hingewiesen (Brief "27) — ausdrücklich zwar nur für das Tier — . und
damit einen weiteren Angelpunkt späterer Forschung vorausbezeichnet.
Betrachten wir Schillers geschlossene Gedankenkette, so ist es deut-
lich, dass er das gesamte Reich der Kunst und vornehmlich die Dicht-
kunst vor Augen hat: man halte zu dem angeführten Ausspruch sein ge-
legentliches Wort: „Der Dichter ist der einzige wahre Mensch, und der
beste Philosoph ist nur eine Karikatur gegen ihn" ^). Ob er das eigent-
liche Kinderspiel, ja überhaupt das Spiel im landläufigen Sinne der Be-
achtung für w^ert hält, ist eine andere Frage („Freilich dürfen wir uns
hier nicht an die Spiele erinnern, die in dem wirklichen Leben im Gange
sind und die sich gewöhnlich nur auf sehr materielle Gegenstände richten;
aber in dem wirklichen Leben würden wir auch die Schönheit vergebens
sucheii, von der hier die Rede ist" Brief 15); er denkt weit mehr an die-
Erziehung des Wilden zur Kultur, den „Eintritt in die Menschheit" (Brief ^i))
als an den Entwicklungsgang des Kindes zur Reife, und es seheint, dass
1) Vgl. K. Fischer, Schiller als Philosoph 2, Heidelberg 1892, S. 306—310; Groos
Spiele der Tiere ^ S. 2.
2) E. Kühnemann, Schiller \ Münclicn 1908, S. 395.
108 Schläger:
■er das Kind nur vergleichsweise heranzieht („In seinem [des Geschmacks]
Gebiete miiss auch der mächtigste Genius sich seiner Hoheit begeben und
zu dem Kindersinn vertraulich herniedersteigen" Brief 27). An die aller-
ersten Kinderspiele aber, von denen eine entwicklungsgeschichtliche Be-
trachtung otfenbar ausgehen muss, hat Schiller überhaupt nicht gedacht,
sie würden für ihn sicherlich unter den sinnlichen Trieb fallen, der ja zu-
erst wirksam wird (Brief 20, Anfang). Und doch: betrachten wir die lösende,
beruliigende Wirkung auch der ersten Spiele, den Zustand völliger Aus-
gleichung des Gemüts, so fordert uns Schillers Gedankengang unwillkürlich
zur Weiterfüln^ung auf. Wir können nicht dabei stehen bleiben, dass der
Spieltrieb erst mit dem Erwachen des Bewusstseins wirke, wie es für
Schillers idealistisch-selbstherrliche Denkweise der Fall sein muss (Brief 20):
wohl aber scheint es ganz einleuchtend, dass schon im unbewussten Spiel-
zustand die Beunruhigung durch äussere Eindrücke und die erste gestaltende
Verarbeitung einander aufs glücklichste die Wage lialten. Auf das ent-
wickelte Kinderspiel gar lässt sich Schillers Deutung ohne allen Zwang
anwenden. Hier ist in der Tat der Stoff ohne einseitige Anspannung
bewältigt, „der Stoff durch die Form vertilgt" (Brief 22): die spielen-
den Kinder fülilen sicli ebensowohl als Empfangende wie als Gebende und
ünden so immer wieder volles Genügen, während man doch erwarten könnte,
dass die beständige AViederkehr sie langweile. Man beobachte ein Kind,
das in ein noch unbekanntes Spiel Idneingezogen wdrd: eine kurze Zeit
lang spielt es noch nicht, sondern lernt in erkennbarer Spannung, dann
aber ist ihm das Neue sogleich völlig zum inneren Eigentum geworden,
so dass es binnen kurzem vergessen haben kann, wie neu die Bekannt-
schaft ist — was den nachspürenden Sammler oft genug in Verlegenheit
bringt. A\'ie wenig der bekannte Stoff den Reiz des Spieles mindert, das
zeigt sich besonders deutlich an den Rätselspielen; wie wenig das Kind
dem Stoff unterworfen ist, das beweist die Art, wie es in jedem Augenblick
aus dem Schein zur Wirklichkeit zurückkehren kann.
Mag also Schillers vermittelnder 'Spieltrieb', nändich seine Entstehung
aus oder sein Verhältnis zu den beiden 'Grundtrieben" nicht ganz klar her-
ausgearbeitet sein, und müssen wir auch den Ausgangspunkt und die selbst-
herrliclie Begrenzung al>lehneu, so hat Schiller doch die spätere Erkennt-
nis gefördert wie kein anderer. Für die neueren Untersuchungen über
das Wesen der Kunst hat sich die Gleichsetzung von Spiel und Kunst als
besonders fruchtbar erwiesen i). ^
1) E. Grosse, Die Anfänge der Kanst, Freiburg und Leipzig 1894, fasst das Spiel
als eine Übergangsform zwischen praktischer Tätigkeit und Kunst, setzt aber Spieltrieb und
künstlerischen Trieb im wesentlichen gleich S. 40,29-4;. Folgericiitiger bezeichnen K. Lange,
Das Wesen der Kunst, Berlin 1901, und K. Groos, Der ästhetische Genuss, Giessen 190'2,
die Kunst als ein besonders entwickeltes, verfeinertes Spiel. Vgl. dazu die naheliegenden,
iibcr nicht durchschlagenden Einwände W. Wundts, Grundzüge der physiologischen Psycho-
Einige (Trundf ragen der Kinderspielforscliung. 109
Völlig von den beiden Leitgedanken des Kraftüberschusses und der
Nachahmung beherrscht ist H. Öpenceri) (Prinzipien der Psychologie
§§ 533 f., dazu Prinzipien der Soziologie §§ 48, 56), der übrigens auch die
Verwandtschaft des Spieltriebes mit dem ästhetischen Triebe gelten lässt.
Die richtige Beobachtung, dass im Tierreich das Spiel wesentlich den
höheren und höchsten Gattungen eignet, führt Spencer zu der Annahme,
dass diese nicht alle ihre so vielseitig ausgebildeten Kräfte auf einmal zur
Erhaltung des Lebens beschäftigen können und demnach in langen Ruhe-
zeiten grosse Vorräte an Lebenskraft aufspeichern, die aucli olme ernsten
Aulass zur Betätigung drängen und sich im Spiel entladen. Das Spiel
aber stellt sich nach Spencer als eine Nachahmung der ernsthaften Be-
tätigung der Kräfte dar: so spielt das Kätzchen mit dem Knäuel, als wenn
es eine Maus wäre, und so sind die Kinderspiele „lauter Dramatisierungen
der Tätigkeiten Erwachsener".
Dass Spencers — übrigens sehr wichtige und fruchtbare — Leitgedan-
ken nicht an die Wurzeln des Spieles rühren, lässt sich rasch dartun. Auch
auf ermüdete und zwar vom Spiel ermüdete Tiere übt derselbe Reiz immer
wieder eine anfeuernde Wirkung aus; und Kinder, die vom langen Marsche
schwer ermattet waren, sind am Rastziel fast augenblicklich für ein an-
logie» 3, Leipzig 1911, S. 18G f. Auch was Wuudt im 3. Bande seiner Völkerpsychologie %
Leipzig 'l908, über die 'bewusste Selbsttäuscliung' sagt, scheint mir die Frage zu kurz ab-
zutun. Während er zunächst /S. 76) den Widerspruch zwischen Phantasie und Wissen
beim Kinde vollständig anerkennt, will er weiterhin ,S. 81 f.; überhaupt keine Selbsttäuschung
gelten lassen: „Das dem Spiel dienende Phantom unterliegt weder einer täuschenden Um-
wandlung, noch soll es ein stellvertretendes Zeichen sein, sondern es wirkt lediglich als
ein Reiz, der das dem wirklichen Gegenstand anhaftende Gefühl auslöst Dazu muss
allerdings eine wenn auch noch so lose Beziehung lu dem Gegenstand exis'tieren''. So wäre
dem Puppenmüttercheu das Stück Holz, an das es seine Zärtlichkeit verschwendet, gar
kein Abbild des Kindes oder auch nur der Puppe? Soll man wirklich annelimen, dass
es einen so starken Reiz ausüben kann lediglich weil es Ifinglich ist, oder weil es sich
etwa in Tücher einwickeln lässt — was übrigens doch wohl die Umgestaltung durch die
Phantasie schon voraussetzen würde? Mir scheint umgekehrt, dass der Anreiz von der
Phantasievorstellung ausgeht, und dass eben die strömende Gefühlswärme, die Wundt mit
Recht betont, stark genug ist, um dem formlosen Holzstück die wohlbekannten Züge zu
verleihen. Koramt es doch sogar vor, dass ein Kind das Nichts zum Spielzeug erhebt,
z. B. bloss die Arme schaukelnd bewegt: wo soll da die „Beziehung zu dem Gegenstand",
der „Reiz des Phantoms" zu linden sein? Grade diese Beobachtung macht es mir unmög-
lich, mit Wundt (ebenda S. lOi*; den Unterschied zwischen Spiel und Kunst darin zu suchen,
dass jenes nur unmittelbar der Umgebung entnommene Gegenstände oder „Erzeugnisse
einer ausserhalb liegenden Kunstfertigkeit" verwende, während diese ihre Gegenstände
selber schaffe. Dies tut auch das spielende Kind, aber es bleibt bei dem inneren Bilde
stehen, weil es eine treue äussere Nachbildung weder herstellen kann noch überhaupt braucht.
1) Vgl. bes. Groos, Spiele der Tiere« S. 3-22. — H. A. Carr The survival values
of play, Univ. Colorado 1902; dazu Groos, Das Seelenleben des Kindes S. 58ff.) ersetzt
den Kraftüberschuss durch die im jugendlichen Alter besonders ausgeprägte, von innen
heraus gespeiste Erregbarkeit (Groos erinnert an den Typus 'Zappelphilipp'). Beim
Tiere leuchtet aber diese Erklärung nicht recht ein. Im Grunde führt sie nicht weiter als
die allgemeinere aus dem Betätigungsdrange.
110 Schläger:
strengendes BeweguDgsspiel zu liaben, wie jeder erfahrene Lehrer bestäti-
gen wird. Hier versagt die Erklärung aus dem Kraffcüberschuss. Ander-
seits können die ersten Spiele der jungen Tiere und Säuglinge unmöglich
unter die Nachahmung im eigentlichen Sinne gehören, weder unter die
-eigner vorausgegangener Ernsthandlungen noch unter die des Treibens
Erwachsener. Somit enthüllt sich hier der Hauptmangel der älteren For-
schung: sie ist zu einseitig vom entwickelten Spiele der grösseren Kinder
und der Erwachsenen ausgegangen, das in Wahrheit nichts weniger als
•einheitlich, vielmehr aus den mannigfaltigsten Lebensäusserungen zusammen-
geflossen ist. Der Kraftüberschuss gibt sicherlich eine besonders günstige
Stimmung für das Spiel, und die Nachahmung bringt den Spielanfängen
neue Entwicklungsraöglichkeiten, genau wie auch den anderen Zweigen
des Geisteslebens; weiter aber reicht ihre Bedeutung nicht.
Die „Nachahmung zwecktätiger Willenshandlungen'' stellt auch
W. Wundt (Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele*, Hamburg
und Leipzig 1906, Yorl. 24) in den Vordergrund; er würde damit den
Bereich des Spieles seltsam einschränken, wenn er nicht anderseits dem
Begriff der Nachahmung eine unerwünschte Ausdehnung gäbe. Wundt
spricht von einer „unbewussten und unbeabsichtigten" Nachahmung und
lässt somit eine ganze Reihe auf ererbten Anlagen beruhender Spiele
gelten, indem er sie als Reflexe von Ernsthandlungen der Vorfahren er-
klärt^). — Als natürliche Folgerung ergibt sich, dass das Spiel jünger
sein muss als die ernsthaften Triebäusserungen; an anderer Stelle hat
Wundt hierfür das Wort geprägt, das Spiel sei „das Kind der Arbeit".
Hierüber wird noch zu handeln sein, s. S. 113 Anm. 2.
Neben die Erklärung des Spiels aus dem Kraftüberschuss sind später
zwei andere, weniger bedeutungsvolle getreten: J. Seh all er (Das Spiel
und die Spiele, Weimar 18(Jl). M.Lazarus (Über die Reize des Spiels,
Berlin 1884), H. Steinthal (Zu Bibel und Religionsphilosophie, N. F.
Berlin 1895. S. 249f.) nehmen die Erholung zum Ausgangspunkt; K. Lange
(Das Wesen der Kunst, Berlin 1901, '2, Kap. 16) erblickt in Spiel und
Kunst eine Ergänzung zu den einseitigen Anforderungen des Lebens.
Beide Auffassungen gelten nicht oder nur wenig für das Spiel des kleineren
Kindes, das sich von der Arbeit noch nicht gesondert hat^).
1) Wundts Wortgebrauch kann zu Unklarheiten führen, zumal er sonst (ebenda
Vorl. 27) die Nachahmung nur zu den erworbenen, nicht zu den angeborenen Instinkt-
handlungen rechnet. — Als wenig empfehlenswerte Einengung erscheint es mir auch,
dass Wundt die Tierspiele lediglich als Kampfspiele gelten lassen will. Wie schnell und
unmerklich kann reine Stimmungsäusserung zum Spiele werden I Warum das fröhliche
Herumjagen eines Hundes weniger Spiel sein soll als wenn ein zweiter hinzukommt
(a a. 0. S. 427), vermag ich nicht einzusehen. — Für die ganze Frage vgl. Groos, Spiele
der Tiere* S. 9, Spiele der Menschen S. 491 f.
2) Spiele der Menschen S. 471 ff., Spiele der Tiere » S. 16.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 111
Ganz neue Anregungen brachte die planmässige Kinderbeobachtung,
wie sie vor allem seit W. Preyers bahnbrechendem Buch 1882 eingesetzt
hat^). Abgesehen von der grossen Fülle zuverlässigen Stoffes, hat sich der
ennvicklungsgeschichtliche Gedanke als ungemein fruchtbar erwiesen. Das
Augenmerk richtete sich auf das Spiel im Verhältnis zur Entwicklung des
Einzelwesens und der Gattung, kurz gesagt, auf die biologische Be-
deutung des Spiels. Auf diesem Boden sind die neueren Hauptwerke über
das Spiel erwachsen: K. Groos, Die Spiele der Tiere, Jena 1896, ^1907;
Die Spiele der Menschen, Jena 1899^).
Groos' biologische Erklärungsweise, dieYor- oder Einübungstheorie,
gipfelt in folgender Gedankenreihe. Bei den höchststehenden Lebe-
wesen sind die angeborenen Anlagen an sich nicht mehr stark genug, um
sich ohne weiteres den Forderungen des Lebens anzupassen; eine besondere
Ausbildung gewährt ihnen unter dem Schutze der Elternpflege die 'Jugend-
zeit'). Innere und äussere Anreize wirken so zusammen, dem Einzel-
wesen immer neuen Erwerb zuzuführen. ,.Wo das heranwachsende Indi-
viduum .... aus eigenem, inneren Drang heraus und ohne aussen-
liegende Zwecke seine Anlagen zur Betätigung, Entfaltung und Höher-
entwicklung bringt, da haben wir die ursprünglichste Erscheinung des
Spieles vor uns" (Sp. d. Tiere S. 74). Den inneren Antrieb verstärken
mannigfaltige Lustgefühle*) und der im jugendlichen Alter so aus-
1) Hauptwerke: ^Y. Prej-er, Die Seele des Kindes ', Leipzig 1908; K. Groos, Das Seelen-
leben des Kindes, Berlin 190-1; W. Stern, Psychologie der frühen Kindheit bis zum sechs-
ten Lebensjahre, Leipzig 1914, mit Literaturverzeichnis: auch G. Compayrö, Die Entwick-
lung der Kindesseele^, übers, von Chr. Ufer, Altenburg 1900: J. SuUy, Untersuchungen
über die Kindheit, übers, von J. Stimpfl, Leipzig 1897.
2) 'Weiterhin abgekürzt: Sp. d. T., Sp. d. M. Daiu noch K. Groos, Der Lebenswert
des Spiels (Vortrag), Jena 1910: G. A. Colozza, Psychologie und Pädagogik des Kinder-
spiels . . ., übersetzt und durch Zusätze und Anmerkuugen ergänzt von Chr. Ufer, Altenburg
1900: ferner die schon genannten Werke über das Seelenleben des Kindes.
3) Sp. d. T. S. 66 f., Sp. d. M. S. 484 f.: Stern S. 214 f.
4^. Sp. d.M.S.493ff. Die Lust gilt von jeher als das psychologische Hauptkennzeichen des
Spiels, ja — nicht immer ohne Unklarheit — als sein einziger Zweck, während der Lustwert der
Arbeit im Erfolge liegt ^Th. Ziegler, Das Gefühl* S. 236; Groos, Der ästhetische Genuss S. 14).
Die Frage verwickelt sich aber, wenn wir nach dem Ursprung der Spiellust forschen.
Sicherlich im Unrecht ist Wundt, wenn er an der oben S. 109 angeführten Stelle den Zweck
des Spiels „in der Erweckung ähnlich erfreuender Aflekte" sucht, „wie solche als Neben-
erfolge auch an die ursprünglichen Handlungen gebunden sind". Wenn ein Kind im Spiel
Arznei schluckt oder sich als Schüler prügeln lässt, so liegt der Lustwert sicherlich nicht
in der Ernsthandlung, er kann sich erst mit ihrer spielerischen Nachalimung einstellen und
muss besonders erklärt werden — in diesem Falle grad aus der inneren Erhebung über die
mit der Ernsthandlung verbundenen Gefühle. — Groos (S. 494 f.) möchte das Spiel im
psychologischen Sinn erst dann beginnen lassen, wenn die Wiederholung der trieb-
mässigen Bewegung zum Bewusstseiu der begleitenden Lustgefühle geführt hat, sodass
die Bewegung um dieser willen fortgesetzt wird. Das ist sicherlich ein sehr beachtens-
werter und gesunder Gedanke, trotz den naheliegenden Einwänden, dass man beim ganz
kleinen Kinde besser noch nicht von 'Bewusstsein' sprechen sollte, und dass man hier-
nach beim einzelnen Säugling nicht unzweideutig feststellen kann, wo die triebmässige
112 Schläger:
geprägte Betätigungs-^), dazu noch ein allgemein vorhandener AVieder-
holuugsdrang*). Zu den höheren Spielformen führt besonders die Xacli-
ahmung^), die sich teils helfend, teils zurückdrängend zu den Instinkt-
regungen gesellt; in dieser entwickelt sich die phantasievolle Beseelung
der Umwelt*) und als feinste Übergangserscheinung die 'bewusste Selbst-
täuschung''). Einen besonderen Spieltrieb') braucht man nicht an-
zunehmen.
Es muss anerkannt werden, dass Groos den mannigfaltigen Fragen,
vor die uns das Spiel stellt, gründlich und allseitig gerecht wird, so viele
Ernsthandlung aufhört und das gleichfalls noch triebmässige Spiel beginnt: diese Ver-
wischung der Grenzlinien liegt eben im Wesen des Spieles, s. o. S. llu. Hier hätten wir also
bestimmt anzunehmen, dass die Ernsthandlung dem Spiele vorausgeht, und es leuchtet ohne
weiteres ein, wie innig hier Spiel und Wiederholung verschwistert sind (s. unten
Anra. 2;. Ob aber auf höherer Stufe, wenn Bewusstsein und Wahl die Oberhand über
den blinken Trieb erhalten haben, das zeitliche Verhältnis zwischen Ernsthandlung und
Spiel immer dasselbe bleiben muss, ist eine andere Frage. Und schon für jene Anfänge
erscheint es sicher, dass die spielerische Wiederholung gewaltig fördern und jeder weiteren
Ernsthandlung derselben Art neuen höheren Inhalt verleihen muss.
1) Oben S. 109 Anm. 1; Sp. d.M. S. 4S8 f. 497; E. Meumann, Vorlesungen zur Ein-
führung in die experimentelle Pädagogik M, Leipzig 1911, S. 028 f.
2) Baldwins 'Zirkuläre Keaktion', auch Selbstnachahmung genannt, wobei der An-
reiz lieh aus der Bewegung ständig erneut: Sp. d.M. S. 474 f. 494 f.; Seelenleben des
Kinde» S. 45 f.; Stern S. 48; Compayre- Ufer S. 222. Über die Wichtigkeit der Wieder-
holung auch oben S. 111 Anm. 4 Gute Beispiele bei Preyer S. 193 f.; besonders bezeichnend
daselbst die Beobachtung, wie sein Sohn im Alter von 14 Monaten ohne jede Pause, also
doch wohl taktmässig, den Deckel einer Kanne 79 mal auf- und zuklappt und dabei ge-
spannte Aufmerksamkeit verrät. Letzteres scheint auf den ersten Blick gegen den Spiel-
charakter der Bewegung zu sprechen. Indes enthüllt sich darin nur das Doppelwesen
solcher Tätigkeit: auf der einen Seite steht die Tergnüglich genossene, fast selbsttätig sich
abwickelnde Spielbewegung, auf der auderen Seite wird durch sie das Seelenleben mächtig
gefördert, der kindliche Spürsinn auf das Rätsel von Ursache und Wirkung hingewiesen. —
Auch die etymologische Bedeutung des Namens 'Spiel" lügt sich gut zu dieser scharfen
Betonung der Wiederholung: s. Deutsches Wörterbuch unter 'Spiel'; F. Kauffmann, Zeitschr,
f. deutsche Phil. 1916.
3) Sp. d. M. S. 360 ff. 486 f. Sp.d. T. S. 70 ff. Seelenleben S. 42 f. ; oben S. 109 Anm. 1
unten S. 114 Anm. 1; Groos, Der ästhetische Genuss S. 53 If. 203 f. stellt neben und vor die
äussere Nachahmung eine innere, die jene vielfach erst ermöglicht und auf höherer Stufe
den Übergang zur 'ästhetischen Einfühlung' vermittelt; dazu Sp.d. M. S. 416ff.
4) Sp. d. M. S. 498 ff.; Stern S. 185 ff.; Lange S. 24ff.: Meumann S. .526 ff. Gute
Beispiele auch bei Preyer S. 171 und Sully-Stimpfl S. 42 f.
5) Langes Leitgedanke, s. o, S. 110: Sp. d. M. S. 385. 499 f.; Stern S. 158 ff.; Meumann
S. 519 f. Vortreffliches Beispiel der bewussten Selbsttäuschung beim Kinde: C. u. W.Stern,
Die Kindersprache, Leipzig 1907, S. 103 (ein Kind von 2 Jahren und 5 Monaten gebraucht
den Ausdruck 'so tun' nicht nur bei spielerischen Bewegungen, z. B. 'so tun putzen beim
Herumwischen an einem Stuhle, sondern bescheidet sich sogar dabei, Avenn es etwa die
gewünschte Schokolade nicht bekommt). S. a. Sully-Stimpfl S. 44 f.
6) Er wird nach Groos durch die 'Jugendzeit' ersetzt. Sp. d. M. S. 488. Sp. d. T.
S. 69 f. Seelenleben S. 67 f. Auch Wundt, Vorlesungen S. 429 f. verwirft den Spieltrieb;
anders Stern S. 215. Die Frage ist nicht zu trennen von dt r, ob Spiel oder Ernsthandlung
das Frühere, worüber S. 111 Anm. 4 und später S. 113.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 113
Zweifel und Schwierigkeiten^) auch noch bestehen und sich wohl nie-
mals restlos auflösen werden. Wenn der Spielbegriff auch bei ihm nicht
völlig eindeutig heraustritt, sondern fliessende Grenzen behält, so liegt das
im Gegenstande selbst, das Spiel ist aus seinen Grenzgebieten nicht reinlich zu
sondern. Seine Eigenart liegt eben weit mehr in der Form als im Stoff; es
gibt in Wahrheit kaum eine Lebensbetätigung, die nicht zum Spiele wer-
den könnte. So ist es längst bemerkt worden, dass die Arbeit zum Spiele
wird, wenn sie lediglich um des Genusses willen betrieben wird, den sie
aus sich selbst gewährt. Aber auch in diesem Fajle bleibt sie doch in
erster Linie Arbeit. Ja, man darf sogar sagen, dass für das kleinere Kind
Spiel und Arbeit noch nicht als getrennte Betätigungen bestehen^). Im
1) Wie weit es sich um ererbte oder vom einzelnen erworbene Triebe, Anlagen und
Eigenschaften handelt, wird je nach der Stellung zum Darwinismus und seinen Fortbil-
dungen (Lamarck, Weismann) verschieden beurteilt. Vgl. bes. Sp. d. T. Kap. 2. Seelen-
leben S. 36fF.; Wundt, Vorlesungen S. 468 ff. — Mit den Vererbungsfragen steht in engem
Zusammenhang die 'phylogenetische' Auffassung, die hauptsäclilich in Amerika durch Stanley
Hall u.a. ausgebildet worden ist ('s. Seelenleben 8.(39 f.): dass uralte, längst verschollene
Kulturformen im Spiel atavistisch durchschlagen sollen. Ich kann das nicht nachprüfen,
da mir die wichtigsten Schriften über dieses Gebiet nicht zugänglich sind; jedenfalls scheint
mir der Ausdruck unglücklich gewühlt, denn es würde sich doch viel eher um
eine — freilich staunenswerte — Zähigkeit der Überlieferung, also eine soziale Wirkung,
handeln als um einen Kückschlag, und überdies müssen sich in der kindlichen Entwicklung
ganz von selbst Ähnlichkeiten mit der der Naturvölker einstellen (s. a. Sterö, Psycho!.
S. 231). Das Gesichtbeschmieren der Kinder ist keine Nachwirkung des Tätowiercns
uralter Vorfahren, sondern eine aus Indianergeschichten stammende Spielerei — wenn es
sich nicht vielmehr auf ganz urwüchsige Spieläusserungen des Einzelwesens (Überraschen,
Erschrecken) gründet. Über die 'Überlebsel' wird später zu handeln sein.
2) Spiel und Arbeit: oben S. 110. Für die Herleitung des Spieles aus der Arbeit tritt
am kräftigsten W. Wundt ein. Ethik* 1, Stuttgart 1912, S. 176—180: Das Spiel ist in
seinen vollkommenen Formen durchaus ein Kind der Arbeit." Das von mir Gesperrte
gibt indes sofort eine wichtige Einschränkung. W. lässt unabhängig von der Arbeit aus
eingeborneu „natürlichen ästhetischen Motiven (besonders dem „Gefallen am Rhythmus, am
Schall und Klang, an Glanz und Farbe" Lebensäusserungen erwachsen, die man „in ge-
wissem Sinne als die primitiven Spiele bezeichnen" kann, und „aus deren Verbindung mit
den verschiedensten Lebensverrichtungen dann erst die entwickelten Spiele hervorgegangen
Bind-*: dahin gehört vor allem der Tanz, ,das ursprünglichste aller Spiele", der u. a. auch
die .Arbeitsrhythmen erzeugt. So bekommt die ursprünglich „von der Not des Lebens
erzwungene" Arbeit Lustwert, „der zu spielender Wiederholung antreibt. Hiermit entsteht
die erste und wahrscheinlich verbreitetste, jedenfalls die dauerndste Form des Spiels :
das Arbeitsspiel". Mir erscheint dieser Gedankengang erzwungen. Ich sehe nicht
.recht, wie aus der Arbeit auf diese Weise andere als die ganz eigentlichen Arbeitsspiele,
ein nicht überwiegend grosser Teil der Nachahmungsspiele, erwachsen sollen — es sei
denn, dass man unter 'Arbeit' jede Ernsthandlung begreift. Was aber zur Nachahmung
der Arbeit treibt, soll doch erst wieder aus dem Spielestammen: das verträgt sich schlecht
mit dem schlagwortmässig bezeichneten Ursprung des Spieles aus der Arbeit. So kann
ich nicht finden, dass die Arbeit vor anderen spielerisch nachgeahmten Betätigungen etwas
voraushat. Soll es denn in dem von W. gekennzeichneten Urzustand, als die Arbeit
nur Zwang, nicht Freude war, gar keine „entwickelten Spiele" gegeben haben? Und hätten
etwa die griechischen Herrensöhne mit Vorliebe die Sklaven in ihren Spieleu nachgeahmt ?
Gegenüber dieser Herleituug des Spieles aus der Arbeit (und anderen Ernsthandlungen)
ist es sehr bemerkenswert, dass K. Bücher, der in seinem grundlegenden Werk 'Arbeit und
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 2. 8
112 Schläger:
geprägte Betätigungs-^), dazu noch ein allgemein vorhandener Wieder-
holungsdrangs). Zu den höheren Spielformen führt besonders die Nach-
ahmung^), die sich teils helfend, teils zurückdrängend zu den Instiukt-
regungen gesellt; in dieser entwickelt sich die phantasievolle Beseelung
der Umwelt*) und als feinste Übergangserscheinung die 'bewusste Selbst-
täuschung"*). Einen besonderen Spiel trieb') braucht man nicht an-
zunehmen.
Es muss anerkannt werden, dass Groos den mannigfaltigen Fragen,
vor die uns das Spiel stellt, gründlich und allseitig gerecht wird, so viele
Ernsthandlung aufhört und das gleichfalls noch triebmässige Spiel beginnt: diese Ver-
\yischung der Grenzlinien liegt eben im Wesen des Spieles, s. o. S. 110. Hier hätten wir also
bestimmt anzunehmen, dass die Ernsthandlung dem Spiele vorausgeht, und es leuchtet ohne
weiteres ein, wie innig hier Spiel und Wiederholung verschwistert sind (s. unten
Anra. 2\ Ob aber auf höherer Stufe, wenn Bewusstsein und Wahl dio Oberhand über
den blinken Trieb erhalten haben, das zeitliche Verhältnis zwischen Ernsthandlung und
Spiel immer dasselbe bleiben muss, ist eine andere Frage. Und schon für jene Anfänge
erscheint es sicher, dass die spielerische Wiederholung gewaltig fördern und jeder weiteren
Ernsthandlung derselben Art neuen höheren Inhalt verleihen muss.
1) Oben S. 109 Anm. 1; Sp. d.M. S. 4S8 f. 497; E. Meumann, Vorlesungen zur Ein-
führung in die experimentelle Pädagogik M, Leipzig 1911, S. J28 f.
2) Baldwins 'Zirkuläre Reaktion', auch Selbstnachahmung genannt, wobei der An-
reiz sich aus der Bewegung ständig erneut: Sp. d.M. S. 474 f. 494 f.; Seelenleben des
Kindeg S. 45f.; Stern S. 48; Compayre- Ufer S. 222. Über die Wichtigkeit der Wieder-
holung auch oben S. 111 Anm. 4 Gute Beispiele bei Preyer S. 193 f.; besonders bezeichnend
daselbst die Beobachtung, wie sein Sohn im Alter von 14 Monaten ohne jede Pause, also
doch wohl taktmässig, den Deckel einer Kanne 79 mal auf- und zuklappt und dabei ge-
spannte Aufmerksamkeit verrät. Letzteres scheint auf den ersten Blick gegen den Spiel-
charakter der Bewegung zu iprechen. Indes enthüllt sich darin nur das Doppelwesen
solcher Tätigkeit: auf der einen Seite steht die tergnüglich genossene, fast selbsttätig sich
abwickelnde Spielbewegung, auf der anderen Seite wird durch sie das Seelenleben mächtig
gefördert, der kindliche Spürsinn auf das Rätsel von Ursache und Wirkung hingewiesen. —
Auch die etymologische Bedeutung des Namens 'Spiel" lügt sich gut zu dieser scharfen
Betonung der Wiederholung: s. Deutsches Wörterbuch unter 'Spiel'; F. Kauffmann, Zeitschr.
f. deutsche Phil. 1916.
3) Sp. d. M. S. 360 ff. 486 f. Sp. d. T. S. 70 ff. Seelenleben S. 42 f. ; oben S. 109 Anm. 1
unten S. 114 Anm. 1; Groos, Der ästhetische Genuss S. 53 £F. 203 f. stellt neben und vor die
äussere Nachahmung eine innere, die jene Tielfach erst ermöglicht und auf höherer Stufe
den Übergang zur 'ästhetischen Einfühlung' vermittelt; dazu Sp. d. M. S. 416 ff.
4) Sp. d. M. S. 498 ff.; Stern S. 185 ff.; Lange S. 24ff.: Meumann S. 526 fl\ Gute
Beispiele auch bei Preyer S. 171 und Sully-Stimpfl S. 42f.
5) Langes Leitgedanke, s. o. S. 110: Sp. d. M. S. 385. 499 f.: Stern S. 158 ff.; Meumann
S. 519 f. Vortreffliches Beispiel der bewussten Selbsttäusciiung beim Kinde: C. u. W.Stern,
Die Kindersprache, Leipzig 1907, S. 103 (ein Kind von 2 Jahren und 5 Monaten gebraucht
den Ausdruck 'so tun' nicht nur bei spielerischen Bewegungen, z. B. 'so tun putzen" beim
Herumwischen an einem Stuhle, sondern bescheidet sich sogar dabei, wenn es etwa die
gewünschte Schokolade nicht bekommt). S. a. Sully-Stimpfl S. 44 f.
6) Er wird nach Groos durch die 'Jugendzeit' ersetzt. Sp. d. M. S. 488. Sp. d. T.
S. 69f. Seelenleben S. 67 f. Auch Wundt, Vorlesungen S. 429 f. verwirft den Spieltrieb;
anders Stern S. 215. Die Frage ist nicht zu trennen von dir, ob Spiel oder Ernsthandluug
das Frühere, worüber S. 111 Anm. 4 und später S. 113.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 113
Zweifel und Schwierigkeiten^) auch noch bestehen und sich wohl nie-
mals restlos auflösen werden. Wenn der Spielbegriff auch bei ihm nicht
völlig eindeutig heraustritt, sondern fliessende Grenzen behält, so liegt das
im Gegenstande selbst, das Spiel ist aus seinen Grenzgebieten nicht reinlich zu
sondern. Seine Eigenart liegt eben weit mehr in der Form als im Stoff; es
gibt in Wahrheit kaum eine Lebensbetätigung, die nicht zum Spiele wer-
den könnte. So ist es längst bemerkt worden, dass die Arbeit zum Spiele
wird, wenn sie lediglich um des Genusses willen betrieben wird, den sie
aus sich selbst gewährt. Aber auch in diesem Fajle bleibt sie doch in
erster Linie Arbeit. Ja, man darf sogar sagen, dass fflr das kleinere Kind
Spiel und Arbeit noch nicht als getrennte Betätigungen bestehen^). Im
1) Wie weit es sich um ererbte oder vom einzelnen erworbene Triebe, Anlagen und
Eigenschaften handelt, wird je nach der Stellung zum Darwinismus und seinen Fortbil-
dungen (Lamarck, Weismann) verschieden beurteilt. Vgl. bes. Sp. d. T. Kap. 2. Seelen-
leben S. 36fF.; Wundt, Vorlesungen S. 468 ff. — Mit den Vererbungsfragen steht in engem
Zusammenhang die 'phylogenetische' Auffassung, die hauptsächlich in Amerika durch Stanley
Hall u. a. ausgebildet worden ist 's. Seelenleben S. G9f.): dass uralte, längst verschollene
Kulturformen im Spiel atavistisch durchschlagen sollen. Ich kann das nicht nachprüfen,
da mir die wichtigsten Schriften über dieses Gebiet nicht zugänglich sind; jedenfalls scheint
mir der Ausdruck unglücklich gewählt, denn es würde sich doch viel eher um
eine — freilich staunenswerte — Zähigkeit der Überlieferung, also eine soziale Wirkung,
handeln als um einen Rückschlag, und überdies müssen sich in der kindlichen Entwicklung
ganz von selbst Ähnlichkeiten mit der der Naturvölker einstellen (s. a. Sterö, Psychol.
S. 231). Das Gesichtbeschmieren der Kinder ist keine Nachwirkung des Tätowierens
uralter Vorfahren, sondern eine aus Indianergeschichten stammende Spielerei — wenn es
sich nicht vielmehr auf ganz urwüchsige Spieläusserungen des Einzelwesens (Überraschen,
Erschrecken) gründet. Über die 'Überlebsel' wird später zu handeln sein.
2) Spiel und Arbeit: oben S. 110. Für die Herleitung des Spieles aus der Arbeit tritt
am kräftigsten W. Wundt ein. EthikM, Stuttgart 1912, S. 176—180: Das Spiel ist in
seinen vollkommenen Formen durchaus ein Kind der Arbeit." Das von mir Gesperrte
gibt indes sofort eine wichtige Einschränkung. W. lässt unabhängig von der Arbeit aus
eingeborneu , natürlichen ästhetischen Motiven (besonders dem „Gefallen am Rhythmus, am
Schall und Klang, an Glanz und Farbe" Lebensäusserungen erwachsen, die man „in ge-
wissem Sinne als die primitiven Spiele bezeichnen-' kann, und „aus deren Verbindung mit
den verschiedensten Lebensverrichtungen dann erst die entwickelten Spiele hervorgegangen
sind": dahin gehört vor allem der Tanz, „das ursprünglichste aller Spiele", der u. a. auch
die .\rbeitsrhythmen erzeugt. So bekommt die ursprünglich „von der Not des Lebens
erzwungene" Arbeit Lustwert, „der zu spielender Wiederholung antreibt. Hiermit entsteht
die erste und wahrscheinlich verbreitetste, jedenfalls die dauerndste Form des Spiels :
das Arbeitsspiel". Mir erscheint dieser Gedankengang erzwungen. Ich sehe nicht
.recht, wie aus der Arbeit auf diese Weise andere als die ganz eigentlichen Arbeitsspiele,
ein nicht überwiegend grosser Teil der Nachahmungsspiele, erwachsen sollen — es sei
denn, dass man unter 'Arbeit' jede Ernsthandlung begreift. Was aber zur Nachahmung
der Arbeit treibt, soll doch erst wieder aus dem Spielestammen: das verträgt sich schlecht
mit dem schlagwortmässig bezeichneten Ursprung des Spieles aus der Arbeit. So kann
ich nicht finden, dass die Arbeit vor anderen spielerisch nachgeahmten Betätigungen etwas
voraushat. Soll es denu in dem von W. gekennzeichneten Urzustand, als die Arbeit
nur Zwang, nicht Freude war, gar keine „entwickelten Spiele" gegeben haben? Und hätten
etwa die griechischen Herrensöhne mit Vorliebe die Sklaven in ihren Spielen nachgeahmt ?
Gegenüber dieser Herleitung des Spieles aus der Arbeit (und anderen Ernsthandlungen)
ist es sehr bemerkenswert, dass K. Bücher, der in seinem grundlegenden Werk 'Arbeit und
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 2. 8
114 Schläger:
Spiele vollzieht sich ja auch die Öelbstausbilduiig^) des Kindes: spielend
übt es seine Muskeln und wird seiner Bewegungen Herr, lernt es sitzen,
kriechen, stehen, gehen, springen, spielend befestigt es seine Eindrücke,
erweitert es seinen Vorstellungskreis, erwirbt es Bewusstsein und übt es
den Willen, spielend gewinnt es die Herrschaft über Stimme und Laut-
form und bildet es sein Gefühl für Rhythmus und Klang aus. Dabei lässt
sich überall als Wirksamstes die Wiederholung erkennen;' das Vereinzelte
'vermag nicht zu fördern. Somit sollte sich die Untersuchung über den Spiel-
trieb noch mehr als bisher auf diese beherrschende Erscheinung richten:
seine Wurzeln dürften von denen des Wiederholungsdranges nicht zu trennen
sein. Wer das Spiel erst aus der Ernstbetätigung hervorgehen lässt, braucht
den Spieltrieb nicht. Sieht man aber, wie das Spiel die ganze Entwicklung
des Kindes geleitet und zum Teile leitet, so drängt sich die Frage auf,
ob ohne es überhaupt ein Portschritt denkbar wäre, und ob wir nicht das
Spiel vielmehr zu den allerersten Lebensäusserungen rechnen müssen, die
noch über die Ausbildung der landläufig sogenannten Instinkte hinaufreichen.
Eine strenge Einteilung der Spiele ist ungemein schwierig. Groos
ist es bisher am besten gelungen, die unübersehbare Fülle der Formen,
in der sich die treibenden und gestaltenden Seelenkräfte aufs vielfältigste
durchkreuzen und oft kaum einzeln aufzuweisen sind, wenigstens unter
leitende Gesichtspunkte zu bringen. An seine reiche Darstellung schliessen
sich die folgenden Andeutungen in allem Wesentlichen an.
Das eben geborne Kind steht völlig unter der Herrschaft angeborner
Triebe und Bedürfnisse; indem es diesen folgt, hat es seine ersten Er-
Rhythmus' (4. Aufl. Leipzig u. Berlin 1909) die Arbeit so stark und einseitig in den Vor-
dergrund geschoben hat, sich neuerdings ui unserer Frage im entgegengesetzten 8inne
äussert (Die Entstehung der Volkswirtschaft^ Tübingen 18i>8, S. 32—34): ,Das Spiel ist
älter als die Arbeit, die Kunst älter als die Nutzproduktion". „Je weiter wir sie [die
Arbeit der Naturvölker] zurück verfolgen, um so mehr nähert sie sich n-ach Form und
Inhalt dem Spiele". — Arbeit als Spiel: Groos, Seelenleben S. 53: .A. Allin, Play (The
Univers, of Colorado Studies, Boulder, 1) S. 62. — Zur Scheidung von Spiel und Arbeit
8. Stern, Psychologie S. 2, ein sehr wertvolles Beispiel S. 229: ein fünfjähriger Knabe
baut mit Leidenschaft oft mehrere Stunden hintereinander und seufzt dabei mitunter:
Ist das aber eine schwere Arbeit! Will man ihn aber zu einer anderen Beschäftigung
bringen, so ist er höchst unglücklich und beteuert, er müsse erst fertig bau^n, denn .,ich
bau doch, weil ich mich so freue, wenn ich ein schönes Gebautes habe". Der Ausdruck
■Arbeit' besagt natürlich nichts; dass aber dem Kinde der Erfolg als Grund zur Freude
bewusst ist, zeigt, dass es sein Spiel nicht mehr rein als solches empfindet, sondern dabei
ist, die Vorstellung der Arbeit in sich auszubilden — wenngleich eine solche Scheinarbeit
darum nicht aufhört, Spiel zu sein. — Spiel die einzige Arbeit des Kindes: E. Dühring,
Der Wert des Lebens ^ S. 94.
1) Seelenleben S. 51 ff. 71; Preyer S. 194; auch (Wichtigkeit der Wiederholung)
Compayre-Ufer S. 167 f. — Zu diesem Gewinn kommt in den geselligen Spielen die
Weitergabe des Kulturbesitzes: Sp. d. M. S. 515 f und (besonders für die Wichtigkeit der
Nachahmung bei dieser 'sozialen Vererbung') S. 362.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 115
lebnisse, tat die Seele ihre ersten tastenden Schritte. Der Unlustschrei,
mit dem das Neugeborne in seine Umwelt eintritt, der gebieterische Drang,
der es veranlasst, den in die hohle Hand gelegten Finger zu umklammern
oder an dem zwischen die Lippen gesteckten Bleistift zu saugen unter
deutlichen Zeichen der Empfindung, ja des Behagens i), sie geben unzwei-
deutig von innerem Leben Kunde. Hier liegen zugleich schon die Wurzeln
des Spiels, denn offenbar sehr bald setzt die triebmässige Wiederholung
ein, beginnt das 'spielende Experimentieren", und überall, wo dabei
der Reiz als solcher wohlig ausgekostet wird, haben wir das Merkmal des
echten Spiels.
In der spielenden Betätigung seiner Gliedmassen übt das Kind
Muskeln und Gelenke auf die späteren zweckvollen Bewegungen ein. Im
Strampeln, Greifen, in Entdeckungsreisen am Körper, in den ersten trieb-
mässigen Gehbewegungen ^), dann im Rutschen, Kriechen, Emporrichten,
aber auch in den unendlich mannigfaltigen Stimm- und Lautübungen ge-
winnt es eine gewisse Herrschaft über seinen Körper. Ältere kommen
zu Hilfe: so wächst es in die Fülle der Fingerspiele und anderer Kose-
schorze, der Schoss- und Kniereiterliedchen hinein, die ihm nun auch
den Reiz des Wortrhythmus eröffnen, nachdem es schon gelernt hat,
sich an taktmässigen Geräuschen zu ergötzen und selbst welche hervor-
zubringen'). Denn vom eignen Körper ist das Kind bald zu allerlei Gegen-
ständen übergegangen, mit denen es gleichfalls die mannigfaltigsten s])ie-
lerischen Versuche anstellt: Zerknittern von Papier, Wasserplanschen, Auf-
schlagen mit einem Löffel, unermüdliches Herauswerfen eines Hölzchens
oder Püppchens aus seinem Wagen vermitteln ihm die Freude des 'Ursache-
seins'*) ebenso und besser als die Klapper und anderes überall ver-
breitetes Spielzeug. Nun wird auch die Neugier ein mächtiger Hebel:
sie treibt, dem Verhältnis von Ursache und Wirkung immer weiter nach-
zuspüren, aber auch Zusammensetzung und inneren Bau zu ergründen und
in kindlicher Zerstörungslust mit gleicher Gemütsruhe etwa einen Puppen-
balg und ein lebendes Tierchen zu zerpflücken. Doch werden auch die
Bewegungen der Vögel, der Käfer, der Schnecken mit Liebe beobachtet,
und vor allem freut sich das Kind an dem Auffliegen oder dem Aus-
strecken und Einziehen der Tasthörner, wenn es auf sein Geheiss zu ge-
schehen scheint; auch hierbei greift die Umgebung ein und vermittelt dem
Kinde die Menge der Ansingev^erse, die sein inneres Verhältnis zur
Schöpfung bereichern. So werden immer höhere Geisteskräfte in den
Bereich des Spieles einbezogen und helfen selbst neue Spiele schaffen.
Frühzeitiof schon führt der Reiz der Erwartung und des Wiedererkenneus
1) Preyer S. 59. 135. 154 f.
2) Preyer S. 165. 167; Sp. d. M. S. 98.
3) Sp. d. M. S. 24.
4) Preyer S. 83. 193 f.: Sp. d. M. S. 497 f.; Stern, Psychol. S. 55.
8*
IK-; Schläger:
zu dem schelmischen „Kukuk"- und Versteckspiel^); die zunelimende
Schärfe des Verstandes und der Phantasie ermöglicht die verschiedensten
Ratespiele; und selbst die Willenskraft wird zum Gegenstand spielerischer
Versuche, wenn in gewissen Spielen das Lachen, der Ausdruck des Schmer-
zes, die Mitbewegung („Alles, was Federn hat, fliegt"), in Sprachscherzen
die Neigung der Zunge zum Ausgleiten unterdrückt werden muss").
\yieder ein anderes Gebiet ist das kindliche Fabulieren, die Vorstufe
zum Lügenmärchen, bei dem freilich oft schwer zu entscheiden, wie weit
noch Gedankenflucht und Mangel an Urteil, wie weit schon bewusstes
spielerisches Anreihen und Ausspinnen vorliegt^}.
AVie sich aus den ersten Anfängen die verwirrende Fülle von Spiel-
formen allmählich herausbildet, das ist ein ungemein anziehendes, aber
auch rätselvolles Gebiet. Zwei gleichfalls angeborne Triebäusserungen,
Kampfinstinkt und Nachahmung, scheinen den Hauptanteil zu haben,
während der Geschlechtstrieb, der das Spiel des Tieres so stark mit-
bestimmt, ins Spiel des Kindes wohl nur ganz abgeblasst und mittelbar
hineinklingt. Der Kampf trieb zeigt sich zunächst in der Freude an der
Überwindung von Schwierigkeiten, auch selbstgeschaffenen, dann aber als
spielerischer Wetteifer, der bis zu wilder Eifersucht ausarten kann; durch
ihn bekommt das einfache spielerische Versuchen ein schärferes Gepräge
und weit mehr Förderungskraft. Hier liegen die Wurzeln der vielen Be-
wegungsspiele mit Hindernissen, des Hüpfens und Hickelns, der ver-
wickelten Ballspiele, der Wurfspiele mit bestimmtem Ziel, aber auch <ler
mit schwierigen Lautverbindungen spielenden Sprach sc herze und des
übertrumpfenden Streitgespräches*). — Der Nachahmung aber scheint
1) Stern, Psjchol. S. .')G— 65; Sp. d. M. S. 182. Dieses Spiel scheint das Kind aus
sich selbst heraus erfinden zu können, wenn es natürlich auch der Mitwirkung anderer be-
darf. Leider ist noch wenig beobachtet worden, ob und wie das kleine Kind sich mit
seinem Spiegelbilde beschäftigt.
2) Sp. d. M. S. 211 ff. Es ist doch wohl eine Verirrimg, wenn man in Spielen wie
*Das Lachen Verhalten' u.a. (Böhme 2, 587. 591 usw.) Nachklänge alter 'Tabu'vorstelhuigen
hat erkennen wollen.
3) Sp. d. M. S. 169. 172 ff. Seelenleben S. 128 ff.; dazu Grosse S. 246 ff.; Phantasie
und 'Kinderlügeu' Meumann, Vorlesungen S. 532 ff. Beachtenswert die Kindererzählungen
Sp. d. M. S. 173. 178; die letztere, sichtlich frei erfunden, erinnert doch deutlich an das
'Verwunderungslied' und andere Lügenmärchen (Böhme 1, 1248 ff"., Lewalter und Schläger
Nr. 493). Vgl. a. Sul]y-Stin)ptl S. 307.
4) Sp. d. M. S. 216 ff'. S. 236 findet sich ein lehrreiches Beispiel eines Streit-
gesprächs. Ein vierjähriger Knabe, der sich über seinen Oheim geärgert hat, beginnt
nach einiger Zeit des Schniollens: „Onkel, ich sperre dich im Zimmer ein, dass du gar-
nicht mehr heraus kannst". — „Dann steig ich zum Fenster hinaus". — „Dann mache
ich die Läden zu". — „Die mach ich halt wieder auf. — „Ich nagle sie aber zu"
.... usw., bis der Oheim das Spiel verloren gibt. — Hier erkennen wir deutlich, v>ie
sich im Spiele die Verstimmung löst, und zwar liegt der Lustwert anfänglich in einer
gewissen Befriedigung des Rachegefühls, dann aber lediglich in der Anspannung der
Phantasie und im Übertrumpfen. Besonders bemerkenswert i«t jedoch, dass sich hier,
augenscheinlich ganz urwüchsig, eine bestimmte Spielform herausstellt, wie wir sie formelhaft
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 117
überall das letzte Wort zu gehören. Sie entwickelt beim Knaben das
eigentliche Kampfspiel, vorwiegend beim Mädchen die Pflegespiele;
in diesen und den vielen anderen 'dramatischen Spielen' bildet sich als
feinste Blüte der Spielstimmung jener Übergangszustand zum ästhetischen
Genuss heraus, in dem die 'Einfühlung', die 'bewusste Selbsttäuschung'
eine so entscheidende Rolle spielen. Wie das Kind sein Pferdchen, seine
Puppe als ein beseeltes Wesen betreut, ohne doch die Wirklichkeit ganz
zu vergessen, wie es die beobachtete Arbeit der W^aschfrau, des Tischlers
mit Feuereifer stundenlang nachahmt und auch seine Puppen dazu an-
hält, wie es im Zimmer die schönsten Reisen mit bekanntem Ziel unter-
nimmt und dabei eine Menge gut beobachteter Einzelheiten als wichtigste
Dinge zu verwerten weiss, wie dann weiterhin Familienfeste mit grosser
Andacht, und wirklicher Ergriffenheit begangen werden')— das gehört
zu den reizvollsten und lehrreichsten Beobachtungen, die es für den Kinder-
freund überhaupt gibt. Auch die Ansätze des Kindes zu zeichnerischer
und plastischer Darstellung, zum eignen Reimen und Musizieren, die
mancherlei Bau- und Form spiele gehören überwiegend in diese Ent-
wicklungsstufe, wenngleich ihre ersten Anfänge schon unter den Versuch-
spielen zu beobachten sind"). Ihre wichtigste Aufgabe jedoch erfüllt die
Nachahmung erst, wenn das Kind aus dem engen Kreise der Familie in
die Spielgemeinschaft ^) hinaustritt und in den unendlichen Reichtum der
in gesellschaftlicher Überlieferung fortgepflanzten Nachahmungs- und
Reigenspiele, Abzählreime, Neckereien, Schulscherze usw. unter-
taucht. Damit erst bekommt es seinen Anteil an der Bewahrung und Fort-
bildung des Volksliedes und der anderen damit zusammenhängenden Volks-
überlieferungen.
Meine gedrängten und in keiner Hinsicht erschöpfenden Ausführungen
werden immerhin eins ergeben haben: vieles, was wir im Kiuderlied und
-spiel als einen Niederschlag aus Brauch, Spiel, Lied und Scherz der Er-
wachsenen anzusehen gewohnt sind, kann sich sehr wohl frei aus dem
kindlichen Vorstellungskreise, in selbständiger Verarbeitung, gestaltet haben.
Nichts liegt mir ferner, als die überragende Wichtigkeit der Nachahmung
im Seelenleben des Kindes leugnen zu wollen. Aber die unvoreingenommene
Beobachtung zeigt, dass die Nachahmung (ich nehme das Wort hier immer
im vollen Sinne: Willenshandlung, nicht Reflex) ein wohlbereitetes Feld,
schon erstarkte Seelenkräfte vorfindet. Sie führt die Entwicklung mit
Riesenschritten weiter, aber das eben beweist, dass die vorher tätigen
und rhytlimisch verfestigt in den häufig an das 'Klostermönch- und Nonnenspiel' angehäng-
ten Streitstrophen (Böhme 2, 269 usw.: Lewalter und Schläger Nr. 271) finden. Ob es sich
hiernach noch verlohnt, den Ursprung der letzteren in alten Raubehebräuchen zu suchen?
1) Schilderung einer Puppentaufe: Sp. d. M. S. 395 f.
2) Vgl. z. B. Lange 2, 33.
3) Vgl. S. 114 Anm. 1: Sp. d. M. S. 430 ff.
118 Schläger:
Seelenkräfte mit und in ihr weiterwirken, ja mau darf wohl sagen, das
Beste und Grösste zu diesem Fortschritt beitragen. Mir wenigstens scheint
es zweifellos, dass die blosse Nachahmung weit mehr in die Breite als
in die Tiefe wirkt. Der von vorn Herein zur Mittelnlässigkeit bestimmte
Mensch mag ihr die Hauptsache verdanken; wie aber soll sie zu eignem
Urteil und Selbstbestimmung führen? Und gerade das Kind ist denn doch
vom Philister am weitesten entfernt. Man kann es wohl auch so aus-
drücken: neben der bloss affenmässigen iSTachahmung gibt es eine schöpfe-
rische. Aber wie soll sich diese anders unterscheiden als durch das Vor-
wiegen der eingebornen Seelenkräfte über die äusserliche Aneignung?
Wird das zugestanden, so gelangen wir zu der methodischen Forderung,
dass im Kinderspiel und in allem, was damit zusammenhängt, mehr als
bisher auf die eigene Schöpferkraft des Kindes geachtet, ihr Anteil von
der nachahmenden Weitergabe übernommener Formen abgehoben werden
muss. Ob uns das in allen oder auch nur in vielen Fällen gelingen wird
und kann, ist freilich eine ganz andere Frage; aber versucht werden muss
es. Wir werden oft bei Möglichkeiten stehen bleiben müssen. Indes scheint
mir schon viel gewonnen, wenn man aufhören wird, für Dinge, die sich
ungezwungen aus kindlicher Anschauung und kindlichem Vermögen her-
leiten lassen, ferne, nebelhafte Ursprünge zu suchen.
Dabei kann es nicht ausbleiben, dass wir uns mit der einen oder anderen
wissenschaftlichen Modeströmung auseinanderzusetzen haben. Es kann hier
nicht meine Aufgabe sein, dergleichen Einzelfragen ausführlicher zu be-
handeln; indes liegt es mir am Herzen, wenigstens auf eine Gefahr auch grund-
sätzlich aufmerksam zu machen, nachdem ich oben schon gelegentliche Seiten-
blicke darauf geworfen habe. Die Neigung, altgermanische oder gar indo-
germanische Mythen in die harmlosesten Kinderverschen hineinzudeuten,
darf ja wohl als überwunden gelten, wenn sie gleich in den Schriften
wohlmeinender Liebhaber noch heute spukend umgeht. Dafür ist aber ein
neuer Götze auf den Thron gehoben und mit wissenschaftlichem Mäntel-
chen angetan worden, das Üb erleb seP). Ich möchte sofort erklären,
•dass ich Richtigkeit und W^ichtigkeit der wissenschaftlichen Auffassung,
die sich in diesem Schlagworte kundgibt, durchaus nicht antasten will; und
zweifellos hat sie auch für das Kinderspiel ihre Bedeutung. Ein sicheres
Beispiel für viele: das Spiessruten- oder Gassenlaufeu, als ernsthafte Strafe
für das Entlaufen der Soldaten seit Anfang des 19. Jahrhunderts ver-
schwunden, hat sich im Kinderspiel weit in das Jahrhundert hinein er-
halten, w^ie aus einem Spielverzeichnis aus Ellenberg in L. Parisius' nach-
1) E. B. Tylor, Primitive Culture, London 1871, 1, Kap. 3. Die Anwendung auf das
Kinderspiel haben neuerdiniss weitergeführt S. Singer, Deutsche Kinderspiele (Aufsätze
und Vorträge, Tübingen 1912, S. 1 ff., schon vorher Zeitschr. d. Vereins f. Volksk. 13, 49 ff.
167 ff.) und U. Giemen, Der Ursprung einiger Kinderspiele (Zeitschr. d. Vereins f. rhein.
u. westfäl. Volkskunde 13, 161 ff".).
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 119
gelasseneu Papieren hervorgeht, und der dazu gehörige Vers dauert ohne
<ien Spielbrauch vielfach noch heute, s. Böhme S. 253 nr. 1181; Erk
u. Böhme 3, 294, o-, Lewalter u. Schläger nr. 186. Hier haben wir
festen Boden unter den Füssen, und von solchen Fällen aus dürfen
wir sicherlich auch weiter schliessen. Der Vollständigkeit wegen seien
aber auch ein paar Gegenbeispiele angeführt, die mir bezeichnend vor-
kommen. Als Kind hab ich — und sicher nicht ich allein — A^er-
gnügen daran gefunden, einen Bindfaden an einem Ende mit den Zähnen
festzuhalten, am andern mit der linken Hand anzuziehen, und ihn dann
mit einem Finger der rechten Hand in Schwingungen zu versetzen, wobei
denn der eigne Kopf als Schallkörper diente und ein ziemlich starker,
nervenreizender, aber nur für den Spieler deutlich vernehmbarer Klang
zustande kam, der durch abwechselnde Verkürzung und Verlängerung auch
in der Tonhöhe abgewandelt werden konnte. Nun belehrt mich W. Wundt
(Elemente der Völkerpsychologie, Leipzig 1912, S. 97), dass dieses sehr
ursprüngliche Saitenspiel noch heute bei den Buschmännern mit der Bogen-
sehne betrieben wird; Wundt denkt sich die ausgebildeteren, auch für
andere wirksamen Saitenspiele erst aus diesem erwachsen, indem die Saiten-
zahl vermehrt und an die Stelle des Menschenkopfes der (häufig noch
menschenähnlich gestaltete) Kürbiskopf, an die Stelle der Zähne ein Holz-
steg getreten sei. Welch prächtiges Überlebsel aus unserem 'primitiven'
Zeitalter könnte das sein! Und doch wird kein halbwegs nüchtern Ur-
teilender jenen kindlichen Zeitvertreib anders deuten als aus einer zu-
fälligen Wiederholung derselben Entdeckung. Solche Nüchternheit des
Urteils wird aber auf diesem Gebiete nur zu oft vermisst: mancher For-
scher ist mit der einmal zur Mode gewordenen Annahme eines Überlebsels
allzu schnell bei der Hand, wo man mit der einfacheren und natürlicheren
einer zufällig gleichen Entwicklung sehr wohl auskommen kann. So ver-
hält es sich z. B. mit einem der meistberufenen 'Überlebsel' im Kinder-
spiele, dem Bohrfeuer, das bekanntlich auf niedrigen Kulturstufen eine
grosse Rolle spielt. Nach Edward B. Tylor, Primitive Culture 2, London 1871,
S. 68 ist der Feuerbohrer in der Schweiz als Kinderspielzeug gefunden
worden; Tylor bezieht sich auf Grimms Deutsche Mythologie' S. 573 (4. Aufl.
3, 174). Die Tatsache wird nicht anzufechten sein; aber stimmt es. auch
mit dem Überlebsei? W. Mannhardt, Wald- und Feldkulte M, 5 18 ff. berichtet,
dass das Notfeuer zur Reinigung bei Seuchen oder auch zur Vertreibung
schädlicher Feldgeister noch vor kurzem nur auf diese uralte Weise her-
gestellt werden durfte, und zwar gerad auch in der Schweiz nach Rochholz,
Deutscher Glaube und Brauch 2, 145 ff. So fanden die Kinder das Werk-
zeug vor und konnten sich damit ein neues Spiel schaffen, das demnach
nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem alten Brauche stehen muss.
In ähnlicher Weise wird sich noch manches erklären lassen. Anderes
kann auf Entlehnung beruhen, wie es sicher bei dem Bumerang, dem
120 Schläger:
Wurfholze mancher Öüdseestämme, der Fall ist. Die Schleuder, auf die
Tylor S. 66 Gewicht legt, mag ihren Platz im Kinderspiel der biblischen
Erzählung von David und Goliath verdanken.
Jedenfalls also heisst es auch hierbei Mass und Ziel bewahren, sonst
sind wir gegen früher um nichts gebessert. AVenn man heute überall die
Nachklänge längst verschollener Kulturformen erkennen will, so hat das-
'für uns, die wir alle den Einfluss der Entwicklungs- und Vererbungslehre
erfahren haben, etwa dieselbe Überzeugungskraft, wie sie die mythologische
Ausdeutung noch vor einem Menschenalter besass; und eben darum liegt
der Zweifel nahe, wie viel davon nach einem weiteren Menscheualter noch
vorhanden sein wird. Erkennt man gar bei genauerem Zusehen, wie in
der Vererbungslehre selbst noch alles im Fluss, wie ungeklärt z. B. die
wichtige Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften ist, so darf
man billig zweifeln, ob es zulässig ist, dergleichen zum durchgehenden
Erklärungsgrimd zu erheben und wohl gar den Fachleuten der Natur-
wissenschaft ins Handwerk zu pfuschen.
Welcher Unfug wird heutzutage mit dem 'Atavismus' getrieben (vgl.
auch oben S. 113 Anm. 1)! Ich erinnere mich, in einer ernsthaften
Schrift gelesen zu haben, der Kulturmensch von heute setze sich im Wirts-
hause darum so gern mit dem Rücken gegen die Wand, weil schon der
Affenmensch bei seinen Urwaldkämpfen am liebsten den Rücken durch
einen Baum gedeckt habe. Im Grunde liegt ein gröblicher Denkfehler
vor: man baut eine gradlinige Entwicklungsreihe ins Blaue hinein, während
kaum mehr vererbt sein wird als der dunkle Trieb, die Umwelt, und zu-
mal die gefahrdrohende, nicht aus den Augen zu lassen, sodass die einzelne
Betätigung denn doch aus dem Seelenleben des einzelnen Menschen er-
wächst und erklärt werden muss.
Nicht ganz dasselbe, aber vergleichbar ist es, wenn die heute beliebte
Erklärungsweise möglichst hinter jeder Dunkelheit oder Schrulle des
Kinderspiels alte, verschollene Kultbräuche wittert. Nur zweierlei sei hier
erwähnt. Fangspiele mit Erschwerung durch Augenverbinden oder
Hüpfen auf einem Bein werden heute gern als Nachklänge alter Dämonen-
und Gespenstertäuze oder -spiele erklärt. Das mag im einzelnen Falle
noch so einleuchtend klingen, im ganzen kommt es doch darauf hinaus,
dass das Gegenteil nicht nachgewiesen werden kann: genau die Über-
zeugungskraft also, die auch der mythologischen Erklärungsweise nicht
abzusprechen ist. Nun haben wir oben gesehen, dass die Überwindung
vorgeschriebener oder selbstgewählter Schwierigkeiten schon bei den Ver-
suchspielen kleiner Kinder eine wichtige Zutat ist. Weiter werden die
drollig-rätselhaften Eingänge unserer Abzählreime u. dgl. häufig auf alte
Zauberformeln zurückgeführt. Wir werden aber in einem späteren Auf-
satz darlegen, dass viele dieser Formeln ihre Vor- und Urbilder in den
Lallspielen ganz kleiner Kinder haben und also sehr wohl im Kindermund
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. l'ü
entStauden sein können. Wo ein solcher Erklärungsgrund ausreicht, da,
mein ich, sollte man nicht uralte Zeiten und nebelhafte Bräuche herauf-
beschwören. Ich kann es nicht ohne Besorgnis ansehen, wenn immer
wieder das schwerste volkskundliche Geschütz gegen Harmlosigkeiten auf-
gefahren wird. Schliesslich kann kein kleines Mädchen mehr bei Sonnen-
schein mit aufgespanntem Regenschirm herumlaufen, können sich ein paar
Buben am heissen Tage nicht mehr mit Wasser bespritzen, ohne dass man
iu ihrem Tun geheimnisYoll ererbten Nachklang vorzeitlichen Regenzaubers
wittert. Man s^ebe dem Kinde wieder, was des Kindes ist!
Die weiteren Aufsätze dieser Reihe sollen die oben gewonnenen metho-
dischen Grundsätze nach einer bestimmten Seite hin anwenden: auf das
Kinderspiel nämlich, soweit es seinen Spielstoff in der Sprache findet,
vor allem in der rhythmisch und musikalisch gebundenen Sprache.
Freiburo- i. Br.
Walther in Tegernsee.
Ein Exkurs über altdeutsche Tischsitten.
Von Edward Schröder.
Man seit mir ie von Tegerse,
ivie ivol daz hüs mit eren ste:
dar k-erie ich mir dan eine m/le von der strdze.
ich bin ein wunderlicher man,
f) daz ich mich selben niht enkan
verstun und mich so vil an frömde Hute ICizc,
ich schiltes niht, tvan got gendde uns beiden.
ich nam da loazzer:
also nazzer
10 muost ich von des münches tische scheiden.
Walther v. d. Vogelweide ed. Lachmann-Kraus 104, 23-02.
Nachdem Burdachs Versuch^), die Spitze dieses Spruches von dem
ungastlichen Kloster abzuwenden und gegen diejenigen zu richten, welche
ihm den Besitz der Bozener Weinberge streitig machten, durch den Nach-
weis Erbens im Neuen Archiv 20, 359 ff. als gescheitert gelten muss, be-
steht über das Ziel der Schelte kein Zweifel mehr. Der geringschätzige
Ausdruck 'Mönch' gegenüber dem vornehmen Abt von Tegernsee (vgl.
Lachmanns Anmerkung) hätte einen solchen nie sollen aufkommen lassen.
Aber was hat der Dichter in Tegernsee erlebt? Worin bestand die
Unfreundlichkeit, die man ihm in dem um seiner Gastlichkeit willen be-
1) Walther v. d. Vogel weide 1, 76. 295.
12-J Schröder:
rQliiuten (V. 2) bayrischen Kloster erwies? Man hat ihm Wasser statt
Wein vorgesetzt, meint Simrock, der das Gedicht (5. Aufl. der Über-
setzung Nr. 74 und ebenso Ausgabe Nr. 74) mit 'Böser Trank' über-
schreibt, und Koppmann (Die Sprüche W.s. v. d. Y. ins Neuhochdeutsche
übertragen, Hildesheim 1893, S. 64) folgt ihm, indem er überträgt:
Ich bin kein Prasser.
Doch mit Wasser
Nur verstand der Mönch den Gast zu ehren.
Dass sich die Zeile 8 ich nam da wazzer auf den Gebrauch des Haud-
wassers bei Tisch beziehe, wird von Simrock (Ausgabe S. 89) ausdrücklich
abgelehnt; Pfeiffer will den Ausdruck nur als 'Anspielung' gelten lassen
und bleibt ausdrücklich dabei, dass der Dichter Wasser statt Wein 'er-
hielt'; Wilmanns und Paul finden sich zwar mit dem AVaschwasser ab,
fügen aber hinzu, dass Walther 'ohne Gastgeschenk nach Tische entlassen
wurde' (Wilmanns), oder 'sonst nichts geschenkt bekommen hat' (Paul).
Zuletzt kommt dann Wallner, Beitr. z. Gesch. d. dtschn. Spr. u. Litt.
33, 51 ff. und erblickt in dem Gedicht einen 'Scherz', eine Anspielung
auf den wässrigen Klosterwein; die Wendung also nazzer werde ihre Er-
klärung durch den mimischen Vortrag erhalten haben.
So wenig ich mir diese Auffassung zu eigen machen kann, mit seinem
Einwand gegen das Haudwasser muss Wallner zunächst gehört werden;
er findet es ebenso unverständlich, 'dass der Gast abziehen musste, als er
sich eben zu Tische setzen wollte, wie wenn er gleich nach Tische das
Stift verlassen musste, ohne Geschenk oder ohne die erhoffte Nacht-
herberge zu finden'. Jedenfalls müssen wir uns darüber Klarheit ver-
schaffen, ob es sich um die Waschung vor Tische handelt, wie Pfeiffer,
oder nach Tische, wie Wilmanns und Paul annehmen. Nachdem Brenner
in der Beilage zur Allgem. Zeitung 1901 Nr. 2(3 unter Hinweis auf
Schraeller-Frommanu 1, 68 für also nazzer die richtige Übersetzung 'nass
wie ich war', 'noch nass' festgelegt hat, mag die Auffassung sich allge-
mein Wilmanns und Paul zuneigen. Wenn aber Wallner hinzufügt: 'in
beiden Fällen hätte sich der Dichter auch ganz anders ausgedrückt', so
muss ich dieser Art Zensierung aufs entschiedenste widersprechen; ich
höre aus dem Spruche, so harmlos lässig er eingeleitet ist, eine gründliche
Verärgerung heraus, und jedenfalls hat der Abt von Tegernsee, falls ihm
die Verse je zu Ohren kamen, keineswegs über den 'Scherz' gelächelt
— mit diesem hohen Prälaten hatte es Walther für alle Zeit verdorben!
Der Brauch des Handwassers bei Tisch, in erster Linie vor der
Mahlzeit, ist ein alter Bestandteil griechischer Kultur, der sich frühzeitig
auf die Römer vererbte. Die klassische Stelle dafür ist Odyssee I, 136 f.
Ausser dem Weisser selbst (;^«^)'<(/' — malluviae) gehörte dazu die Kanne
(.-i^o;^oo,- — gutturnium), das Becken (y'.f/]'»?? — lebes, pelvis, malluvium) und
Waltlier in Tegernsee. 123
das Handtuch (/eiouiiaxTgoi — nia])pa, maiitile). Auf deutschem Boden
treffen wir die drei Gegenstände z. B. bei Konrad von Würzburg im
,Partonopier' zusammen: giezvaz 984. 1084 — beckin 986. 1085 — twehel
9911 lOScS.
Wann die Tischsitte, die in Italien in den bessern Kreisen gewiss
niemals ausser Brauch gekommen ist, nach Deutschland gelangte, lässt
sich schwer feststellen. An den Höfen der Völkerwanderungszeit ist sie
nicht bezeugt: am Hofe Attilas kennt sie weder der tatsächliche Bericht
des Priscus (Corpus script. bist. Byz. 1, "202 fF.) noch die ausmalende
Phantasie Ekkehards I. (Waltharius V. 288 ff ). Das erste mir bekannte
historische Zeugnis, Weihnachten 1031: K. Konrad H. lässt dem Bischof
Bardo von Mainz an der königlichen Tafel priori aquam in manibus dari
(Vita Bardonis maior, MG. SS. XI, 335, 11), fällt nahezu zusammen mit
dem frühesten literarischen Belegt) im 'Rudlieb'. Hier heisst es einmal
am Schluss des Mahles, das die Mutter dem heimgekehrten Helden be-
reitet hat :
XI "J4 f. Fercula jjost itiulta 2)0iii pocula totqiic secuta
Tunc hera poscit aquam, camcrarius attidit illam —
und weiter beim Beginn der Tafel im Hause der 'hera':
XIII 59 f. Tunc hera poacit aqualm, quam saniere iussit herilo)!.
Et post hns2)itibus datur. ultime srd sihi post hos.
In der geistlichen Poesie ist naturgemäss selten Gelegenheit, den
Brauch zu schildern oder auch nur zu erwähnen, obwohl die naive Trave-
stierung des Mittelalters sich nicht scheut, ihn in die Vorgänge des Alten
wie des Neuen Testaments hineinzutragen. So hat um 1170 ein nieder-
rheinischer Dichter (der 'Wilde Mann') die Entstehung des Christus-
bildnisses dargestellt: der Heiland fordert die Veronica auf 'ein lutzilimbiz
machi mir (Y. 175), und dann heisst es he Isch wazzer undi bigundi sich
dvd?i, unde alse he dit hadde geddn, he drugide sich an dat düch (Y. 181 ff". );
die dv'le dat antlitze inphinc geschahen als die godis sun ginc (Y . 187 f.). und
ein niederdeutscher Dramatiker des 15. Jahrhunderts, Arnold Immessen
in seinem 'Sündenfall', bringt das Handwasser sogar auf die Bühne,
Y. 2373 f (Salomon vor Beginn des Festmahles:) Gi schdlen hir to deme
water e gdn Und alle juwe hende twdti.
Seit dem Beginn einer reicheren Überlieferung weltlicher Poesie haben
wir eine lange Reihe von Zeugnissen dafür, dass der Gebrauch des Hand-
wassers vor wie nach Tische gleich üblich und in allen Kreisen der Ge-
sellschaft durchgedrungen war. Man hat wiederholt darauf hingewiesen,
dass die Notwendigkeit dieser doppelten Waschung mit dem Mangel der
Gabel zusammenhänge (vgl. Marquardt-Mau, Rom. Privataltertümer S. 322),
wie sie denn mit dem Durchdringen dieses wichtigen Essgeräts (das erst
1) Hyvomvl V. 4, wo für den Gast, der von der Reise kommt, Feuer, Kost, Kleidung
und zuletzt Waschwasser und Handtuch gefordert werden, gehört natürlich nicht hierher.
]24 Schröder:
1379 in Frankreich auftaucht) allmählich verschwindet. In der Neuzeit
ist das Handwasser nach Tisch wieder in Brauch gekommen, und so
möchte man umgekehrt annehmen, dass es, als das notwendigere, auch
zuerst üblich gewesen sei. Aber einen festen Anhaltspunkt dafür hab ich
nicht gefunden. Es muss immerhin hervorgehoben werden, dass die
früheste ritterliche Anstandslehre, der 'Wälsche Gast' des Thomasin von
Zircläre, da, wo man es erwartet (V. 480), kein Wort von der Waschung
vor Tisch sagt, wohl aber Y. 519 f. der wirt nach dem ezzen soldazwazzer
gehen, daz stdt wol; und ebenso heisst es 200 Jahre später in dem letzten
Werke dieser Art, dem 'Ritterspiegel' des Johannes Rothe Y. 2065 ff.:
geh ivazzer nach dem tische dem fromen ritter ober sine hant. an eine reinen
twelen her sich wische. Wenn im scheinbaren Gegensatz dazu nicht nur
Freidank 89, 12 {die bcesen cezeji ungetivagen, solte in laster nieviaii sagen),
sondern die Tischzuchten ausnahmslos nur von dem Waschen vor Tisch
reden (Moritz Geyer, Altdeutsche Tischzuchten S. 3, Y. 11 f. S. 11^
Y. Ulf. S. 12, Y. 11 f. S. 14, Y. 9 f. S. 24, Y. 41 f.) bis auf Seb.
Brant herab (Narrenschiff UOa, 15 f. Ah die nit iveschen dunt ir hend
Wann sie zu disch sich setzen loend), so ist die Erklärung dafür leicht zu
finden. Unter einfachen Yerhältnissen blieb das Händewaschen vor Tische
dem Einzelnen überlassen — darum mussten es die Anstandsiehren ein-
schärfen; nach Tische wurde das Handwasser vom Wirte geliefert, dem
es Thomasin und Rothe als Pflicht einprägen, während die Tischzuchten
die Übung des Brauches übergehen dürfen. Wir müssen die Tatsache
aber im Auge behalten, um den Sprachgebrauch zu verstehn, wie er sich
frühzeitig herausgebildet hat. Wir können ihn schon bei den ältesten
Zeugnissen in deutscher Sprache beobachten, ohne ihn aber hier gleich
festnageln zu wollen.
In der deutschen Kaiserchronik (um 1150) Y. 4761 f. (Lucretia) heisst
es nach Tisch: Alsd daz wazzer wart gegeben daz man die tische solte heben,
und in dem wenig jüngeren König Rother lesen wir Y. 1259 Also man daz
wazzer genam und Y. 2381 do man daz ivazzer ' ge)nam, beidemal vor
Tische^).
An einer vornehmen Tafel wird das Wasser vor Tisch sowohl wie
nach Tisch gegeben und genommen, es kann also der Ausdruck ?üa22gr
nemen und ebensogut der Ausdruck wazzer geben bei beiden Yorgängen
gebraucht werden, und tatsächlich ist das auch der Fall. Aber die
historische Entwickelung, die ich oben andeutete, hat es bewirkt, dass
1) V. 125i» ist die Situation nicht ganz klar, aber Rückert behält Recht: das Mahl
hat noch nicht begonnen; der Löwe hat den Knechten nur das Brot wegnehmen können
(1148. 1290), dieses aber wurde vorher aufgelegt, noch ehe das Wasser gereicht war,
vgl. 'Frauentrost' von Sifrit d. Dorfer (Zs. f. d. Alt. 7, 100 ff.) V. 493 ff.: die vrouwe die
was (jar gerncit, im n-art daz hröt nf gelcit. si ivolte im selber wazzer (jebeii ; 'Reiher"
(Gesamtab. Mr. XXXI) V. 147 f. Herrin: -ist daz ezzm bereit?' Magd: 'ja, rrouire, daz
brät ist i'tf geleit.''
Walther in Tegernsee. 125
man vom 12.— 14. Jahrhundert mit icazzer nemen sogut wie ausschliesslich
die erste Waschung bezeichnete, während wazzer gehen doppelwertig blieb,
wenn es auch hier und da auf die zweite Waschung beschränkt zu sein
scheint.
Ich führe das vollständige Material vor, das ich gesammelt habe:
wazzer nemen
^yQX Tisch: Rother 1259. 2381. — H. v. Veldeke, Eneit 6203 doe nam he water
ende dicoech. — Nib. A 561, 1 E daz der voit von R/ne loazzer dö genam. — Wolfram,
Parzival 237, 4 der ivirt du selbe icazzernam; 622, 14 f. Gdwän und diu herzoghi mohfenz
wazzer selbe nemen. — Gottfried, Tristan 4093 mi hetc man wazzer genomcn; 13162 f. nu
daz daz czzen was bereit und daz gesinde ivazzer nam. — Albrecht v. Halberstadt hei
Wickram (Werke 7, 207) Metam. 4, 1477 .SVe namen wasser uff die hend. — Herzog
Ernst B 3176 der künic mit ir wazzer nam. — [Ulrich v. Eschenbach] Herzog Ernst D 2732
er nam ivazzer unde sazt sich dö. — Konrad v. Würzburg, Otte 48 daz er da wazzer
nfnne, 158 und hete ivazzer da genomcn. — Loliengrin Str. 93, 7. — Heinrich v. Frei-
berg, Tristan 607. 612. 892. 5265. - Virginal 240, 3. 924, 2. 965, 3. — Reiher (Gesabt.
Nr.'^XXXI) 229. — Treue Magd (Gesabt. Nr. XLIl) 301. — Ruprecht v. Würzburg, Zwei
Kaufleute (Gesabt. Nr. LXVIIl) 209. — Kasseler Facetus Str. 101 (C. Schröder S. 185).
b) nach Tisch: Myst. I 24, 22. — Kaspar v. d. Roen, Dietrich u. s. Gesellen Str. 75:
das hantirasser man do nemen tet.
wazzer geben
a) vor Tisch: Strassb. Alexander 6042. — Wolfram, Parz. 809, 15. — Rudolf v. Ems,
Wilhelm v. Orlens l;3o04. — Stricker, Bloch 478. — Herzog Ernst B 3220. — Ulrich
V. Eschenbacli, Herzog Ernst D 2723: Wilhelm v. Wenden 1471. 7430. — Heinrich v. Frei-
berg, Tristan 2574. — Sifrit d. Dorfer, Fraueutrost 495.
b) nach Tisch: Kaiserchronik 4761. — Wälscher Gast 520. — Ulrich v. Eschen-
bach, Wilhelm v. Wenden 1554. — H. v. Freiberg, Tristan 1292. — Virginal 970, 1.
1090, 4. — Neidhart m. d. Veiel MSH. III 2981) V. 282. — Rothe. Ritterspiegel 2065.
Synonyme Ausdrücke sind
wazzer (dar., für) tragen
a) vor Tisch: Nib. A. 560,2 (für). 1835, 3. — Wolfram, Parz. 550, 11 (dar). 312, 2.
— Wigamur 410 ijür). — Pleier, Meleranz 5347; Garel 910. 4775: Tand. 9588 (immer
dar). — Virginal 1008, 5 (rfflr .
b) nach Tisch: Wigamur 4552 (für).
iiazzer bieten
■d) vor Tisch: Müncli. Oswald 120. — Virginal 1012.1. 1054,12.
b) nach Tisch: — .
wazzer giezni
a vor Tisch: Wolfdietrich B 811.
b) nach Tisch: Ulrich v. Liechtenstein, Frauendienst 7, 13ff.
[wazzer reichen, Belege erst neuhochdeutsch, s. u.|
Dass die erste Waschung weit häufiger erwähnt wird als die zweite,
ergibt schon ein Blick auf diese Listen; der Eindruck würde noch ver-
stärkt werden, wenn man alle die Fälle aufzählte, die für die uns zunächst
interessierende Wortwahl nichts hergeben. Der Grund ist ein doppelter:
einmal legt der Erzäliler natürlich auf den Beginn der Mahlzeit einen
stärkeren Akzent als auf ihren Abschluss, und dann bietet sich hier die
beste Gelegenheit, den Wirt seinen Reichtum und Prunk entfalten zu lassen.
126 Schröder:
Der fast ausschliessliche Gebrauch von irazzer nemen für die Waschung
vor Tisch aber steht fest und bedarf keiner anderen Erklärung als der
oben gegebenen. Wenn Walther also von seinem Besuch in Tegernsee
berichtet: icli navi da ivazzer. also nazzer muost ich von des mi'/nches tische
scheiden, so ist er erstens zum Essen überhaupt nicht gekommen; ja man
hat ihm zweitens nicht einmal die 'twehel', das Handtuch zum Abtrocknen
.gereicht; mit nassen H<änden hat er das ungastliche Kloster verlassen.
Es ist selbstverständlich nicht nötig, dass sich der Vorgang wirklich
so abgespielt habe, wie es hier der Dichter darstellt: die überflüssige
Waschung, die ungetrockneten Hände sind eben nur das Symbol für die
ihm entgangene Mahlzeit; die Verse sagen weiter nichts, als dass man in
dem als gastlich gepriesenen Kloster für ihn keine Aufforderung zu Tische,
keinen Bissen und keinen Trunk übrig gehabt habe — aber sie sagen es
eben in der Sprache eines Dichters: zugleich verhüllt und höchst drastisch.
Nun, wer Lust hat, mag sich immerhin vorstellen, wie Walther vor dem
Brunnen im Klosterhofe steht und, die nassen Hände ausgespreizt, ver-
geblich nach einem Handtuch ausschaut^).
Als der Metzer Archidiakon Albero, der spätere Erzbischof von Trier,
im Jahre 1126 nicht zu seiner Freude erfuhr, dass man ihn zum Bischof
von Halberstadt wählen wollte, befand er sich gerade zu Besuch bei einem
vornehmen sächsischen Herrn, dem Kämmerer Konrad . . . ciim iam sui
111 anus ahluere cepissent, ituri ad prandium, e.v improviso equu7n ascen-
dit suoscjue se subito sequi precepit; et sie aufugit (Gesta Alberonis auctore
Balderico, MG. SS. VHI 248, 14f.). Die Gefährten mussten die Rosse
besteigen — ^alsn nazze'. — Anders macht es die Bäuerin Eis auf der
Hochzeit zu Lappenhausen: sie musste sich waschen, weil sie beim Hasten
zu Tisch in den Dreck gefallen war, aber ein Handtuch hatte sie nicht,
ihr Hemd wollte sie schonen, die Hände an der Luft zu trocknen, war ihr
zu langweilig — und so stürmte sie ungetrocknet zum Mahle zurück: tind
kam gelaufen also naz (Wittenweilers Ring 35, 6)^).
1) Die Schildonini: eines ^z. tlichen Klosters gibt d r Eingang des Schwankes vom.
'Möach und Gänslein", Zs. f. d. Alt 8, 95:
Ich hörte sagen ein ninre,
icie ein klöster wiere
rieh Hilde erb u wen irol,
als von rehte ein Idöster sol.
5 />• gasthi'is tinde ir spital
heten niJit gesazti u nnil,
wan ze sicelhen ziteii dir i)ia)i
geriten ode gegange n kam,
der vant daz ezzen ie bereit.
10 minnecliche und unverseit
gap man siraz si mohten hän
2) Die Stelle ist schon von Wallner a. a 0. aiigelülirt worden, der aber ihre Ver-
wertuntr ablehnt.
Walther in Tegernsee. \'2T
Als Zubehör zum Handwasser habe ich oben giezvaz, becken und ta-eJiet
genannt. Das giezvaz kommt freilich nur auf dem Zauberschloss der
Meliur (Partonopier 984. 1084) und bei einem goldenen Automaten vor
dem unterirdischen Schlosse des Zwerges Billung (Wolfdietrich B 811)
vor. — Au Stelle von giezvaz und hecken treten offenbar die zwei becken
Heinr. v. d. Türlin, Krone 28791; Fleier, Tandarois 9790. Garel 4779
(Hr. becher). Weitere Erwähnung der hecken Nib. A 560, 1; Krone •29279;
Herzog Ernst B 3177; Herzog Ernst D 2718; Wilhelm v. Wenden 1457.
— Die wtzen twehele werden genannt Wilder Mann, Yeronica 186; Parz.
286, 29. 237, 10; Herz. Ernst B 3182; Krone 28788. 29279; Herz. Ernst
D. 2719; Wilhelm v. Wenden 1458; Fleier Garel 4781. Tand. 9592.
An Fürstenhöfen wie überhaupt in vornehmen Haushaltungen fiel die
Aufgabe des wazzergehens dem Kämmerer zu, der ja auch das Wasch-
wasser ins Schlafgemach zu bringen hatte (Konrads Flore 4330ff'.). Nach
dem Rudlieb XI 25 begegnet uns der Kämmerer Nib. A 560, 1 ; Parz.
236,25. 809, 15; Krone 29275: H Ernst B 3178; H. Ernst D 2717;
Wilhelm v. Wenden 1456: Wiganiur 4440f. 4552; Yriolsheimer, Der ent-
laufene Hasenbraten (Gesabt. Nr. XXX) 85. Von besonderem Interesse
ist hier der Lohengrin:
Str. 1!)T, 1 drr kamfrar cfcip ira~^er riir —
198, 3 sC ist von Brandenburc ein kamenere,
denn diese Stelle gründet sich auf das Landrecht des Schwabenspiegels,.
Kap. 130 (vgl. Zeumer, Die Goldene Bulle 1. 30): Der dritte ist der marc-
grdve von Brandenhurch, des rtches kamerwre, der sol dem künge wazzer geben.
In einfacheren Verhältnissen, beim Landadel, den Bürgern und Bauern
sorgte wohl meist jeder für sich selbst, nachdem die Aufforderung dazu
ergangen war Qnemet water, des is tid' : 'Treue Magd' Y. 301; vgl. Yir-
ginal 924, 2 '•nement wazzer sdzehant!' Der Junker u. d. treue Heinrich 1895f.
man hiez die heren ungebeit, die hende da twahen; Arnold Immessen 2373f.
^Gi schuUeJi hir to deme watere gdn Und alle jun-e hende tirdn), wenn nicht
etwa der Wirt oder die Wirtin selbst dem Gaste eine besondere Höflich-
keit erwiesen, indem sie ihm das Wasser reichten {dö gab im wazzer zeliant
sin geoater diu wtse, Strickers Bloch 478), oder die Frau dem Manne zum
besonderen Zeichen der Unterordnung diesen Dienst leistete (si ivolte im
selber wazzer geben Frauentrost 4 95). Jedenfalls galt in diesen Kreisen
die Darreichung des Handwassers als ein niederer, ja zuletzt als der nied-
rigste Dienst; von daher sciireibt sich die Redensart: einem nidit das
Wasser reichen, die Luther schon ganz geläufig war (DWB. 8, 590), wäh-
rend in mhd. Zeit selbst der Ausdruck wazzer reichen noch fehlt; Burkard
Waldis brauchte in dieser Wendung noch handicasser, Aesop III 84, 22
So er doch selb 7iit so viel töcht, das er im das handu-asser brächt. Dies
Kompositum ist vor dem 15. Jh. (Kaspar v. d. Ron, s. o.) nicht bezeugt,
war aber dem 16. Jh. ganz geläufig (DWB. 4, 2, 423), und so ist es aus
130 Kück:
den Meissner eitleren, "NVilnianns, der ein auf die Bienenkönigin bezüg-
liches mittelalterliches Zitat als Parallele beibringt {apes absque duce non
vimint), Hildebrand, der unter den 'Königen von Gewürm und Ungeziefer'
mit Berufung auf unsere Stelle den künic der mucken nennt (D.Wb. 5, 1700),
haben Walther ebenso verstanden.
Aber, was für den Bienenschw^arm gilt, trifft noch nicht auf den
Mückenschwarm zu. Die Mücken schwärmen, wie übrigens bisweilen
auch die Bienen (die sogen, 'w^eisellosen' Schwärme), ohne Führer. Einen
'Mückenkönig' kennt die Naturwissenschaft nicht. Auch das Yolk, das in
der Naturauffassung ja oft seine eigenen Wege geht und sich sonst (in
Sprichwörtern, Rätseln, Wetterregeln) vielfach mit dem kleinen Tier be-
schäftigt, weiss von einem solchen Wesen nichts.
So scheint denn etwas an der Stelle nicht in Ordnung. Der Zweifel
wird dadurch erheblich verstärkt, dass der 'Mückenköuig' auch bei einer
inhaltlichen Zergliederung nicht standhält. Walther nennt zunächst nach
der hergebrachten Einteilung die vier Tierreiche, die Fische, die
kriechenden, die fliegenden und die auf der Erde gehenden Tiere: keins
dieser AA' esen lebt ohne Kampf:
daz will und daz gewürme
die stritent ftiarke stürme,
sani tnonl die voqel nvder in.
Die letzten Worte zeigen deutlich, dass der Dichter die Kämpfe in
den einzelnen Tierreichen (zwischen den verschiedenen Arten) im Auge
hat. Dann fährt er fort, indem er den Boden der Wirklichkeit verlässt
und das ideale Gebiet der Tiersage betritt: trotz aller Kämpfe sind sie
(die Tiere jedes Reiches) in einem vernünftig, sie schaffen, um nicht zur
Bedeutungslosigkeit herabzusinken, starkes Gericht, sie küren Könige und
Recht, sie setzen Herren und Knecht ein. — Fragen wir, an welche
Herrscher der Dichter gedacht haben mag, so sind als Könige der Vier-
füssler der Löwe oder der Bär allbekannt, über Königswahlen der Fische
vgl. Dähnhardt, Natursagen 4, 201 f., bei den Kriechtieren kommt besonders
die mit dem Krönchen geschmückte Ringelnatter in Betracht und bei den
Vögeln der Adler oder der bereits dem klassischen Altertum als König
(ßaoi/.ioxog, reguhts) und bei uns schon in ahd. Zeit als kuning oder kunichli
bezeichnete Zaunkönig, der sich beim Wettfliegen auf die Flügel des
Adlers setzte. — Unmittelbar auf die Schilderung des geordneten Lebens
in den Tierkönigreichen folgt nun unsere Stelle:
sä icr {A oice) dir, tinschiu ziniye,
wie siel diu urdentinge,
daz nfi diu mugge etc.
Man beachte das nie. das über die Mücke Bemerkte muss sich in den
durch die vier Königreiche angedeuteten Rahmen fügen. Daher darf der
Der 'Mückenkönig' Waltherß v. d. Vogelweide. 131
König der Mücke nicht beim Mückenschwarm, sondern muss unter den
Beherrschern der Tierreiche gesucht werden; da aber die Mücke ein
fliegendes Tier ist, so kann nur der Adler oder der Zaunkönig ge-
meint sein^'.
Die Auffassung der Mücke als eines geflügelten Wesens ist nun nicht
nur nach dem Zusammenhang notwendig und beseitigt zugleich den an
sich anfechtbaren Mückenkönig, sie hat auch den Vorzug, volkstümlich zu
sein. Das Volk betrachtet diese und ähnliche Lebewesen nicht als
'Insekten', als Tiere mit einem in Kopf, Brust und Hinterleib eingekerbten
Körper, sondern beobachtet in erster Linie ihr Flugvermögen. Die Fliege
hat ihren Namen vom Fliegen und ist schon für Phädrus (V 3) eine
volucris parvula, der Schmetterling heisst weithin der Boddervagel, der
Marienkäfer das 'Herrgottsvögelchen', 'Johannesvögele', 'Kathrin evögele';
mhd. vogel bezeichnet auch das fliegende Insekt. Im mecklenburgischen
Rätsel 'Die sieben Vögel", dessen Trümmer Wossidlo (Meckl. Volks-
überl. 1, 82f.) gesammelt 'hat, treten als 'Vögel' u.a. auf: der Mistkäfer,
die Biene, die Fliege und — die Mücke {fleegen Vogel, hett keen Bloot),
und neben ihnen als Beherrscher der Vögel der Zaunkönig (steü cewer de
annern all)\ Immerhin wird hier die Zugehörigkeit der kleinen Wesen
zum Vogelreich als etwas Eigenartiges gefühlt, erscheint als ein Problem,
das dem Verstände vorgelegt wird, aber mit voller Naivität führt uns das
Märchen vom 'Zaunkönig und Bären' (Grimm Nr. 102) die Mücken, Bienen
und andere derartige geflügelte Tierchen als Mitglieder dieses Reiches
handelnd vor.
Diese Beispiele werden genügen. Die Mücke in dem Spruche ist
also die Untertanin des Vogelköuigs. Dass der Dichter sie nun als
schwaches, winziges Wesen anführt, leuchtet ohne weiteres ein. Wohl
aber erhebt sich die Frage, ob das Untertanenverhältnis des kleinen
Tieres zum König der Vögel nur auf einem Schluss des Dichters beruht
(denn wenn die Vögel sich einen König gewählt haben, so ergibt sich
daraus leicht, dass auch die Mücke als fliegendes Wesen ihren König hat)
oder auf einer Volksüberlieferung fusst. Da Walther an der ganzen Stelle
auf dem Boden der Tierfabel steht und ihr einen Zug nach dem andern
entnimmt {si diVden etc., si kiesent etc., si setzent etc.), erscheint es aus-
geschlossen, dass er in diese anschaulichen Züge einen derartigen Syllo-
gismus eingeflochten und der trockene Verstand hier plötzlich die Phantasie
1) Nebenher drängt sich, bei einer Einbezieliung der später genannten Fürsten in
den Gedankengang, diese Schlussfolgerung auf: da Walther für ein starkes Königtum im
Gegensatz zu den übermächtigen Fürste« eintritt {die cirhd sini zc hi're), so kam als
Beispiel, wenn ein Missverständnis vermieden werden sollte, nur eine Tiergattung in
Betracht, die nicht ihren besonderen Herrscher besitzt, sondern unmittelbar dem
Könige dient (z. B. die Biene war wegen des Weisels ausgeschlossen). So sprechen denn
die Worte daz nu diu mugge etc. nicht etwa für einen Mückenkönig, sondern zeigen im
Gegenteil, dass der Dichter einen solchen nicht gekannt liat.
9*
132 Kück:
des Künstlers abgelöst haben sollte. Ich schliesse also: die Verbindung
der Mücke mit dem König der Vögel war für den Dichter bereits durch
die Tierdicbtung gegeben; er nimmt hier auf ein Märchen Bezug, in dem
die Mücke und ihr König eine Rolle spielen und dessen Bekanntschaft er
auch bei seiner Zuhörerschaft voraussetzt.
An diese vorausgesetzte Erzählung sind nun, bei behutsamer Ver-
wertung der beim Dichter vorliegenden spärlichen Andeutungen, folgende
Forderungen zu stellen:
1. Die Mücke muss darin als kleines Wesen auftreten, da der Spruch
sie ausdrücklich in einen Gegensatz zum grossen deutschen Volke stellt.
2. Sie muss die Untertanin des Vogelkönigs sein.
3. Da nach der Gründung der Tierkönigreiche die zerrüttete Ordnung
des römischen Reiches erwähnt und ihr das Verhältnis der Mücke zu ihrem
König gegenübergestellt wird, so muss die Erzählung die vom König bis
zur Mücke hinabreichende mustergültige Ordnuno- des Vogelstaates betreffen.
4. Was die Mücke getan hat (denn die Tiere pflegen in den Erzählungen
zu handeln), bleibe dahingestellt: jedenfalls würde zwischen der kleinen
Mücke und dem grossen deutschen Volke, auf deren Gegenüberstellung es
ja abgesehen ist, sich der wirkungsvollste Gegensatz ergeben, wenn jene
in der Erzählung nicht nur die Untertanin ihres Königs wäre, sondern auch
im Verhältnis zu ihm etwas vollbrächte, was das deutsche Volk zur Zeit
nicht vermag.
5. Die Erzählung muss sehr bekannt gewesen sein: das darf aus der
kurzen, nur leicht andeutenden Form des Hinweises geschlossen werden.
Gerade dieser Gesichtspunkt hat mich denn auch besonders zum Suchen
ermutigt, und ich glaube gefunden zu haben.
In dem schon erwähnten Märchen vom 'Zaunkönig und Bären' oder,
wie es auch genannt wird, dem 'Krieg der Vögel mit den Vierfüsslern'
sagen (nach der Grimmschen Fassung, Nr. 102) der Zaunkönig und die
Frau Königin dem Bären, der ihre Kinder als unehrlich gescholten hat,
blutigen Krieg an; der Bär beruft alles vierfüssige Getier, der Zaunkönig
aber 'berief alles, was in der Luft fliegt, nicht allein die Vögel gross und
klein, sondern auch die Mücken, Hornissen, Bienen und Fliegen mussten
herbei'. Nun schickt der Zaunkönig Kundschafter aus, und 'die Mücke
war die Listigste von allen, schwärmte bald im Walde, wo der Feind
sich versammelte, und setzte sich endlich unter ein Blatt auf dem Baum,
wo die Parole ausgegeben wurde'. Dann 'flog sie wieder heim und verriet
dem Zaunkönig alles haarklein'. Auf Grund ihrer Mitteilungen und durch
das Eingreifen der Hornisse, die den feindlichen General, den Fuchs,
unter dem Schwanz sticht, wird von den Vögeln die Schlacht gewonnen;
obendrein muss der Bär bei den Königskindern Abbitte tun.
Dieses Märchen erfüllt alle oben aufgestellten Forderungen.
Der "Mückenkönig' Walthers v. d. Vogelweide. 133
1. Die Mücke wird hier als kleines Wesen eingeführt oder genauer
als kleinstes unter den kleinen, denn die Fabel will, wie schon die
Grimmsche Ausgabe bemerkt, den Sieg der klugen Kleinen^) über die
grossen Starken schildern.
2. Die Mücke ist die Untertanin des Yogelkönigs.
3. Im Vogelreiche herrscht eine vorbildliche Ordnung. Es umfasst
nicht nur alle fliegenden Tiere, sondern diese stellen sich auch sämtlich
bis auf die kleinsten, auf den Kuf des Königs zur Hilfe ein.
4. Die kleine Mücke, die so treu, klug und tapfer für ihren König
und dessen Ehre eintritt, und der es mit in erster Linie zu danken ist,
dass das Königtum derYögel nicht nur geschirmt, sondern auch Yon neuem
Glanz umstrahlt wird, ergibt zugleich einen ausgezeichneten Gegensatz^)
zum grossen deutschen Volke, das im Begriffe ist, sich sein Königtum
durch seine Uneinigkeit und Unentschlossenheit nehmen und seine 'Ehre
zergehen' zu lassen. Jetzt erkennen wir auch den Gedankengang des
Dichters noch schärfer: die Betrachtung der Tierkönigreiche, bei deren
Gründung die Absicht der eignen Stärkung massgebend war (si dühten
sich ze nihte etc.), führt ihn auf das Märchen vom Sieg der A^ögel über die
Yierfüssler, in diesem Staate zieht dann das schwächste Wesen den Dichter
an, und dieses kleine Ding benutzt er, um den Gegensatz zwischen den
verständigen Tieren und dem deutschen Volke noch sn^'^rfer zu betonen,
indem er den Schluss a minori ad malus (wan daz nabent einen sin etc.)
zu einem solchen a minimo ad maximum steigert.
Um das Dargelegte unter dem Gesichtspunkte der Wahrscheinlichkeit
zusammenzufassen: es wäre wirklich ein merkwürdiger Zufall, wenn
Wal'ther, indem er für das bedrohte Königtum eintritt und dieses dem
Herrscherhause erhalten sehen möchte, der Gleichgültigkeit Deutschlands
gegenüber unmittelbar nach einer lobenden Erwähnung der Tierkönig-
tümer und an einer Stelle, an der die Benutzung eines Tiermärchens von
vornherein wahrscheinlich ist, sich auf die Mücke und ihren König berufen
haben sollte, ohne das Märchen vom bedrohten und tapfer verteidigten
Königtum der Vögel zu kennen, ohne von der ihrem König treu ergebenen
kleinen Mücke gehö»-: zu haben. Und w^enn er ferner einerseits die
musterhafte Ordnung des Vogelstaates gelobt haben und andrerseits die-
1) Dieser Idee entspricht denn auch der kleine Herrscher; vgl. auch Bolte und
Polivka (an der noch anzuführenden Stelle) 'der Zaunkönig ist der Herrschende, weil die
Sage das Kleinste wie das Grösste als Herrscher anerkennt'.
2) Auch das Verhalten der Mücke zu dem ,Mückenkönig' zeigt zwar einen solchen,
da dem von diesem (vermeintlich) angeführten Mückenschwarm die Klugheit und Folg-
samkeit der sich eine Königin wählenden und ihr geliorsameu Bienen beigelegt wird, aber
mit dem Mückenkönig fällt auch dieser Gegensatz. Die Mücke des Märchens und ihr
Verhalten zum König der Vögel bietet jedoch vollen Ersatz, ja ihr auf freier Selbst-
bestimmung beruhendes Handeln steht, mit menschlichem Massstab gemessen, höher als
das angenommene instinktive Verhalten der Mücke zu ihrem augeblichen Sonderherrscher.
134 Kück: Der 'Mückenkönig' Walthers v. d. Vogelweide.
jeiiige Erzählung, in der gerade die Organisation dieses Tierstaates den
höchsten Triumph feiert, ihm unbekannt gewesen sein sollte!
Dazu kommt nun noch, dass das Märchen, wie aus den in ver-
schiedenen Gegenden Deutschlands aufgezeichneten Fassungen folgt, sich
einer weiten Verbreitung erfreut haben muss; selbst in andern Ländern
Europas ist der Stoft' mit kleineren oder grösseren Abweichungen bekannt
(s.'Bolte u. Polivka, Anmerkungen 2, 435 f.). Hervorgehoben sei, dass die
uns hier besonders angehende Mücke und ihr folgenreicher Aufklärungsflug
nicht nur in Hessen (bei Grimm), sondern auch in Niederdeutschland
begegnet: so im Waldeckischen (doo is äwwer bie den vüggelen sau 'ne
kleine mügge e''west, dee häd sick hinne macht un häd sick upp en laufblaad
satt etc. Curtze, Volksüberlieferungen S. 172) und in Pommern (Bl. f.
pomm. Volksüberl. 8, 148; Haas, Rügensche Sagen u. Märchen Nr. 134);
selbst in vlämischen Überlieferungen des Märchens (Dähnhardt 4, 201 f.)
finden wir diese kleine Spionin.
Dass das Märchen in verhältnismässig alte Zeit zurückreicht, ahnte
der feinfühlige Wilhelm Grimm: ein 'schönes' Märchen nannte er es und
nahm einen Zusammenhang mit den Reineckegeschichten an, ohne den
Nachweis eines so hohen Alters zu führen. Die Heimat der Erzählung
hat man dann in Niederdeutschland suchen zu müssen geglaubt, besonders
auf Grund der vorzugsweise diesem Teile Deutschlands angehörenden
Aufzeichnungen (s. Dähnhardt 4, 199f.). Wenn der hier versuchte Nachweis
gelungen sein sollte, so wird mit der Feststellung, dass um 1200 ein
grosser Dichter Süddeutschlands und seine Zuhörer das Märchen gekannt
haben, zugleich in das unsichere Dunkel, das die Geschichte dieser Volks-
überlieferung bisher umgibt, neues Licht fallen.
B e rl i n - L i c h t e r f e 1 d e.
Kleine Mitteilungen. ]35
Kleine Mitteilungen.
<Die Scheune brennt!' oder die sonderbaren Namen.
Der oben 26,8—18 von R. Petsch vortrefflich erläuterte Schwank geniesst
■eine so weite Verbreitung, dass ich mir erlauben möchte, noch einmal darauf zu-
rückzukommen. Ich nutze dabei die wertvollen Nachweise, die A. Wesselski
(oben •26, 370) und G. Polivka (brieflich) über die romanischen und slawischen
Passungen lieferten^).
Gemeinsam ist allen Fassungen die schadenfrohe Meldung von einem durch
die Katze verursachten Scheunenbrande, mit der ein ßursch den Hausherrn weckt;
er verwendet da die rätselhaft verblümten Ausdrücke für Katze, Feuer, Scheune,
Wasser usw., die der Hausherr ihm früher eingeprägt hat. In der ältesten Fassung
■des 1481 verstorbenen Baseler Chronisten Johannes Knebel z. J. 1479 (oben 26, 10)
ist es offenbar ein Knecht, dem die Worte in den Mund gelegt sind:
Der Gewaltigist [Herr] stond uff von uwerm Lieberich [Frau], tretten von uwerui
Senfterich [Bett], stossen uwer Sparfuß [SchuheJ an; wan Mattliged [Katze] hat Arshitz
[Feuer] enpfangen, und ist Hochmatis [Scheuer] angaugen.
Bei dem Italiener Straparola (Piacevoli notti 9,4. 1553. Oben 26,370) da-
gegen nimmt ein Paduaner Student, der Bauernsohn Pirino, auf solche Weise Rache
an dem aufgeblasenen Dorfpfarrer Papiro Sehizza. Dieser hatte ihn, wie er von
der hohen Schule heimkehrte, bei einer auf Wunsch des Vaters abgehaltenen
Prüfung im Latein schmählich durchfallen lassen, indem er seine richtigen Ant-
worten zurückwies und neuerfundene Vokabeln eigener Mache verlangte, und hatte
dem Bauern geraten, den Jungen lieber die Schweine hüten zu lassen. Darauf band
Piruio der Katze des Pfarrers brennenden Werg an den Schwanz, und als sie in
die Flachskammer lief, rief er dem Pfarrer zu:
'Prestule, Prestnle [Priester], surge de reposorio [Bett] et vide, iie cadas in gaudiuin
ITisch], quia venit saltagraffa [Katze] et portavit carniscoculum [Feuer], et nisi succurres
domum cum abundaatia [Wasser], non restabit tibi substantia [Vermögen]'.
Da Papiro sich seiner eigenen Ausdrücke nicht mehr erinnert, versteht er die
Warnung nicht und kommt mit dem Löschen zu spät. Straparolas ausführliche
Erzählung geht auf einen Studentenwitz vom selbstgemachten maccaronischen
Latein'-) zurück, der auch der 21. Novelle des um 1544 verstorbenen Franzosen
B. Des Periers (oben 26,370) zugrunde liegt^'), aber vermutlich jünger ist als
1) Herr Prof. Dr. Polivka sandte mir freundlichst einen Auszug aus seinem Auf-
satze 'Eine russische Anekdote und deren europäische Quelle^ (Jubilej Sbornik Vser.
Millera, Moskau 1900 S. 163-168) und fügte weitere Parallelen hinzu.
2) Vgl. dazu etwa Polivka, Zs. f. österr. Volkskunde 11, 158 und oben 16, 449^ —
Zu dem oben 26, 11 erwähnten Spott über die schwülstige Ausdrucksweise der Pedanten
vgl. A. Graf, Attraverso il Cinquecento 1888 p. 207. In Giordano Brunos Komödie II
candelajo (II, 1. 1582) ruft ein bestohlener Pedant 'Involatore, Surreptore, Fure\ statt
den gewölinlichen Ausdruck 'Ladro' zu gebrauchen, und die Anwesenden lassen den Dieb
entwischen (Ru», Giornalc storico 16,266).
3) Des Periers Novelle ist vermutlich wiederholt in den Discours facetieux et tres-
recreatifs, Ronen 1610 p. 16.
186* Bolte:
die Baseler Anekdote von 1479. Beide Passungen haben sich im Volksmunde bi&
heut fortgepflanzt. [Samotschiner Zeitung 1906, 30. Mai, Beilage S. 18.]
Den oben 26, 16 besprochenen vlämischen Schwank hat auch Teirlinck,
Contes flamands 1896 p. 112 'Le domestique stupide' mitgeteilt, der weiter ver-
weist auf't Daghet in den Oosten 1887, 76. 108; Leroy, 'Mijnheer Hosperatus' und
Belpaire en Hilda Ram, 'Geloude'. — Zu den dänischen Seitenstücken (oben
26,17) gehört Kamp, Danske folkeseventyr 1,154 nr. 14 'Pruen, der skulde va^re
fin paa det"); Skattegraveren 5,19, 'S«re Navne'^) und 7, 107 'De ssere Navne'^*)
Kristensen, Äventyr fra Jylland 2, 377 nr. 57 'Pilleripave'*) und 2, 379 nr. 58 'De
s«re Navne' (ähnlich Kamp; nur heisst die Katze Fissigom und das Feuer
Ratterej); Kristensen, Bindestuens Saga S. 136 nr. 19 'De stere Navne' ^5). Einige
hsl. Passungen aus der Kopenhagner Folkemindesamling führt S. Grund^ig in
seinem hsl. Märchenregister nr. 9.S 'De underlige navne' an, doch ohne den oben
15, 74 erwähnten Schwank von dem listigen Knecht mit den verschiedenen Namen
davon zu trennen. — In England hat Jacobs, English fairy tales 1, 220 nr. 42
'Master of all masters' verschiedene Aufzeichnungen bei Mayhew, London poor
3, 391 und in den Notes and Queries 7. series 3, 45. 89. 157. 397 (1887) zu-
sammengefasst. Hier ist es eine gewissenhafte Magd, die den Hausherrn mit den
Worten weckt:
Master of all masters, get out of your barnacle [Bett] and put on your squibs and
Crackers [Beinkleider]. For white-faced simming [Katze] has got a spark of bot cocka-
loruin [Feuer] on its tail, and unless you get some pondalorum [Wasser], high topper
mountain [Haus] will be all ou bot cockalorum.
Schottisch im Polk-lore Journal 7, 166 (1889) 'The clever apprentice':
Master above all masters, start up and jump iuto your struntifersJHosen], and call
upoü Sir John the Great [den Sohn Johnny] and the fair Lady Permonmadani [die Frau],
for Carle Gropus [Katze] has caught hold of Fire Evangelist [Feuer], and he is out to
Mount Potügo [Torfhaulen], and if you don't get help from the Fair Fountain [Brunnen],,
the whole of Castle Mungo [Baus] will be burned to the ground.
1) Landsfrue og Landsherre! sove I? Hallo-hej [Hund] tog Rompe-dvej [Katze] og
kastede harn ind i Firre-gon [Feuer] ; saa sprang Kompe-drej ud af Firre-gon og Iv^b ud
i Volle-mon [Scheune], og uu staar hele VoUe-mon i en Firre-gon.
2) Kongen af Fil [Hund] smed Dronningen of Bil [Katze] i Vra [Feuer], og der kom
Yrk i dronningens hale. Dronningen lab ud i Gla^den [Scheune], og der kom Vrä i
Glajden, og kommer Inu ikke op til jer Pevende [Brunnen], sä har jer Glsede snart ende,,
og nu ta'r jeg eu af jere Filipaver [Pferd] og sä ser I mig aldrig mer i jere daver'.
3) Hr. Prysvos, stej dej op! ta Taprispojes [Beinkleider] pä, tej Drejs 'LRockj til
fru Mynker, Aggerfol [Hund] l0b efter Rubis [Katzt], Rubis lob op i det hellige Isgnat
[Feuer], det hellige Höhof [Gehöft] stär i lys lue.
4) Hej, Va!rt og Viertinde ! stat op og tag jere Fodspottrer [Holzschuhe] paa.
Trokna3gt [Hund] og Kismuskej de slides oni ?e Slesfedt [Nierenfett], Trokna-gt ta'r Kis-
muskej og kyler heud' op o Rovnet [Feuer], Kismuskej ta'r Rovnet o Rumpen og render
ind i Gteden [Scheune], og hvis der er nu ikke Vand i Travandtum [Brunnen], saa
brajnder al hele Glasden af, hver Stikke og Stage. Saa sa?ttcr a ms o mi lille Pilleripav'
[Pferd], saa ser I rare' aaller mer i mi Dav'.
5) Husbond-Braat! tal til Fru-Gaat, Mark-om f?ejj [Hund] og Fru-b;pjj [Katze] er
kommen op at slaas om Kaallenfjset [Kohl], og der er kommen Lidt-for-hjiiet [Feuer] i
Fra-baijj, og hun er sprungen ud af Morgenlys [Fenster], og kommer du indt op til Aat
[Brunnen], saa gaar Glee-hold-for-wand [Scheune]. Og nu er a kommen op p»;i Pille-
graww [Pferd], og nu ser I meg aldrig mer i jer Daww.
Kleine Mitteilungen. 13 T
Irisch in Folk-lore 2,130 (1891) 'Master of all masters':
King of the house, be sitting up. The trottiug [Hund] Las eaten the comfort of the
soles [Schuhe], there is heavj sleep on Aillin [Haushälterin], the glor}' [Feuer] is in the
buttock of the comfort [Winkel des Hauses]. If the plenty [Wasser] will not save. thy
kingdora will he burned.
In den italienischen Passungen, die S. Prato im Archivio delle tradizioni
popolari (i, 62— G8 genauer verglichen hat, wirkt mehrfach Straparolas Novelle
sichtbar nach. So in einer Variante aus den Abruzzen (Archivio 5, 216 nr. 9 =
6,48) und in einer aus Genua (ebd. 6, 49); in der zweiten lautet die Rätselrede:
Surge, Prestor, quia venit saltingraffa [Katze] portans caruiscoculura [Feuer] inter
capillos terrae [Heu], ac nisi venerit abundantia [Wasser], peribit omnis sabstantia [Ver-
mögen].
In der ersten schreibt der Junge, den der Vater auf Zureden des Erzpriesters
aus dem Seminar genommen hat, einen fast gleichen halblateinischen Spruch auf
einen Zettel, den er der Katze des Priesters um den Hals hängt.
In einer Fassung aus Spoleto (Archivio 6, 13) sind italienische Bezeichnungen
an die Stelle der maccaronischen getreten:
Sor Domine-Domine, alzatevi dal santo riposo [Bett], mettitivi le cianfrante [Schuhe],
attento a li mali incuntri [Stühle], andate giii pe^ li pendenti [Treppe], che lu chiappa-
surci [Katze] ha portato T cocicarne [Feuer] giii a pili dl la madre terra [Heu], e si nun
currite pri Fabbundanza [Wasser], pri lu ciferu [Esel] nun c' e piü speranza.
Ähnlich aus Nocera (Archivio 6, 44), wo der Bursch von dem geizigen Priester,
der mit ihm eine Zornwette geschlossen hat, bei jeder, falschen Bezeichnung
Prügel erhält :
Currite, Sor Don Doadolo, dal santo arriposagolo [Bett], che pappalardo [Katze] ha
dato foco a la stanza de la misticanza [Hnusboden], currite coir abbonnanza [Wasser],
se volete sarvä la stanza, e nun badate a mcttere li sfringolamenti [Strümpfe] coUe
ciampagole [Schuhe] e badate giü pel saliscendi [Treppe], che c'e il coriolo [Tischchen],
che non ve rempa li stinchi.
Aus Livorno ebd. G, 46 'ü anciUu domini". Aus den Marken ebd. 8, 402;
hier ruft die Magd dem Priester zu:
S'alzi il sussudomine [Priester] coUa signora Gloria [Haushälterin], ch" metta i miri
miri [Brille], i tiritiri [Stiefel], i ciribiri-coccoli [Hut], ch'veda sui salimonti [Treppe],
ch' beda i malincontri [Stolpern], che riferaff [Katze] e git dall' allepranza [Feuer],
sabbruscia el cacciapel [Esel] e la misticanza [Heu].
In einer Erzählung bei Pitre, Novelline popolari toscane p. 289 nr. 61
'Vocaboli' ist der Geschädigte kein Geistlicher, sondern ein wunderlicher Bürger,
der dem neuen Knechte eine Reihe von sonderbaren Bezeichnungen beibringt.
Dieser bindet nachts der Katze brennenden Werg an den Schwanz und weckt den
Herrn mit den Ruf:
Cincilla d' omini [Herr], mettiti taccoli [Schuhe] e zoccoli [Strümpfe], esci dal ripo-
sorio [Bett], lascia le mie glorie [Frau und Kinder]. Ruüo-raffo [Katze] gli ha preso
allegria [Feuer], e gli e andato in capanna e brucia mescolania [Heu], e io me ne vado
via con brutta-])ezza [Esel] e San Domenico [Schinken] e la sua compagnia [Würste].
Eine sardische Lesart bei Mango, Novelline popolari sarde nr. 7 'II padrone
e il servo' ist nur durch die Verbindung mit dem oben S. 136 erwähnten Schwank
vom Knecht mit den verschiedenen Namen bemerkenswert. Zwei sicilische
Passungen verdanken wir Pitre (Otto habe nr. 7 = Propugnatore 6, 2, 120. 1873
und Piabe siciliane 3, 120 nr. 143). Die zweite macht aus dem Schelmenstreich
38 Bolte:
■eine rohe Mordtat^). Von der ihres wunderlichen Mannes überdrüssigen Frau
verlockt, wirft der Knecht nachts einen brennenden Schwefelfaden in den Flachs-
speicher, weckt den Hausherrn und schliesst ihn, als er in den brennenden Raum
läuft, dort ein. Eigentlich entspricht also seine Erzählung von der Entstehung
des Feuers nicht der Wahrheit:
Sil patruni, sü patrunil Scinriiti di Farripusanti [Bett], mittitivi li zucculanli [Pan-
toffeln], dati a cura pi li 'mpidugghianti [Stühle]! Tippiti nnäppiti [Katze] si tirau
l'allegra-populu [Lampe], si nni iju 'nimenzu la vesti-populu [Flachs], e si nun curriti pri
l'abbunnanzia [Wasser], addiii si nni va tutta la sustanzia.
Zwei spanische Varianten aus Estremadura (Archivio 6, 70) 'El cura y el
ordenado' und aus Andalusien (Folk-lore andaluz 1, 134 = Archivio G, 59)
schliessen ähnlich wie die toskanische mit dem Raub der Würste 2).
Aus Portugal bringt Prato im Archivio 6, 60 ebenfalls zwei Aufzeichnungen
nach Vasconcellos, Tradicöes p. 70 und Coelho, Jogos e rimas infantis 1883
p. 40 bei^). Eine rumänische verdeutscht Gaster, Magazin f. d. Lit. des Aus-
landes 1879, 595 'Der überlistete Spötter' nach Ispirescu, Snove sau povesti popu-
lär! 1875 p. 89: 'Die Schnurrende [Katze] hat den Trost [Feuer] ergriffen und ist
in den Erfolg [Scheune] gerannt; lauft mit der Nässe [Wasser]'! In einem serbo-
kroatischen Schwank aus Belgrad (Bos. Vila 9, 269. 1894) ruft der Reisende
dem Gastgeber zu: 'Die Reinheit [Katze] nahm die Schönheit [Feuer] und trug sie
auf die Höhe [Boden]: gib schnell die Güte [Wasser], daß wir die Schönheit
umbringen!'
Dagegen klingt eine bulgarische Erzählung aus Südmazedonien (Vodena.
Sbornik min. 4, o, 143) an Straparola an. Der Schüler, den der Vater wieder die
Schweine hüten lässt, weil er in der Prüfung des Bischofs durchgefallen ist, rächt
sich an letzterem, indem er den griechischen Brief des Patriarchen beim Vorlesen
absichtlich verdreht und dem Bischof mitteilt, er solle dem Patriarchen Frösche
(statt Fische) schicken. Wenn hier die brandstiftende Katze fortgefallen ist, so
fehlt sie doch nicht in einem polnischen Schwanke (Lud 2, 43). Ein Bauern-
junge, der Geistlicher werden möchte, vermag des Pfarrers Fragen nicht zu be-
antworten: 1. Was ist bystrosr (Schnelligkeit, Feuer;, 2. radosc (Freude, volle
Scheune), 3. obfitosc (Reichtum, Wasser), 4. bystrowidz (Scharfauge, Kater)?
Nach einiger Zeit kommt er zum Pfarrer gelaufen und meldet: 'Scharfauge Qoh
mit der Schnelligkeit zur Freude, und wenns nicht Reichtum gibt, wirds mit der
Freude zu Ende sein.'
In den übrigen slawischen Passungen, deren Kenntnis ich sämtlich der Güte
von G. Polivka verdanke, ist an die Stelle des gefoppten Geistlichen immer ein
1) Auch in den umbrischeu Varianten aus Spoleto und Nocera (Archivio 6, 43 f.)
stürzt der Priester die Treppe hinunter und bricht sich den Hals; aber dieser Ausgang
ist vom Burschen nicht absichtlich herbeigeführt.
2) Die erste lautet: 0 Scnor Don Piquis-miquis! Tu que estäs en potestate [Bett],
ponte los chirlos-mirlos [Schuhe], tambien los garabitates [Hosen]; que el ave que papa
las ratas [Katze] va cargado de esperencia [Feuer]; y si no acudes con clarencia [Wasser],
te se quemarä el bitoque [Heuschober]. Adios, que nie llevo los jiliclos [Würste] y los
jiliclocles [Schinken].
3) Die ausführlichere zweite Lesart lautet: Levantai-vos, populus dei, que lä vae o
papa-in-rate [Katze] por a iümacia [Ofen] acima com o escaramulo [Feuer] ao rabo.
Se näo acudis com abundancia [Wasser], esta perdida a ganancia [Vermögen]. Cal^ae
as vossas tiras e viras [Strümpfe?] e as vossas salperqnitates [Schuhey|. Abundancia,
senhor!
Kleine Mitteilungen. 139
wunderlicher Bauer getreten, während die Rolle des Helden teils einem Studenten,
teils einem alten Soldaten (aber nicht einem Knechte) zufällt. Eine cechische
Erzählung aus Mähren (Mensi'k, Jemnic. S. 176 nr. 54) berichtet, wie ein Prager
Student in den Ferien beim Grossvater, der inzwischen Dorfschulz geworden ist,
dessen neue Namengebung lernen muss; er sieht, wie in der Küche der naschenden
Katze eine Kohle auf den Rücken fällt, und ruft: 'Grossvater, die Hitze (palclivost,
Feuer) sprang auf die Schnelligkeit (bytrost, Katze), und die Schnelligkeit lief
damit in die Freude (radost, Scheune); habt Ihr nicht genug Frische (cerstvost,
Wasser), so werdet Ihr um die Freude kommen.' In dem weissrussischen
Schwanke bei Pederowski 3, 215 nr. 427 belehrt ein Bauer seinen aus der Schule
nach Haus gekommenen Sohn, dass das Feuer auf lateinisch zyzatä (Hitze), ^ der
Kater Markitün und die Ofenkrücke kacubä heisse; der Bursch bindet dem Kater
einen Brand an den Schwanz und sagt: 'Vater, der Markitün nahm zyzyta und
trug sie in die Höhe (na vysatü\'
Anderwärts wird der Hader zwischen Student und Bauer weitläufiger aus-
geführt. In einem gross russischen Schwanke aus dem Gouvernement Minsk
(Sejn 2, 308 nr. 143) prahlt der wandernde Student, den der Bauer unterwegs auf
seinen Wagen genommen hat, mit seinem Wissen vom Donner und Blitz, der
eine Art Elektrizität sei, und wird, als sie an einen Fluss kommen, vom Bauern
aufgefordert, er solle, da er so gelehrt sei, absteigen und trocken durch das Wasser
kommen. Der Student kriecht aufs Pferd, zerschneidet die Riemen und reitet
hinüber. Nach langer Mühe kommt der Bauer heim und findet dort den Studenten
schon vor. Er lädt ihn zum Essen, nimmt aber nachher eine Peitsche zur Hand
und prügelt den Fremden, weil er seine Fragen nach den Namen der Katze, des
Feuers, Wassers und der Pritsche nicht beantworten kann. Als der Bauer früh
morgens zum Dreschen gegangen ist, jagt der Student den Kater mit dem Feuer-
brande in den gedörrten Flachs. — Eine andere Fassung ebd. 2, 310 Anm. —
Bei Hrincenko 2, 284 nr. 192 (Kreis Cyhyryn) bittet ein seinem Herrn entlaufener
Hirt den Bauern, ihn in seinem Ochsengespann mit über den Fluss zu fahren.
Da der Bauer ihm nur gestattet, sich auf einen Ochsen zu setzen, zieht der Bursch
mitten im Fluss die Stange, die das Joch mit der Deichsel verbindet, heraus,
schwimmt mit dem Ochsen ans Ufer^) und gelangt in das Haus des Bauern. Als
dieser später dort anlangt, peinigt er den Burschen durch die bekannten Fragen,
und dieser ruft ihm morgens beim Abschiede zu: 'Alter, die Reinheit trug die
Schönheit auf die Höhe; wenn Gott nicht den Segen gibt, wirst du Alter nicht
in dem Hause sitzen.' — In der voraufgehenden Erzählung (2, 2«3 nr. 191 aus
dem Gouv. Jekaterinoslav) nimmt der Bauer den Schüler (skol:<r) auf den Wagen,
weil er einen Glaser (sklär) braucht, und jagt ihn hinunter, als er seinen Stand
erfährt. — Bei Manzura S. 121 (Gouv. Jekaterinoslav) reitet der Schüler mit den
Ochsen fort: es folgt die Rache des Bauern und die Vergeltung des Schülers,
der auch den Schweinsmagen mitnimmt und sich mit den Worten verabschiedet:
'Leb wohl, Hausherr, bleib bei den Heiligen (Würsten), ich gehe mit Gott (dem
Schweinsraagen); schau, es nahm die Reinheit die Schönheit und trug sie auf
die Höhe.' — In einem kleinrussischen Schwanke aus Galizien (Drohobyez
Etnograf. Zbirnyk 6, 99 nr. 264) spannt der Student ebenfalls die Ochsen aus,
wird vom Bauern gepeinigt und jagt nachts den Kater auf den Dachboden, worauf
er ruft: 'Bauer, der Schnurrende (marmota, Kater) kroch in die Höhe (vysota,
Boden), machte Hitze (spekota, Feuer), der Berg (hora, Haus) brennt.' Vorher
hat er schon durch eine Rätselrede angekündigt, dass er den Gänsebraten mit-
1) Nur dieser erste Teil kehrt bei Hrinöenko 2, 287 nr. 193 wieder.
140 Bolte, Eyhan:
nehmen werde: 'Abends kommt Husakov«kyj (hus, Gans) aus Makitrovyc (makitra,,
Schüssel) nach Torbynyc (torba, Ranzen).
Statt des Studenten erscheint in grossrussischen Varianten auch ein be-
urlaubter Soldat, der sich ebenso gewitzt zeigt. Bei Afanasjev ^ 2, 436 nr. 146^^**
legt ein Bauer dem um ein Nachtquartier bittenden Soldaten drei Rätselfragen
vor: 1. "Was ist die Reinheit (cistota), 2. die Wohltat (blagodat'), 3. die Schönheit
(krasota)? und gibt ihm, da er nicht die richtige Antwort (die Katze, das Wasser,
das Feuer) weiss, jedesmal eine gewaltige Ohrfeige. Um sich zu rächen, bindet
nachts der Soldat der Katze Werg an den Schwanz, zündet es an und jagt sie
auf den Dachboden. Dann ruft er den Hauswirt und legt ihm sein gereimtes
Rätsel vor: 'Die Reinheit nahm die Schönheit und brachte sie auf die Höhe;
fängst du nicht die Wohltat, wirst du nicht in der Hütte leben.' — Ähnlich aus
dem Gouvernement Jenisejsk in Zapiski Krasnojarsk. 1, 49 nr. 31, wo noch der
Ofen 'Wärme' und der Rauch 'Gottes Sohn' genannt wird. — Eine Fassung aus-
dem Gouv. Smolensk bei Dobrovoljskij ], 331 fügt ein weiteres Motiv hinzu: der
Gast nimmt einen Reiher aus dem im Ofen stehenden Topfe, steckt ihn in seinen
Ranzen und legt einen Bastschuh an die Stelle: beim Abschied sagt er: 'Dein
Kurlynskij (kurlan, Reiher) liegt im Sumynskij (suma, Ranzen) hinterm Rücken
(za plecinskim), und in der Gorsinskoj (gorske,Topf) liegt der Lapotinskij (lapot\
Schuh) und der Skovorodinskoj (skovoroda, Pfanne) und steht im Ofen (u pecins-
koj'). — In einer verwandten Erzählung aus dem Gouv. Jekaterinoslav im Sbornik
Charkov. 6, 182 hat der Soldat nachts die gebratene Gans in seinen Ranzen ge-
steckt und einen Schuh dafür in die Pfanne gelegt. Der Bauer fragt morgens,
ohne den Sachverhalt zu ahnen, scherzend: 'Warst du schon in der Stadt Skovo-
rodynskoje (Pfanne)?' Ich war. 'Und ist dort noch der Herr Husynskyj Gou-
verneur (Hus, Gans)?' Ach, der Herr Husynskyj ist nach Torbjun^kyj (torba,
Ranzen) versetzt, und in Skovorodynskoje sitzt der Herr Postolyn.^kyj (postil,
Schuh).' 1) - Ähnlich aus Ostgalizien im Etnograf. Zbirnyk 6, 117 nr. 396. — In
einer Fassung aus der Ukraina bei Symcienko S. 22 nimmt der Soldat den Schweins-
magen 'Gott' und hundert Rubel mit, die der Bauer hinter die Heiligenbilder ge-
steckt hatte; erruft, ähnlich wie in dem toskanischen Schwanke oben S. 137: 'Ver-
bleibt mit den Heiligen, ich gehe mit Gott.' — Die Würste heissen Apostel in.
einem ähnlichen Schwanke aus Ostgalizien (Hnatjuk, Geschlechtleben 2, 6 nr. 15).
— Über eine in Aarnes Register nr. 1940 erwähnte finnische Variante der
'sonderbaren Namen' fehlt mir Kunde.
Es würde zu weit führen, wollten wir die seltsame Namengebung in all diesen
Fassungen, denen gewiss noch manche angereiht werden können, näherer Be-
trachtung unterziehen. Doch darf wohl hervorgehoben werden, dass neben den.
parodistischen Bezeichnungen einer überspannten Sprechweise (oben 26, 10) auch
hübsche voiksmässige Umschreibungen im Stile des Märchens vom Hausgesinde
(Grimm nr. 140) auftreten. So heisst die Katze Reichhaart, Ratzenfänger, nid.
snaterebakkes, snatterbosch, kale jonker, dän. rompe-drej, kismuskej, engl, white-
faced simming, ital. saltingraffia, rifferafCe, tippiti nnappiti, chiappa-surci, pappa-
lardo, span. papa las ratas, poln. Scharfauge, cechisch Schnelligkeit, russisch Rein-
heit, Schnurrende; der Hund nid. bluffer-blaffer, kale grijze, taterebakkes, dän.
troknaegt, mark-om-fsejj, hallo-hej; das Feuer gaudium, gloria in excelsis, dän.
1) Vgl. daiu Wossidlo, Mecklenburgische VolksüberlieferuDgen 1, 250 nr. 99« 'Geu«raJ
Spigans'; auch die oben erwälmte galizischc Variante und Rogasener Familienblatt 1914
S. 11 (Pan Speklinski zog aus Topfowo nach Torbowo). Wackcrnagel. Kl. Schriften 3, 135,
K. Köhler, Kl. Schriften 1, 62, 421.
Kleine Mitteilungen. 141
ratterej, ital. allegria, allegra-populu, cocicarne, cocicrudo, span. esperencia, clari-
tate, port. escaramulo, rumän. Trost, polnisch Schnelligkeit, russ. Schönheit; die
Scheune Fülle, hohe Wonne, dän. glsede, engl, glory, cech. poln. Freude; Heu
ital. mescolanza, pili de la madre terra; Flachs ital. vesti populu; das Wasser
•engl, plenty, ital. abbondanza, span. violencia, clarencia, poln. Reichtum, cech.
Frische, luss. Wohltat; ferner das Bett Senfterich, ndl. legamus, engl, fortune,
barnacle, ital. arriposagolo, riposatorio, span. jorgansia, port. aconstancia; die
Stühle ital. raali incontri, impiddughianti; die Tür nid. dradioni, ital. apri-e-serra;
die Treppe ndl. loopop, ital. va e vien, saliscendi, scendi-e-sale, li pendenti; die
Beinkleider engl, squibs and Crackers, ital. triccoli e traccoli; Stiefel Sparfuss,
Stieblestiibli, ir. comfort ofthesoles, ital. tiritiri, patlic e patlac (Pantoffeln), span.
chirlos-mirlos usw.
Schliesslich möchte ich noch auf eine mittelalterliche Erzählung hinweisen, in
der ein grosser Brand auf ähnliche Weise durch ein Tier verursacht wird. Der
Augsburger Konrad Derrer erzählt um 1343 (Zs. des histor. Vereins für Schwa-
ben 31, 102 nr. 4 'De mirabili combustione'), wie in Wimpfen einst ein Esel, dem
«in Vogel (aga) in den After kriecht, rasch aufspringt und an einem Feuer vorbei
in die Scheune rennt; da die Federn des flatternden Vogels Feuer gefangen haben,
^erät die Scheune in Brand, und bald steht die ganze Stadt in Flammen.
Berlin. Johannes Bolte.
Deutsche Volkslieder aus der Dobrudscha und Südrussland i).
Die 49 hier verzeichneten Lieder deutscher Kolonisten stammen aus drei
Orten der Dobrudscha, nämlich 19 Nummern aus dem Dorf« Cogelac an der
südlichen Grenze des Kreises Tulcea, wo ich sie einem 1899—1901 von Robert
Radke geschriebenen Liederhefte entnahm, 12 aus Malcoci bei Tulcea (1898 bis
19U1 gesungen) und IG aus Caramurad im Kreise Constanta (1905). Drei
weitere Texte erhielt ich 1905 aus dem Dorfe Freudental bei Odessa. Die
oft stark verwilderte Schreibweise musste geregelt werden. Die nötigsten Ver-
weise hat Herr Prof. J. Bolte hinzugefügt.
Ij Im Jahre 1915 unternahm ich eine Eeise durch verschiedene deutsche Siedlungs-
hezirke Südosteuropas. In Westungarn besuchte ich die Heidebauern in Wieselburg, in
Nordungarn die Zipser in Kremuilz, Neusohl, I.euterhau, Iglo, Leibitz, Kesmark, Heia,
Poprad; in Südungarn im Banat und in der Batschka die Schwaben in Gyertyanios,
Grosskikinda, Maiienfeld, Temeschvar, Apatin, Priglevitza-Szent-Ivan, Weisskirchfn, Pan-
tschova; in Slawonien und Syrmien Esseg, Runia und India; sodann in Siebenbürgen
Mühlbach, Hermannstadt, Hehau, Michelsberg, Schässburg, Kronstadt. In der Dobrudscha
verweilte ich in den meist schwäbischen Dörfern (m einigen wohnen auch Westprenssen
Anadolkjöj, Caramurad, Cogelac, Tariverde, Tscliukur«jva, Atniadschä, Babadäg, Mal-
coci, in denen ich z. T. schon in früheren Jahren öfters gewesen war. — In der Buko-
vina lernte ich nur Rosch bei Czernowitz kennen, in Wolynien Luzk und Roschischtsclie,
im Gouv. Cherson die Kolonien Gross- und Klein-Lifbeiital, Lustdorf, Freudenlal, Peters-
tal; im Gouv. Taurien Herlitzenberg, Engenfeld, Kaisertal, Hochstädt, Halbstadt, Prischib,
Naiman, Hocbheim. Ich habe aus diesen Orten Aufzeichnungen über die wirtschaft-
lichen Verhähuisse, Hausbau, Trachten u. dgl. mitgebracht, ausserdem auch Volkslieder
u. ä. aus Kesmark, Iglo, Marienfeld, Ruraa, India, Caramurad, Freudental. Handschrift=
liehe Liedersammlungen erhielt ich zur Abschrift in India, Cogelac, Malcoci. — Vgl. oben
26, ;'>35: Deutsche Volkslieder aus Ungarn.
142 Byhan:
A. Weltliche Lieder.
Als der Wirt nach Hause kam (3 Str.). Aus Cogelac. — Nach Fr. L. W. Meyer,
'Ich ginr^ in meinen Stall' (1789). Erk-Böhme, Liedarhort nr. 900 und 3, 872.
Meisinger, Volkslieder aus dem badischen Oberlande 1913 nr. 315.
Als die Schneider beisammen waren (4'. Aus Cogelac. — Erk-Böhme nr. 1635.
Köhler-Meier, VI. von der Mosel nr. 331.
Als ich morgens früh aufsteh (4). Aus (Jarämuräd. — Erk-Böhme nr. 121.
Auf, ihr jungen deutschen Brüder (2). Aus Carärauräd. — Abschied der zum Krifge
Einberufenen.
Brüder, tut euch wohl besinnen (4). Aus Copelac. — Unten nr. IV.
Brüder, wir ziehen in den Krieg (6). Aus Cogelac und Carämuräd. — Erk-Böhme
nr. 1344. J. E. und P. S., VI. der Wolgakolonien 1914 nr. 140.
Der ein faules Gretchen hat (4). Aus Cariimuräd. — Erk-Böhme nr. 1556. Dunger,
VI. aus dem Vogtlande 1915 S. 185.
Der König von Baieren, der große Boute [Leute?] braucht (6). Aus Carämuräd.
Die Reise nach Jütland, die fällt mir so schwer [8). Aus Malcoci. — Erk-Böhme
nr. 14:29. Meisinger nr. 154. Wolgakolonien nr. 154
Dieses ist aller Weibsleut ihre List (3^ Aus Carämuräd. — Nach J. C. Günthers
Lied 'W'ie gedacht' (Erk-Böhme 2, 522. Kopp, Deutsches Volks- und Stu-
dentenlied S. 72 .
Edle Freiheit, du mein Leben (4). Aus Malcoci. — Erk-Böhme nr. 14ri0. Köhler-
Meier nr. 269.
Eigen Heim muß ich verlassen (5). Aus Cogelac. — Wanderetrophen von Abschicds-
liedern.
Ei Lust und Freud steht mir ius Feld (7). Aus Malcoci. — Unten nr. IIL
Ein altfs Weib, das bucklig ist. Aus Carämuräd. — Spottreirae.
Eine Heldin wohl erzogen (9). Aus Cogelac. — Von G. K. Pfeffel (1779\ Erk-
Bölinie nr. 1470. Köhler-Meier nr. 15.
Einst stand ich im Eisengitter (5). Aus Freudental. — Erk-Böhme ur. 727. Mei-
singer 1913 nr. 44. Dunger S. 119. Hess. Bl. f. Vk. 9, 37. Wolgakolonien
nr. 72. J. Meier, Volksliedstudien 1917 S. 1-lOG.
Es hat ein Bauer ein Kalb erzogen (8). Ans Malcoci. — Ditfurth, Fränkische VI. 2,
60 nr. 69. Hess. Bl. f. Volkskunde 9, 84.
Es war einst ein schwarzbrauner Schlossergesell (10). Aus Malcoci. — Erk-Böhme
nr. 129. Hceger, VI. aus der Rheinpfalz nr. 46. Wolgakolonien nr. 35.
Es wollt ein Jäger jagen (7). Aus Carämuräd. — Ähnlich Erk-Böhme nr. 144U,
Schluss abweichend.
Frisch auf, ihr Brü ler von der Höh (5). Aus Cogelac. — Schlossar nr. 282.
Frisch, Soldaten, ins [!] Blut (4). Aus Malcoci. — Erk-Böhme nr. 1354. Köhler-
Meier nr. 285. Oben 15, 262.
Heute scheid ich, heute wandr ich (6). Aus Malcoci. — Von Maler Fr. Müller
1776. Erk-Böhme nr. 1376. Wolgakolonien nr. 144.
Ich stand auf hohem Berge ;8). Aus Cogelac. — Erk-Böhme nr. 89. Oben 18, 394.
19, 194. Dunger S. 1. Wolgakolonien nr. 28.
Ich weiß nicht, bin ich reicli oder arm (4). Aus Malcoci. - Erk-Böhme nr. 1374.
Meisinger 1913 nr. 155.
In der Blüte meiner schönsten Jugend (1), Aus Carämuräd. — Entstellt.
Jetzt gang ich ans Brünnele (5 und 6). Aus Cogelac und Malcoci. — Erk-Böhme
nr. 203. Heeger nr. iiS. Wolgakolonien nr. 42.
Jetzt han ich mein Schimmel verkauft (5). Aus Carämuräd. — Hruschka-Toischer,
VI. aus Böhmen 1891 S. 266 nr. 297. Schlossar, VJ. aus Steiermark nr. 215.
Oben 15, 270 nr. 17.
Jetzund fangt mein Trauern an (5). Aus Carämuräd.
Keine Rose ohne Dornen (2). Aus Cogelac. — Erk-Böhme nr. 680.
Laß nur die Leut rede (3 \ Aus Carämuräd. — Unten nr. L
Kleine Mitteilnngen. 143
Merket auf, ihr Christen, was ich euch erklär (5). Aus Cogelac. — Sztachovics'
Brautsprüche auf dem Heidehoden in Ungarn 1867 S. 42.
Mit Laus da war das Land gesegnet (3). Aus Carämuräd. — Unten nr. VIII.
Morgens, wenn ich früh aufsteh (5). Aus Cogelac. — Unten nr. II.
Nun ist die Zeit und Stunde da (4). Aus Cogelac. — Nach S. Fr. Sautter. Erk-
Böhme nr. 795. Meisinger 1913 nr. 119. Wolgakolonien nr. 114.
0 Hansel, wie steht es mit dir (2'. Äug Carämuräd. — Dialog.
0 Himmel, wie lang soll ich noch (2). Aus Carämuräd. — Erk-Böhme nr. 544.
0 wilde Walachei (1). Aus Carämuräd. — Unten nr. VII.
0 wunderbares Glück (5). Aus Cogelac. — Nach Schubart. Erk-Böhme nr. 1402.
J. Meier, Kunstlieder im Volksmunde 1906 nr. 550.
So schön wie eine Rose (4). Aus Cogelac. — Erk-Böhme nr. 714. Heeger nr. 190. 191.
Wenn es einmal zum Scheiden kommt (5). Aus Malcoci. — Unten nr. V.
Wie siehts aus im fernen Osten (11. Aus Freudental. — Unten nr. VI.
ß. Geistliche Lieder.
Den König, welcher Blut und Leben (1). Aus Cogelac. — Von E. G. Woltors-
dorf 1767 (A. Fischer, Kirchenlieder-Lexikon 1878 1, 98j.
Fang dein Werk mit Jesu an (4). Aus Cogelac. — Bekanntes Kirchenlied, seit 1725
nachweisbar.
Laß mich diese Nacht empfinden (2). Aus C"gelac. Nachtgebet.
Macht eure Lampen fertig (4). Aus Freudental. Versammlungslied.
Sehn wir uns wohl einmal wieder (4). Aus Cogelac.
Was traurig und von Herzen treibt mich zum Singen au 6). Aus Cogelac, Das
jüngste Gericht.
C. Hochzeitssprüche.
Friede sei in diesem Hause. Hochzeitsladung aus Cogelac.
Liebe Leute, haltet eure Mäuler stilL Vor dem Kirchj^ange, ebendaher.
\. Liebesversicherung.
1. Laß nur die Leut rede, 2. Jetzt laß icli mir mache
Laß belle die Hund; Ein Fenster in mein Herz [drin].
Und wenn du mich liebest. Auf daß du reinsegest,
So werd ich wieder gesund. Wie gttreu ich dir bin.
3. Jetzt Inß ich mir negen
Ein Bündlein an mein Degen,
Ein Sträußlein an mein Hut,
Ein Tüchlein in meine Tasche
Für mein Äuglein mit abzuwasche. Aus Carämuräd.
IL Der Bettelmusikant.
1. Morgens, wenn ich früh aufsteh, 3. Zu Haus hab ich lahmer Bu
Nehm ich mir mein Stecken, Ein Blinden und ein Scheelen.
Henke meine Geige um Und wenn du es nicht glauben wilht.
Und auch zwei leere Säcke. So komm und iu's besehen! Dieses. . .
Dieses hat mir leid getan
Über alle Maßen; 4. Zu Haus hab ich ein altes Weib,
0 ich armer Geigersniann, Sie geht schon an den Stecken.
Ich bin schon ganz verlassen. Und wenn ich ja nach Hause komm.
Langt sie mir an den Säcken.
Sind sie voll, dann ist sie froh,
Als ich zu dem Nachbar kam.
Verlang mir eine Gabe, ^^ , . , , , „.
jr i. A ^■^T^ I. -i. A ci. i I angt gleich an zu lachen. Dieses
Kommt der Wirt mit dem Stecken raus, ^ ^
Muß alles selber kaufen. Dieses . . .
144
Byhan:
5. Als ich auf die Landstraß kam,
Kams ein Jud gefahren,
Nahm mirs ineine Geige ab;
Ach Gott möcht sich erbarmen. Dieses .
III. Soldatenleben.
Aus Cogelac.
1. Ei Lust und Freud steht mir es ius
Feld'),
Drum hat mich Gott erschaffen.
Soldatenleben mir besser gefällt,
Icli tausch mit keinem Pfaffen.
2. Ei laßt mir Pfaffen Pfaffen seini
Keinen Krieg können sie nicht führen,
Der Teufel soll ihr Oberster sein,
"s Regiment zu kommandieren.
4. In England ists Wasser so teuer^),
Wir habens am besten erfahren,
Und wenn wir wieder ins Deuttchland
kommen,
Kein Geld wollen wir nicht sparen.
b. Und wenn wir auch hätten ein'n Keller
voll Wein
Und auch ein Kist voll Taler,
Da müßt auch alles versoffen sein
Beim Kreuzer und beim Taler.
6. In unsrer Kirch da läutet man zusammen
Mit Glocken und mit Stangen*);
Und wer ein solches Läuten will hören,
Der muß sich manchmal bücken.
)j. England ist weit und breit*).
Darin gibts enge Gassen,
Da muß ein mancher junger Soldat
Sein jungfrisch Leben lassen.
7. Wenn ich einmal gestorben hin,
Wer wird dann für mich trauern?
Auf grüner Heid da hab ich mein Freud,
Dort wird raein Leib verfaulen.
Aus Malcoci. — 1) Zum Anfange vgl. Erk-Böhmc nr. 1314: Ich habe Lust ins weite
Feld. — 2) Zu b"tr. 3-6 vgl. Schlossar nr. 288, 1: ]\Iarschiren wir ins Ungarn hinein —
2: In Ungarn ist das Wasser teuer — 4: In unsrer Pfarrkirchen läutens zusammen mit
Trumpsel, Trumpeten und Stucken.
IV. Der Winterfeldzug 1812.
1. Brüder, tut euch wohl besinnen!
Denn das Frühjahr rücket an.
Wo werden wir zusammenbringen
Fünfmalbunderttausend Mann,
Daß wir werden ins Feld ziehen.
Viele fremde Länder sehen?
Denn das Frühjahr ist vorbt i
Und die schönste Sommerszeit.
2. Endlich kommt der schnelle Winter,
Plötzlich war die Kalt zu groß;
Die Kosacken müssen reiten,
Reiten schnell auf Deutsche los.
Viele müssen Hungers sterben,
Viele müssen so verderben
Und erfrieren in dem Schnee,
Das tut Deutschland großes Weh.
3. Es hat ein mancher treuer Vater
Sein'n herzliebsten Sohn im Feld,
Hofft, er werd ihn wiedersehen;
Er ist nicht mehr auf der Welt.
Ach, wie bringts dfm Vaterheizen
So und so viel tausend Schmerzen,
Weil ihm sein getreuer Sohn
In dem Schnee verloren schon!
4. :,: „Rußland, dir will ichs gedenk» n,
Du hast mich vom Thron gebracht.
Wenn sich soll der Himmel senken,
Sag ich Moskau gute Nacht." :,:
Aus Malcoci.
Wenn es einmal zum Scheiden kommt
Mit unsern jungen Leut,
So heißts: Mein Schatz, mein Engelskiud
Jetzt muß ich fort als wie der Wind,
Drum ist mein Herz betrübt.
Aus dem Befreiungskriege 1813.
2. Und wenn wir schon gezwungen sein
Zu dieser Nation,
So marschieren wir wohl über den Rbein,
Bis daß wir bei den Russen sein,
Dort warn wir gar zu gern.
Kleine Mitteilungen.
145
Und als wir zu den Russen kommen,
So rufen wir Hurrah,
So rufen wir Hurrah, vivat
Und schlagen auf Paris die Schlacht.
Alexander lebe wohl!
4. Ihr Brüder, fasat euch frischen Mut!
Alexander lebe wohl!
Friedrich "Wilhelm wird bei uns sein.
Er wird ja unser Helfer sein.
Er steht uns Deutschen bei.
Was fangen die armen Mädchen an?
Sie bekommen keinen Mann,
Da ist der Herr Napoleon schuld.
Drum seind sie voller Ungeduld,
Drum ist ihr Herz betrübt.
Aus Cogelac.
VI.
Mel.:
Der russisch-japanische Krieg.
0 wie dunkel siud die Mauern.
1. Wie siehts aus im fernen Osten
Wo der Krieg so wüten tut?
Manches Leben tut es kosten,
l'nd wie manches juuge Blut,
Wo sie [sind da] hingerissen
Bei der mörderlichen Schlacht,
Und kein Mensch kanns wissen,
Wann Gott dort ein Endo macht.
'2. Wieviel Eltern müssen weinen
Um ihr heißgeliebtes Kind,
Das wohl nicht mehr wird erscheinen.
Wann der Krieg ein Ende nimmt!
Der mit Sorgen (?] ward erzogen
Und mit Armut durchgebracht,
Ist so «chnell dahingeschlagen,
Läßt sein Leben in der Schlacht.
3. Manches Schwesterlein wird fragen:
,,Wo bleibt denn das Brüderlein V
Ist er schon vom Feind erschlagen
Oder wird or lebend sein?"'
Manches Kind wird täglich fragen;
„Wo ist doch der Vater mein?"
Und die Mutter muß dann sagen:
„Er wird schon erschossen sein".
4. Mancher hat den Tod gefunden
In des Meeres tiefem ürund.
Und noch vor ganz wenig Stunden,
War er lebend und gesund.
Ach, so schnell büsst dort der Krieger
Sein 80 junges Leben ein;
Und wer weiss, wer wohl der Sieger
Bei dem Ende noch wird sein!
b. Gott, gib doch dem lieben Kaiser
Seiner Macht ein guten Mut!
Könnten wirs da machen weiser,
Dass er doch eins siegen tut?
Und wir wollen fleissig bitten,
Die im Heimatlande sind;
Denn in mancher, mancher Hütten
Weint ein armes Waisenkind.
Zoitschr. fl. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft
G. Ach, wie siud wir arme Leute,
Wenig spüren noch vom Sieg!
Hingeschlachtet sind viel Leute
In dem fürchterlichen Krieg.
Manches Weib niuss bitter weinen
Um den vielgeliebten Mann,
Und da sind die lieben Kleinen
Bei der Mutter hinten dran.
7. Ist schon manche Lück gerissen.
Wo der Ehstand schön geziert;
Mancher Mann wird scheiden müssen,
Wo das Weib ihn nimmer sieht.
Und auch von den lieben Kleinen
Wird so manches Waise sein,
Wird kein Vater mehr erscheinen,
Bleibt die Mutter mit allein.
8. Wer kann all das Elend wägen
Jetzt in selber schwerer Zeity
Und wer wird die Kleinen pflegen.
Wann der Vater muss in'n Streit?
Gott, lass Deine Gnade walten!
Denn wir Menschen sind zu schwach;
Du kannst alles wohl crlialten
In dem grossen Weh und Ach.
9. Liebe, weine nicht beim Scheiden,
Weil ich auf den Kriegsplatz muss!
Soll ich auch den Tod jetzt leiden.
Einmal ist der feste Schluss.
Als Soldat bin ich geboren,
Hab mein Leben eingesetzt,
Hab dem Kaiser zugeschworen,
Und vollziehen muss ichs jetzt.
10. Vater, Mutter, alle Lieben,
Weib imd Kinder gross und klein,
Warum wollt ihr euch betrüben?
Es muss einmal doch so sein.
Wenn wir eins den Feind besiegen.
Kommen wir ja wieder heim.
Dann wird keiner schlafen liegen.
Dann wird grosse Freude sein.
10
140 Byhan. Andiee-Eysn:
11. „Weuu nucli viele Tausend fehlen,
Wo schon längst im Grabe ruhn
Und sich auch zur Heimat zählen,
üies ist alles Gottes Tun.
Ihre Kosen sind versclnvunden
Von der NVangen schöner Pracht,
Doch sie haben überwunden.
Allen Freunden gute Nacht!"
Aus Freudental 1905. — Im russisch-japanischen Kriege kämpfte auch eine Menge
deutscher Kolonisten aus Südrassland mit. Die Melodie 'ü wie dunkel' ist dieselbe wie
'Stehe ich am Eisengitter (Erk-Böhme nr, 727) oder 'Einst stand ich im Eisengitter'
(oben S. ~).
VII. Die neue Heimat.
0 wilde Walachei, o schöne Walachei!
Die Häuser seind mit alte Dächer,
Driu so schön große Löcher.
Der Richter und der Schinder
Sind lauter Geschwisterkinder,
Der Dieb ist galgenfrei.
O wilde Walachei!
Der ein spricht über die andern seltc,
[Denn] Schweine seind sie selber.
0 wilde Walachei, o schöne Walachei 1 Aus Caiämuräd.
VIII. Die Sauberkeit dort.
1. Mit Laus da war das Land gesegent, 2. Die gröste sein wie die Gerstekerner,
Die find mer überall [1. allerwegen], Die mittlere sein wie die Haferkerner„
Im Hemd, im Bett, im Haus, Die kleinste wate kugelrund,
Do find mer nix als Laus auf Laus. Und viere wogeu ein Vertelpfund.
3. Und do hat mer nix aufzuhange.
Da seh. . . die Hühnlein auf d Stange,
Wo mer Sach aufhange soll;
Do sein die Kleider von voll. Ebendaher.
Hamburg. Arthur Byhan.
Zu den Totenkroneii.
Mit 2 Abbildungen.)
Im vorigen Jahrgange dieser Zeitschrift (2G, 225— 24G) berichtet Otto Lauffer
eingehend über den volkstümlichen Gebrauch der Totenkronen in Deutschland und
bildet verschiedene Formen solcher Kronen ab.
Ais Ergiinjiung zu diesen Bildern mögen zwei weitere dienen, da sie voll-
kommen rerschieden von den besprochenen sind.
Abb. 1 zeigt ein nur A^/^ cm im Durchmesser haltendes Krönchen, hergestellt
aus haarfeinen, mit dunkelgrüner Seide übersponnenen Metallfäden. Über seine
Herkunft schreibt der verstorbene Dr. Bamberg in Lockwitz bei Dresden in einem
hinterlassenen Manuskript:
,,Im Vorraum einer seit einem halben Jahrhundert nicht mehr benutzten
Familiengruft auf dem St. Johannis-Goltesackcr in Zeitz (Prov. Sachsen, zum so-
Kleine Mitteilungen.
147
Abb. 1.
Abb. 2.
10*
24,s xVndree-Eysn, Müller-Rüdersdorf :
genannten Osterland gehörig) fand ich an der Wand zwei schmale schwarze
Schaukästen mit erblindeten Scheiben, in dem einen ungefähr 12—15 grössere, in
dem anderen zahlreichere kleine Krönchen, die nur 5—7 cm im Durchmesser hatten.
Diese kleinen grünen Krönchen waren, wie aus der verwitterten Inschrift auf dem
Kasten zu entnehmen war, einem 1787 verstorbenen 6jährigen Mädchen namens
Crist. Coral. Ottin gewidmet. Im Museum zu Annaberg sah ich dann noch zwei
den oben genannten grösseren ähnliche Kronen, die aus einer nahen Dorfkirche
stammten."
Diese winzigen grünen Zeitzer Totenkroneu haben grosse Ähnlichkeit mit den
braunschweigischen Brautkronen, von denen Richard Andree^) sagt:
„Solche Brautkronen erhielten junge Mädchen frühzeitig angefertigt, die sie
— noch lange nicht Bräute — selbst bei der Konfirmation, beim Gevatterstehen
trugen, und die dann bei der Trauung ihren eigentlichen Zweck erfüllten, später
sorgfältig aufbewahrt wurden, so dass sie jetzt in den Museen sich befinden."
Abb. 2 zeigt ein altes Ölgemälde, das Dr. Bamberg in der Kirche zu Lockwitz auf-
fand. Es ist das lebensgrosse Bildnis des Hans Georg von Osterhausen, des Gründers
der ersten evangel. Kirche zu Lockwitz, der 1G27 starb und in der Sophienkirche
zu Dresden beigesetzt wurde. Der Tote ist, im Sarge liegend, in der Tracht des
ausgehenden IG. Jahrhunderts, mit einem mächtigen Korbdegen im Arm und einer
Totenkrone auf dem Haupte dargestellt; zu seinen Füssen sitzt ein Engel, derein
Medaillon mit folgender Inschrift aufrecht hält:
„Der weiland wohledle, gestrenge und feste Hans Georg von Osterhausen auf Ritter-
gut Reinhardsgrimnia, Ober- und Niederlockwitz, auf Nickern, churfürstl. Durchl. zu
Sachsen, wohlbestallter Ober-Kammer- und Bergrat und der Landrentenkammer Rector
ist den 1. Nov. 1027 früh um 2 Uhr christlich und selig entschlafen, seines Alters 49 Jahre
24 Wochen. Gott Gnad."
Die Totenkrone ist auf dem Bilde mit weisser Farbe gemalt, war also höchst
wahrscheinlich aus Silberspitzen, die auf Krone und Manschette gleich sind;
das Muster derselben weist ganz entschieden auf Lahn-Spitzen2), wie sie in katho-
lischen Ländern früher sehr viel zum Ausputzen von Kissen, Madonnenkleidern,
Reliquien u. dergl. verwendet wurden und heute noch in Sachsen (Annaberg,
Freiberg und Leipzig), auch in Nürnberg, hauptsächlich für den Orient hergestellt
werden.
München. Marie Andree-Eysn.
Das Kind im Aberglauben des Isergebirges.
Von den vielen Kapiteln des Aberglaubens ist das vom Kind und seiner Fliege
eines der eigenartigsten und reichhaltigsten. Ihm zugehörig sind die nachstehenden
Ergebnisse eingehender volkskundlicher Erforschung.
Neugeborene Kinder lässt man vielfach in den Stall sehen, da man glaubt,
dass sie besondere Glücksbringer für die Viehzucht seien. Von Kindern,
die in der Nacht zwischen zwölf und ein Uhr geboren wurden, meint man,
sie könnten alle Geister schauen und stets auf Erfüllung ihrer Träume rechnen.
Einem Kinde, das sich schon am ersten Tage seines Daseins viel umsieht, sagt man
ein baldiges Ende voraus. Verschiedentlich warnt man davor, einem Neugeborenen in
1) In einem Briefe an Dr. Bamberg.
2) Lahn = gewalzter Metalldraht.
Kleine Mitteilungen. 149
den ersten drei Tagen zu fluchen oder eine böse Vermutung betreffs seiner Zukunft
auszusprechen, weil man glaubt, solche Worte würden sich erfüllen. Damit das
Kind später die zehn Gebote gut hält, soll man ihm während der ersten drei Lebens-
tage ein Gesangbuch unter das Kopfkissen legen. Will man das Neugeborene für
die Zeit seines Lebens gegen starke Kälte und Hitze sichern, so soll man es vor
dem ersten Bade mit kaltem Wasser besprengen. Als Mittel zu späterem Reich-
tum betrachtet man ein in das erste ßadewasser geworfenes Geldstück. Damit
das Kind stets gut schlafen kann, achtet man darauf, dass niemand die leere
Wiege schaukelt. Weint und schreit es viel an einem Tage, so rechnet man auf
starken Wind. Wer dem Säugling ein langes Leben bewirken will, soll es zum
erstenmal im zeitigen Frühjahr hinaustragen und dabei sprechen: „Gott walt's!"
Soll ein Kind nicht so leicht den Schnupfen bekommen, so darf bei seiner
Taufe keiner von den Patenleuten schnupfenkrank sein. Von dem Täufling, der
an dem Tage, da ein Begräbnis im Orte stattfindet, getauft wird, sagt man, er sterbe
frühzeitig. Damit er kein Trinker wird, soll man mit ihm nicht in ein Wirtshaus
gehen. Ist der Täufling ein Mädchen, so darf kein Fräulein bei ihm Pate stehen.
Man sagt, nur wenn dieses Patin eines Knaben sei, könne es auf einen Ehemann
rechnen. Manche Leute lassen das Kind nach der Taufe in den Patenbrief sehen,
in dem Glauben, dass es dann klug werde. Von einem Paten, der nach Ausferti-
gung des Patenkästchens dieses noch einmal öffnet, heisst es, er mache aus dem
Täufling einen Dieb.
Will man bei dem Kinde einen vollen und reichen Haarwuchs erzielen, so
soll man ihm den Kopf mit Fliesswasser w^aschen. Eltern, die ihrcKleinen vor Krämpfen
bewahren wollen und dafür sorgen möchten, dass ihnen das Zahnen nicht zu schmerz-
haft wird, gibt man den Rat, sie in den geheizten Backofen sehen zu lassen. Auch
soll man, damit die Zähne leicht kommen, dem Kinde einen lebendigen Fisch
durch den Mund ziehen und sprechen: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und
des Heiligen Geistes". Den benutzten Fisch muss man alsdann wieder ins Wasser
setzen. Als vorzügliches Mittel zum Sprechenlernen der Kleinen betrachtet man-
che Mutter das Verabreichen von Bettlerbrot. Von zwei Kindern, die noch nicht
ein Jahr alt sind und sich ansehen, sagt man, sie bekämen schwer ihre Sprache.
Damit das Kind nicht mondsüchtig wird, soll man es nicht während der ersten
zwölf Monate seines Lebens in den Mond blicken lassen. Misst man vor Ablauf
dieser Zeit den Kopf eines Kleinen, so wächst er nicht mehr. Damit die Kinder
rechtshändig werden, soll man ihnen stets den rechten Kleidärmel zuerst anziehen.
Gegen die Gelbsucht empfiehlt man ein unverhofftes Übergiessen des Kranken mit
kaltem Wasser oder ein Erschrecken desselben im Dunkeln. Durch Einreiben der
Haut und Gelenke mit Knorpelkraut sucht man das Kind vor Ausschlag zu schützen
und ihm Gelenkigkeit zu geben. Will man Sommersprossen beseitigen, so reibt
man das Gesicht mit dem ersten Löwenzahn oder einer schwarzen Schnecke ein.
Als eine Ursache dieses Übels bezeichnet man den Regen, den das Kind vor Voll-
endung seines ersten Jahres ins Gesicht bekommt. Ist der Säugling noch nicht
ein Jahr alt, dann soll man vor ihm auf den Tisch Geld und Brot legen. Greift
er nach dem Geld, so meint man, er werde zu einem sparsamen Menschen lieran-
wachsen. Nimmt er das Brot, so weissagt man ihm Verschwendungssucht. Von
einem kleinen Kinde, das man in den Spiegel sehen lässt, meint man, es werde
eitel. Will man Kinder vor häufigen Zahnschmerzen bewahren, so darf man ihnen
nicht Freitags die Fingernägel beschneiden. Ein Beschneiden der Nägel am Sonn-
tag bezeichnet man als Ursache von Gedankenlosigkeit. Gegen Nasenbluten giesst
man kaltes Wasser auf den Nacken oder legt einen Schlüssel auf denselben. Auch
J50 Miiller-Rüdersdorf, Schell:
empfiehlt man zur Stillung des Blutes um den kleinen Finger einen Zwirnfaden
zu wickeln oder den Zeigefinger hochzuhalten. Kommt das Blut aus dem rechten
Nasenloche, so muss es der Zeigefinger der rechten Hand sein, andernfalls der der
linken Hand. Vielfach dientauch ein in die betreffende Nasenöffnung gesteckter Kar-
toffelbovist zur Stillung. Überhaupt verwendet man diesen Pilz gern als Heilmittel
bei Blutungen.
Ein Kind soll man nie als 'Ding' bezeichnen, da es sonst drei Tage lang nicht
wachse. Auch glaubt man das Wachstum der Kleinen zu beeinträchtigen, wenn
man ihnen an den Kopf schlügt oder über sie, falls sie spielend auf der Erde
liegen, hinwegsteigt. Den Kindern selbst verbietet man, durch einen Stuhl, ein
Fenster usw. zu kriechen. Ist jemand nur mit einem Schuh bekleidet oder hat er
verschieden hohe Fussbekleidung an, so meint man, er 'rerliere das Mass', d. h.,
er nehme an Körpergewicht ab. Dasselbe gilt von dem, der über 'das Kehrschel'
(zusammengefegter Schmutz, Ivehricht) läuft. Ist ein Kind magerer und schwächer
geworden und schmeckt ihm das Essen nicht, so holt man jemand in das Haus,
der ihm das 'verlorene Mass' durch seine 'Geheimkunst' wiedergeben soll. Er kommt
dann dreimal und misst jedesmal seinen Patienten mit einem Faden vom Kinn bis zur
Fussspitze. Dazu flüstert er andachtsvoll und unverständlich ein Sprüchlein. Nach
dem letzten Messen verbrennt er den Faden. Das Ganze geschieht ohne Beisein
eines Dritten und wird — in dem Glauben, dass es sonst vergeblich sei — ver-
schwiegen. Damit der Gemessene Erfolg hat, darf er erst acht Tage nach der
letzten Behandlung über ein Wasser gehen. Die Stelle, an der er beim Messen
stand, wird sorgsam abgefegt. Eines guten Erfolges meint man auch sicher zu
sein, wenn man zu dem weggehenden Wundermanne spricht: „Kumm nich wied'r!"
Charlottenburg. Wilhelm Müller-Tlüdersdorf.
Bergische Arbeitsreime (Arbeitsliedchen).
Im allgemeinen darf man wohl behaupten, dass die Dichtkunst des Volkes
zum Feiertagsgewande gehört. Alles, was aus dem Rahmen des Alltagslebens
fällt, reizt das Volk zum Dichten und Singen an. Aber vereinzelt wird auch die
Arbeit von Erzeugnissen der volkstümlichen Dichtkunst begleitet, verschmilzt mit
ihnen und empfängt durch sie sogar Regelung und Belebung. Es sind die so-
genannten Arbeitslieder, besser wohl Arbeitsreime genannt, da ein liedartiges
Gefüge, die Aneinanderreihung von Strophen, in den meisten Fällen fehlt. Zu
Liedern erweiterte Arbeitsreime gliedern sich aber, da sie meist Wechselgesänge
bieten, doch wieder in kleine, von den Strophen zu unterscheidende p]inheiten.
Dass wir ferner streng zu unterscheiden haben zwischen Arbeitsreimen (oder
Arbeitslicdchen) und den zur Arbeit gesungenen (Unterhaltungsliedern) oder den
zu ihrem Preise entstandenen Liedern (Handwerksliedcrn; vgl. u. a. 0. Schade,
Handwerkslieder, Leipzig 1864) oder endlich den zu ihrer Verspottung gedichteten
Liedern (vgl. z. B. A. Keller. Die Handwerker im Volkshumor, Leipzig 11)12), ist
selbstverständlich.
Ein weiteres Eingehen auf Zweck, Wesen, Form, Inhalt, Melodie, Ursprung,
Alter usw. unserer Arbeitsreime erübrigt sich nach den bedeutenden Arbeiten von
K. Bücher (Arbeit und Rhythmus. 4. Aufl. 1909), Ad. Schullerus (Unsere A^olks-
dichtung), K. Reuschel (Volkskundliche Streifzüge, 190:;), W. Uhl (Winiliod,
Kleine Mitteilungen. 151
1908 u. 1913) und ü. Böckel (Einleitung zu den deutschen Volksliedern aus Ober-
hessen, 1885 und Psychologie d. Volksdicht. ^ [191.15] S. 13 f.), ebenso wie ein Nach-
weis über die Notwendigkeit, auch diese Gebilde der Volksdichtung zu sammeln.
Wenn diese Sammeltätigkeit recht fruchtbringend sein soll, muss sie sich auf einen
kleinen Bezirk erstrecken, dessen Beschränkung allerdings durch das Wandern der
Gesellen wieder bis zu einem gewissen Grade aufgehoben wird.
Mit Bücher und andern Forschern unterscheiden wir für unsere Reime drei
Arten der Arbeit: Einzelarbeit, die doch zu gleicher Zeit von mehreren ausgeübt
werden kann, Arbeit im Wechseltakt und Arbeit im Gleichtakt. Haben wir so
die Scheidung nach oben vollzogen, sie gegen das Volkslied abgegrenzt, so müssen
Avir auch nach unten — gegen das Kinderlied, Spiellied usw. — eine Grenzlinie
feststellen. Das ist nicht leicht, da die Übergänge sich hier besonders leicht ver-
wischen. So dürfen wohl viele Kinderlieder (Rummelpottslieder und Lieder,
welche zum Pfänderspiel gesungen werden, wie: Droben auf grüner Heid; vom
Topf, der ein Loch hat usw.^) hierher gerechnet werden. Die Arbeit löst sich
leicht ins Spiel auf (z. B. Bastlösereime, Reime beim Blumenpflücken. Blumen-
orakel usw.), und so wird eine feste Umgrenzung erschwert.
Beginnen wir bei der Landwirtschaft; dann mögen die verschiedenen Hand-
werke und endlich die Jugend mit einigen Proben folgen.
1. Dreschen. Das Dreschen mit seinem regelmässigen Takte^), der bei der
gemeinschaftlichen Arbeit aufs peinlichste gewahrt werden muss, forderte geradezu
zur Bildung von begleitenden Versen heraus, welche sich nur dem ^rhythmischen
Arbeitstakt" anzupassen brauchten. So schlicsst sich das Drescherlicd aufs innigste
dem Gang der Arbeit an, ^aber nicht an den Gleichtakt, sondern an den Wechsel-
takt"'). Die Dreschmaschine hat hier viel altes Volksgut vernichtet.
Aus dem Bergischen ist folgendes Drescherliedchen zu verzeichnen:
Lustig im Walzertakt
Flegel £?ehn auf und ab:
Einer dem andern nach
Schlagen wir auf und ab:
Klipp de klapp, klipp de klajtp!*)
Vorzüglich passt das daktylische Versmass zum Dreschtakt.
2. Schwingtag. W. Uhl bemerkt 1, 176: „Dem Untergang nahe ist die
Tätigkeit des Flachsreffens, und auch die Flachsrefflieder, von denen noch weit
grössere Reste, etwa nur sog. 'Rudimente' erhalten sind, dürften dann fast gar nicht
mehr als solche bekannt sein." Bücher fällt über unsere westlichen Provinzen fol-
gendes Urteil (S. '.»<)): ,. Flachsred lieder finden sich noch zahlreich in Westfalen
und im Rheinland. Sie werden beim Abstreifen der grünen Samenknoten des
Flachses gesungen, einer ziemlich mühsamen Arbeit, welche mittels eiserner, in
die Balken der Scheunenwände eingelassener Kämme geschieht, durch welche die
Flachsstengel handvollwcise hindurchgezogen werden. In der Regel versammeln
sich dabei die Burschen und Mädchen des Dorfes zur freiwilligen Hilfeleistung,
und die Lieder, welche sie zu dem taktmässigen Surren des Kammes singen,
1) Bücher S. 90 f.
2; Arbeit im Weclisellakt: durchweg im Bergischen 'Dreischlag' genannt.
3) E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde 1898 S. ai5.
4) Aus Windrath bei Langenberg; mitgeteilt von Landwirt Ernst Kipp. Literatur
bei Sartori, Sitte und Brauch 2, 99; Uhl, Winiliod 1, 182 f., 184; H. Zschalig, Mitt. d.
Ver. f. Sachs. Volksk. 2, 242 fl.: Bücher S. 148. 32G.
152 Schell:
tragen den Charakter ausgelassener Neckerei. Aber sie schliessen sich, manchmal
mit ausgesprochener Nachahmung des Kammschwirrens, unmittelbar dem Rhythmus
des Reffens an." Uhl fügt hinzu: „Es liegt also im Flachsrefflied ein echtes,
altes winiliod^) vor. Alle Merkmale eines solchen stellen sich ein: rhythmischer
Arbeitstakt der Melodie, Neckverse, Wechselgesang, Improvisation mit Namens-
Einsetzung. Das gleiche gilt auch von den Flachsbrechliedern, die noch dazu von
Mädchen und Frauen gesungen werden, wodurch der Charakter des winiiiod noch
strenger gewahrt erscheint^)."
Im Bergischen legte man auf das Schwingen des Flachses besondern Nach-
druck. Die von Uhl oben gegebene Kennzeichnung trifft auch auf das einzige
Schwingtagsliedchen, welches wir aus dem Bergischen anführen können, voll-
kommen zu. Montanus^) hat es aufgezeichnet; es lautet:
Wo geht sich denn der Mond auf?
Blau, blau Blümeleinl
Oberm Lindenbaum, da gelit er auf.
Blumen im Tal, Mädchen im Saal!
0, du tapfere Rosel
Einige Anklänge hat dieses Liedchen an das im Bergischen noch ziemlich
bekannte Pfingstlied*). Montanus bemerkt dazu: „Nachdem die Schwingerinnerr
sich in Reihen vor ihren Schwingstöcken geordnet und die klappernde Arbeit be-
gonnen haben, die Zungen durch Anisbranntwein gelöset sind, wird der Schwing-
tag mit einem feierlichen Liede in Molltönen eröffnet, welches anhebt: „Wo geht
sich denn" usw. Diese Strophe wird so oft wiederholt, als Sängerinnen anwesend
sind, und das Haus, der Wohnort einer jeden, wird als Aufgangspunkt des Mondes^
bezeichnet.*^
Die weiterhin von Montanus als Schwingtaglieder angeführten Gesänge sind
allgemeine Volkslieder. In neuerer Zeit wurde auf den Schwnngtagen nach den
Angaben alter Leute vom Lande überhaupt nicht mehr gesungen.
Vielleicht dürfen noch hierher gerechnet werden:
Es flog eine weisse Taube!*
oder:
Das Manschen auf der Schüren sass*^).
Es mag auch mit Vorsicht aufgenommen werden, was Montanus über die
Schwingtaglieder im allgemeinen sagt (S. 44).
Ein Spinnerlied aus Westfalen bringt H. Hartmann"), Zurmühlen**) dagegen
zwei vom Niederrhein.
3. Viehhüten'»). Noch in den GOer Jahren des vorigen Jahrhunderts neckten
sich die die Kühe im Herbst hütenden Bauernjungen bei Elberfeld, Neviges usw.
1) [^S^- jedoch die von Bolte oben 19, 237 gegen die Gleichsetzung von Winiiiod
und Arbeitslied erhobenen schwerwiegenden Einwände.]
2 Ein Bergisches Flachsrefflied (Flachsroepen) befindet sich in v. d. Höh, Briefe usw.
S. 45; Der Sperbel flog eröm on töm. Weitere Literatur b. Sartori 2, 115 Anm. j:i.
3 Die deutschen Volksfeste 1854 S. 44; vgl. Erk-Böhme 2 nr. 441.
4) Firmenich, Germ. Völkerstimmen 1, 443. Ein R^pplied bei Firnienich 1, 268,
vgl. 3, 175. Woeste, Volksüberlieferungen in der Grafschaft Mark 1848 S. 2!) ff.:
Reifferscheid, Westfäl Volkslieder 1879 S. 94ff., ISSff.; Jahrb. d. Ver. f. niederd. Sprach-
forsch. 1877 S. 152ff.
5) Montanus S. 47. — 6) Ebenda S. 48. — 7) Bilder aus Westfalen 1871 S. 207;
Bücher S. 88. — 8; Niederrheinische Volkslieder 1879 Nr. IG. 113; vgl. dazu Erk-Böhme
1, 435 f., 472. — 9) Bücher schliesst sie aus, weil es keine 'echten Taktlreder' sind.
Kleine Mitteilungen. 153
wenn sie sich in grösseren Entfernungen voneinander befanden, namentlich wenn,
ein Tal sie trennte, mit dem laut gesungenen Zuruf:
Heloloh!
De füle Kuhhiai tlo!
Woeste^) bringt ähnliche Hirtenrufe aus den angrenzenden Landstrichen und
bemerkt dazu: „Die schon bei v. d. Steinen vorkommende Sago von einem alt-
sächsischen Hirtengotte Loe^) ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Könnte es
nicht Loki (Lohho) gewesen sein? V^gl. das Dänische: Locke treibt seine Geisse
aus." Diese Vermutung Woestes mag auf sich beruhen bleiben. In seinem
Wörterbuch der Westfälischen Mundart (1S82) schreibt derselbe Verfasser: 'helo
he, heissa! engl, hilliho! Christmas carol. mnd. heilo = hei o, o heil!'
An der Agger (im Bergischen) lautet der Hirtenruf beim Heimtrieb des Viehs:
Hern, Kueli, hem!
Stalldühr opi
Die Kueb, die kütt,
Die Kiieh es satt, .
Sie mag ken Blatt.
Jöh, hem, ho!^)
Auf eine andere Deutung bringt uns der Hirtenruf, den Woeste von Lüden-
scheid in folgender Form aufzeichnet:
Elo lo (Marlisbet) o! ba hoste o?
Antwort:
Elo lo ^Mariktrin) o! ek haue (da und da)
un maren hau ik da, und da).
Hier haben wir zweifelsohne eine ursprünglichere, vollkommnere Form des Hirten-
rufs vor uns, einen kurzen Wechselgesang zwischen Hirt und Hirtin, um ein Zu-
sammentreffen zu ermöglichen*).
Der reiche Gehalt an voUtonigen Vokalen in den Bergischen (und anderen)
Hirtenrufen ermöglicht es, sie auf grössere Entfernungen verständlich zu machen,
was gerade hier sehr stark ins Gewicht fällt').
4. Melken. In Flandersbach bei Wülfrath singt die Bäuerin oder Magd beim
Melken :
Stripp, strapp, stroU,
Es da Emmer noch nit voll?")
.'>. Fuhrmann. Bezüglich ihrer Auffassung als Arbeitslieder stimmen wir mit
Bücher überein, wenn er bemerkt (S. 145): „Ebenso soll an die deutschen Fuhr-
mannslieder, denen man in den Sammlungen ziemlich häufig begegnet, bloss er-
innert werden. Die Veränderung der Verkehrsverhältnisse erschwert uns das Ver-
1) Volksüberlieferungen in der Grafschaft Mark S. 21f.; E. H. Meyer Dt. Volkskd.
S. 147. [Bolte-Polivka, Anmerkungen zu Grimms Märchen 2, 3Sl; Schrammer, Volks-
lieder aus dem Eulengebirge 1912 nr. 189—192.] — 2 Vgl. u. a. E. H. Meyer, Germ.
Myth. 1891 S. 193.
3) Monatsschrift des Berg. Gesch.-Vereins 1910 S. 91.
4) Vgl. Böckel, Psychologie der Volksdichtung " S. 81.
5) Sartori, Sitte und Brauch 2, 15:> Anm. 8 bringt reiche Literatur; vgl. ferner
Firmenich 1, 268. 347. 348. 3, 175. 177. 193. 693. 694. 695. 696 Ef. 88(;: Ihl, Winiliod 1,
65. 116.
6) Mitgeteilt von Lehrer W. Simon in Flandersbach. Vgl. Grimm KHM. nr. 45:
Sartori 2, 143 Anm. 8; Uhl S. 180f.: Firmenich 1, 269. [Lewalter, Kinderlieder S. 302
zu nr. 120.]
154 Schell;
ständnis dieser Dinge ungemein." Am ersten möchte hierher folgendes Liedchen
zu rechnen sein:
Sollen rasch die Pferde fahren,
Soll man nicht den Hafer sparen;
Schnell läuft das Rad,
\Yenn man's geschmiert hat:
Nicht gerade nach der Nase,
Sondern krumm läuft auch die Strasse.
Schnell läuft das Rad,
Wenn man"s geschmiert hat* .
Angeführt sei noch das aus einem alten Fuhrmannslicd des 17. Jahrhunderts zu-
sammengezogene, sehr verbreitete, meist als Kehrvers bei Rundliedern gesungene
Liedchen :
Zieh, Schimmel, zieh.
Vom (Im) Dreck bis an die Knie.
Morgen woirn wir Hafer dreschen,
Soll der S^chimmel Häcksel fressen.
Zieh, Schimmel, zieh.
<;. Böttcher. Man muss zwischen dem Arbeitsgeräusch des Böttchers und
dem des Dreschers eine gewisse Übereinstimmung zugeben, welche um so grösser
und auffallender ist, wenn mehrere Böttcher an ein und demselben I^'ass die Reifen
antreiben. Aber die Schallwirkung ist doch eine andere, und dieser tragen die
Arbeitsreime des Böttchers mit ihrer dumpfen, stumpfen Klangfarbe in geschickter
Weise Rechnung. In Elberfeld singt der Böttcher:
Der Böttcher macht bum, bum.
Und schlägt den Reifen
Um et Küwen ganz herum!
Ein zweites Böttcherlied aus Elberfeld lautet:
Ich bin der Böttcher Bum, Bum, Bum,
Geht es mir auch manchmal krumm,
Is mir ganz pomade.
Es wird schon wieder grade.
Laut schallt es rings herum:
Ich bin der Böttcher Bum, Bum, Bum.
Woeste hat wohl das westfälische, bedeutend kürzere Böttcherlied mit ebenso
Irelflicher Klangwirkung in seinem Westfälischen Wörterbuch (S. 44) festgehalten:
de stampen hemers makt bum, bum, bum! 2;
7. Zimmermann. Der Zimmermann erfährt beim Balkenziehen eine wesent-
liche Förderung seiner Arbeit durch ein genau geregeltes, taktmässiges Zusammen-
wirken. Darum kann sein Arbeitsreim nur kurz sein. Es ist ein Ruf, der sich
dem Kommando nähert. Kr ruft in Elberfeld:
Holz kömmt!
oder:
Ein, zwei — Holz kömmt:-*]
1) Dieses Liedchen wurde von Lehrer Friedr. Fütterer in Mach, einem sehr ab-
gelegenen Gebirgsdorfe, aufgezeichnet; vgl. Des Knaben Wunderhoru, Reclamsche Aus-
gabe, S. 352; Erlach, Volkslieder der Deutschen 1834-18^7, 2, 549. 557; Erk - Böhme 3,
1572f.; Böckel, S. 80: Firmenich 1, 42G u. a. m.
2) Vgl. ferner zum Arbeitsgeräusch des Böttchers Keller, Die Handwerker im Volks-
-humor 1912 S. 25. — 3i Vgl. Uhl, Winiliod S. 189ff.: Keller S. 25.
Kleine Mitteilungen. 155
8. Weber. Ob ein Arbeitslied der Weber im Bergischen im Umlauf war,
erscheint mir fraglich; immerhin ist es möglich. Arbeitslieder der Weber dürften
im allgemeinen selten sein. Firmenich hat (2, 512) ein solches aus Mühlhausen
im Oberelsass aufgezeichnet, ein anderes aus Strassburg (2, 525).
Das zum Weben aber unentbehrliche Spulen hat einen Reim gezeitigt:
Dat Spulerad,
Dat Spulerad,
Dat ärgert meck
Den ganzen Dag!') i^Elberfeld.)
9. Maurer. Der Maurer wird gern vom Volk als träge hingestellt; darum
pflegt man zu sagen: En Luat Mürerschwett kost'n Kruandäler-). Da die Maurer
vorzugsweise aus dem Hamburgischen in die grossen Wuppertalstädte und andere
Industriestädte einwandern, ist das Maurerliedchen in dieser Mundart gedichtet:
Hie — Ha — Han mer dech emool ;
Han mer dech emool erwe.scht!
Han mer dech nit,
Dann kriege merr dech doch,
Schloon dech met dem Trüffel —
Hie — Ha usw.')
Ganz aus dem Geiste geboren, der den Maurer gern als arbeitsmüde hinstellt,
sind einige Arbeitsliedchen, welche zu seiner Verspottung entstanden, aber doch
hierher zu zählen sind. So singt man in Barmen:
Wiess — Quass, hen on her!
Ech woll, dat et als Owend wöar.
Wemmer ooch nocli nit öössen,
Wemmer doch als do söössen!
Eine geringe Abweichung bietet die Elberfolder Lesart:
Quiesskwass hen on her.
Eck wünsch, dat et Meddag wör.
On dat vie dätten eten,
Odder schlüpen lögen.
In Gräfrath heisst es:
Wiessquästchen liin on lier,
Nu wohl ech, dat et Owend wörl
10. Schuster. Als Arbeitsreim der Schuhmacher darf man vielleicht den
folgenden Vierzeiler ansprechen:
Vie (Sie;^ läppen, vie sie) pappen.
Schient kräftig op de Penn;
Denn all die Schusterjonges
Hant ömmer fruaen Senn!*) Elberfeld.)
11. Schreiner. Dem Schreiner schreibt man folgenden Arbeitsreim zu:
Das Schicksal setzt den Hobel an
Und hobelt alles gleich I
Diese Zeilen entstammen bekannntlich der ersten Strophe des durch Kreutzers
Vertonung allgemein bekannten Hobelliedes aus dem 'Verschwender von Ferdinand
Raimund (1833)
Da streiten sicli die Leut herum.
1) Vgl. Uhl, Winiliod S. 188*. — 2) Ebenda S.206f.; Keller S. 51 f. - 3) Fr. Storck,
Je länger je lewer 1876 2, 8G. Das Liedchen ist noch im Volksmund bekannt. Firmenich
dürfte kein Maurerliedchen enthalten. — 4 Vgl. Uhl S. 104: Keller S. 24.
156 Schell:
Als Arbeitsreim der Schreiner ist folgender ohne Zweifel wertvoller:
Ich bin der Sclireiner Hobelglatt,
Ich hoble hin und her.
Ich hoble krumm und schief und platt,
Als wenn"s geplättet wärl (Elberfeld.)
12. Scherenschleifer. Bei ihm ist natürlich von vornherein das eigentliche
Lied, das Scherenschleiferlied i) auszuscheiden. Bei Elberfeld sangen sie früher:
Scherenschleifen, das kann ich,
Das versteh' ich meisterlich 1
13. Postillon. Wenn der Postwagen früher in scharfem Trabe über die
Strasse fuhr und die Fenster der kleinen bergischen Häuser klirrten, dann riefen
die Kinder demselben nach:
Extra Langenberg, extra Post!
Fuhrmann, fahr' aus dem Weg,
Sonst kriegst du de Vott voll Schlag!
Fuhrmann, fahr' aus!
Später wurde das Liedchen in folgender Weise abgeändert:
Extra Langenberg, extra Post!
Hast mir was mitgebracht,
Was mir nichts kost't!
Die zugrunde liegende Melodie bewegt sich ausschliesslich in den Tönen des
Dreiklangs, entsprechend dem Hornsignal. Ein ganz ähnliches Motiv hat u. a.
Fr. Ruhlau in Heibergs 'Elfenhügel' verwertet^).
14. Wiegenliedchen. Es beschäftigt sich naturgemäss mit der Tätigkeit
des AViegens, nicht mit dem Kinde; es lautet in Elberfeld:
Die Wieg die get de krick de krack —
Schlöp du dicke Querksack (Norksack).
15. Schlittenfahren. Das schnelle Hinabsausen des Schlittens am Berg-
hang,, das immerhin mit einem gewissen Rhythmus erfolgt, brachte verschiedene
Ruf liedchen hervor, welche man füglich in diese Reihe aufnehmen darf.
Barmen :
Aftin doo!
Wennste falls,
Dann liasse do!^)
Mettmann :
Pento!*)
We nitt süht.
De leit dol
IG. Bastiösereime^) (Huppenlieder). Auch die Bastlüsereime müssen hier
angeführt werden, wenn es sich auch vorzugsweise um eine spielende Beschäfti-
gung (aber nicht ausschliesslich) der Kinder handelt. Im Ur-Quell habe ich die
Bergischen Bastlösereime gelegentlich einer Umfrage veröffentlicht. Hier seien
dieselben nochmals zusammengestellt.
1) UM S. 187 ff. — 2) Vgl. Uhl S. 32(1. — :T Gemarker, Wichelkus" Kapp ^ S. 99. —
4) Wohl aus 'affin doo' entstanden.
ä) Uhl S. ISO; W^oeste, Mark S. 20. Des Verf. Umfrage im Ur-Quell 3, 203, 294.
4,97. Auf die überreiche Literatur soll hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. u.a.
Am Ur-Quell 3, 204. Hier kommt namentlich Mnntanus -Waldbrüh], Vorzeit 1, 248 ff. in
Betracht.
Kleine Mitteilunsren.
157
1. Hüppken, Hüppken, Oligskrüt,
Kützken liep der Düar herüt.
Wenn dat Kätzken wiader kömmt,
Dann es dat Hüppken fädig, ja fädig, ja fädig.
2. Hüppken, Hüppken, Monekrüt,
Dat Kätzken löppt der Düar herüt.
Es dat Hüppken fädig woer,
Kom dat Kätzken wioder.
3. Pipken, Pipken, Säpe,
De Möller sot om Dake.
Pipken usw. wie Nr. 1.
4. Hüppken, Hüppken, Säpe,
De Möller sett om Däke.
He s . . . hcraf,
He dr . . . heraf,
He fällt mit der V . . . en"t Wäter!
5. Piepken, Piepken, Saapholt!
De Möller kiekt tom Daake ruut,
Met der Witten Mütschen,
He woU dat I^isken bietzen (bötzen)
Met dem ruaden Dooke,
He wolt dat Piepken maaken.
Ein, twei, drei!
Dann mott dat Piefken feedig sin.
(5. Pippken, Pippken, Säp;
Der Möller sot om Däk.
Pippken, Pippken, Muarenkrüt,
Dat Kätzken liap der Düren riit,
Dat Uönken liep em no,
Do woaren se tigliks do.
Äff, äff, äff,
Do giet die Huppe äff.
7. Huppe, Huppe, gcss de loss!
Ech schmiessen dcch en de Roben!
8. Sippe, Sappe, Sunne,
Mi Mauder es en Nunue,
Mi Vader es en Pape;
Da kaun so gode Flcutepiepen maken.
Doa koam da diecke Hesse
Met dat blanke Messe,
Wol den Toan (= Turm) ropklatern.
Toan ropklatern is wol gedoahn;
Fleutepiepen, nu mos se oapen gähn.
i). Siege, siege, sage, wei
^Yollen ein Flöttschen maken;
Flöttschen woll nit duren,
Do smete wei et in de Rühre,
Ut de Ruhr bös in de Rhin,
Wollet wacker ein Flöttschen sin.
(Elberfeld.)
(Elberfeld.)
(Elberfeld.)
(Elberfeld.)
(Remscheid.'»
(Cronenberg.)
(Rosbach a. d. Sieg.)
(Essen.)
(Duissern bei Duisburg.)
]58 Scliell, Schmidt:
17. Rummclpottslicder. M. vgl. hierfür u. a. des Verf. Ausführungen
oben 13, 2'26f. und Sartori, SB. 3, 4G. 59. 7!l. 98. 160. 269, wo auch die haupt-
sächlichste Literatur angeführt ist.
Die Melodie tritt in ihrer Bedeutung entschieden zurück hinter den Text
der Arbeitsreinie und Arbeitsliedchen, weit mehr z. B. wie bei den Tanzliedern.
Die Reime werden vielfach „in einer zwischen Singen und Sprechen die Mitte
haltenden Art rezitiert", wie es bei den meisten Kinderliedern der Fall ist.
Elberfeld. Otto Schell.
Märkische Berge iu der Sage.
Ein Beitrag zur Sagenkiiude der Mark Brandenburg.
Neben der Geschichte ist die Natur die mächtigste Sagenschöpferin. Auch
für die Mark Brandenburg gilt dieser Grundsatz, den mit Beispielen zu belegen
ich in meinem Sagenbuche^), insbesondere für die beiden Landschaften Barnim
und Uckermark, reichliche Gelegenheit hatte.
Der Volksglaube hat an unseren märkischen Bergen mancherlei Eigentümlich-
keiten entdeckt, und im Vergleich mit deutschen Landschaften rein gebirgiger
Natur können wir eine besonders liebevolle und eingehende Beschäftigung mit
ihnen feststellen. Das liegt wohl hauptsächlich darin, dass in der Mark Branden-
burg der wirklichen 'Berge' nicht allzuviele sind. Wo sie aber vorhanden, spricht
das Volk mit einem gewissen Stolz, ja, z. T. sogar mit Ehrerbietung von ihnen.
Die Entstehung der Berge denkt sich der Volksglaube vorwiegend als
Zufall, wobei allerdings die Riesen, die auch sonst immer im Zusammenhang mit
den Bergen erscheinen, ihre Hand im Spiele haben. Der Teufelsberg bei Landin
(V/^sthavelland) verdankt der Bequemlichkeit zweier Liebenden aus dem Ge-
schlecht der Hünen sein Vorhandensein. Um das zwischen ihnen liegende grosse
Luch geradenwegs zu durchschreiten und alle Umwege zu sparen, wurde der Berg
mitten in der Sumpfgegend von dem Riesenfräulein mit wenig Mühe aufgebaut^).
Als störend empfand auch eine Riesenjungfrau einen See in ihrer Nähe; sie be-
schloss ihn zuzudämmen. Als sie mit der Durchführung dieser Arbeit begriffen war,
zerriss ihr kurz vor ihrem Ziel das Schürzenband, und der Sand, den sie in der
Schürze trug, fiel heraus. So entstand der schöne Berg unweit des Werbellinsees
bei Herzberg (Kreis Ruppin).^) Es ist merkwürdig, dass diese Sage bei ihrer
Weiterentwickelung ein christliches Gewand angenommen hat und ein Engel das
Schürzenband zerschnitt, damit das Riesenfräulein nicht zu ihrem Ziel gelange
und eine alte liebe Gewohnheit eines geistlichen Herrn unterbinde.*) Mit der
Entstehung des Gollenbergs bei Stölln (Westhavelland) steht sogar Frau Harke
in Verbindung. Sie ist nicht nur an die Stelle des Riesenfräuleins getreten^),
1) Märkisches Sagenbucli. Sagen und Geschichten aus Barnim und Uckermark.
Berlin 1909.
2) Kunzendorf, Sagen der Provinz Brandenburg (Cottbus 1911) S. 133, vergl. auch
Schwartz, Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg (Berlin 1903 S. 42.
3) Engelien und Lahn, Der Volksmnnd in der Mark Brandenburg Berlin 186>s)
S. 63 u. 83 (Pieseberge an der Oder) und Kuhn (vergl. Anmerkung 7) (Berg bei Wachow
im Havelland).
4) Haase, Sagen aus der Grafschaft Ruppin uud Umgegend (Neu-Ruppin 1887) S. 28.
5) Kuhn und Schwartz,Nor(ldeutsche Sagen, Märchen u. Gebräuche (Leipzig 1848) S. 110.
Kleine IMitteilungen. 159
sondern gehört geradezu zur Familie der Riesen^) und wohnt als solche im Frau-
Harkenberg (Westhavclland). Sie leitet uns über zu den mit unseren Bergen
in innigster Verbindung stehenden Riesen.
Die Berge sind von den Riesen oder Hünen gebaut, wie der bei Knob-
loch (Osthavelland) ^); sie wohnen in oder auf den Bergen, wie z. B. auf den
Klinkower Bergen unweit von Prenzlau'). Ganze Familien von Riesen auf solchen
Hügelketten sind beobachtet worden, so auf den Fuchsbergen bei Brandenburg
a. Havel ^) und auf dem Harkenberg bei Camcrn im Havcllande.^) Und wo benachbart
wohnende Riesen in Streitigkeiten geraten, gibt es grimme Schlachten. Bekannt
ist die Riesenschlacht bei Netzeband im Ruppiner Land«), wo an dem dortigen
dreifachen Wallberg 'noch jetzt Spuren wahrzunehmen sind', und die grosse Müggel-
l)ergschlacht, in der 'sie sich mit grossen Felsblöcken geworfen haben'"). Wir
spüren hier bereits den Anklang an die prähistorischen Fundstätten und erkennen
die Erzählungen von den Hünengräbern.
Im Hünenbett bei Rotzis im Teltow liegt der gefallene Ricsenkönig**) und
im Seddiner Königsgrab . der heidnische König Hinst«), aufgebahrt in dreifacher
Sargverwahrung, golden, silbern und eisern, wie der Riesenkönig, der bei Kemnitz
in der Priegnitz schläft.*") Um das Grab des Riesenkönigs bei Mollen unweit
Lenzen liegen viele Grabhügel und Steinkreise, 'in denen wohl seine Helden be-
graben liegen'.") Diesem Sagenkreise folgend, kommen wir allmählich in die
geschichtliche Zeit, in die Zeit der Germanen- und Wendenkämpfe, die weiter-
hin überleiten zu den Schlachten, die in der Mark zwischen Brandenburgern und
Mecklenburgern geschlagen, die in der Wenden- und Hussitenzeit, ja sogar im
3()jährigen Kriege spielen. Aus den Gräbern der gefallenen Tempelherrn in den
Sandbergen bei Zellin a. d. Oder sprossten von selbst Königskerzen hervor.*-')
Auf der höchsten Spitze des Freiberges bei Ogrosen (Kr. Calau) liegt in einem
dreifachen Sarge, aus Eichenholz, Zinn und Silber der letzte Wendenkönig"), und
ähnliches wird in dem reichen Sagenschatz des Schlossberges bei Burg im Spree-
wald erzählt.'^) Auch der Marienberg bei Lenzen in der Priegnitz erinnert an die
Wendenzeit.*") Der Name des Vivalberges bei Eberswalde erinnert an den
schrecklichen Einfall der Litauer und Polen im ersten Viertel des H.Jahrhunderts
Die Brandenburger siegten, und von den 'V'ivatsrufen der Brandenburger hat dann
der Berg seinen Namen erhalten'.**) Bis auf den Schanzenberg bei Dubrow (Kr.
fjobus) soll eine Schar Hussiten vorgedrungen, dort aber von den Frankfurter
Bürgern empfindlich aufs Haupt geschlagen worden sein. Noch heute findet man
dort verrostete Waffen und Panzerteile.*') Unser Weg führt uns zu den Räuber-
bergen und den Burgsagen, die jedoch hier nicht berührt werden sollen.
Unsere Berge beherbergen aber auch das Gegenteil der Riesen: die Zwerge,
die auch die Unterirdischen, oder, wie namentlich in der Lausitz, die Lutchen
genannt werden. Sie bilden ein besonderes Kapitel, das hier nur insoweit
interessiert, als es unmittelbar mit den Bergen zusammenhängt. In ihnen wohnen
ja die Zwerge hauptsächlich, und manche dieser ürtlichkeiten führen sogar den
Namen Zwergberg, wie z. B. bei Oderberg und bei Lützlow (Kr. Angerraünde).
1) ebenda S. 112. — 2) Kuhn, Märkische Sagen und Märchen (Berlin 1843) S. 14'2. —
:!) ebenda S. 216. — 4 Der Bär 3, 15G. — 5) Kuhn u. Schwartz S. 112. — 6) Haase S. 88.
— 7) Schwartz S. 25. — 8) Kuhn S. 110. — 1») Kunzendorf S. 166. — 10) Kuhn S. 230.
11) ebenda S. 234. — 12) Handtmann, Neue Sagen aus der Mark Brandenburg (Berlin 1883)
S. 162. — 13) Bär 2, 7. — 14) A. Götze, Der Schlossberg bei Burg, Prähistorische Zeit-
schrift 4, H. 3-6. — 15) Handtmann S. 13. — 16) R. Schmidt S.57. — 17) Brandenburgia-
Monatsblatt 19, 71).
KiO Schmidt:
In beiden '•hielten sich vor alter Zeit Zwerge aufV) und im Hindenberg unweit
Grünhof (Ruppin) liegt sogar der König der Zwerge in einem goldenen Sarg be-
graben. 2) Viele Geschichten sind im Schwange von den Zwergen im Hohen
Berge bei Zechow (Ruppin) 2) und den Luttchen, Heinchen oder Judelchen in der
Niederlausitz*) sowie den 'Ludgenbergen' bei Lieberose. ^) Der Charakter dieser
Erdgeister ist überall derselbe: gutmütig aber reizbar. Häufig schon haben sie
die Menschen in das Bergesinnere, in die unermesslichen Höhlen geführt, in denen
sie selbst wohnen. •*) Frau Harke hat in einer ßerghöhle 'wilde Schweine, Hirsche,
Rehe, Hasen und andere Tiere gehabt, die hat sie des nachts hinein und morgens
hinaus auf die Weide getrieben'^).
'Mächtige Räuberbanden' wohnen in den Höhlen der Bohnenberge bei
Zechlin**), wie überhaupt das Räuberwesen in ständiger Verbindung mit den Bergen,
namentlich wenn eine Räuberburg darauf steht (Liebenwalde, Prenzlau usw.), genannt
wird. Ein besonderes Erlebnis hatte der Fähnrich Sinclaire in einer Höhle der
Beitz'schen Berge (Lausitz). 'Eine grosse Höhle, die er am Tage nicht gesehen,
tat sich vor ihm auf, in deren Hintergrunde eine lange Reihe von Kriegern, im
Kostüm des oüjährigen Krieges, um eine mit Speise und Trank wohlbesetzte Tafel
gelagert, grosse Becher von Hand zu Hand gehen lassen'^).
Am häufigsten aber ist die Höhle oder überhaupt der Berg selbst mit
Schätzen angefüllt. In einer Höhle des Wallberges bei Blankenburg (Kreis
Angermünde) standen 'in einem grossen Saale gewaltige Reihen von Fässern, alle
bis zum obersten Rande mit blanken Goldstücken gefüllt'. Am Johannistag hat
einmal hier ein armer Tagelöhner sein Glück gemacht,^") während ein anderer bei
dem nahen Dorfe Lützlow infolge seiner allzugrossen Schüchternheit nicht so
glücklich war. Der Schatz im Hohenberge bei Zechow (Ruppin) wird von
Zwergen bewacht^^), und im Linern des Kapellenberges am Golm (Teltow) liegt
«ine ungeheure Summe Geldes in einer Braupfanne,^") während im Teufclsberg bei
Oderberg das Gold im Berginnern in Fässern aufbewahrt wird^^) Auf dem Berge
bei Burg (Kr. Cottbus) wühlten Schweine einst einen Schatz aus; der noch unge-
hobene Schatz im Katzenberge bei Halbendorf (Spreewald) und auf dem Merker
Sandberg bei Raschen (Lausitz) sind vergrabene Kriegskassen, und der Schatz im
Georgenberge bei Spremberg ist durch das Dazwischenkommen eines dreibeinigen
Hasen bisher ungehoben. '*) Oft werden die Leute auf das Vorhandensein eines
Schatzes im Berge durch ein eigenartiges Brennen an der betr. Stelle aufmerksam
gemacht. Der böse Geist lockt durch das Geldbrennen'^), und wenn jemand gar
zu aufdringlich ist, hebt 'ein gewaltiger Wirbelwind ihn in die Höhe', um ihn
vom Schatzort zu verscheuchen.'®) Zu heben sind die Schätze in den Bergen nur
in der Johannisnacht ") und ohne dass dabei auch nur das geringste gesprochen
wird.^*) Vielfach hat auch die Wünschelrute gute Dienste getan, zumal bei der
Auffindung des eigentlichen Schatzortes. ^'*) Wer indes seine Habgier allzusehr
1) Kuhn und Scliwartz S. 49. — 2) Haase ö. 44. — 3) ebeüda S. 34. — 4 Gander,
Niederlausitzer A^olkssageu .Berlin 1896) S. 40. — 5) Krüger, Alt-Lieberose 1904, S. 8, —
6) Haase S. 35. — 7) Kuhn u. Schwarfz S. 113. — 8) Eugelieu u. Lahu S. Gl. — 9) Haupt,
Sagenbuch der Lausitz S. 164. — lOj Kuhn u. Schwartz S. 50f. — 11) Haase S. 39. —
12) Engelien u, Lahn S. 5. Die Braupfanne erscheint auch im Spreewald wieder. fSchulen-
burg. Wendisches Volkstum (Berlin 1882) S. 88 und Bär 2, 7). — 13) Schwartz S. 130. —
14) Schulcnburg S. 3, 89, 92. — 15) Gander bringt mehrere Beispiele, auch bezüglich der
Kriegskassen S. 67—69. — 16) Kuhn S. 105. — 17) Haase ö. 61, 71; Kunzendorf S. 143. —
18) Schmidt S. 51; Engelien u. Lahn S. 40. — 19) Engelien u. Lahn S. 40: Schulenburg
■S. 88u. 93: Haase S. 61.
Kleine Mitteilungen. 161
merken liisst, wird allemal bestraft.^) Hier und da gelten noch besondere Be-
stimmungen: Der Schatz im Hohenberg bei Zechow (Ruppin) kann nur 'um
Mitternacht durch eine unbescholtene Jungfrau stillschweigend mit silberner
Laterne und silbernem Schlüssel und unter Abbetung von drei Vaterunsern' ge-
hoben werden. 2) Den Schatz im Schlossberge bei Jänickendorf unweit Lucken-
walde 'kann nur der heben, welcher fünfmal in einem Atem um den Berg läuft.
Bis jetzt ist das aber noch keinem gelungen'.^) Sogar Verzeichnisse von klingen-
den ScIiiKzen, die noch der Hebung bedürfen, bewahren unsere Archive auf. In
eniem alten Verzeichnis im Spremberger Stadtarchiv steht folgende Notiz: 'Es sind
vergraben aufm Georgenberge unter einer Linde*) zwei Ellen tief 21000 Tlr.
hinter der Kirche drei Ellen tief 20000 Tlr., in vier Gewölben da, sieben Ellen
tief .'^OOOO Tlr., beim Altar in drei Kasten vier Ellen tief 50000 Tlr., bei einem
Fenster drei Ellen tief •24000 Tlr.. von diesem sieben Schritt entfernt 40000 Tlr.,
in der Stadtkircho beim Altar an zwei Orten in zwei Kasten lOOüOO Tlr., in einem
Pfeiler 10000 Tlr." Wann und durch wen .dieser ungeheure Geldschatz vergraben
sein soll, verrät das Aktenstück nicht. Herzog Christian von Sachsen-Merseburg,
der längere Zeit in Sprcmberg residierte, hat nach dem Gelde erfolglos suchen
lassen. — Ähnliches berichtet die Eberswaldcr Chronik^). ,
Ein Mann aus Liepe bei Oderberg hat im dortigen Teufelsberg 'eine grosse
schöne Stadt' gesehen'*), und der Alchimist Kunkel hat einst seinen dankbaren
Schülern und Freunden im Panbergc bei Potsdam ein Schloss gezeigt, darin die
verzauberte Gräfin zu sehen war.") Aus Potsdam stammt auch die Kunde von
der Prinzessin, die auf den elf Bergen um die Stadt heimisch war und den
Brauliausberg als ihren Lieblingssitz erkor.**) Sonst handelt es sich meist um ver-
wunschene Prinzessinnen, die erlöst sein wollen. So können z. B. die von den
Müggclbergcn bei Cocpenick und auf dem Schlossberge bei Biesenthal nur erlöst
werden, wenn man sie auf den Armen ohne zu sprechen nach der Kirche trägt.
Das ist aber noch keinem gelungen, immer trat ein Zwischenfall ein**). Hierher
gehören auch die Jungfernberge mit ihren Sagen und Geschichten.
Es ist auffällig, dass hier immer die Dreizahl wiederkehrt. Durch die Nach-
lässigkeit einer allen Fiau, deren wichtigstes Merkmal der Besitz einer schwarzen
Katze war, sind die drei Jungfrauen, die allmitläglich vom Schlossberge in Liebe-
rose i") herabstiegen, um sich im Quell zu waschen, bis heute unerlöst geblieben.
Am Fusse des Oderberges") liegen drei Prinzessinnen begraben. Die drei Sanddünen
am Wege unweit von Liesenkrüz bei Eberswalde^'-) hcisscn die Jungferngräber;
ilort liegen die letzten drei Klostcrschwestern von dem einst am Noinienfliess
belegenen Kloster. In der Johannisnacht öfl'net sich alljährlich der Scharfenberg
bei Wittstock und aus der hohen Wölbung reitet auf prächtigem Rappen eine
schöne Jungfrau Der Jüngling, der mutig genug ist, sich zu ihr aufs Ross zu
schwingen, erhält sie zur Gemahlin und ein Königreich dazu.''*) Nach der Erntezeit
zeigen sich am Budenberg unweit Rauen (Kr. Lebus) alljährlich zwei weisse
Jungfern, die erlöst sein wollen. Die eine trägt einen Stab, an dem sich ein
.goldener Ring befindet, die andere ein Bund Schlüssel. Beides leichen sie dem
Vorübergehenden zu Er soll sie erlösen. Aber bis jetzt hat es noch niemand
tun wollen. (Bisher unveröffentlichte Sage.) Alle 100 Jahre zeigt sich auf dem
1) Schwartz S l.",Ü. —T Haase S. :i9. — 3) Kiilin S. 102. — 4) vgl. S. ICO Anm. 14. —
5) Eberswalde Heiniatsblättcr ISr. 111. — G) Kuhn u. Scliwartz S. 41. — 7; Reinhard,
Sagon und Miihrclieu aus Potsdams Vorzeit (Potsdam 1S37) S. 182. — 8) Schwartz S. 3(), —
It Kuhn S. 113; Schwartz S. il6. — 10) Krüger S. G. - 11) iJär 2, 104. — 12) Schmidt
.S.58. — 13) Hrell, Heimatkunde der Ostpricgnitz 190.") S. 13.
/..irschr. .1. Vereins f. Volkskuiuic 1917 Heft 2. 11
](;-J Schmidt:
Marienberg bei Schlepzig (Spreewald) eine Jungfrau, die verzaubert ist und nur
erlöst werden Kann, wenn ihr drei warme Brote, die in drei Backöfen gebacken
sind und mit der Rückseite aneindetstossen, genau zu der Stunde ihre?.
Erscheinens gebracht werden, ausserdem fünf schwarze Hühner, die keinen Flecken'
aufweisen. Als die Jungfrau zuletzt erschien, war sie bis zur Hälfte ihres Körpers
schon aus dem Berge hervorgekommen. Leute, die gerade vorbei gingen, sahen
sie und brachten ihr das Gewünschte. Da aber kam ein Wagen gefahren, und es
erschien eine hinkende Pilante (Gans), die schrie immer: 'Kutsche wit, Kutsche
wit, bald einholen'. Der Kutscher, statt zu schweigen, fing an zu reden — da
verschwand die Jungfrau plötzlich. Man hörte ein Geräusch wie 'klirr, klirr', und
sie sank in die Tiefe. In der Tiefe konnte man ein sehr schönes Schloss wahr-
nehmen, ein schöner Greis sass dort und schlief, und alle, die man sah. schliefen.
Schöne Geräte standen daselbst, besonders schöne eiserne Töpfe. Aber nur einen'
Augenblick — da war alles wieder verschwunden und der Berg verschlossen.')
Eng verwachsen mit unseren Bergen ist die Vorstellung von der weissen
Frau, die wir in anderer Verkleidung auch schon oben angetroffen haben. Be-
zeugt ist ihr Erscheinen ohne besondere Eigenheit für den Rietzer Berg bei
Brandenburg a. H. und den Kapellenberg bei Blankensce im Kreise Jüterbog-
Luckenwalde -) An letzterem Ort lässt sich aber auch statt der weissen Frau
öfters ein Reiter auf weissem Ross sehen. Charakteristisch ist das Schlüsselbund,
das die weisse Frau zeigt (Räuberberg bei Phoeben im Havelland, Hausberg bei
Eberswalde^)), und ihr Erscheinen im Traum des Menschen, die Aufforderung^
an diese, sie zu erlösen, unter dem Versprechen der Zuwendung grosser Schätze-
(Burgwälle bei Teschendorf und Wildberg im Ruppincr Land). Die Wildbergcr
Juno'frau kann freilich erst erlöst werden, wenn der Kampf mit einem weissen^
Bullen siegreich beendet ist>) Die weisse Frau auf den Bergen bei Ortwig inv
Oderbruch trägt eine strahlende Krone, ist aber den Menschen äusserst gefährlich,
und die Begegnung mit ihr bringt re.;elmässig den Tod.-^) Den Menschen irgend-
wie Streiche zu spielen, ist ihr ein Vergnügen. Den Niederfinower Fischern-
zerriss sie oft ihre Netze, den Freienwaldern schmeisst sie die Heuwagen um.^)
Nur ein ungetauftes Kind kann sie erlösen (Phöben im Havelland). Die weisse
Frau, auch Flachsjungfer genannt, die im Flachsberg bei Deetz (Zauch-Belzig) sitzt,
zeigt sich nur alle hundert Jahre; und die Burgfräulein im Burgwall bei Lichtenow
im Friedeberger Kreise haben diese Zeit gar auf tausend Jahre ausgedehnt.')
Übrigens zeigt sich gelegentlich auch die schwarze Frau, wie vom Pilatsch bei'
Rathenow überliefert ist.^)
Die merkwürdigsten Gestalten begegnen uns bei verschiedenen Bergen. Beim
Eckerberg unweit Rurow im Lande Ruppin^) leitet ein Mann ohne Kopf die Vor-
übergehenden irre. Ein Vogel mit sieben Köpfen erscheint alle Jahr im Spree-
wald und führt einen durch das Los nach einem bestimmten Berge Hinbestellten
mit sich fort.'") Aufhocker in Gestalt eines Kalbes gibt es am Spökberg bei
Rägelin (Ruppin), in Gestalt eines Bären am Färberg bei Bärenklau in der Nieder-
lausitz.'i) ^ni Markgrafenberg bei Rathenow lässt sich zeitweise ein Pferd sehen.
dem Feuer aus MauPund Nase sprüht.^-)
1) Assolmann, Volkssagon aus dorn Untersprcewald (Franlifurt a 0. 1898, Privatdruck\
2) Engelien u. Lahn S. 5; Bär 3, 111. - 3) Scli^artz S. G2 u. 108. — 4) H«ase S. 70^
u. 77. — 5) En-clion und Lahn R. 88. — 6) Srliwartz S. 132 u. 113. — 7) Mnllor, Sagen-
schatz des Lan les Friedeberg 1909, S. 3 - 8) llug.lien u. I.alm S. 37. Vergleiche die
'schwarze Pamo' in Bralitz. Neumark, Ebcrswalder HeimatbliUter "Nr. 30. — ^' Haase-
S. 50. — 10) Schulenburg S. 32. — 11) Haase S. 89; Gander S. 110. — 12- Kuhn ?. l4n-_
Kleine Mitteilungen. Iß3
Hülle, Teufel und Hexen lieben die märkischen FiergeW und die wilde Jagd
zieht mit Vorliebe über sie hin und bringt in ihrer Nähe die Menschen in Auf-
regung-). Als Gerichtsplätze stehen manche Berge in scheuer Erinnerung im Volk,
wie z. ß. der Ratsberg bei Sommerfeld i. Lausitz, wo schon 'die alten Deutschen
ihr Gericht abgehalten' haben. ^) Auf dem Spitzberg bei Langerwisch im Havel-
lande wurde der Räubeihauptmann Kurt gehenkt, und 'noch lange war dort sein
von der Sonne gebleichtes Gebein ein Spiel der Winde und ein Schrecken der
Wanderer'.*)
Über das Innere mancher Berge geht die Sage, dass sie mit Wasser oder
Feuer gefüllt sind und eines Tages losbrechen werden, wie das vom Drachenkopf
bei Eberswalde erzählt wird.^)
Den Beschluss mögen drei in unseren Sagenbüchern noch nicht veröffent-
lichte Sagen machen:
1. Die Menschenopfer in den Kauenschen Bergen bei Fürstenwalde.")
Das Volk der Lebuser diente eitlen Götzen. Nahe der Stadt Fürstenwalde
<»uf den Höhenzügen der Rauenschen Berge war es nie recht geheuer. Dort be-
fand sich auch ein den Götzen geweihter Hain. Blutige Menschenopfer wurden
dort dargebracht, um den Zorn der Götter zu beschwichtigen. Aus jener Zeit
sind noch einige Opfersteine vorhanden. Auf diesen zeigen sich oft merkwürdige
Gestalten. Überhaupt spukt es auf den Rauenschen Bergen.
2. Der schlafende .Schuster im Reitweiner Schlossberge.')
Als einst an einem schwülen Sommertage ein Schuster, von der Messe in
Frankfurt a. 0. heimkehrend, in der Nahe des Reitweiner Schlossberges sich ge-
lageit hatte, vernahm er plötzlich eine wunderbare Musik. Ein reichgekleideter
Diener trat an ihn heran und lud ihn aufs Schloss ein. Der Schuster kam mit,
wurde reichlich mit Speise und Trank erquickt und schlief dann ein. Als er auf-
wachte, sass er wieder auf seinem Ausgangsplatz. Gedankenvoll trat er den Heim-
weg an. Zu Hause kam ihm aber alles fremd vor. Niemand kannte den
Fremdling mehr, keine Spur seiner Familie war mehr zu entdecken. Er hatte
100 Jahre verschlafen.
3. Die verwünschte Prinzessin.
Einst hütete ein Schäfer unterhalb der Ruinen auf dem Reitweiner Schloss-
berg seine Herde. Plötzlich stand ein wunderlieblichcs Ritterfräulein vor ihm.
Nachdem sich der Schäfer von seinem Erstaunen erholt hatte, erzählte ihm das
Fräulein, dass es eine verzauberte Prinzessin sei, der nur alle hundert Jahr Ge-
legenheit gegeben sei, sich erlösen zu lassen. Ein Jüngling mit kräftigen Armen
müsse sie schnell den Berg hinauftragen, ohne zu sprechen und ohne rechts oder
links zu sehen. Unermessliche Reichtümer erwarten den Erlöser. Schon hat der
mutige Schäferjüngling die Prinzessin erfasst, und ruhig trägt er seine Last nach
1) Schulenburg S. 14; Kuhn S. 154; Braudenburgia- Monatsblatt Bd. 17, 504. —
2) Gander S. 121; Schwartz S. 20. 80. — 3) Gander S. 131. — 4) Reinhard S. 116. —
5) Schmidt S. 55. — 6) Mündliche Überlitferung aus Fürstenwalde. — 7j Diese und die
folgende Sage hat Otto Fehr in dem zu Spandau erscheinenden 'Anzeiger für das Havel-
land' (Jahrgang 1914) veröffentlicht. In dieser Tageszeitung dürften sie aber der Ver-
gessenheit anheimfallen, weswegen ich fie hier vollständig mitteile. Ahnliche Mitteilungen
und Andeutungen bei Krüger S. 6 ff.
11*
]ß4 ^'- Jezewski, Podszuweit:
oben. In der Mitte des Berges abei- braust die wilde Jagd heran, tobt es und wettert
hinter ihm, als sei die Hölle los. Zitternd sieht sich der Schäfer um — seine
Last ist in demselben Augenblick entschwunden. Nun muss die Prinzessin wieder
hundert Jahre warten.
Eberswaldc. Rudolf Schmidt.
Aus dem Jahre 1848.
Die hochbelagte, aus dem Dorfe Closewitz bei Jena stammende Frau
Friederike Salzmann besitzt noch einige Erinnerungen an das Revolutionsjahr l>i4H.
Sie befand sich damals in Apolda, wo sie nach dem frühen Tode ihrer Eltern im
Hause eines Gendarmen als Pflegekind erzogen wurde. "
Für den Pflegevater war es natürlich eine gefährliche Zeit. Wenn er fort-
reiten musste, blieb seine Frau in grösster Sorge um ihren Christian, so hiess er,
zurück. Hörte man nach langem, bangem Warten dann den 'Hans", das heim-
kommende Pferd, von ferne „juxen'' ^), so sagte die Pflegemutter aufatmend:
„Gott sei Dank! Hans kommt. Da wird Ciiristian doch wohl auch kommen".
Auch ein zusammenhängendes Geschichtchen aus jenen Tagen weiss Frau
Salzmann zu erzählen. Es sei hiermit wiedergegeben, und zwar im ^V^ortlaut,
ihrem mündlichen Berichte treu und unmittelbar nachgeschrieben:
„Unser alter Großherzog Friedrich "•*), der unten Zwätzen gegründet hat, was
die Ackerbausihule ist^J, der Mann von der Marie Pauloone''^, der hat Achtund-
vierzig müßt flüchten in der Revolution. Da hat er sich in einem Forslhause
aufgehalten unbekannt. Der Forstgehilfe (im weiteren Verlauf der Erzählung
auch 'Forstläufer' genannt) hat ihn aufgenommen und die Frau Oberförsterin. Der
Oberförster hat typhuskrank gelegen. Der P^orstgehilfe hat den Großherzog mit
in Wald genommen so gut wie einen alten Handwerksburschen, und da hat er
sollen bischen mit arbeiten, und da hat er nichts verstanden. Da hat der Forst-
gehilfe zu ihm gesagt: „Aber du hast gar kee Geschick zum Arbeiten". Da hat
er gesagt, er wäre Bogenschreiber gewesen beim Advokaten. Ein Förster im
Walde, der sich schon als neuer Oberförster gedacht hat, hat ihn einen Faulenzer
geheißen. Und der hat Auktion angestellt und hat's Holz verkauft. Der angebliche
Faulenzer hat da den Forstgehilfen gefragt, wie der Förster es anfinge, daß er
Auktion anstellte, wo doch jetzt die Regierung nicht da war!
Einmal hat der 'neue Oberförster' den Forstläufer gefragt, was der kranke
Oberförster machte. Da hat der geantwortet: Er wäre 'auf dem W^ege der
Besserung'. Und da hat, der sich als neuer Oberförster gedacht hat, gesagt: „Es
wäre besser gewesen, er wäre kaput gegangen'".
Nachher, da haben sie mal weiße Bohnen gehabt und Schöpsenfleisch. Und
da ist der Sohn (des Oberförsters) gekommen mit den Freischärlern und haben
den alten Handwerksburschen, den Herzog, wollen schlagen. Und da hat der
Forstgehilfe geschrieen: „Herrgott, da kommen ja die Gendarmen!" Da sind sie
alle durchs Fenster gesprungen, da sind sie geflucht! Dadurch ist der Alte gerettet
worden, daß sie ihn nicht geschlagen haben.
1) freudig wiehern.
' 2) Gemeint ist Karl Friedrich, Grosaherzog von Sachsen-Weimar, der Sohn Karl
Augusts, der Vater Karl Alexanders und Augustas, der ersten, deutschen Kaiserin.
3) Zwätzen b. Jena, bekannter Ausflugsort, Dorf mit Ackerbauscliule.
4) Maria Paulowna, russische Grossfürstin von Geburt.
Kleine Mitteilungen. [ß5
Nachlier sind wieder Männer gekommen und haben in der Oberförsterei wollen
auspfänden, und da bat der alte Handwerksbursche sich ilmen entgegengestellt
und sie gefragt, wer sie geschickt hätte. Zum Auspfänden war' doch keine Zeit
jetzt! Da hat ihn der eine von den Auspfände-Männern wollt vor die Wand
werfen. Da hat der alte Handwerksbursche vorne auf der Brust den Kittel hoch-
gehoben, da hat das Gold drunter geglänzt, und da haben sie sich verneigt und
sind fort.
Und der alte Handwerksbursche ist eines Tages auch foit aus der Ober-
försterei. Da sind eine Zeit danach plötzlich die Husaren gekommen Tom Hofe
in Weimar und haben bestellt: Weiße Bohnen und Hammelfleisch! Nachher ist
der Hofwagen gekommen, hat Tische und Stühle gebracht und Geschirre zum
Kochen — und haben bestellt, daß nachher Königliche Hoheit käme zum Essen.
Und wie er gekommen ist, da hat er seinen Kittel ausgezogen, und da hat sich
der alte Handwerkshursche herausgepuppt als der Großherzog von Sachsen-Weimar."
Bis hierher fliesst die Rede von selbst. Auf Befragen gibt Frau S. noch
folgendes an:
^Der Porstgehilfe oder Forstläufer, der den Großherzog während der gemein-
samen Arbeit im Walde klug gemacht und ihm gesagt hat, wie's im Lande steht,
ist später Diener bei ihm geworden. Dagegen hat man den schlimmen Förster,
den 'neuen Oberförster', verhaftet und nach Weimar gebracht. Dort ist ihm auf
der Amtsstube im Beisein der Schreiber der Landesvater noch einmal als Hand-
werksbursche gegenübergetreten, um sich dann zu erkennen zu geben." Auf die
Erkundigung nach dem weiteren Schicksal des Verhafteten gibt die wahrheits-
liebende Greisin die Auskunft: „Das kann ich wirklich nicht mehr sagen. Und
lügen will ich nicht.'"
Jena. Käthe v. Jezewski.
Litauische Naturbeseeluug.
Sinniges Empfinden, feinfühlendes, verständnisvolles Beseelen und Deuten
des treu Beobachteten sind der litauischen Naturbetrachtungsweise eigen, wovon
folgende Proben Zeugnis ablegen mögen.
Wenn im Frühling in den erwärmten Teichen und Sümpfen die Frösche
wieder erwachen, führen sie, der eine mit hoher, der andere mit tiefer Bass-
stimme die Zwiesprache:
.,Kuma'::'-' (PateO — „Kou?-' (Na?) — .,Miri Waiks?" Starb der Junge? —
..Miri!^ Starb:»').
Der Rabe, der im nahrungsarmen Winter dem Pferdedünger auf Wegen und
Chausseen öfter Besuch abstaltete, rief sich dabei überzeugend zu:
..Piraksl Piraks!" (Krapfen! Krapfen!)
Jetzt schreit er im neuen Lenz verächtlich beim Anblick der frühern Kiapfen:
„Pui, kaka! Pui, kakal" (Pfui, Unrat ! -)
Die Lerche, die auf dem Felde dem Landraann bei der Frühjahrsbestellung
zuschaut, singt ihm aus blauer Luft jubelnd zu:
„Tai ma graszu, tai ma graszn, kad Wirai are kerauge!"
Das gefällt mir, wenn die Männer pfliigen, eggen.
1) Y^\. Wossirtlo, Mecklenburgische Volksüberliefnuiigcn 1-10 nr. 1051-51.
2) Vgl. Wossidlo 2, lOG nr. TOl-TOG.
IQQ Podszuweit, Kopp:
Das hott die Schwalbe, die den Menschen näher zu kennen glaubt, weil sie
bei ihm zu Hause wohnt und ihn deshalb am frühen Morgen oft ungewaschen
und ungekämmt hat rumlaufen sehen, und teils um der Lerche zu widersprechen,
teils um dem Menschen eins auszuwischen, zwitschert sie:
Kat tu pamatitum, Wenn Du nur niöthst sehen,
Kat tu pamatitum
Kaip jr to keile Wie sie beim Aufstehn
Susiweile, V erfilzt ausselin,
Bjaurus ! Gräulich!^)
Ein anderer Vogel (litauisch Scholpjowios, wörtlich Grasmäher) zieht die
Grasmäher auf, die ohne ihr Quantum Branntwein nicht arbeiten können, indem
er beständig ruft:
Wiss, \y']s, wis, Stets, stets, stets,
Quaterka penki Graschei! Das Quartmaß für fünf Groschen!
Vor allen andern Vögeln aber schwatzen die Stare viel schnurriges, dummes
Zeug zusammen, besonders wenn sie im Vollen leben, also in der Zeit, wo sie
nicht wissen, ob sie uns die Kirschen im Garten stehlen oder dem Weizen- und
Roggenfeld einen Besuch abstatten sollen. Da kann man sie laut und frech
zanken hören:
Kraß, kraß Warsdikäsl Schutt', schütt' Weißkäs !
Nc turu Habe kein
Däschäs Gefäß
I RuKUsI Im Roggen!
Ka winei? Was hast gekocht?
Kukullus: Brotknödel:
Doak ir mal Gib auch mir!
Ne gallu, Kann nicht sein.
Per szkannu! Schmeckt zu fein!
Äßk, äßk ir prariek! Friß, friß und vcrschluck's:
Vielleicht denken die unverschämten Stare an die beliebte litauische Kirschen-
knitsche (zerdrückte Kirschen mit Milch und Brotscheibchen), wenn sie beim
Kirsch enstibitzen noch von Weisskäso und Brot schwatzen.
Im Gegensatz zu diesen dreisten Vögeln ist das Huhn höchst bescheiden.
Hat es ein Ei gelegt, so verringert es die Schockzahl auf zehn, indem es ruft:
Kapa, kapa Ein Schock, ein Schock
Däschemt! Ist zehn!
Und wenn es das Nest aufsucht und findet, dass die vortags gelegten Eier wieder
fortgenommen sind, gackert es bedauernd vor sich hin:
Kai ])adedu, Kaum liegts am Ort,
Ir atimma! Nimmt man es fort!
Eines besonderen Ansehns erfreut sich bei den Litauern der erste Storch, der
eine ähnliche prophetische Rolle spielt wie der Kuckuck, der beim ersten Rufen
jedem die Lebensjahre vorzählt. Auf den ersten Storch gibt der Litauer genau
acht, denn: Sieht man ihn im Frühjahr zum ersten Mal fliegend, so wird man das
ganze Jahr hindurch fix und fleissig sein; sieht man ihn dagegen stehend, so wird
man das ganze Jahr hindurch faul sein, und es gelingt einem nichts; sieht man
ihn auf seinem Nest sitzend, wird man das Jahr hindurch bettlägerig und kiank
sein, und endlich: hört man ihn stehend klappern, so wird man viel Scherben
haben: und sicher trifft es sich, dass man in solchem Jahre viel zerschlägt.
1) Vgl. Wossidio 2, 102 nr. 674-(;98.
Kleine Mitteilungen. 167
Wenn der Bauer mit schwer beladenem Wagen zur Stadt fahrt, schwer be-
laden mit Getreide oder Gemüse, und die Wagenräder sind nicht geschmiert, dann
quietscht und knarrt der Wagen langsam, bedächtig und voll Hoffnung:
Nnpirks — pateps, Er kauft — er schmiert,
Napirks — pateps! Er kauft — er schmiert!
Aber der Bauer hat seine Ladung verkauft, jedoch keine Schmiere gekauft, ge-
schweige denn den Wagen geschmiert. Und die Pferde greifen heimwärts schnell
iius. die Räder drehen sich huitig und knarren hastig voll Unmut und Ärger:
Nei pirkii — Nicht kauft er —
Nei tepe! Nicht schmiert er!
Nei pirku —
Nei tepc!
Leider kommt der Bauernwagen jetzt nicht so oft beladen zur Stadt, man
kann ihn nur andauernd schimpfen hören:
..Nicht kauft er, nicht schmiert er,
Nicht kauft er. nicht schmiert er!*^
Im Felde. Johannes Podszu weit.
Nachtrag zu den Bolinenliedern
(vgl. oben S. HT).
Zur Bestätigung der Tatsache, dass das Bohnenlied im äussersten Nordosten
Deutschhmtls nicht unbekannt war, kann ausser der angeführten Stelle der
X. Preuss. Provinzialblätlor auch eine solche von H. Braun in seinem Buch 'Alte
•und neue Bilder aus Masuren — Gesch d. St. u. d. Kr. Angerburg' l-sss S. 1-23
dienen, woselbst aus einem der alten in dortiger Kirchenbibliothek befindlichen
Liederbücher u a. zwei Strophen, die der dritten und vierten des bei Schöffer
Nr. () befindlichen Bohnenliedes entsprechen (vgl. Böhmens Liederhort 3, '.»7
Nr. 11T4), geboten werden:
Auf meiner weiß will ich hinauß
Mild laß die vöüleiii sorjren.
in meinem hauß keni ratz noch mauß:
der Wirt der muß mir borgen.
Hab ich nit viacli
auf meinem tisch,
gwonete speiß thiit wole,
so friß ich kraut,
fült mir d' hundshaut,
nun geh mir auß den honen.
Wils Gott so sol ins alter kein
gelt bei mir nit scliimlicht werden,
räum auf, spar nichts, das ist mein sitt
und ist mein brauch auf erden.
Es gilt dir ein,
helt sieben stein,
und kost er gleich ein krönen,
so sing ich doch
mein liedlein noch,
nun geh mir aus den honen.
Ißg Kopp, Schläger; Kleine Mitteilungen.
Die letzten G Reimzeilen, bei Braun 4 zeilig abgeteilt, entsprechen dem Schluss
des Liedes bei Schöffer: Str. 5 Z. 5—10. Die Fassung bei Braun gibt wohl nicht
genau die Vorlage wieder und ist mehrfach falsch abgeteilt, aber auch seine Vor-
lage zeigt sich arg entstellt: Z. 3 u. 4 gibt Böhme Str. 3 Z. 3 u. 4 in der Form
,,Und frölich sein nur überaus/ Vom abend an bis morgen". Sodann weiter: „Auf
meinem tisch/obschon nit fisch/und köstlich speis thun wohnen, /SO iß ich kraut,/
füllt mir die haut,/ sing: Gang mir aus den bonen". — Das Folgende bei Braun
wäre richtiger zu lesen „Wüs Gott so sol ins alter nit/gelt bei mir schimlicht
werden". Böhme 4, 1 — 4 „Will Gott, so muß kein geld bei mir/durch alter
schimmlig wcrden./raum auf! leib nichts! ist mein bcgier./viel glück ist noch auf
erden.
Lübeck. Arthur Kopp.
Der König tou Iloni.
Der schnurrige Spielreim, auf den zuerst Hildebrand 188"^, später Wehrhan
1911 aufmerksam gemacht hat, und den ich in meinen Anmerkungen zu Lewalters
Deutschem Kinderlied und Kinderspiel unter Nr. 252 (S. 334, 41Sj behandelt habe
— zu den Nachweisen an dieser Stelle kann ich jetzt fügen Dudweiler und
Worringen a. Rh., Zeitschr. f rhein. u. westf. Volksk. 8, 140. 10, 50, aus dem Gross-
herzogtum Hessen, Deutsches Volksliederarchiv A 501.S. 5740. 5775, ferner Köihen
1910 im Nachlass des inzwischen gefallenen Dr. Müller in Dessau—, harrte noch
immer der Uerleitung aus einem bestimmten geschichtlichen Licde. Und doch
lliesst die Quelle, wie sie mir der Zufall soeben entdeckt hat, näher als man
darnach denken sollte. In Ditfurlhs Historischen Volksliedern lbl5— ISGG steht
unter Nr. 28 ein 1840 in Kassel mündlich aufgenommenes Lied auf den Tod des
Herzogs von Reichstadt mit folgenden zwei Eingangsstrophen: 1. Napoleon sein
Sohn, Der König von Rom, Der ist noch zu klein, um Kaiser zu sein. 2. Wird's
werden auch nicht, Die Zeit ihm gebricht. Muß jung noch an Jahren Zur Grube
schon fahren.
Wunderlich bleibt die Verknüpfung mit dem Tanzreim, der selbständig noch
bei Adamek, Deutsche Volkslieder und Sprüche aus dem Netzegau Nr. 230 zu
finden ist.
Freiburg i. Br. Georg Schläger.
Bücheranzeigen. • lß9
Büclieranzeigeii.
A. Maurizio, Die Getreidenahruug im ^yan(lel der Zeiten. Zürich. Orell
Füssli 191(3. -267 S. mit 53 Abb.
Die Volkskunde hat alle Veranlassung, dem kenntnisreichen und fleissigen
Verlasser für dies reichhaltige und übersichtliche Werk über das schwierige,
wenig bearbeitete und doch so hochwichtige Gebiet dankbar zu sein. Nicht als
ob nun in jeder Beziehung alle Fragen gelöst wären: das wird der Verfasser ganz
sicher selbst nicht meinen; hier ist vielmehr ein staunenswert reichhaltiger, methodisch
gesicherter und wissenschaftlich unanfechtbarer Reichtum von Beobachtungen zu-
sammengetragen und in klarer und übersichtlicher Ordnuug niedergelegt, wie ihn
ein einzelner Beobachter nur unter den günstigsten Umständen mit grösster Geduld
und sorgfältigstem Fleisse zusammenbringen konnte.
Gerade weil dem YerL persönliche Anschauung aus der Heimat Graubümlen
mit ihren eigenartigen Verhältnissen und den so hochinteressanten und so wenig
bearbeiteten Ivarpathen zu Gebote stehen, möchte ich der deutschen Volkskunde,
die das Zwischengebiet bearbeitet, das kleine, aber ausseiordenllich reichhaltige
Werk recht ans Herz legen, das die grosse Fülle seines Stoffs noch durch zahl-
reiche gut gewählte Abbildungen unterstützt.
Was die klare und verständige Einteilung des Stoffes angeht, so verfolgt das
Buch in den beiden ersten Kapiteln den Weg der Menschheit aufwärts vom
Sammeln der Nahrung, besonders der Wildgräser durch den Hackbau und die
Breipflanzen. — Maurizio ist doch vollauf berechtigt auch für die heutige Zeit
— man denke nur an die Rollo, die der Reis in China, der Buchweizen in Tirol
und Russland, der Mais in der Form der Polenta im Miltelmeergebict spielt — ,
wenn er gelegentlich von weltbeherrschenden Breipflanzen spricht. Aus
Reis kann ja z B. Brot eigentlich gar nicht gebacken werden! Im dritten Kapitel
werden dann noch die interessanten Seitenstrassen des Gebiets zum Aufguss und
zur Suppe und zu dem dünnen, süssen und erfrischenden Getränk neben dem
stärkeren Bier (und dem Branntwein, den der Verf. in giösstcm Umfange aJs einen
Abweg der Menschheit ansieht) besprochen.
Um einmal eine abweichende Meinung zu erwähnen, möchte ich anführen,
dass ich in den gerösteten Körnern, die man in allen vorgeschichtlichen Fundun
immer wieder nachweisen kann, Spuren eines Ernteverfahrens sehen möchte, von
dem wir uns kaum noch eine Vorstellung machen können, bei dem nämlich das
Feuer eine Rolle hatte! Auch bin ich nicht ganz so ausgesprochen der Ansicht
des Verf., dass der Weg, den er sich baut über das dünne, ungesäuerte Fladenbrot
und das Sauerteigbrod zum Elefegebäck aus Weizen, der unbedingte Aufstieg zum
einzig richtigen Ziel ist und sein wird. Aber das sind schliesslich Abweichungen,
die sich auf einem so ungeheuren Gebiet auch bei Gleichsttebendcn überall finden
und die gegenüber der Anerkennung, ja Bewunderung und der Dankbarkeit gegen-
über dem reichen Stoff, den wir dem Verf. zu danken haben, wenig bedeuten.
Jedenfalls wird man mit gutem Grund die weitesten Kreise der Volkskundler auf
den reichen Schatz aufmerksam machen dürfen und müssen, der hier mit zahl-
reichen Anregungen nach allen Seiten von einem bewährten Fachmann für uns
zusammengetragen und durchgearbeitet ist.
Berlin. Eduard Hahn.
1 70 Bücheranzeigen.
Jos. Schrijnen, Nederlandsche Volkskunde. 1.—-2. Deel. Zutplien,
W. J. Thieme & Cie. [1915—1916]. XX, 316. VIII, 361 S. 8°. 7,50 fl.
Bereits vor acht Jahren versuchte H. W. Heuvel in Holland für die Volks-
kunde Interesse zu wecken; doch erfuhr man aus seinem dicken Buche wenig
Positives über den 'Volksglauben und das Volksleben' im heutigen Holland (oben
i>(t, 119). Weit besser gerüstet tritt der ütrechter Universitätslehrer J. Schrijnen
.mit seiner zweibändigen Niederländischen Volkskunde auf den Plan; denn wenn
er auch bescheiden bekennt, er müsse sich vielfach begnügen, ein System mit
vielen Schubfächern zur Einordnung der einzelnen Tatsachen und eine Erklärung
der wichtigsten Erscheinungen zu geben, so führt er doch ein reiches Material
vor, das zum Teil auf den durch die Lehrer in Limburg, Nordbrabant und
Gelderland ausgefüllten Fragebogen beruht. Hinsichtlich der volkskundlichen Vor-
arbeiten stehen freilich die nördlichen Niederlande hinter den südlichen, wo der
verdienstvolle A. de Cock und andere wirkten, weit zurück.
Die systematische rationelle Erforschung des Untergrundes der Kultur tso
definiert S. die Volkskunde) beginnt mit den ältesten Bewohnern des Landes und
den bei Ausgrabungen zutage getretenen Spuren keltischer, germanischer und
•römischer Siedelungen. Es folgen die Dorfanlagen und die Haustypen des
sächsischen, friesischen und fränkischen Stammes mit Grundrissen, zu denen sich
die Isethnen-Karte im 2. Bande S. 347 gesellt, die körperliche und seelische Eigenart
und die Besonderheiten der Tracht, namentlich die friesischen Ohreisen und die
Seeländer Spangen. Das 2. Kapitel behandelt die Ge.stalten des Volksglaubens,
Elfen, Zwerge, Hexen, Gespenster, Riesen und Teufel, und die Feste des Jahres
-mit ihren Umzügen, Liedern, Gebacken und andern Bräuchen. Das ö. Kapitel
führt das Privatleben von der Geburt an bis zum Tode vor, bei den Kinder-
■spielen, der Hochzeit, der Geselligkeit, Ackerbau und Viehzucht verweilend. Eine
nordholländische Sitte ist es z. B., zu Pfingsten unbeliebten oder leichtfertigen
3Lidchen eine Strohpuppe (Dorhoed) aufs Dach zu setzen (1, 24 t).
Besonderes Interesse verdienen in dem der Sprache gewidmeten 4. Kapitel
■die P)eraerkungen über die Eigentümlichkeiten der Volksraundarten in Wortschatz,
Wortbildung und Bedeutungslehre. Der Verfasser mahnt aber, neben der Volks-
sprache, die 'Kultursprache' der Gebildeten nicht zu unterschätzen, und meint, die
Flamländer hätten in ihrem Kampfe gegen die französische Kullursprache besser
g-etan, sich auf die allgemeine niederländische Sprache als auf ihren Dialekt zu
stützen (2, 2). Die Amsterdamer Mundart ist sogar in den einzelnen Stadtteilen
ziemlich verschieden (2, LS). Unter den nach ihrem Ursprünge gruppierten Orts-
namen erscheint eine lange Liste von Spottnamen (2, 68). Volksdichtung und
Kunst werden im 5. Kapitel besprochen; durch Proben veranschaulicht werden
die Rätsel, die der Vf. in beschreibende, ci'zählende, Vexierfragen und Rätsel-
niärchen einteilt, die Sprichwörter, Spottreime, Märchen, Sagen und Legenden,
■endlich die Volkslieder, unter denen die Kinderlieder den meisten Raum bean-
spruchen, weil die übrigen Gattungen stark in Vergessenheit geraten sind. Dem
Abschnitte über die Baukunst und dekorative Kunst fehlen leider ausreichende
Abbildungen; berücksichtigt sind hier auch die Haasinschriften und Bilderbogen
des Volkes. Das G. Kapitel endlich wendet sich dem Wissen des Volkes zu,
iiämlich der Volksetymologie, der Heilkunde, Natur- und Wetterkunde und der
Botanik. Die Darstellung ist klar und durch Beispiele belebt; in den Verweisen
auf die neuere Literatur hält der Vf. das rechte Mass, auch hat er nicht versäumt,
jedem Bande ein ausführliches Register beizugeben.
Berlin Johannes Bolte.
Bücheranzeigen. 171
Wilhelm Stade, Die Gespenstergeschichten des Peta Yatthu: Unter-
suchungen, Übersetzung und Pali-Glossar. Leipzig, Harrassowitz 1914.
1-2-2 S. 8°. 3 Mk.
Unter dem PaUwort Peta, sanscr. Preta, vorsteht man den Geist eines Dahin-
geschiedenen, der, schattenhaft gedacht, sich namentlich zur Nachtzeit und im
Traume zum Lebenden in Beziehungen zu setzen vermag. Das Peta-Vatthu.
sanscr. Pretavastu, ist eine Sammlung von solchen Geistersagen. Es gehört zu
den jüngeren Teilen des buddhistischen Kanons und ist in den Khuddakanikäya
des Suttapitaka eingegliedert. Seiner Form nach ist es eine Liedersammlung.
„Diese Lieder sind eine in Versform abgefasste Erzählung, die in dramatischer
Weise zunächst die Begegnung eines Mönchs . . . mit einem Gespenst (weiblicher
oder männlicher Art) . , . schildert, darauf den sich zwischen beiden abwickelnden
Dialog und die endliche Erlösung des Gespenstes durch eine Gabe, die der Ge-
meinde des Buddha zugewendet wird. Fast immer schliesst ein solches Lied mit
einer Ermahnung des Peta zu gutem Wandel, als Lehre, die aus seinem Schicksal
zu ziehen ist." — Stades Buch gibt von diesen, wie man sieht, poetisch wenig
wortvollen, aber sachlich interessanten kleinen Litcraturerzeugnisson nur einen
Teil, nämlich die wörtliche Übersetzung der beiden ersten Bücher (S. 59— lU)),
zudem eine sehr ausführliche und gründliche Voruntersuchung über das Peta
Vatthu als Literaturwerk (S. 11—20) und als Geisteswerk (S. 21— 56). Es wird
darin eine Definition des Begriffs der Preta gegeben; ihr Zustand, Attribute, Ort
und Zeit ihres Erscheinens, die Welt, in der sie leben, und ihre Beziehungen zum
Diesseits und zum Jenseits werden behandelt, über ihre Berührungspunkte niitGruppen
seliger Geistor (Yakkha's) und ihre Stellung in der buddhistischen Moralphilo-
sophie sowie über eine Anzahl anschliessender Fragen wird gesprochen. Das
Material dos Textes ist, wie man sieht, von dem Übersetzer sehr gründlich und
erfolgreich verarbeitet. Wir pflichten ihm im vollsten Masse bei, wenn er auf
den Wert seines Stoffes für philologische Zwecke wie für die der vergleichenden
Sagen- und Märchenforschung hinweist (S. 9); zugleich müssen wir des Ver-
dienstes gedenken, das sich der Bearbeiter um die Religionsgeschichte erworben
hat. wiewohl wir es bedauern, dass seine Version nicht vollständig ist, und dass
er. wo er Parallelen bietet, sie zu selten dem nächstgelegenen Gebiet der Sanskrit-
literatur entnimmt. (Die gegebenen Hinweise auf die deutschen, namentlich
Grimms Märchensammlungon scheinen mir übrigens gleichwohl wortvoll und
überzeugend zu sein.) An tiefgründigen Kenntnissen fehlt es dem A^erf. auf diesem
Boden zweifellos noch.
Auf Einzelheiten einzugehen, verbietet sich hier leider. Auf das kultur-
geschichtliche Literesse, welches der gebotene Stoff in hohem Masse zeitigt, sei
gleichwohl kurz hingewiesen. Die überaus reichen Angaben der Jätaka finden in
dem Peta Vatthu eine nicht unwichtige Ergänzung. Unwahrscheinlich -ist es mir,
dass (S. 14) die Pctas sich dem Könige im Traume offenbaren. In der Nacht
schwärmen die Dämonen auch vor den Augen des Wachenden. Die Kleinheit
ihres Mundes führt sich leicht auf die Geringfügigkeit ihrer Nahrungsaufnahme
y-urück (S. 26).
Von besonderem Interesse und ein bisher unerschlossones Gebiet eröffnend
wären die Beziehungen der buddhistischen zu der ältesten neupersischen Literatur.
Meine mohrfach ausgesprochene Vermutung, dass vorzugsweise Sa'di vieles von
dem -besten und schönsten, was er in seinem Bostän und Gidistän bringt
buddhistischen Quellen entlehnt hat, wurde mir beim Durchlesen von Stades
172 Bücheranzeigen.
Arbeit von noueni zur Gewissheit. Wenn beispielsweise im Strafliodex des Peta
Vatthu als erste der 5 Hauptstrafen, die dort aufgezählt werden, das 'Ausgiessen
von glühendem Kupfer' genannt wird, und andererseits der Grausigkeit dieser
Strafe die überreiche, der geringsten Edeltat verheissene Belohnung gegenüberlritt,
so bietet sich hier von selbst als Parallele die versifizierte moralisierende Fabel
des Bostiln, die ich wie folgt übersetzen möchte:
Den ewigen Richtplatx sah ein Mann im Schlaf:
Die Erde glühendem Kupfer gleich; es traf
Der Menschheit VVehgeschrei des Himmels Rund.
, Die Hitze brannte das Gehirn ihr wund.
Ein einiiger nur freut sich des Schattens Kühle:
Ein himmlisch Kettlein schützt ihn vor der Schwule.
Der Schläfer fragte: „Schmuck der Erde! sprich!
In dieser Drangsal — wer beschirmte dich?"
„Eini-t war ein Rebstock meinem Haus entsprossen,
Der Schatten auf ein müdes Haupt gegossen.
In dieser Zeit der Not bat der Gerechte
Für meine Sünden bei dem Herrn der Mächte;
„Dem Manne, Gütiger, winke Gnade zu.
Der einst dem müden Wanderer schenkte Ruh."
Solche Poesien sind auch als Zeugnisse dafür, dass die nüchterne und pedan-
tische, ja oft oberflächliche Morallehre des Buddhismus der religiösen und künst-
lerischen Vertiefung sich als durchaus zugänglich erweist, von grossem Interesse. — -
Von besonderer Anmut sind namentlich die Erscheinungen der Baumgotlheiten.
Ursprünglich machten sie jeden, später nur den Schatten spendenden Baum un-
antastbar (zu S. 42 Anra. vgl. meinen „Traumschlüssel des Jagaddeva" S. 246
Anm ). — Für die Abhängigkeit der buddhistischen von der altbrahmanischen
Ethik ist die Verdammung des Verbrechens gegen das keimende Leben (S. b4
und ü6) bezeichnend (vgl. sanskr. garbhahatya; bhrünahatyri usw.).
Als Druckfehler notierte ich S. 21 Z. 1 des zweiten Abschnitts: 'im' statt 'ein';
S. 54 Z. 1.;: candfili statt candält; S. b5 Z. 14 1. musäväda; S. 90 Z. 2 des Textes 1 :
'Ufer' statt 'Afer'.
Königsberg i. Pr. Julius von Negolein.
Ludwig Wilsei*, Deutsche Vorzeit. Einführung in die germanische Alter-
tumskunde. Steglitz, Peter Hobbing 1917. VIII, 232 S. 8^ 32 Tafeln.
Geb. 4 Mk.
Das mit warmer Liebe für die Vorzeit unseres Volks geschriebene Buch soll
nach dem Vorwort gewissermassen das literarische Testament des Verfassers dar-
stellen. Er wendet sich darin an einen grösseren Leserkreis und hat daher auf
alles gelehrte Beiwerk verzichtet. Eingeteilt ist die Schrift in zwei Bücher;
1. Land und Volk und 2. Kunst und Sitte. In ersterem spricht Verfasser in zehn
Abschnitten über: ]. Germanenheimat, 2. Himmel und Boden, 3. Fruchtbarkeit,
4. Tierwelt, .'). Menschenart, <>. Sprachverwandtschaft, 7. Stämme und Mundarten
8. Nachbarvölker, 9. Wanderungen, 10. Neue Reiche; im zweiten von: L Acker-
bau und Viehzucht, 2. Haus und Hof, 3. Waffen und Gewand, 4. Schiffahrt und
Handel, 5. Zeit und Zahl, G. Schrift, 7. Heilkunst und Recht, 8. Sang und Sage,
9. Götterglaube, 10. Bekehrung. Eigentümlich ist Wilser die Verquickung der
Ergebnisse der anthropologischen, archäologischen und linguistischen Wissenschaft
Bücheranzeigen. 173
zu einem Phantasiebild der germatiisciien Urzeit. Südschweden ist die Heimat
der hellfarbigen und Jangköpfigen Menschen, des Homo europaeus, und auch das
Ausstrahlungsgebiet des indogermanischen Sprachstammes. Diese arische Urheimat
wird uns in einem auf die Nachrichten antiker Schriftsteller und die Ergebnisse
der archäologischen Bodenforschung fussenden Idealbild vorgeführt. Verfasser
stellt die Ausbreitung des Homo europaeus über Europa und Asien in einem bis
in die feinsten Aste verzweigten Stammbaum dar. Neben Völkern mit indo-
germanischen Sprachen erscheinen darin anch Kaledonier und Skoten, Pelasger
und Tyrsener neben Sarmaten und Parthorn. Das europäische arisch-germanische
Urvolk wird uns in seinen Lebensgewohnheiten, seiner Kultur, seiner Kleidung,
Bodenvvirtschaft usw. dargestellt. Wo die archäologischen Funde für die Beweis-
führung des Verfassers nicht ausreichen, nimmt er auch seine Zuflucht zu sprach-
lichen Gleichungen. Eine der überzeugendsten dürfte wohl die Ableitung unseres
Wortes 'Wurst' von gotisch vanrxtr 'Werk' sein (S. 114). Offenbar war also die
Wurstbereitung bei den Urgermanen die Tätigkeit y.ai t'SoyJjv. In dem Abschnitt
'Schrift' des 2. Buches kommt Wilser auch auf das germanische Runenalphabet
zu sprechen, das nach ihm in die indogermanische Vorzeit zurückgeht, freilich nur
zum Teil, nämlich in den 18 Zeichen des älteren Fulharks. Aus diesen Urruncn
entsteht auf dem Wege über Kreta das phönikische Alphabet. Das griechische
ist nicht aus diesem abgeleitet, wie die Forschung bisher annahm, sondern ein
selbständiger Spross des gemeinsamen Mutteralphabets. Aus diesen wenigen
Proben ersieht man, dass Verfasser in der vorliegenden Schrift, wie auch in seinen
früheren Schriften, eine ganze Anzahl origineller Ansichten vorträgt, die er aller-
dings weniger mit zwingenden Beweisen als mit warmem Appell an die Liebe
zur herrlichen Vergangenheit unseres Volks zu stützen pflegt. Gegen Schriften, in
denen mehr an das Gefühl wie an den scharf zergliedernden Verstand appelliert
wird, ist es unnütz zu polemisieren. Denn niemals werden gefühlsmässige Über-
zeugungen von verstandesmässigen widerlegt werden können.
Berlin. Sii^^mund Feist.
Notizen.
W. Ahrens, Studien über die 'magischen Quadrate' der Araber (Der Islam 7, 18G
bis 25U. Strassburg 1916). — Derselbe, Helträische Amulette mit magischen Zahlen-
quadraten. Erweiterter Abdruck aus der Monatsschrift 'Ost und West' 10. Berlin.
L. Lamm 191G. 19 S. — Ahrens, dessen interessante und anschauliche Darlegungen über
die magischeu Zahlenquadrate oben 2(5, oOTi angeführt wurden, hat seitdem mehrere
Artikel über deren abergläubische Verwendung veröffentlicht, die ich zur Vervollständigung
unserer knappen Übersicht heranzuziehen bitte. Durch Orientalisten unterstützt, weist er
das neunzellige Quadrat mit den arabischen Zahlen 1-9 bei Geber, dem arabischen Alchi-
misten des 8. Jahrb., und H. C. Agrippas Planetentafeln bei dem 1225 verstorbenen
al-ßuni nach. Die oben 26, :'.08 erwähnten Kuptertassen wurden, wie sich aus den In-
schriften ergibt, nicht zur Wahrsagung, sondern zur Darreichung von Arzneien benutzt.
Von den hebräischen Amuletten werden verschiedene in guten Abbildungen wiedergegeben.
Auf zwei LSS3 aufgefundene Saturn- Amulette im Egerer Stadtmusoum wies übrigens
A. John im (5. Jahrgange von 'unser Egerland', Beilage hin. — (J. B.)
W. Ahrons und A. Maaß, Etwas von magischen Quadraten in Sumatra und Celebes
(Zeitschrift f. Ethnologie 1916, 232—25:5). — Das bekannte neunzellige Quadrat wird auch
von den Malaien als Talisman auf Ringen gebraucht. In einigen Fällen sind die Zahlen
von den Graveuren missverstanden. Auch 25 zellige Quadrate mit Götternamen in Wahr-
sagekalendorn aus Sumatra zeigen dieselbe Struktur. — (J. B.)
174 Notizen.
Berichte aus dem Knopf- Museum Heinricli Waldes, Pra^-Wrschowitz
(Sammlung von Kleider-Verschlüssen aller Art(n und Zeiten) Jahrgang 2, Heft 1. Pra^r,
Waldes & Co. 1917.— Bei der Nachricht von der Begründung eines 'Knopf-Museums' mag
manch einer zunächst erstaunt den Kopf geschüttelt liaben. Das vorliegende 1. Heft der
im 2. Jahrgang wesentlich erweiterten Muscums-Zcitschrift, deren vornehme Ausstattung-
man in der Zeit der Papiernot nicht ohne gewissen Neid betrachtet, zeigt, dass es >ich
nicht um eine snobistische Absonderlichkeit, sondern um ein ernstes wissenschaftliches
Unternehmen handelt, an dessen Forschungsergebnissen auch die Volkskunde nicht achtlos
vorübergehen darf. Wie der Untertitel besagt, ist hier der Kleider- Verschluss im weitesten
8iiinc zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Behandlung gemacht worden: die enge
Berührung dieses in seiner Art freilich einzig dastehenden Sondergeliietos mit der Trachten-
kundc liegt auf der Hand. Nähere Auskunft über Zweck und Mittel des Museums gibt
der eitileitcnde Aufsatz; die Namen der für weitere Veröffentlichungen gewonneneu Mit-
arbeiter bürgen ebenfalls für die ■wissenschaftliche Solidität der UnttmchnauDg. — F. B.)
H. Beucker, Die Entscheidungsschlacht des europäibchen Krieges am Birkeubaume.
oder: Birgt die Avestfälische proplietische Sage in sich Wahrheit und Werty Mit einer
Zeichnung in Lichtdruck. Dortmund, Ruhfus 1917. IV, 224 S. 8». — Die alte und ver-
breitete Weissagung vou der Schlacht am Birn- oder Birkenbaum hat auch in der Nähe
von Unna in Westfalen Halt gefunden. L<ikalpatriotisclie Überschätzung führte den Verf.,
der in Hobensyburg Pfarrer ist, zu eiuer Prüfung des Wertes dieser Sage, wobei er
weniger ihre Geschichte als ihre psychischen Grundlagen und ihr Verhältnis zu Prophetie
im alttestamcntlichen Sinn und zur Apokalyptik aufzudecken bemüht ist. Aus dem in
Westfalen verbreiteten Hellsehen leitet er die dortigen Formen der Prophezeiung ab und
findet ihre Ei'füUung durch den jetzigen Weltkrieg im Werden, wobei ihn gewaltige
Unterschiede, vor allem schon des Kriegsgebietes, nicht stören. Diese Auseinander-
setzungen füllen das erste Viertel des Buches. Man liudet darin u. a. eine neun Seiten
lange Charakteristik der israelitischen Prophetie, beruhend auf Auszügen aus den Werken
berufener Forscher, einen kürzeren Abschnitt über Apokalyptik, und mancherlei Brauch-
bares zusammengetragen in den umfänglichen Anmerkungen zu diesem ersten Teile. In
den übrigen drei Vierteln des Buches will der Verf. den nationalen Inhalt der Prophe-
zeiung darlegen, verliert sich aber ganz in politische Betrachtungen über unsern Ab-
wehrkrieg, aus denen die Weissagung nur selten auftaucht. Er gibt hier gut geordnete
Früchte einer ausgedehnten politischen Lektüre, wie auch der erste Teil für seine Be-
lesenheit zeugt. Jedoch über die Sage haben andere besser gehandelt, und wer sich über
die Ursachen und Ziele des Krieges unterrichten will, braucht uicht gerade auf dieses
Buch verwiesen zu werden, — ^Max Roediger )
Friedrich zur Bonseu, Die Prophezeiungen zum Weltkrieg 11*14—1916. Köln,
J. P. Bachern 1916. 79 S 8". Geh. 1,80 Mk., geb. 2,60 Mk. — Mit den Weissagungen
über Ausbruch, Verlauf und Abschluss des Weltkrieges haben sich, wie bekannt, Gläubige
und Ungläubige, Propheten und Skeptiker, schon mehrfach beschäftigt (s. oben S. 21 (>
und die obige Notiz über die Schrift von Beucker). Die vorliegeude Schrift des auch au»
ähnlichen Gebieten tätigen Verfassers ('Die Völkerschlacht am Birkenbaum', 'Das Zweite
Gesicht') gibt eine Übersicht über die wichtigsten und am meisten in die Öffentlichkeit
gedrungenen Zukunftestimmen dieser Art. Der Verf. steht augenscheinlich ^uf dem
Standpunkt, dass die Möglichkeit von Vorahnungen und sogar von bestimmteren Voraus-
sagungen nicht grundsätzlich abzulehnen sei. Auch wer diese Ansicht nicht teilt, wird
das durchaus in wissenschaftlichem Geiste geschriebene Buch mit grossem Interesse lesen.
Bemerkenswert ist es, dass die Prophezeiungen, die den Tatsachen am nächsten kommen,
nicht aus dem Kreise der zünftigen 'Propheten' hervorgegangen sind (soweit es sich nicht
um offensichtliche Fälschungen post eventum handelt), sondern sich in den Werkt-n dich-
terischfr Phantasie und in Äubserungen einsichtsvoller Politikt-r finden. S. 40 muss es
heissen: 'Grand- Carteret'. — (F. B.)
S. Eitrem, Ein Sklavenkauf aus d^r Zeit des Antoninns Pius. Mit 1 Tafel. (Viden-
skapselskapets Forhandlinger 1916 Nr. 2) Kristiania, Jac. Dybwad 1916. 24 S. gr. 8". —
la seinem Hauptteil behandelt der Aufsatz eine in mehrfacher Hinsicht interessante
Notizen. 1 75
Papyrusurkunde aus Ägypten. Volkskundlich wichtig ist der Anhang über die Sitte der
Kömer, den über See gekommenen Sklaven die Füsse mit Kreide oder Gips zu weissen,
clie sie zum Verkauf ausgestellt wurden ('gypsalis pedibus' . E. sieht darin eine magische-
Vorsichtsmassregel für den Verkäufer wie für den Käufer, einen rite de passagc, der dem
Fremden, dessen Füsse besonders tabu sind, alles Gefährliche benehmen soll. Zahireidie
Stellen lür die Bedeutung der Fasse und der weissen Farbe im Volksglauben werden an-
geführt, um diese Deutung zu stützen, der gleichwohl eine zwingende Kraft fehlt. In dem
Kinders])iei Ostrakinda, in dem auch schwarz und weiss eine Kollc spielt, Spuren einer
DiimonenÜucht zu sehen, scheint mir unbegründet. — (F. B.)
A. Eliasberg, Sagen polnischer Juden, ausgewählt und übertragen. München.
»ieorg Müller 1916. 22U S. — Die 50 hier mitgeteilten Sagen sind aus jiddischen An-
dachtsbüchern der Chassidim übersetzt, einer Ton dem 17G0 bei Brody verstoßenen Rabbi
Israel Baal Schcm begründeten religiösen Kichtung der osteuropäischen Jude i die neben-
pantheistischeu und pietistischen Lohren einen starken Wunderglauben aufweist. Wunder-
taten d-'s Rabbi Baal-Schcm und seiner Nachfolger, der Zaddikim, werden d rin ver-
lierrlicht. Ein solcher Zaddik (Gorechter) vermag Kinderlosen Kinder zu geben, Kranke
zu heilen, Tote zu erwecken, er kennt die verborgensten Dinge, auch die zukünftigen, ja
er kann sogar einen Prozess wider Gott selber einleiten: seine Macht ist also naJi der
Übcrzeugunir des Volkes fast unbeschränkt. Auch niittelaltirlichc Sagenstoffe tauchen
liif'r iu wunderlicher Verkappung auf; die 17. Erzählung 'Blutschande' geht auf die
Gregoriuslegendc zurück, die drei l^ehren des Rabbi Levi-Jizchok (nr. -18) erneuern die
Fabel d. s Ruodlieb (Seiler S. 51: Gesta Piomauorum c. 103; oben 6, 170;. — (J. B.)
Michael Habcrlandt, Völkerkunde. I. Allgemeine Völkerkunde. P>. verm. und verb.
Aufl. ^lit ;)'.) Abb. (Sammlung <Jöschen Nr. 73). Berlin und Leipzig, G. J. Göschen.
l'.)17. 1:18 S kl. 8'^ geb. 1 .Mk. — Um dem in den letzten zehn Jahren gewaltig ange-
wacbsonen ^laterial gerecht zu werdin, hat der Verf. bei der Neubearbeitung seines
nützlichen Buches eine Teilung in zwei Bände vorgenommen. Der vorliegende beschränkt
sich auf die allg'-meincn Fragen der Völkerkunde, während dem zweiten die beschreibende
Darstellung vorbehalten ist. Trotz dieser Erweiterung des Raumes ist selbstverständlich
nur ein kurzer Überblick über die zahlreichen Probleme möglich geworden; für tiefere
Eindringen weist eine vorausgeschickte Literaturübersicht die AVege. — (F. B.)
I*. .Michael Hub er 0. S. B., Die Wanderlegendc von den Siebenschläfern, einft^
literargeschichtliche Untersuchung. Leipzig, 0. Harrassowitz 1910. XXf, 574, 32 S. 8''.
— 1883 verfasste John Koch eine über.'^ichtlich angelegte Studie über den Ursprung und
die Verbreitung der Siebcnschläferlegende, die freilich manche Lücke der Überlieferung
durch VerniutuDgtn zu überbrücken suchte. 27 Jahre später liess Huber auf Grund eines-
giössercn Materials, zu dessen Vermehrung er selber durch verschiedene TexlpuMikationen
lieigetragi-n hatte, eine weit umfänglichere und von bewundernswertem Fleiss zeugende
Untersuchung, die leider erst jetzt zur Anzeige gelangt, erscheinen. In den ersten beiden
Teilen behandelt er die syrische, arabische, persische, koptische, armenische, griechische-
und lateinische Überlieferung der Legende, ihre Bezeugung durch Chroniken, Liturgie
und Kunstdenkmäler sowie ihr Fortleben in der europäischen und der arabischen I-iteratur.
Im dritten Teile sucht er die Entstehung folgendermassen darzulegen: es wurden viel-
leicht sieben Leichname in einer Höhle bei Ephesus aufgefunden, in denen man Christen
vermutete und denen man bald nach 450 nach dem Vorbilde der jüdischen Erzählungen
von Daniel, von den Söhnen des Matathias und von dem Schlafe des Abimclech fine
Geschichte andichtete. Für den ältesten Text der Legende möchte H. den lateinischen
halten und seine Übereinstimmung mit dem griechischen am liebsten durch die Abfassung
beider in demselben Kloster erklären. Dieser Versuch, die in di-r Tat recht verwickelte
Geschichte der Legende lu entwirren, wird nicht viele kritische Leser überzeugen und
hat auch nicht die Beistimmung; eines so ausgezeichneten Kenners wie Delehaye (D. Lz.
1912, 27) gefunden. Der Hauptwert des Buches liegt aber in der Sammlung und Ord-
nung des weitschichtigen Materials und in der V^erfolgung der einzelnen Motive und ihrer
Berührung mit ähnlichen Sagen. Zu den späteren Bearbeitungen lässt sich natürlich
17() Notizen.
iiianclies nachtragen: S. 147 lOUl Tag 8, 21-J (Prcnzlau 1828\ — S. 181 EijikeLs Welt-
chronik cd. Strauch 1892 v. 2482.'). — S. 180 Zingcrle, SB. der Wiener Akad. 64, KJt). —
S. 301) Der Islam 5, 370 (1914) 'Das Siebenschläler-Amiiletf. — S. 393 R. Köhler, Kl.
Schriften 2, 2:^9. 226. — Tatarisch: Wcyh, ZdinG 65, 289. Malaiisch: Wijk, Tijdschr.
vour ind. Taalknnde 36, 638. Bretonisch: Melusine 1, 201. Dänisch: Nordisk Tidskr.
n. r. ö, 173. Jcsuitenaufführnngen in Innsbruck 1615, Ingolstadt 1625, München 1628,
Luzern 1640, Amberg 1716. M. du Cygiie, Comoediae XII, Leodii 1679: 'Dormientes'.
C. Kolczawa, Exercitatioups ejiicae, Pragae 1706 ]). 378. Vjschr. f. Gesch. von Glatz
5, 89. Schulenburg, Wendische Volkssagen S. 63. Dcecke, Lübeckische Geschichten 1852
S. 134 usw. — (J. Ji.)
Hummel, Hummel. Negcn un vertig ole Sprekwörd for usc Soldaten und
Mariuers. Berlin, Bülowstr. 74, L. Görlitz 1916, 2 Mk. (Luxusausgabe 50 Mk.) Ein
Buch, das — wie der Titel sagt — 49 Sprichwörter dem niederdeutschen Sprachschatze
«ntnoinmen hat, Sprichwörter, die sich in den bekannten Sammliingeu von Wander, Höfer,
Eckart vorlinden. Das eine und andere Wort indessen hat der Ztisammensteller, der sich
nicht nennt, selbst aus dem Volksmunde gehört oder von befreundeter Seite zugf-tragcn
bekommen. Diese Sprichwörter sind vielfach recht kräftigen Ausdrucks, aber sie
sind ja auch nicht für Erziehungsanstalten der weiblichen Jugend gedacht. Einen be-
sonderen Wert verleihen dem Buche die an Wilhelm Busch gemahnenden 22 Zeichnungen.
Dirt Ankündigung der ersten Ausgabe, Ende vorigen Jahres erschienen, spricht von einem
'geschätzten Künstler', ohne ihn weiter zu nennen. Die dritte nennt ihu urs. Es ist
H. E. Linde-Walther aus Lübeck, in- der Berliner Kunstwelt wohl bekannt. Das
Büchlein ist für unsere tapferen Krieger, aber auch für die Feinschmecker literarisch-
künstlerischer Gerichte bestimmt. Die von dem Künstler mit der Hand ausgemalte
Luxusausgabe ist fast vergriffen. Ich bekenne, dass ich dem nach einem Haml)urger
Volksoriginal benannten Büchlein, schon seiner Eigenart wegen, Beachtung und Be-
trachtuug gerne geschenkt habe. — (Franz Weioitz.)
Alois John, ein lUld seines geistigen Schaffens, anlässlich seiner oOjährigon Tätia-
ktit 1886-1916. Egor, Selbstverlag 1916. 89 S. mit Bildnis und Schriftenverzeichnis.
Ludwig Kümmel, Alte und neue Prophezeiungen über den W'cltkricg und sein für
Deutschland siegreiches Ende. Gesammelt u. herausgegeben. 3. Aufl. Strüm])felbach i. R.
(Württ.), T;. Kümmel o. J. IG S. 16". — Gläubige Aufzählung einer Reihe von 'Weis-
sagungen" ohne nähere Quellenangabe, wie sie aus der Schrift Zur Bonsens (s.o. S. 194)
bekannt sind, die offenbar von dem Verf. benutzt ist. Die Pro])liezeiung von Altötting
(S. 12) ist inzwischen längst als grobe Fälschung erwiesen (s. Zur Bonsen S. 57 f.) — F. B.
A. von Löwis of Menar, Märchen und Sagen. Berlin -(-harlottenburg, Felix Leh-
mann 1916. XVIII, 172 S. 4 Mk. Die Baltischen Provinzen, hsg. von 0. Grantoff
l\([_ 5)_ _ Eine Reihe von Autoren hat sich unter der Leitung des Kunsthistorikers
Grautoff zusammengetan, um Landesart und Kunstpflege, Literatur und Geschichte der
Ostseeproviuzen, die uns durch das blutige Ringen der letzten Jahre soviel näher gerückt
wurden, anschaulich vorzuführen. Im vorliegenden, durch R. von Hoerscheltnann mit
netten Federzeichnungen geschmückten Bande bietet sich uns Dr. v. Löwis of Menar als
längst bewähr, er Führer in die Sagen- und Märchenwelt seiner Heimat an. An gut ge-
wählten Beispielen zeigt er, wie die Sa-en der germanischen, finnischen und baltu-
slawischen (^lettischen) Einwohner geschichtliche Erinnerungen seit der Ansiedlungszeit
und den Stadtgründuugen, die Empfindungen des eigenen Seeleniebons und die Eindrücke
der umgebenden Natur widerspiegeln. Auf einen Auszug des estnischen Volksepos
Kalewipoeg folgen sodann verschiedene estnische und lettische Märchen und Schwanke,
welche neben der eigenen Begabung einen starken Einschlag deutschen Sagengutes ofi"en-
baren, so der Feldzug der sieben Schneider (S. 127, oben 4, 434), und die drei lispelnden
Schwestern (S. 118), die bereits 1555 in einem Meisterliede des Hans Sachs vFabeln 6,
nr. 953. erscheinen. Den Märchenschatz der deutschen Balten bezeichnet der Heraus-
geber als identisch mit der Grimmschen Sammlung. — (J. B.
Notizcii. 177
A. N., Das Brauhaus und die Braiitätigkeit in früheren Zeiten (Woclienschrift für
Brauerei 34, 163 f. Berlin 1917). — Das Brauwesen des Amtes Werdau 1547—1700
(ebd. 34, 177—179. 186-188).
F. E. Peiser, Das Gräberfeld von Pajki bei Prassnitz in Polen, untersucht und be-
schrieben. Altertumsgesellschaft -Prussia- Sonderschrift N. K. I, Königsberg i. Pr. 1916.
7,50 Mk., für Mitglieder der Prustia 3 Mk. — Das Gräberfeld gehört der Zeit etwa um
100—200 n. Chr. an und ist von ungefähr 3—4 Generalionen im Laufe eines Jahrhunderts
belegt worden. Es handelt sich vielleicht um die Reste einer im Osten Sadruga genannten
Familiengemeinschaft von 20-30 Köpfen. In der Übersicht der Bestattungen, durch-
gehends mit Leichenbrand, fällt das Grab 15 auf, dessen Urne ausser den Resten eines
jungen Weibes Knochen von 4 — 6 mittelgrossen Vögeln und einem jungen Pferde, ferner
ein Goldberlock, Bronzeteile, Reste eines eisenbeschlagenen Kästchens, Haarkamm, Perlen,
Knochennadel und Spinnwirtel enthielt. Im allgemeinen entsprechen die Funde sowohl
in der Keramik als in den Beigaben denen des westlicheren Deutschlands und dürfen
wohl als germanisch betrachtet werden, wenn wir auch nicht den Namen des betr.
Stammes feststellen können. Die Reste slawischer Bevölkerung pflegen doch ganz anders
auszusehen. — (K. Brunner.)
Johannes Pesch, Aberglaube und Kriegsaberglaube (Frankfurter Zeitgemässe
Broschüren Bd. 35 Heft 10). Hamm, Breer & Thiemann 1916. 31 S. 8". 0,50 Mk. —
Einer allgemeinen, für den Gegenstand etwas lang ausgesponnenen Betrachtung über das
Wesen des Aberglaubens lässt der Verf. eine Übersicht über verschiedene Erscheinungen
des auf den Weltkrieg bezüglichen Aberglaubens folgen. ^Mit besonderer Ausführlichkeit
sind die heut eigentlich seltener auftauchenden Bergentrückuugssagen und die Pro])he-
zeiungeu behandelt. Hier folgt der Verfasser im wesentlichen der Darstellung F. zur
Bonsens s. oben S. 194). Zur Sage vom Nachtwächter von Szillen, deren poetische
Formi.ng durch Charl. Wüstendörfer mitgeteilt wird, vgl. oben 25, 400. 26, 89. 211. — (F. B.)
F. Peterlechner, Stille Nacht, heilige Nacht. Die Geschichte eines Volksliedes
Linz, Qu. Haslinger (1917). S.S S. mit Bildern und Facsimiles. — Zu Weihnachten 1918
sind gerade hundert Jahre verflossen, seit der Hilfsgeistliche Joseph Mohr und der Lehrer
Franz Gruber zu Arnsdorf bei Salzburg das schlichte Weihnachtslied 'Stille Nacht" in
Worte und Töne fassteu. Im Auftrage des Landesveieins für Heimatschutz in Ober-
östeireich hat P. mit grosser Sorgfalt die durch ausschmückende Gerüchte und Zeitungs-
artikel vernirrten Tatsachen über die Entstehung des Liedes festgestellt und vom Leben
der beiden Väter desselben genaue Nachricht gegeben. Eine Bearbeitung des Kompo-
nisten für Chor und Orchester v. J. 1833 ist beigegeben. In Dcutschhuid verbreitete
sich das Lied seit 1831, durch Missionare drang es zu den Eingeborenen am Himalaja,
im Sudan und in Südamerika. Zu den Literaturangaben sti noch Pailler, Weihnachts-
lieder und Krippenspiele 2, 10 (1883) und Böhme, Volkstümliche IJeder 1S95 nr. 748
hinzugefügt. — (J. B.)
Quickborn-Bücher 9. Band: Gustav Go edel. Klar Deck überall! 80 S. 8". 0,50 Mk.
11. — 12. Band: Georg Droste, Slusohr un anner cernste un vergnogte Vertellsels un
Riemels, Mit Titelzeichnung von Ad. Möller und einem Bildnis des Dichters. 110 S. 8°.
1,20 Mk. 14. Band. Gorch Fock, Otto Garber, Rudolf Kinau, Gustav Friedrich
Weg er und Hinrich Wriede, Plattdütsche Jungs in'n Krieg. Mit Umschlagzeichnnng
von Ad. Möller und einem Faksimile von Gorch Fock. 62 S. 8'. 0,60 Mk. 15. Band:
Rudolf Kinau, Stceinkiekers. 58 S. 8'. 0,60 Mk. — Hamburg, Quickborn- Verlag 1916
bis 1917. — Die Rührigkeit und das gesunde Aufblühen der niederdeutschen Quickborn-
Vereiniguog werden am besten gekennzeichnet durch die rasche Aufeinanderfolge ihrer
Büchergaben, von denen an dieser Stelle schon wiederholt die Rede gewesen ist. In
dem Band 'Klar Deck überall I" führt der durch seine Untersuchungen zur Seemanns-
sprache bekannte G. Goedel den Nachweis, dass zahlreiche Seemannsausdrücke, die heute
allgemein für englisch gehalten werden, zum alten niederdeutschen Sprachgut gehören
Von seinen Wortableitungen dürften freilich mehrere, so die von Ballast, Bagage (die
hierbei erwähnte Etymologie von Beghine lässt den Namen des Ordensstifters le Beghe
Zeitsi-hr. d. Vereins f. Volkskunde. 1017. Heft 2. 12
178
Xo(
ausser acht) auf Widrirspriich stossen. Eine hübsche Sammlung meist heiterer Er-
lälilungen des blinden Richters G. Droste, dem auch das 1. Heft des 10. Jahrgangs der
wertv )llea 'Mirteilungen' y ewi tmet ist, enthält der 11. 12. Hand, während im 14. eine
Re^he von Quickliornleuten, darunt-r auch der bi-im Unt<*r>;antr der 'Wiesbaden' ge-
bli.-bene Grorch Fock J h. Kiu lu) ihre S .ldatenerlebni>se in plattdeutscher Sprache
sinnig und humorvoU .«.chiHern. Ist auch Rudolf Kinaus Schreibart nicht von gleicher
Kraft und Urwüchsigkeit wie die seines Bruders, so lassen seine im 15. Bändchen ver-
einigten Ges.hichten doch einen volkstümlich-gemütvollen Erzähler erkennen. Zumal
-bei den Niederdeutschen unter ULseren Soldaten werden diese Bändchen grosse Freude
erregen. — (F. B.)
Ernst Rosenmüller, Das Volkslied Es waren zwei Königskinder, ein Beitrag zur
Geschichte des Volksliedes iiberhaupt. Leipziger Diss. Dresden, A. Hille 1917. 114 S.S«
mit Karte. — Die Probleme, welche sich an die berühmte Schwinnmerballade knüpfen,
erfahren hier eine energisch zufassende und zu neuen Ergebnissen führende Behandlung.
Das altgriechische Epos des Musäus von Hero und Leander wird nicht mehr als Quelle
der späteren S-genbehandlungen anerkannt, sondern gleichberechtigt treten neben diese
Kunstdichtung das syrische Märchen bei Rohde, Der griech. Roman- S. 148-, die aus
Nor ifrankreich stammenden romanischen Lieder und die germanische Gruppe. In der
letzteren ersch. int dem Vf. die um 1572 aufgezeichnete schwedische Ballade als die alter-
tümli hste Fassung, deren Entstehung -och vor 1300 falle: von Schweden sei das Lied
na.-h Niederdeutschland, dann nach Mittel- und Oberdeutschland gelangt. Dass diese
Fül-erungen nicht ohne weiteres einleuchten, sondern einer gründlichen Nachprüfung
bedürfen, kann hier nur ang'^deutet werden. Sicherer ist, was über die Vermischung der
deutschen Königskinderballade mit der von der stolzen Jüdin vorgetragen wird. Das
vermutlich in der ersten Hälfte des 18. Jahrb. am Oberrhein entstandene Lied von der
Jüdin ward iu Schlesien und Sachsen wohl unter dem Einüuss der neu aufgekommenen
Melodie mit Strophen aus jener älteren Ballade verbunden. Beachtenswerte Winke über
schöpferische und zerstörende Veränderung von Liedertexteu und das Zersingen einge-
wanderter Lieder sind S. 97 gegeben. Bednuern muss man, dass diese vielversprechende
Erstliügsarbeit zugleich ein Opus postumum ist; sie ist erst, nachdem der Vf. 191G als
Orazier gefallen war, durch seinen Lehrer Prof. E. Mogk und seinen Freund Dr. Böhme
zum Drucke befördert worden. — (J. B.)
S. Singer, Alte schweizerische Sprichwörter, Schweiz. Archiv für Volkskunde,
20, 389-419. (s. o. S. 85. Als Sonderabdruck bei Karl J. Trübner, Strassburg 191(;, er-
schienen. 2,50 Mk.) — Eine Sammlung von Sprichwörtern bei Dichtera und Schriftstellern
des 9. bis IG. Jahrhunderts, die entweder Schweizer von Geburt sind oder lange in der
Schweiz gelebt haben. Zu den ersteren rechnet Singer Hartmann von Aue, zu den
letzteren gehören Konrad von Würzburg und Pamphilus Gengenbach. Die aus diesen
Quellen gesammelten Sprichwörter sind natürlich nicht spezifisch schweizerisch, soudcrn
gemeindeutsch. Die sorgfältiue und fleissife Sammlung deckt sich zum grossen Teile
mit Zmgerles 'Deutschen Sprichwörtern des Mittelalters', zieht jedoch einerseits schweize-
rische Schriftsteller heran, die Zingerle nicht verwertet hat, z. B. Ammenhausen, und
schliesst andererseits die Masse der von Zingerle benutzten nichtschweizerischen Schrift-
steller aus. — - (F. Seiler.)
Heinrich Sohnrey, Ostorfeuer. Ein Ostergruss für Heimat und Heer. Berlin
Deutsche Landbuchhandlung 1917. 97 S. 8». — Beunruhigt durch manche behördlichen
Massnahmen sowie die verschiedentlich im Landvolke verbreitete Meinung, in der jetzigen
schweren Zeit gezieme es sich nicht, am Ostertage nach der Väter Sitte die Ostorfeuer
zu entzünden, hat Sohnrey dies Büchlein zusammengestellt, untefstützt vom Deutschen
Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatspilege. Beiträge lieferten ausser ihm eine
Reihe von Freunden und Landsleuten aus seiner niedersächsischen Heimat. In Auf-
sätzen, Erzählungen und Gedichten wird die schöne alte Sitte, ihre Entstehung und ihre
in vielen Gegenden Deutschlands noch heute übliche Form behandelt. Hoffen wir, dass
die von warmer Heimatliebe erfüllte kleine Schrift zur Erhaltung und Vertiefung des
bedeutungsvollen Brauches das ihre beiträgt. — (F. B.)
Nuti/.en . 179
Isidor Scheftelowitz, Das stollvertretende Hulinopfer. Mit heFonderer Berück-
sichtigung des jüdischen Volksglaubens (Religionsgesrhichtliche "Versuche und Vorarbeiten
hsg. von R. Wünsch und L. Deubner 14, P.). Giessen, Ä. Töpehnann (J. Ric-ker.<) 1914.
(5G S. 8". geh. 2,40 Mk. — Das interessante religionswisenschaftliche ProbUm der Stell-
vertretung wird hier mit grosser Belesenheit, aber doch nicht ohne starke Einseitigkeit au
einer bestimmten Erscheinung, dem weitverbreiteten Huhnopfer, behandelt. Der Verf.
setzt an den Anfang seiner Ausführungen den Satz 'An Stelle eines Menschen, der sich
eine Gottheit zum Opfer bestimmt oder dessen Untergang ein Dämon herbeizuführen
beabsichtigt, kann nach dem primitiven Glauben auch ein Tier trelen, womit sich die
überirdischen \yesen zufrieden geben'. Wenn dann eine grosse Menge primitiver und
antiker Opferhandlungen aus diesem Grundsatz erklärt wird, so ist doch immer zu be-
denken, ob wirklich in allen diesen Fällen ursprünglich dip Opferung oder der Untergang
eines Menschen als eigentliche Forderung vorausgesetzt war. Der Idee des Menschen-
opfers eine so weite und tiefe Ausdehnung zuzugestehen, wie der Verf. will, ist doch
wohl kaum angängig, uud in vielen Fällen wird von vornherein die Anschauurg gewaltet
haben, dass der Zorn der Dämonen durch ein Tieropfer besänftigt werden könne. Und
hierfür mussle sich das Huhn, als weitverbreitetes und fruchtbares Haustier, von selbst
darbieten. Ausserdem liegen in vielen Fällen andere Wurzeln, vor allem die Vorstellung
der Übertragung! von Krankheiten u. dgl., offen zutage. Das beigebrachte Material ist.
wie bemerkt, von bemerkenswerter Reichhaltigkeit und sichert dem Buche seineu Wert,
auch wenn man die Grundidee nicht voll anerkennen kann. Verwiesen sei in dieser Be-
ziehung besonders auch auf die Exkurse, z. B. über die Sitte der xaiayyoaaTu, den Kreis
und die schwingende Bewegung als Abwehrniittel, die angeblichen Ritualmorde der
Juden u. a. m. — (F. B.)
K. Spiess, Das deutsche Volksmärchen. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1917.
IV, 124 S. 8». geb. l,.-)0 Mk. (Aus Natur und Geisteswelt Nr. 587 ) — Das Büchlein bietet
wirklich, was das Vorwort verheisst, eine fassliche und anschaulirhe Übersicht ül er den
heutigen Stand der Märchenforschung. An der Grinimschen SammUing. die durchaus im
Mittelpunkt der Betrachtung steht, legt der Verf. die Welt und das Wesen des Märchens
dar, im Verhältnis zur Wirklichkeit, zu sittlichen Forderungen, zum Humor; er gibt
gute Bemerkungen über die internationale Verbreitung der Stoffe, die Scheidung von Märchen-
motiv, -formel uud -typus, wobei er gegen Aarnes Typenverzeichnis manches einzuwenden
hat, über den Aufbau und die Technik, besonders über den durch nationale Eigenart und
zeitgeschichtliche Verhältnisse beeinflu.=.sten Wechsel in der Einkleidung dtr Motive.
Endlich werden die bekannten Theorien über das Alter und den Ursprung der Märchen
und den uralten Gehalt, die animistischen Vorstellungen und der Zauberglaube be-
sprochen. — (J. B.)
l^TOIXEIA, Studien zur Geschichte des antiken Weltbildes und der griechischen
Wissenschaft, hsg. von Franz Boll. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner. Heft 1: Franz
Boll, Aus der Offenbarung Johannis. Hellenistische Studien zum Weltbild der Apokalypse.
1914. VIII, 151 S. 8'. geh. 5 Mk., geb. 5.60 Mk. Heft 2: Erwin Pfeiffer, Studien
zum antiken Sternglauben. 1916. VII, 1^52 S. S\ geh. 5 Mk., geb. 6 Mk. - Professor
Franz Boll hat sich diese Veröffentlichung geschaffen, wesentlich wohl, um für sein Sonder-
gebiet, die griechische Astronomie und Astrologie, eine offene Stelle zu finden. Und es
ist unbedingt höchst verdienstlich, dass er diesem bisher zu unrecht vernachlässigten,
wichtigen, aber freilich auch recht schwierigen Gebiet eine grössere Pflege angedohen
lässt, als das bisher geschah. Erstreckt sich doch der Einfluss der antiken Astronomie,
wie schon die sieben Wochentage beweisen, von Westasien, und zwar schon in älterer
Zeit, bis in unser Vaterland und reicht er doch recht eigentlich vom Himmel oben bis zur
Hölle unten und bis an alle vier Ecken der Welt. Denn alle diese Begriffe und Be-
zeichnungen stammen von der älteren Sternenkunde her. Für den Volkskundler ist die
Darstellung des Weltbildes, aber auch die Erklärung zu den apokalyptischen Reitern odt r
zum neuen Jerusalem, wie B. sie hier auf Grund seines umfangreichen Stoffes und seiner
fleissigen und gewissenhaften Arbeit gibt, vom höchsten Wert, weil uns so die moderne
12*
ISO Notizen.
Forschung jene Quellen aufdeckt, ans dtnen zu allen Zeiten ganze Ströme der wichtigsten
und grossartigsten Vorstellungen in die Kunst und die Literatur aller christlichen Völker
geflossen sind. — Pfeiffer hat eine fleissige und tüchtige Arbeit über die antike Stevnen-
welt geschrieben, die sich wesentlich mit der Frage befasst, ob die Auffassun? der
Griechen (und Römer) mehr darauf hinaus ging, dass die Sterne nur den Lauf der Jahres-
zeiten anzeigten, oder dass sie auch die Veränderungen der Jahreszeiten wirklich herbei-
führten. Unter den Beilagen ist dann noch volkskundlich wichtig der ktzte Anhang
über die Seele und ihre Wanderung zu den Sternen, die mit der wichtigen Vorstellung
des Himmels als der Wohnung der Seligen zusammenhängt. — (Ed. Hahn.)
H. L Strack, Jüdisches Wörterbuch mit besonderer Beiücksichtigong der gegen-
wärtig in Polen üblichen Ausdrücke. Leipzig, J. C. Hinrichs 1916. XV F, 204 S. geb.
(1 Mk. — Eio jüdisch-deutsches Wörterbuch von E. Bischoff, das während des jetzigen
Krieges unsern in Polen und Galizien stehenden Soldaten bereits riützliche Dienste ge-
leistet hat, konnten wir oben 26, 408 empfehlen. Höheren Anforderungen sucht Sfrack,
ein ausgezeichneter Kenner der alt- und uenhebiäischen Sprache und Literatur, in dem
vorliegenden Wörterbuche zu genügen, das in knapper Fassung ein sehr reichhaltiges^
in jahrelanger Beschäftigung gesammeltes Material darbietet. Da er nicht nur ein Hilfs-
mittel für den mündlichen Verkehr, sondern auch für die Lektüre der jüdisch-deutschen
Zeitunsren und Bücher liefera will, setit er die Kenntnis der liebräischen Schrift voraus
und gibt die Worte in dieser wieder. Eine deutsche Fixierung der Aussprache, die
freilich in den einzelnen Gegenden grosse Verschiedenheiten aufweist, fügt er leider nur
selten bei. Wichtig ist die Feststellung der Herkunft der Worte aus dem biblischen und
talmudischen Hebräisch, dem Deutschen, Polnischen und Russischen, und hier erweist
sich der Autor als trefflicher Führer. Willkommen sind fernfr die Bemerkungen in der
Einleitung über Aussprache, Grammatik, Betonung, Datumbcz^ichnung, literarifche Hilfs-
mittel, wenngleich man hier über manches, wie die Aussprache des i* und ^, die Schreib-
schrift, die sprachlichen Gesetze, nach denen dir» fremden Bestandteile umgeformt werden,
das Alter einzelner Neubildungen, die zugrunde licg«nde deutsche ^lundar^ gern noch
mehr vernähme. Jüngeren Sprachforschern, besonders Germanisten, eröffnet sich hier
ein weites Fehl, aber eine zuverlässige Grundlage ist durch Strack geschaffen. — Als
Anhang gab derselbe heraus: .Jüdischdeutsche Texte, Lesebuch zur Einführung in Denken,
Leben und Sprache der osteuropäischen Juden. Leipzig, Hinrichs 1917. 56 S. 1,50 Mk.
Eine Reibe charakteristischer Zeitungsarlikel aus den letzten drei Jahren in Umschrift mit
wortcTklärenden Anmerkungen. — (J. B )
C. W. v. Sydow, God Afton, om 1 henima är! en studie över de nordiskamajvisorna,
med facsimiler och musiknoter. Malmö, Maiander 1917. 158 S. 8". 1,75 Kr. — In
Dänemark und Südschweden sind zwei mannigfnch variierte Mailieder üblich, mit denen
die mit grünen Zweigen herumziehende Jugend den Eintiitt des Frühlings bcgrüsst: ein
geistliches und ein Heischelied der Kinder. Jenes geht zurück auf eine dänische, um
1600 von Peder Jensen Roskilde verfasste Dichtung, die ihre Melodie einem älteren
weltlichen Mailiede 'Hossbondc om du hiemme est, May va-r velkomn en' entlehnte, um
dasselbe aus dem Gesänge des Volkes zu verdrängen. An dies bis auf die Anfargszrilen
verlorene Lied des 16. Jahrb. lehnt sich auch das Kinderlied 'God aftou, om I hemma
är' an. Die zahlreichen Veiänderuugen des Textes in Dänemark und in den damit in
engpr Kultuvgemeinschaft stehenden schwedischen Provinzen Schonen, Halland und
Bleking beruhen z. T. darauf, dass das Lied ntr einmal während des ganzen Jahres ge-
sungen wurde. Auch mit dem deutschen Mailiede 'Hier kommen wir vor dieses Haus'
(Erk-Böhme nr. 1253. zeigt sich Verwandtschaft. Endlich weist dir Verf. der zugleich
gründlichen und lesbar geschriebenen Studie aus Flugblättern ein kurz vor 1750 von
Anna Brita Elf verfasstes Maili^d nach, das nach einem älteren Vorbild') tue Seligkeit
im Himmel unt.r dem Bilde des Somaers beschreibt: 'Ack Ijuflig tid'. — (J. B.)
Irene Thirring- Waisbecker, Volkslieder der Heanzen, gesammelt mit 46 Melo-
dien. Wien 1916. V, 40 S. gr. S" (aus Bd. 21 der Zs. f. österr. Volkskunde abgedruckt).
— Auf Bunkers treffliche Sammlung heanzitcher Kinderreime (1900) folgt iii.r eine reich-
Ncti/.en. 181
haltige Lese von Vierzeilern, Liebesliedern, Balladen, Soldaten-, geistlichen Liedern und
Kindersprüchen famt den Weisen. Besonders wertvoll sind die zahlreichen altfn Balladen
Die Herausgeberin hat einige Nachweise über anderweitige Aufzeichnungen beigefügt,
leider ohne unsro umfangreichste Volksliedersammlung, Erk-Böhmes Liederhort, heran-
zuziehen, aus dem sie z. B. ersehen hätte, dass die besonders gelobte Ballade „Ein trotziger
Ritter aus fränkischem Land' (S. 20 ein Gedicht von J. F. Ratschky {^Uld) ist. — (J. B.)
P. Thomsen, Palästina und seine Kultur in fünf Jahrtausenden. Zweite, neube-
arbeitete Aulhge. Mit 37 Abbildungen. (Aus Natur und Geisteswelt Bd. 260). Leipzig
u. Berlin, B. G. Teuhner 1917. 1-21 S. 8". Geb. 1,50 Mk. — Nach einem Überblick über
die bisherigen Ausgrabungen der Deutschen, Engländer und Amerikaner schildert der
Verf. die Kulturzustände des Heiligen J>andes in vorsemitischer, vorisraelitischer, isra-
elitischer, hellenistischer und römisch-byzantinischer Zeit, soweit sie sich aus den
Funden erkennen lassen. Es ist natürlich, dass bei dieser Methode ein die ganze Kultur
umfassendes Bild nicht gewonnen werden konnte. Anderseits sind Gebiete wie Toten-
bestattung, Geräte, besonders solche aus Ton, besonders eingehend behandelt. Be-
merkenswert ist die Zurückhaltung Th.s gegenüber den Skelettfunden in und unter
Mauern, die meist als Beweise für Bauopfer erklärt werden. In der oft behandelten Frage
der jüdischen Menschenopfer vermeidet es der Verf. ebenfalls, ausdrücklich dafür oder
dagegen Stellung zu nehmen. — F. B.)
W. St. Vidünas, Jiitauen in Vergangenheit und Gegenwart. Tilsit, Lituania 191(j.
l.')2 S. .S". 3 Mk. — Viel Liebe und Verständnis für litauisches Volk und Wesen spricht
aus dem an Inhalt mannigfaltigen und Bildl)eigaben reichen Buche. Es wird nicht nur
aufklären, sondern auch um Achtung und Liebe werben für ein Volk, das mehr Lieder
(Dainos) singt, als irgend sonst eine Nation, das durch sein zartes, für die Natur tief
empfängliches Gemüt in seiner Sprache für Derbheiten kein Ausdrucksmittel hat und
kein Tier quälen kann, das auf die KlC;tG (= Schlafhaus der erwachsenen Töchter) all
sein Sinnen richtet, auf deren Veranlassung da die jungen Litauerinnen in das Gürtel-
band, die Jousta, die zartosten, innigsten Lieder und Wünsche hineinarbeiteten und aus
dem Garten daneben im Sommer täglich den Rautenkranz fürs Haar ptlückten und im
Winter in der Spinnstube beim Scheine der Szibintas (= Kienspan) den Klängen der
Kanklys (= eine Art Zither) lauschten. — (Johannes Podzuweit.)
Volksthümliches aus Graubüiidcn. (hur, Sprecher, Eg<,'erling & Co. 1916. XVi,
627 S. 8 Fr. — Das ohne Verfassernamen in die Welt tretende Werk ist nichts andres
als eine Erneuerung der verdienstvollen 'Volkssagen aus Graubüoden', die Dietrich v.
Jecklin 1874 bis 1878 in drei Bänden herausgegeben hat. Leider ist diese Arbeit nicht
in die rechten Hände gefallen. Jecklins wohlbedachte Anordnung ist einem bunten Durch-
einander gewichen, dessen Zweck man nicht einsieht: nicht nur die inhaltlich oder örtlich
zusammenhängenden Sagen sind verstreut, sondern auch längere Erzählungen in zwei
oder drei Stücke auseinander gerissen. Jecklins 'Erklärungen und Zusätze' ^S. 527}, die
seine Gruppierung voraussetzen, sind ohne Hinweise auf jene Veränderungen geblieben.
Eine zusammcuhängendo Abteilung bilden nur die von Decurtios gesammelten Märchen
(S. .')77), bei denen man wiederum eine Anführung der seither in seiner Rätoromanischen
Chrestomathie (2. 1901) gedruckten Originale vermisst. Neu sind etwa zwanzig Orts-
sagen. Da ein Sachregister fohlt, kostot es oft Mühe, ein Zitat der früheren Auflage
wiedeizufinden. — (J. B.)
Konrad Weichberger, Die .Planeton-(<^uadrilie. Ürcinon, H. M. Hauschild 1917.
29 S. 8'. — Ein lehrreiches Beispiel, wie eine vorgefasste Meinung zur Vergewaltigung
der Tatsachen führt. Der Vf. vergleicht die 'heilige" Figur des neunzelligen magischen
Quadrats (oben 26, B06j mit der achfstrahligen Windrose, mit den um die Erde gruppierten
Planeten und mit den phäakischen Tänzern, die in der Odyssee 8, 258 das von Demodokos
besungene Liebesabenteuer des Ares und der Aphrodite mimisch darstellen. Nun be-
richtet zwar das Altertum nur voi 7 Planeten und Homer von 9 Phäaken; aber der
moderne Prokrustes weiss solche widerspenstigen Zahleu zu strecken oder zu kürzen. Die
Alten hatten eben schärfere Augen und rechneten den jetzt nur mit ICrnrohren wahr-
I^o l'.niuner:
nebmbaren Uranus als achten Planeten, und Homer zählte den Sän^'er mit zu den acht
Tänzern, welche die in der P'rzählung erwähnten Götter darstellten. Dabei verwechselt
W. wohl die neun Ordner {aiaviirrjrai) mit den Tänzern (^troroo/), deren Zahl weder
bei Homer noch in der Beschreibnnfi der Abbildung auf dem amykläischen Throne
(Paus. 3, 18, 7) überliefert wird. Auf weitere astronomische Hypothesen des Vf. mögen
Fachleute eingehen. — (J. B.)
Dolfü Zorzut. Instoris e Ifendis fuilanis, elioltis su a Corraons sul Judri cunt-un
dos (.•hacaris di Vencul. GuriQc [Görz], G. Paternolli 1914. VIII, 203 S. 2,50 Kr. —
Ridiculis, ridäculis altris sflocis par furlan. ebd. 1914. 47 S. 0,60 Kr. — Kurz vor dem
Ausbruche des Weltkrieges, der jetzt auch im österreichischen Küstcnlande tolt, hat dort
ein junger talentvoller Friauler mit Eifer >ind Glück Märchen und Logenden gesammelt
und in zwei Bändchon herausgegeben. Die lebendige und anschauliche Erzählweise des
Volkes und die furlanische Muniart, in die auch der Kenner der italienischen Schrift-
sprache sich nicht gleich hineiutindet, sind getreu beibehalten. Unter den 49 Nummern
treffen wir viele Bekannte aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm an, z. B.
Fürchten IcrneD, den singenden Knochen, Rumpelstilzchen, die goldene Gans, die beiden
Königskinder, den Schmied von Jüterbog, das jung geglühte Männlein, den Meisterdieb:
dazu die schon im Ruodlieb begegnenden drei Ratschläge, den im Paradiese verweilenden
Bräutigam, die Mutter St. Peters, Christi Wandrungen mit Petrus, das Hemd des Glück-
lichen und einige Tiermärchen. Es steht zu hoffen, dass wir die wertvollsten dieser
hübschen Erzählungen in einer Verdeutschung zu lesen bekommen. — (J. B.)
Aus deu
Sitzuiigs- Berichten des Vereins filr A olksknude.
Freitag, den 26. Oktober 1917. Der V^orsitzende, Hr. Geheinirat Prof. Dr.
Roediger, widmete dem verstorbenen Mitgiiede Prof. Dr. Schulze-Veltrup sowie
der Gemahlin unseres Schatzmeisters Franz Treichel, die im Dienste des Roten
Kreuzes für das A^aterland starb, herzliche Worte der Erinnerung. Der hochver-
diente Obmann des Vereinsausschusses, Hr. Geheimer Regierungsrat und Stadt-
ältester Ernst Friedet hat im Juni seinen 80. Geburtstag gefeiert, wozu der Vor-
sitzende ihm namens des Vereins herzlichen Glückwunsch aussprach. Hr. Prof.
Dr. Bolte beglückwünschte ebenso nachträglich Hrn. Geh. Rat Roediger und
Frau Gemahlin zur Feier ihrer silbernen Hochzeit. Derselbe legte sodann zwei
neue Erscheinungen vom volkskund liehen Büchermärkte vor: 'Aus der Heimat',
alte und neue Lieder nach Wort und Weise hsg. für deutsche Kriegsgefangene
von John Meier, Insel -Verlag 1917, und Robert Petsch: 'Das deutsche Volks-
rätsel', 1. Bd. des Grundrisses der Deutschen Volkskunde, hsg. von John Meier,
Strassburg, Trübner 1917. Hr. Dr. Erich Gutmacher sprach dann über 'Kale-
wala, das Nationalepos der Finnen, in seiner Bedeutung für die Volkskunde'. Er
berichtete ausführlich über die Entstehung des Epos, seine Verbreitung und die
Fragen, die sich daran knüpfen. Die Probleme, die uns der Vortrag der Einzel-
gedichte aufgibt, führen zu den Wurzeln der Kultur zurück, zum Seelenglauben
und in die Uranfänge des Zaubers. Die Macht des Zaubergesanges wurde an Bei-
spielen aus dem Epos gezeigt. Daran schloss sich eine Inhaltsangabe des Epos.
Bilder des alten und modernen finnischen Volkslebens mit Erläuterungen aus dem
^^itziuijis- Bericht«'. 183
Epos, die Gelegenheit gaben, allerhand volkskundliche Motive vergleichend zu ver-
folgen, schlössen den Vortrag. In der Besprechung des Vortrages verwies Prof.
Holte als Parallele auf das deutsche Märchen vom Mond, wie es schon Wilhelm
Grimm getan. Hr. Geh. Rat Roediger erläuterte die Entstehung der Epen im
allgemeinen, und den grundlegenden Unterschied zwischen Lied und Epos, den
z. B. Lachmann übersah. Die Entstehung des Kalewala ist erst allmählich be-
kannt geworden und ausnahmsweise auch der Name des Zusammenfügers der
einzelnen Lieder im l'.J. Jahrh., Elias Lönnrot.
Freitag-, den 23. November 1917. Der Vorsitzende Geh. Rat Roediger
teilte mit, dass er namens des Vereins die Mitglieder Frau Prof. Marie Andree-
Eysn zu ihrem 70. Geburtstage und Hrn. Geh. Rat Prof. Stieda in Königsberg
zum >)Ü. Geburtstag beglückwünscht habe. Hr. Oberlehrer Dr. Fritz Boehm be-
sprach einige Aufsätze aus der Prof. Dr. Ed. Hoffmann-Krayer gewidmeten Fest-
schrift und legte andere neue Bücher vor, wie: Beiträge zur Deutsch-böhmischen
Volkskunde Bd. 13 und 14 von Jos. Rank und Josef Blau; AHäraische Sagen,
Legenden und Volksmärchen, hsg. v, Georg Goyert und Konrad Wolter, Jena 1917;
Hans Bächtold, Deutscher Soldatenbrauch und Soldatenglaube, hsg. vom Verbände
deutscher Vereine für Volkskunde, Strassburg 1*J17; Die Deutschen Brüder, hsg.
vom Champagne-Kamerad, Feldzeitung der 3. Armee, Stuttgart. Hr. Treichel
legte wiederum die Jahresschrift des schwedischen Touristenvereins vor. Hr. Prof.
Bolte besprach das neueste, E. Friedel gewidmete Heft der Niederlausitzer Mit-
teilungen mit einem Aufsatze über den sog. Feuerreiter, einen Grafen Reventlovv^
der noch vor etwa 50 Jahren den bekannten Feuerzauber ausübte, indem er einen
Brand umritt, um weiteres Umsichgreifen zu verhindern. Dann sprach Frl. Elisabeth
Lemke über die Eidechse in der Volkskunde; sie berichtet selbst folgender-
massen darüber: Mit Hinweis auf den 'Drachen', der sowohl im Mythus, wie im
(romanischen und gotischen) Baustil nicht nur Schlangen-, sondern auch Eidechsen-
Züge erhielt, wurde als wahrscheinlich die Schöpfung des Drachen -- dieses ge-
waltigsten Fabeltiers — auf Funde von Skeletten und Abdrücken sog. vorweltlicher
Tiere zurückgeführt. Der Urgreif (Archäopteryx) hat überdies einen Eidechsen-
schwanz. Bei der sich doch nur langsam entwickelnden Menschheit hat (mit oder
ohne Berechtigung) die Furcht eine grosse Rolle gespielt. Abergläubische Ge-
bräuche hielten die einst gefassten Vorurteile fest. Und so ist noch bis zur
heutigen Stunde die Harmlosigkeit unserer kleinen Eidechse keineswegs allgemein
anerkannt. Das unschuldige Tier wird vielfach verfolgt und gequält oder totge-
schlagen; auch im Hinblick auf Abwendung von Unheil und Herbeizaubern von
Glücksgütern. Zu den immer noch anzutreffenden Vorurteilen gehört die Annahme,
dass die Eidechsen stechen und beissen. Doch glaubt man auch, dass sie vor
Schlangen warnten, dem Menschen das Leben rettend. Zahlreiche alte und
neue Namen der Eidechse wurden erwähnt. Es folgten Mitteilungen über aber-
gläubische Gebräuche (unter denen die auf Heilung sich beziehenden wohl die
zäheste Lebenskraft haben mögen), über die Vorstellung, Eidechsen seien ver-
wünschte Jungfrauen (auch Prinzessinnen, woher wohl zuweilen bei einigen eine
Krone entdeckt wird), über Beziehungen zu Hexen usw. In Frankreich ist seiner-
zeit das Anathema über Eidechsen ausgesprochen worden. In der Bretagne nimmt
die Seele die Gestalt einer schwarzen Eidechse an. Einige Beispiele aus der
weiteren Völkerkunde zeigten die Eidechse in göttlicher Verehrung. Das zunächst
aus Schutzbedürfnis erwählte Familien- oder Stammestier wird in erstaunlicher
Häufigkeit auf Gebrauchsgegenständen in Schnitzerei usw. angebracht, oft bis zur
Unkenntlichkeit stilisiert, so in Afrika. Die Eidechsen geben auch ein be-
184 J'.nninov: Sit/.mig.s l!ericlit('.
liebtes Muster für Tätowierungen, und schliesslich sind sie als Speise sehr begehrt.
(u. a. in Mexiko und Australien). Giftig ist nur die mexikanische Krustenechse,
Zuletzt wurde der winzigen Eidechse gedacht, die von dem Künstler (Kaulbach)
so liebevoll und sinnig auf dem Umschlag unserer Zeitschrift angebracht ist. Im
Anschluss daran wies Hr. Treichel auf die im Preussischen Wörterbuch ge-
nannten mannigfaltigen volkstümlichen Bezeichnungen der Eidechse hin, die im
Volksglauben auch eine gewisse Rolle als Warner spiele. Ihr Ruf wird im
Volksmunde von Ost- und Westpreussen als Quarren bezeichnet. Hr. Oberlehrer
Dr. Fritz Boehm gab zu dem Thema Vergleiche aus dem griechisch-römischen
Altertum. Münzen mit Eidechsen-Darstellungen von religiöser Bedeutung sind
nicht selten; über die sicher vorhandenen Beziehungen zur Mantik ist näheres
nicht bekannt, doch galt ihr plötzliches Erscheinen als böses Omen. Sie wird
auch als Bild des Todesschlafes wegen ihres Winterschlafes benutzt und dann
auch als Symbol der Auferstehung. Ihre Bedeutung in der Volksmedizin beruhte
wohl auf der Erneuerungsfähigkeit ihrer Glieder. Aristoteles hat über die Eidechse
geschrieben, Aelian Ammenmärchen über sie erzählt, Plinius behandelte sie be-
sonders bezüglich der Volksmedizin, und bei Theokrit tritt sie als Bestandteil
eines Liebestrankes auf. In der Kunst ist sie berühmt durch die bekannte Figur
des Sauroktonos von Praxiteles, einer Apollo-Darstellung. Hr. Geh. Rat Roediger
gab noch einige Ergänzungen in bezug auf die schwierige Worterklärung der
Eidechse. Der Hauptbestandteil sei vom mhd. dechsen = schwingen = schwingend
sich bewegen abzuleiten, dem ein steigerndos Urwort ei oder ewi = sehr vorgesetzt
sei. Konrad von Megenberg (Mitte des 14. Jahrh.) bringt den Namen salburra
einer unbekannten Eidechse bei und führt unter anderen Fabeln über sie ihre
Heilkraft bei Blindheit an. Hr. Redakteur Dr. Richard Böhme hielt schliesslich
einen längeren Vortrag über Volkskundliches und Volkstümliches bei Friedrich
Hebbel, der in der Festschrift für Eduard Hahn S. 345 ff. abgedruckt ist.
I^erlin. Karl Brunner.
Max ßoediger t-
Von Johannes Bolte ').
In den letzten Woclieu, während auf den Schlachtfeldern iu Ost und
West eine verhältnismässige Kanipfesruhe herrschte, ist der Tod mit
ehernem Fuss durch die Reihen der Daheimgebliebenen geschritten und
hat hier eine reiche Ernte gehalten. Wie viel treue Genossen unsrer
Vereinsabende, Männer wie Frauen, ich brauche ihre Namen nicht zu
nennen, sind uns in diesen Wintermonaten durch ihn entrissen worden!
Als wir uns im Januar in diesem Räume zusammenfanden und die Wahl
zum 1. Vorsitzenden, wie natürlich, auf unsern Geheimrat Roediger fiel,
da nahm er das Amt mit den ernsten Worten an: 'Zum letzten Male'.
Wir ahnten nicht, dass wir den so Geistesfrischen wirklich zum letzten
Mal in unsrer Mitte sahen. Am 10. Februar schrieb er mir, er sei eben
von einer Erkältung befallen, die ihn merkwürdig angreife und geschwächt
habe. Das Leiden steigerte sich zu einer Lungenentzündung, unsere
Februarsitzung mussten wir ohne ihn halten, und vier Tage später weilte
er nicht mehr unter den Lebenden; am 26. Februar in der Morgenfrühe
war er entschlafen.
Erschüttert von dem herben, für seine Familie, seine näheren
Freunde und für unsern Verein unersetzbaren Verluste, weilen unsre
Blicke auf den vertrauten Zügen, die aus diesem Bilde^) zu uns reden; und
seinen Lebensgang und sein Wesen uns mit kurzen, schlichten Worten zu
vergegenwärtigen ist mir Pflicht und Bedürfnis.
Max Roediger war ein Berliner Kind, mit einem Einschlage aus der
französischen Kolonie. Sein Vater hatte Theologie studiert, auch schon
in Bernau gepredigt; da stellte sich bei ihm ein Kehlkopfleiden ein, das
ihm die Predigerlaufbahn verschluss und ihn nötigte, den stillen Kanzlei-
dienst zu ergreifen. Er gab seiner Braut, der Tochter des Lehrers
Desmarets vom Kadettenhause ihr Wort zurück, weil er seiner Krankheit
bald zu erliegen fürchtete. Aber die Braut erklärte mutig, sie wolle bei
ihm ausharren bis in den Tod; sie heirateten und verlebten noch über
1) Gedächtnisrede, gehalten am 22. März 1918 im Verein für Volkskunde.
2) Ein Ölgemälde von Prof. Fritz Burger war im Saale aufgestellt. Ein andres
Bildnis ist dem 25. Bande dieser Zeitschrift beigegeben.
ZeitBchr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 3. 13
186 Bolte:
12 Jahre einer glücklichen Ehe. Der einzige Sohn, der ihr entspross,
wurde Maximilian Friedrich Heinrich genannt, er erblickte am
28. Oktober 1850 in der Dessauerstr. 2 das Licht der Welt. Er besuchte
das damals von Bonnell geleitete Friedrichs-Werdersche Gymnasium am
Werderschen Markt und zeigte trotz mehrfacher Kränklichkeit besonderen
Eifer für den lateinischen, griechischen und deutschen Unterricht. An-
regend wirkte hier namentlich sein Lieblingslehrer, der originelle Professor
Klemens, der später am Luisenstädtischen Gymnasium auch der meinige
war. Das Abiturientenzeugnis, das ihn einen der wohlgeartetsten Schüler
nennt, rühmt: 'Sein Fieiss erstreckte sich vielfach über das Geforderte
hinaus'. Mit einer Reihe von Mitschülern, wie dem späteren Kammer-
gerichtsrat Jungk f, dem Geh. Medizinalrat Posner, dem Geh. Sanitätsrat
Körte, dem Direktor des KöUnischen Gymnasiums Prof. Gilow, dem
Geh. Baurat Labes, dem Staatsanwalt Wagner f, blieb er bis zu
seinem Lebensende in treuer Freundschaft verbunden. Am 28. März
1870, also ein Vierteljahr vor dem Ausbruch des deutsch-französischen
Krieges, bestand er die Abgangsprüfung und stand nun vor der
Wahl eines Berufes. Gern hätte er wohL wie er später erzählte, viel-
leicht durch die Verbindung des Grossvaters mit dem Kadettenkorps
beeintlusst, die Offizierslaufbahn ergrifPen, und er sah es später mit be-
sonderer Genugtuung, dass seine ältere Tochter einem Artillerieoffizier
die Hand reichte und dass sein Sohn als Fahnenjunker in den Dienst des
Vaterlandes trat; — aber als er sich 1870 zum Militärdienst meldete,
wurde er wegen seiner Kurzsichtigkeit nicht angenommen. Er zog also
auf die Universität Heidelberg, um Philologie zu studieren, und zwar
die klassischen Sprachen. Er hörte bei Stark Kunst- und Kulturgeschichte
der alten Welt, bei Lefmann griechische Grammatik, bei Kayser Äschylus,
bei Wattenbach griechische Paläographie, bei Treitschke endlich Geschichte
des Reformationszeitalters. In Berlin, wohin er mit dem Ausbruche des
Krieges zurückgekehrt war, zogen ihn die Vorlesungen Steinthals zur
vergleichenden Sprachwissenschaft hin; er lernte bei Albrecht Weber
Sanskrit, wenn er auch sich zugleich von Kirchhoff in Euripides und
Pindar, von Haupt in Homer, Horaz und Catull einführen liess; dann aber
wandte er sich entschlossen der Germanistik zu, er wurde ein ergebener
Schüler Mülleuhoffs, bei dem er Kollegien über die deutsche Grammatik,
die Geschichte der altdeutschen Poesie, die Germania, den Beowulf, die
Edda, die Nibelungen belegte und von dem er in seine deutsche Gesell-
schaft aufgenommen wurde. Seine ersten Arbeiten richteten sich, wohl
auf Müllenhoffs Anregung, auf die Literatur des 11. und 12. Jahrhunderts,
jener Übergangszeit, die Wilhelm Scherer eben in glänzend geschriebenen
Studien beleuclitet hatte. Scherer, der für jene lange gering geachteten
geistlichen Dichtungen zu interessieren wusste, indem er auf die Ver-
schiedenheit der landschaftlichen Mundarten hinwies und der höheren
Max Roediger f. 187
Kritik Aufgaben stellte, wirkte damals (1872—77) an der neubegründeten
Strassburger Universität in der Vollkraft seiner anregenden und be-
geisternden Persönlichkeit und sammelte einen Kreis talentvoller Schüler
um sich — ich nenne nur Erich Schmidt, Franz Lichtensteiu, Rudolf
Henning, Philipp Strauch, Johannes Franck, Heinrich Zimmer, Richard
Maria Werner, Joseph Seemüller.
Nach Strassburg strebte auch Roediger, um dort seine Studien ab-
zuschliessen, doch hemmte ein Missgeschick seinen Wunsch. Beim Rudern
hatte er sich 1873 eine Kniegelenkentzündung zugezogen, die sich durch
die verkehrte Behandlung des von Prof. Wilms empfohlenen Heil-
gehilfen so verschlimmerte, dass seine Studien fast ein Jahr lang unter-
brochen wurden und das Bein dauernd steif blieb. Im April 1875
endlich konnte er sich in Strassburg immatrikulieren lassen, wo neben
Scherer noch ein zweiter Schüler Müllenhott's, der Berliner Steinmeyer,
wirkte. Schon im folgenden Semester, am 15. Januar 1876, wurde er
zum Doktor promoviert und ein halbes Jahr später als Privatdozent in
den Lehrkörper der Universität aufgenommen.
Vier Jahre darauf treffen wir ihn wieder in der Heimat. Der Strass-
burger Privatdozent siedelte an die Berliner Universität über und hielt
hier am 10. Juli 1880 seine Antrittsvorlesung über die mhd. Schriftsprache.
Zugleich übernahm er noch ein anderes Amt. Nach dem plötzlichen
Eingehen der Jenaer Literaturzeitung (Ende l<S7i>) hatte die Weidmannsche
Buchhandlung (Hans Reimer) den Plan gefasst, ein neues Unternehmen
an ihre Stelle zu setzen. Zum Leiter dieser 'Deutschen Literaturzeitung'
wurde auf Empfehlung des inzwischen nach Berlin berufenen Wilhelm
Scherer unser Roediger ausersehen, und er hat diesen Posten vom Oktober
1880 bis zum März 1886 mit Gewissenhaftigkeit, Geschick und Glück ver-
sehen, bis er ihn infolge von Überbürdung an August Fresenius abgab.
So wurde es ihm auch möglich, im September 1880 seine Braut Eda
Kadeu aus Dresden, deren Gesang er in Strassburg bewundert und die er
dann im Hause des Professors Simon kennen gelernt hatte, heimzuführen.
Leider dauerte das junge Eheglück nicht lange; jäh wurde es noch vor
Ablauf eines Jahres durch den Tod zerrissen, der die Gattin nach der
Geburt einer Tochter dahinraffte. Schwer trug Roediger an diesem Ver-
luste, doch seine Mutter siedelte zu ihm über und übernahm die Er-
ziehung des Kindes. Das Jahr 1883 brachte ihm die Ernennut]g zum
ausserordentlichen Professor, als er die Berufung nach Basel auf den
durch Moriz Heynes Weggang nach Göttingen freigew'ordenen germa-
nistischen Lehrstuhl abgelehnt hatte. Roediger wäre diesem ehrenvollen
Rufe wohl gern gefolgt, aber die Rücksicht auf seine Mutter, der er die
PÜege seines einzigen Kindes übergeben hatte und die sich nicht von
Berlin trennen mochte, hielt ihn zurück. Später hat er diesen Entschluss
öfter bedauert. Sein Leben war nun an seine Vaterstadt gebunden und
13*
188 Rolte:
floss gleichmässig- in stiller, emsiger Tätigkeit ohne grösseren Wechsel
(lahiu.
Seine germanistischen Arbeiten begannen, wie schon erwähnt, mit
Untersuchungen der geistlichen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts.
Er nahm Scherers scharfsinnige Vermutung von sechs verschiedenen Ver-
fassern der Wiener Genesis auf und verteidigte sie gegen Vogt. In seiner
Doktorschrift verglich er die Litanei Heinrichs mit den Dichtungen
Heinrichs von Melk auf Mundart, Reimkunst, Versbau, Stil und Quellen,
um schliesslich trotz vieler übereinstimmenden Züge auf eine Identifi-
zierung beider Autoren zu verzichten. Er gab die Millstätter Sünden-
klage mit ausführlichen Erläuterungen neu heraus. 1905 folgte eine
musterhafte Ausgabe des Annoliedes, jenes merkwürdigen Gedichtes auf
den Kölner Erzbischof, das uns Martin Opitz durch seinen Abdruck einer
seither verlorenen Hs. aufbewahrt hat, in den Monumenta Germaniae mit
ausführlichen Untersuchungen. Seinen textkritischen Scharfsinn bewährte
Roediger in seinen kritischen Bemerkungen zum Nibelungenliede (1884),
in denen er auf Lachmanns Bahnen fortschritt, ohne sich doch ihm un-
bedingt und überall anzuschliessen. Wenn er hier, wo ästhetische Er-
wägungen eine grosse Rolle spielen, nicht immer die Leser überzeugt.
so liegt das grossenteils in der Natur der behandelten Probleme. Von
seinem eindringenden Studium der Heldensage legen einige kleinere Auf-
sätze wie der über Ermenrich und Schwanhild im 1. Band unserer Zeit-
schrift und sein zusammenfassender Bericht in Bethges P^rgebnissen und
Fortschritten der germanistischen Wissenschaft (1902) Zeugnis ab. Er war,
wie seine inhaltreichen Bücheranzeigen erweisen, ein ungemein fleissiger
und streng urteilender Arbeiter, aber eilfertiger Produktion durchaus
abhold. Hierin glich er seinem Lehrer Müllenhoff, dessen Zurückhaltung
er 1887 selber mit den Worten charakterisiert: 'Niemand kann strenger
gegen sich selbst und schwerer mit sich zufrieden sein, als Müllenhoff es
war, und vornehmlich die hohen Forderungen, die er an die eigene
Arbeit stellte, wurden ihm zum Hemmnis für Vorrücken und Abschluss'.
Und welches Vertrauen Müllenhoff auf seinen treuen Schüler setzte, zeigt
die Bestimmung in seinem Testamente, dass Roediger sich seiner Hinter-
lassenschaft annehmen solle. So hatte dieser denn nach Müllenhofifs Tod
(1884) die neuen Auflagen der Paradigmata und des Laurin zu besorgen,
und bald erwuchs ihm auch die schwierige Pflicht, das unvollendet
gebliebene grossartige Werk der Deutschen Altertumskunde Müllen-
hoffs zu Ende zu führen, nachdem Scherer, der dies zunächst über-
nommen hatte, durch den Tod abberufen worden war. Es galt hier, auf
jede eigene Meinung zu verzichten und nur die Ansichten Müllenhoffs aus
dessen Kollegienheften und Einzelarbeiten zusammenzustellen und in eine les-
bare Form zu bringen. Diese mühevolle Arbeit ist Roediger gelungen und von
allen Seiten gedankt worden; aber mühevoll und entsagungsreich war sie,
Max Roediger f- 189
und mit Recht durfte er 1900 in der Vorrede zum 4. Bande klagen: 'Der
Band hat mehr Zeit und Arbeit verschlungen, als sich mit den Pflichten
gegen mich selbst verträgt, und bis zu Ende traten mir immer von neuem
Hindernisse entgegen, die seinen Abschluss verzögerten. Um so bitterer
und qualvoller ist mir der Zwang geworden, so lange Zeit die Gedanken
eines anderen denken und möglichst in seinen Worten reden, die eigene
Meinung aber unterdrücken zu müssen". Bis auf den 6. Band, der die
Ausbildung und die Geschichte des deutschen Volksepos bis zur Zer-
störung des altgermanischen Wesens vorführen sollte, liegt Müllenhoffs
Werk nun dank Roedigers Arbeit als ein fertiges, stattliches (Ganzes vor
und wird noch lange der Forschung die Wege weisen.
Roedigers Lehrtätigkeit an der Universität, die sich über einen mehr
als vierzigjährigen Zeitraum (vom April 1876 bis März 1917) erstreckt,
entzieht sich den Blicken Aussenstehender; ich vermag nur einige Um-
risse zu zeichnen. Am häufigsten trug er seit 1876 die Grammatik der
deutschen Sprache in ihrer Gesamtheit oder in ihren älteren Stufen und
Mundarten vor, ferner die altdeutsche Metrik (seit 1877), bisweilen (1888)
mit Einschluss der neueren, die Mythologie (seit 1881) und Heldensage
(1890) und die Geschichte der Literatur bis 1350, 1300 oder 1200. Dazu
kamen Übungen im Seminar und Einführungen in einzelne Schriftwerke
des Mittelalters vom Heliand und Otfrid an bis ins 16. Jahrhundert, be-
sonders in das Nibelungenlied, Gudrun und Walther von der Vogelweide;
daneben behandelte er kleinere ahd. Gedichte, Denkmäler des 8. — 12. Jahrh ,
den König Rother, Iwein, Parzival, die Lyriker des 12—14. Jahrb.,
Albrecht von Eyb, mehrmals auch den lateinischen Waltharius Ekkeharts
(1S89) und die Germania des Tacitus (1912). Dass er mit der ihm eignen
umfassenden Gründlichkeit das übrige weite Gebiet der germanistischen
Wissenschaft beherrschte und ebenso in der neueren I^iteratur heimisch
war, zeigt sein 1885 angekündigtes Kolleg über Schillers Jjeben und
Schriften, wie er sich ja auch an der Weimarer Goetheausgabe beteiligte,
sowie die Übungen über das deutsche Volkslied, die er 1913 anstelle des
verstorbenen Freundes Erich Schmidt übernahm. Ausgewählte Kapitel
der Volkskunde hatte er, einem vielfach geäusserten Wunsch entgegen-
kommend, seit 1909 mehrmals in einem einstöndigen Publikum vorgetragen.
Einen Überblick über die deutsche Philologie gab er nur einmal (1893).
Roediger war ein gewissenhafter Lehrer, dessen Vortrag sich durch
Klarheit und Fasslichkeit auszeichnete. Liebevolle Hilfsbereitschaft zeigte
er allen Lernenden und Strebenden, die er auch im persönlichen Verkehr
durch Ratschläge förderte, wo er nur konnte. Die Unterrichtsverwaltung
hat seine Verdienste auf diesem Gebiete 1908 durch die Ernennung zum
Geh. Regierungsrat anerkannt. Von seiner Tätigkeit in der wissenschaft-
lichen Prüfungskommission (1886—1896) weiss ich leider nichts Näheres
zu berichten. Aus gemeinsamer Arbeit in der preussischen Volkslied-
190 Bolte:
koinniission ist mir aber seine feine Empfindung für alles walirliaft
l^ichterische und seine Gewandtheit in der Textbehandlung und sinnigen
Ciruppierung der ausgewählten Lieder in frischer Erinnerung. Besass er
doch selber ein glückliches und im Familienkreise öfter geübtes Talent,
sich in Versen auszusprechen. So verdeutschte er 1892 zur Begrüssung
des Berliner Neuphilologentages mehrere der von Haupt und Tobler
herausgegebenen französischen Volkslieder, wobei er den Volkston aufs
beste traf. Ich kann mir nicht versagen, Ihnen als Probe die Übersetzung
der Romanze von Jean Renaud vorzulesen, deren Inhalt Ihnen die dänische
Ballade von Herrn Oluf ins Gedächtnis zurückrufen wird (Festschrift 1892
S. 163). Es ist wohl nicht bloss ein neckischer Zufall, dass Roediger im selben
Jahre 1892 in der Zs. f. dt. Altertum Textbesserungeu zu dem geistlichen
Gedichte des 12. Jahrh. von der Hochzeit veröffentlichte. Denn gerade
damals hatte er nach langer Witwereinsamkeit eine neue Lebensgefährtin
erwählt und seiner heranwachsenden Tochter eine Mutter gegeben.
Wiederum hatte die Musik die beiden Gatten in einem befreundeten
Hause zusammengeführt, und sie verschönte auch weiterhin das neue
häusliche Glück. Als beide im vorigen Jahre das Fest der Silberhochzeit
begingen, da standen vor ihnen zwei stattlich herangewachsene Kinder
neben der aus der Ferne herbeigeeilten Tochter, dem Sc"hwiegersohne
und dem Enkel.
Gross war der Kreis der Freunde, die Roedigers lautere, treue
Gesinnung, sein neidloses, durch widrige P^rfahrungen nie verbittertes
Gemüt erkannt hatten; verschiedene gelehrte A^ereinigungen, wie die
Mittwochsgesellschaft, die Gesellschaft für deutsche Philologie, die
Gesellschaft für neuere Sprachen, zählten ihn mit Stolz zu ihren Mitgliedern;
keine aber ist ihm mehr üauk schuldig als unser Verein für Volks-
kunde. Diesem gehörte Roediger seit seiner Gründung im Jahre 1890,
wo Karl Weinhold die jahrelang verwaiste Professur Müllenhoff's über-
nommen hatte, an; er steuerte schon zum ersten Bande unserer Zeitschrift
eine sagengeschichtliche Abhandlung bei, wurde im vierten Vereinsjahre
zum Schriftführer und 1901 nach Weinholds Tode zu seinem Nachfolger
erwählt. Fürwahr für uns eine glückliche Wahl! War er früher in
seiner Kritik literarischer Leistungen mit unerbittlicher Strenge aufgetreten,
so entfaltete er hier eine gewinnende Liebenswürdigkeit und ein glänzendes
Führertalent; ohne der Würde der Wissenschaft etwas zu vergeben, wusste
er die Reihe der Sitzungen anziehend und mannigfach zu gestalten und
unsere Verhandlungen vor Einseitigkeit und Verflachung zu bewahren.
Ihm stand auch ein anmutiger, schalkhafter Humor zur Verfügung, durch
den er öfter trockene Darlegungen würzte. Wie trefPend schilderte er in
seinen Nachrufen auf verstorbene Fachgenossen und Vereinsmitglieder,
unter denen sich der auf Karl Weinhold zu einer wissenschaftlichen Bio-
graphie erweiterte, die Eigenart und die besonderen Verdienste des ein-
Max Roediger 7. 191
zelaeii! Gewiss erinnern sich manclie unter Ihnen noch seines anziehenden
Vortrages über Friedrich den Grossen in Sagen und Märchen des Volkes
(1912). Bedauerlicherweise ist er nicht mehr zur Ausarbeitung dieser
Studie für unsere Zeitschrift gelangt, so oft ich ihn auch mahnte. Auch
der Yon ihm mit Freude ergriffene Plan eines Handbüchleins der Volks-
kunde für die oberen Klassen unserer höheren Lehranstalten blieb unaus-
geführt.
Trauernd blicken wir nach diesem unserm unermüdlich sorgenden,
milden Leiter zurück, der in der strengen Schulung Müllenhoffs auf-
gewachsen, die beste Tradition der Berliner Germanistik verkörperte, der
pietätsvoll und doch ohne engherzige Befangenheit in den Bahnen der alten
Meister seines Faches wandelte, der mit reichen Kenntnissen ein treues
Herz und warme Heimatsliebe verband. Bedrückt fragen \Yir: Kann
diese Lücke je ausgefüllt werden? — Doch er selber antwortet auf unsre
Frage mit einer Mahnung, die er vor sieben Jahren nach einem schmerzlich
empfundenen Todesfalle an einen Freund richtete:
Trauernd sehen wir zurück;
Doch mit sanftem Schleier
Wehrt die Zeit dem trüben Blick,
Und wir schauen freier.
Nichts, das war, kann je vergehn;
Was erstarb, lebt weiter.
Bleibe nicht bekümmert stehn.
Bleib ein Vorwärtsschreiter!
Trage weiter schlecht und recht
Lebens Lust und Lasten!
Aus uns selbst ein neu Geschlecht
Fasst sie, wenn wir rasten.
Den Lebend'gen ist es PHichr
Unser Herz zu schenken.
Und die Toten kränkst du nicht,
Willst du nur gedenken.
Ja, wir werden unsern teuren Entschlafenen nie vergessen.
Verzeichnis der Schriften Koedigers.^)
1H7Ö.
Die Wiener Genesis. ZfdA'. 18, 26:5-280 ^vgl. F. Vogt, Über Genesis und Exodus
in Paul-Braunes Beiträgen 2, 208-317, besonders den Nachtrag auf S. 315).
1) Die Abkürzungen bedeuten: AfdA. = Anzeiger für das deutsche Altertum, Archiv
= Archiv für das Studium der neueren Sprachen, DLz. = Deutsche Literaturzeituog,
GgA. = Göttingische gelehrte Anzeigen, Nd. Kbl. = Korrespondenzblatt des Vereins für
192 Bolt^=
187G.
Vogt und die einheitliche Genesis. Zur Abwehr. ZfdA. 19, 148—154. — Die Litanei
und ihr Verhältnis zu den Dichtungen Heinrichs von Melk. Strassburger Diss. Berlin.
Weidmann. 105 S. (zugleich in ZfdA. 19, 241—346). — Die Millstätter Sündenklage.
ZfdA. 20, 255-323. — Rec. Scherer, Geistliche Poeten II. AfdA. 1, 65 -8S.— Edzardi.
Untersuchungen über S. Oswald. AfdA. 2, 245—262.
1877.
Trierer Bruchstücke 11. Ägidius. ZfdA. 21, 331-412. — Rec. Urthographische
Litteratur (Verhandlungen der Berliner Konferenz. Duden. Michaelis. Bezzenberger.
Fiikke). AfdA. 3. 256-269.
1878.
Trierer Bruchstücke lil. Silvester. ZfdA. 22, 145—209. — Zu Ulrichs von Lichten-
stein Büchlein. ZfdA. 22, 380-382. — Rec. Der Ackermann aus Böhmen fd. Kniescheck.
AfdA. 4, 352—358.
1S79.
Rec. Weinhold, Mlid. Giammatik. AfdA. 5, 4U— 47. — Heiland ed. Sievers. AfdA.
5, 267—289. — Werner, Laniltrechts Alexander. AfdA. 5, 416—425. — Steinmeyer-Sievers,
Ahd. Glossen I. ZfGymn. 33, 320-322.
18S0.
Rec. Wiegand, Urkunden der Stadt Strassburg I. AfdA. 6, 91—94. — Eisen,
Raumer und die Rechtschreibung. AfdA. 6, 94-97. — Busch, Mittelfränkisches Legendär.
AfdA. 6, 221-227. — Köhler, Mlid. Lautlehre. ZfGymn. 34, 133-136. — Bernhardt, Mhd.
Laut- und Flexionslehre. ZfGymn. 34, 136—138. — Dangkrotzheim, Namenbuch ed.
Pickel. ZfGymn. 34, 138—143. — Lampreeht von Regensburg. Francisken Leben ed.
Weinhold. DLz. 1880, 233. — KhuU, Johannes von Frankenstein. DLz. 1880, 371.
1881.
Rec. Braune, Gotische Grammatik. DLz. 1881, 123 f. — Grimm, Briefwechsel aus
der Jugendzeit. Meusebachs Briefwechsel mit J. und W. Grimm. DLz. 1881, 664-66.—
Walther von der Vogelweide, nachgedichtet von Schröter. DLz. 1881, 818. — Vogt,
Salomon und Markolf. DLz. 1881, 1038. — Sanders, Silbenmessung und Versbunst
DLz. 1881, 1441 f. — Geistbeck, Historische Wandlungen. DLz. 1S81, 1577 f. — Bern-
hardt, Mhd. Lautlehre-. ZfGymn. 35, 359.
1.SJS2.
In Sachen der Trierer Bruchstücke. ZfdA. 26, 240 f. — MF. 48, 13. ZfdA. 26, 293 f.
— Rec. Fahre d'Envieu, Dictionnaire alleniand. DLz. 1882, 127 f. — Wenker, Sprach-
atlas. DLz. 1882, 248 f. — Hartmann, Armer Heinrich ed. Haupt und Martin. DLz.
1882, 534 f. - Simrock, Heliand. DLz. 18S2, 1059 f. — Klnge, Etymologisches Wörter-
buch. DLz. 1882, 1080. — Pirig, Die jüngere Judith. DLz. 1882, 1578. — Weinhold,
Kleine mhd. Grammatik. Paul, Mhd. Grammatik. DLz. 1882, 1698. — Petersen, Götter-
glaube des Nordens. DLz. 1882, 1752. - W. Grimm, Kl. Schriften 1. DLz. 1882, 1777.
l>S8;i.
Rec. v. Muth, Mhd. Metrik. AfdA. 9, 329-339. — J. Grimm, Kl. Schriften 6.
DLz. 1883, 11. — Schade, AM. Wörterbuch«. DLz. 1883, 87 f. — Braune, Gotische
Grammatik». DLz. 1883, 190 f. — Lehmann, Sprachliche Sünden. DLz. 1883. 234 f. —
Lohmeyer, Ulrich von Türheims Willehalm. DLz. 1883, 336. — Sobel, Accente Otfrids.
niederdeutsche Sprachforschung, ZfdA. ^ Zeitschrift für das deutsche Altertum, ZfdPh. =
Zeitschrift für deutsche Philologie, ZfGymn. = Zeitschrift lür das Gymnasialwesen, ZfVk.
= Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. — Nicht verzeichnet ist die Redaktion der
deutschen Literaturzeitung vom Oktober 1880 bis zum März 1886, die Sitzungsberichte
in der Zs. für Volkskunde 4 bis 11 (1894 Ins 1901) und die Herausgabe der Schriften
zur germanischen Philologie (neun Bände von Traube, Rannow, Kelle, Herrmann, Köhn,
Heusler, Ernst Zupitza, Pachaly. Berlin, Weidmann 1888— 1899\
Max Roediger f. 193
DLz. 1883, 662 f. — Beowulf ed. Zupitza. DLz. 1883, 1039. — W. Grimm, Kl. Schriften 3.
DLz. 1883, 1506. — Lachmann-Haupt, MSF.» DLz. 1883, 1570 f. — Hahn, Ahd. G^ammatik^
DLz. 1883, 1679f. — Andresen, Volksetymologie*. DLz. 1883, 1730. — Otfrid ed. Erdmann.
DLz. 1883,1783-85. - Zimmerische Chronik«. DLz. 1883, 1S23-25.
1884.
Kritische Bemerkungen zu den Nibelungen. Berlin, Weidmann. VIII, 94 S.
(rec. Steinmejcr, AfdA. 11, 81-35. Kettner, ZfdPh. 17, 255 f. Schönbach, ZföGymn. 36,
48 f. Symons, Litbl. 1885, 447 f. Chuquet, Revue crit. 1886,27—29.) — Rec. Weinhold.
Mild. Grammatik*. GgA. 1884, 431-37. — Weitbrecht, Gudrunlied. DLz. 1884, 521-23.
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1<)H l^olte: Max Roediger |.
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Rec. Beucker, üie Entscheidungsschlacht des europäischen Krieges am Birken-
baume. ZfVk. 27, 174.
Berlin.
Ernst Friedel f.
Von Georg Minden^).
Als sich das Grab über den sterblichen Überresten Max Koedigers
schloss, war auch schon der Vorsitzende unseres Ausschusses, der achtzig-
jährige Ernst August Friedel, Geheimer Kegierungsrat und Stadtältester
von Berlin, dem Tode geweiht. Kurze Zeit darauf, am 10. März 1918,
wurde er abberufen. Er gehörte zu den Begründern unseres Vereins und
hatte von Anfang an den A'orsitz im Ausschusse gefülirt. In den 27 Jahren,
die seitdem verflossen, war er in Begleitung seiner an allen seinen wissen-
schaftlichen Bestrebungen teilnehmenden Gattin und in späteren Jahren
auch seiner einzigen Tochter fast bei allen unseren Sitzungen zugegen.
Fast immer ergriff er in den Diskussionen das Wort und wusste aus dem
reichen Schatz seines Wissens etwas Interessantes und das Interessante
stets auf fesselnde Weise mitzuteilen. Seine liebenswürdige und verbind-
liche Art hat ihm in unserem Kreise stets neue Verehrer und Freunde
gewonnen. Gestalteten sich doch unsere Sitzungen mit den sich an-
schliessenden Zusammenkünften zu einer Quelle edler Geselligkeit, an
der auch die Damen teilnahmen, uud dies schon zu einer Zeit, in welcher
fast alle wissenschaftlichen Vereine Berlins noch das weibliche Geschlecht
auszuschliessen pflegten.
Ernst Friedel war am 25. Juni 1837 zu Berlin geboren. Er be-
suchte das Werdersche Gymnasium, bestand Michaelis 1856 das Abiturienten-
examen, studierte in Berlin uud ward daselbst Auskultator, Referendar
und Assessor. Seit 1869 amtierte er als Kreisrichter in Coepenick, wurde
im Jahre 1873 zum besoldeten Stadtrat in Berlin gewählt und blieb Mit-
glied des Magistrats der deutschen Reichshauptstadt bis zu seiner vor
wenigen Jahren erfolgten Pensionierung. In seiner kommunalen Wirk-
samkeit hat er sich grosse Verdienste um die Vaterstadt erworben, von
1) Nach der am 22. März 1U18 im Verein für Volkskunde gehaltenen Gedächt-
nisrede.
Minden: Ernst Friedel y. 197
denen ich nur »lie Errichtung des städtischen Friedhofs in Friedrichs-
felde, die Schöpfung dos Märkischen Museums, zu welchem die von ihm
selbst angelegten Sammlungen den Grundstock bildeten, und die Anlegung
schöner städtischer Parks, welche er als Vorsitzender der städtisclien
Gartenbaudeputation auf das wirksamste förderte, erwähnen will.
In den Nachrufen wurde Friedel mit vollem Recht als 'märkischer
Forscher' bezeichnet; er stand auch in den letzten Jahren an der Spitze
'eines grossen literarischen Unternehmens, welches märkischer Forschung
gewidmet ist, der Herausgabe der 'Landeskunde der Provinz Branden-
burgs
Ernst Friedel war ein geborner Berliner und hat mit kurzen Unter-
brechungen stets in Berlin gewohnt. Sein Elternhaus stand nicht allzu-
weit entfernt von dem Gotteshause, in dem seine Leiche aufgebahrt war.
Sein Beruf als Jurist und Verwaltungsbeamter brachte ihn mit allen
Zweigen des weltstädtischen Lebens und mit allen Klassen der Bevölke-
rung in enge Berührung. Es war also nach allen Richtungen hin ein
echter Berliner. Ein kurzes Eingehen auf die Wesensart des Berliners,
die von der anderer Weltstädte so verschieden ist, dürfte in diesem, auch
der Volkspsychologie gewidmeten Kreise erlaubt sein und auch im Sinne
des Verstorbenen liegen. Kennzeichnend für den Berliner ist die Neigung
zur Kritik. Er ist scharf im Urteilen, nicht nur gegen andere, sondern auch
gegen sich selbst, gegen seine Vaterstadt und seine Landsleute. Man liebt
den Berliner auswärts wenig und führt diese Unbeliebtheit auf die grossen
Ansprüche zurück, die er überall stellt. In Wirklichkeit beruhen diese an-
geblichen Ansprüche nur auf der scharfen Kritik, nicht auf Begehrlichkeit.
Er gibt sich leicht zufrieden, wenn man nur anerkennt, dass er mit
«einem tadelnden Urteil das Richtige getroffen hat. Diese Lust an der
Kritik ist aber nur der Ausfluss einer anderen Eigenschaft, des leiden-
schaftlichen Strebens nach 'Bildung'. Wohl nirgends ist der Trieb,
geistige Bildung zu erlangen, möglichst viel zu wissen, alle Gegenstände
der Umwelt zu kennen und zu verstehen, durch alle Klassen so stark
verbreitet, wie in Berlin. Diese Neigung macht den Berliner auch trotz
seines Kritizismus empfänglich für alles Fremdländische. Die Assimi-
lierungekraft Berlins für stammfremde Volkselemente ist ausserordentlich
stark, und hieraus entspringt eine grosse gegenseitige Toleranz auf poli-
tischem, religiösem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet, eine Toleranz,
die sich allerdings mehr durch Handlungen, als in den äusseren Formen
und in Worten kundgibt. Alle diese Eigenschaften, die schon von An-
beginn im Wesen des Berliners lagen, haben sich in der reissend schnellen
Entwicklung der Stadt während des Zeitraumes, der mit dem Leben
unseres teuren Verblichenen zusammenfällt, noch gesteigert.
Dass der Berliner die allgemeinen Eigenschaften des Deutschen und
des Preussen teilt und dass für beide, für Preussen schon seit der Zeit,
]98 ]\[inden:
in welche Friedeis Geburt fiel, für die übrigen Deutschen seit der Grün-
dung des Reichs besonders wichtig die allgemeine Dienstpflicht und die
allgemeine Schulpflicht ist, brauche ich nur anzudeuten. Aber eingehu
muss ich noch auf das Verhältnis des Berliners zu den übrigen Bewohnern
der Mark Brandenburg. Dass der Berliner Grosstädter ein anderes Wesen
ist, als der märkische Bauer und der märkische Kleinstädter, ist einleuchtend.
Berlin hat in viel höherem Grade die mittelalterlichen Baureste durch seine
Entwicklung weggeschwemmt, als die anderen europäischen Grosstädte.
])arum ist auch die Erinnerung an die Zeiten, wo Berlin eine mit Wall
und Graben befestigte märkische Stadt war, wie Brandenburg. Stendal
u. s. w., ganz geschwunden. Wenn in Friedeis Jugend Charlottenburg
und Schöneberg, Pankow und Tempelhof Orte waren, nach denen man
'Landpartien' machte, so gehört auch diese nahe Berührung von Stadt und
l^and der Vergangenheit an.
Aber trotzdem ist die Weseiisverw^andtschaft des Märkers mit dem
Berliner, obgleich bei letzterem eine starke Beimischung fremden Blutes
und fremder Kultur eingesetzt hat, vorhanden und tritt hervor, sobald man
etwas tiefer schürft. Eine karg und wenig fruchtbare Natur zwang hier die
Menschen, fleissig und strebsam zu sein und alles aus sich herauszuholen,
was durch Willenskraft zu erreichen ist. „Wächst das Korn nicht,
wachsen die Leute." Und aus der Landschaft auf die Grosstadt über-
tragen, bewirkt dieser Umstand, dass von allen Weltstädtern die Berliner
die fleissigsten, die arbeitsamsten, die am wenigsten genussüchtigen sind.
Es war allerdings nur aus einem äusseren Anlass, dass Friedel vom
Vorsitzenden des Vereins für die Geschichte Berlins der Begründer und
Vorsitzende der ßrandenburgia, Gesellschaft für Heimatkunde, wurde, aber
€s war für ihn eine innere Notwendigkeit, über die Grenzen der Vater-
stadt seine Wirksamkeit auf die Provinz zu erstrecken.
Der für den Berliner charakteristische Sinn für allgemeine Bildung
war bei Friedel so lebhaft entwickelt, dass er unerschöpflich erschien.
Neben seinem juristischen Beruf, neben den mit seiner Verwaltungstätigkeit
in Beziehung stehenden Studien waren es auch alle andern Gebiete der
Geistes-und der Naturwissenschaft, für welche er nicht nur Interesse hatte, son-
dern in denen er auch produktiv tätig war. Praehistorie, Zoologie, Kolonial-
we.sen, Botanik, Architektur, Geologie, Geschichte, — man braucht nur
hineinzugreifen in irgend eine Disziplin der uuiversitas literarum und wird
finden, dass Friedel etwas darüber geschrieben hat. Jede Erholungsreise
würde ihm zu einer 'Studienreise'; er kannte keine Müdigkeit, wenn es
galt, irgend etwas aufzuklären oder zu erforschen. Rührend war, wie er
es verstand, alle Dinge in irgend einen Zusammenhang mit der Heimat
zu bringen. Aber auch erstaunlich, wie er die Zeit fand, sich mit allen
diesen Dingen zu beschäftigen, bis in sein hohes Alter immer bereit,
zu leliren, aber aucli zu lernen.
Ernst Fiiedel f- 199
Es war ihm vergönnt, das Gemeinwesen, dem er sein Leben gewidmet
hatte, stetig wachsen und zu immer höherer Blüte gelangen zu sehen.
Es war ihm auch vergönnt, das Bewusstsein zu haben, dass er selbst an
dieser Entwicklung mitgewirkt hat. Es war ihm vergönnt, noch diese
schwere und opferreiche, aber grosse Zeit zu erleben, in welchem berlini-
sches, märkisches, preussisches und deutsches Wesen die Feuerprobe be-
steht. Die Mark Brandenburg hat viele sandige Strecken, die
'Streusandbüchse des Heiligen römischen Reiches' nannte man
sie spottweise in früheren Zeiten. Aber das Geschlecht, das
dort erwuclis, ist ein granitenes; wer mit ihm anbindet, beisst
auf Granit und wird zerschmettert. Unser Nachbar im Osten hat
dies jetzt erfahren, hoffentlich wird es auch unser Hauptfeind
im Westen bald einsehen.
Friedel hat seinen Wahlspruch 'Literis inserviendo consumor' bis an
sein Lebensende durchgeführt. In unserem Verein wird sein Andenken
stets lebendig bleiben und wir werden uns noch oft und bei vielen Ge-
legenheiten nach den Erläuterungen zurücksehnen, die er jedem Thema
hinzuzufügen pflegte. Möge es seinen Hinterbliebenen zum Tröste ge-
reichen, dass wie viele andere so auch der Verein für Volkskunde an
der Trauer um den Dahingeschiedenen innigen und aufrichtigen Anteil
nimmt.
Berlin.
Eiuige Grundfragen der Kinderspielforsclumg.
Von Geor^ Schläger.
(Vyl. olien S. 10(;-121.)
II. Kind und Sprachspiel.
Innerhalb der Erforschung des kindlichen Seelenlebens nimmt die
für Biologen und Sprachforscher gleich anziehende Beobachtung der
Kindersprache, ebenfalls durch Preyers Vorgang lebhaft angeregt, einen
breiten Raum ein und hat zu wichtigen Ergebnissen, freilich auch zu
grossen Meinungsverschiedenheiten geführt. Ausser den schon genannten
Büchern, vor allem von Preyer und Stern (oben S. 111), sind folgende
Werke besonders hervorzuheben:
E. Rzesnitzek, Zur Frage der psychischen Entwickelung der Kinder-
sprache, Züricher Diss. 1899; W. Wundt, Völkerpsychologie' I, 1: Die
Sprache, Leipzig 11)00; C. und W. Stern, Monographien über die seelische
Entwicklung des Kindes. I: Die Kindersprache, Leipzig 1907; E. Tappolet,
Die Sprache des Kindes, Vortrag, Basel 1907: R. Meringer, Aus dem
200 Schläger:
Leben der Sprache, Berlin 1908. Über einzelne Fragen: Gr. Lindner,
Beobachtungen und Bemerkungen über die Entwicklung der Sprache des
Kindes, Kosmos 6. Jahrg. IL Band (1882) S. 321fF. 430ff.; M. Ament,
Begriff und Begriffe der Kindersprache, Berlin 1902; E. Meumann, Die
Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde. Wundts Philos.
Studien 20, 152 — 214; H. Idelberger, Hauptprobleme der kindlichen
Sprachentwicklung, Zeitschr. f. pädag. Psychol. 5, 241 — 297. 425 — 456
(auch als Buch erschienen); W. Wundt, Probleme der Völkerpsychologie,
Leipzig 1911. — Nicht zugänglich waren mir: Fritz Schnitze, Die
Sprache des Kindes, Leipzig 1880; G. Lindner, Aus dem Xaturgarten
der Kindersprache, Leipzig 1898; M. Ament, Die Entwicklung vom Sprechen
und Denken beim Kinde, Leipzig 1899; E. Meumann, Die Sprache des
Kindes, 1903 (2. Aufl. Zürich 1911); H. Idelberger, Die Entwicklung
der kindlichen Sprache, 1904; E. und G. Scupin, Bubis erste Kindheit,
Leipzig 1907.
Aus dem ersten triebmässigen Geschrei des Kindes erwächst ganz
allmählich der Vernunft- und kunstgemässe Gebrauch der Stimme. Einige
Wochen herrsehen die echten, heftigen Schreilaute vor; allmählich massigen
sie sich, sofern nicht starke Unlustgefühle zur Entladung drängen, und
werden so mannigfacher Modulation fähig, eine Vorstufe des Singens; sehr
früh mischen sich auch allerlei Versuche der Artikulation ein und leiten
zur späteren Spracherlernung hinüber:*) es beginnt die wichtige Zeit des
Lallens. Auch hier setzt sehr bald die spielerische Wiederholung eiji:
wie mit Annen und Beinen, so spielt das Kind, selbst das taubgeborene, mit
Kehlkopf, Zunge und Lippen, und zwar sind es zunächst reine Muskel-
übungen,'') bei denen das Gehör im Anfang gar nicht beteiligt ist. Es
zeigt sich also von neuem die grundlegende Wichtigkeit der Wiederholung,
die sich uns bereits im ersten Aufsatz darstellte (oben S. 112. 115), und
zwar in ihrer doppelten Bedeutung: einmal verfestigt sie das bereits
Gewonnene und lässt die Bewegung gewohnheitsmässig und nahezu selbst-
tätig abrollen; aber indem so die anfänglich benötigte Aufmerksamkeit
für andere Zwecke frei wird, ergeben sich zugleich neue Gewinnmöglich-
lichkeiten. Selbstverständlich überwiegt das Erstgenannte bei weitem,
während sich die zweite Wirkung der unmittelbaren Beobachtung meist
entziehen wird; aber sichei'lich prägt sich der Unterschied zwischen nach-
ahmend und schöpferischer veranlagten Seelen (oben S. 117f.) hierin mit am
stärksten aus. Für den Beobachter, wie gesagt, tritt in erster Linie das
wirklich oder scheinbar Maschinenmässige in der Wiederholung zutage.
1) Wundt, Völkerpsjch.« 1 1, 259 f. 267 f.; Preyer S. 262.
2 Groos, Spiele d. Menschen S. 38f.: Preyer S. 126.
Einige Grundf ragen der Kinderspielforschung. iiOl
So kann man kleine, aber auch noch grössere Kinder, für die es oft auf
Jahre eine Lieblingsbeschäftigung- bleibt. Tage und Wochen, ja Monate hin-
durch dieselben sinnlosen Laute. Silben oder SilbengruppeD, später natürlich
auch richtige Wörter, Sätze, Verse ohne jeden ersichtlichen Zweck wieder-
holen hören,!) wobei der gequälte Ohrenzeuge nur zu leicht vergisst, dass
auch hierin sich unmerkbar ein Stückchen innerer Entwicklung abspielt.
,Es ist denn nicht verwunderlich, dass dieser Zustand dauernd bleibt, wo
flie Entwicklungsfähigkeit unterbrochen wird, die inneren Kräfte zum
Stillstand kommen: es gibt bestimmte Formen von Geisteskrankheit,
l)ei denen solche sinnlose Wiederholung ein Hauptkennzeichen bildets).
Aber auch geisteskräftigen Erwachsenen sind <1 erartige Zustände nicht
ganz fremd, auch sie können sich gelegentlich in endlosen Wiederholungen
eines und desselben Wort- oder Tonstückes ergehen, sei es nun ein
quälender Zwang schwerer Ermüdung oder vielmehr ein wohliges Spiel
hinträumenden Behagens. Unwillkürlich drängt sich uns dabei auch der
Gedanke an die Dichtung und Musik der Naturvölker ») auf, ja selbst
an vieles in unserem Kinder- und Volkslied in Wort und Weise, wo
gleichfalls ganze Strophenrahmeii durch Wiedorliolung oder ganz leichte
Abwandlung desselben Motivs ausgefüllt sein können. In der Tat möchte
man hier ein Quellgebiet ursprünglicher Lyrik erkennen, wenn man be-
obachtet, wie Kinder manchmal lebhafteste Freude in solchen Formen aus-
strömen lassen, bei denen sich dann ganz von selbst Rhythmus und
Melodie einstellt (hierülter soll im nächsten Aufsatz mit gehandelt werden).
Wie weit man freilich den Zusammenhang ins Einzelne verfolgen darf,
das ist eine der heikelsten Fragen*).
1) Vgl. Sp. d. M. S. i2: Stern. Kindersprache S. 14it Anm. 3: H. Gutzinaiin, Wester-
manns Monat.-,licl'te 79, oOO.
'1) Prejer S. -258 'Paliinphrasie".
3 S. z.B. Grosse, .Anfänge der Kunst S. 238: Wandt, Völkerpsjch.^ 3, 329f.
4) So sclieint es mir nicht zulässig, wenn Groos, Sp. d. M. S. 431"., nicht nur die
Keltenreime unserer Kinder, sondern auch die Verkettung der Strophen untereinander
durch beständiges Hinübergleiten einer Zeile oder eines Zcilenpaares in die folgende
Strophe auf unsere Ersclieinung zurückführen will. Schon in den Gedichten der Molukken-
bewohner, die Groos anführt, wie auch bei gelegentlichem Vorkommen in unserem Volks-
lied s. z. B, J. Meier, Volksliedstudien. Strassburg 1917. S. 20(;: auch Fälle wie Erk u.
Böhme 3 Nr. lODOff.) handelt es sich vielmehr um ein Hilfsmittel fortgeschiittener Kunst-
übung; in der ursprünglichsten Dichtung, auf die man sich hier allein berufen darf, i.^t
Lied und Strophe eins. In Goethes Nachtgesang '0 gib vom weichen Plühle' volhrnds
dient un 1 entspringt das Kunstmittel der höchsten Verfeintrung, es malt unübertrefflich
das halbträumende Hinübergleiten von einem verschwimmenden Gedanken zum nächsten:
und dasselbe muss schon von de.m italienischen Liede gelten, das den Dichter zu seinem
Meisterlied angeregt hat Knpisch, Agrumi S. 9 'Du bist das sanfte Feuer', s. dazu
Zelter an Goethe am 29. Juli 1804 und H. G. Graf, Goethe über seine Dichtungen III
(Lyrik) TI 1, 403 Z. SlfT'. Was aber die Kettenreimc betrifft, so liegt ihre Eigenart nicht
sowohl in der Wiederholung als in der Gedankenflucht, die freilich echt kindlich ist.
und die Weiterführung geschieht nach Ausweis des mittelhoclideutsJipn Beispiels 'Ez
reit ein herre' vielmehr durch Umstellen der .Satzglieder und Anreimen (Holime 1, Nr. 15I(>
Zeifschr. d. Vereins 1". Volksliunde. 1917. Heft 3. 14
202 Schläger :
Doch zurück zu der Sprachentwicklung des Kindes! Das Schreien
geht also in Lallen über, und diese triebmässigen spielerischen Lall-
übungen herrschen nun eine geraume Zeit, oft über das Ende des ersten
Jahres hinaus. Dem Kinde steht in dieser Zeit eine unübersehbare Fülle
von Lauten zu Gebote, die es ganz aus . sich, ohne jede Nachahmung,
freilich zunächst auch ohne Walil, hervorbringt und miteinander verbindet.
Angesichts dieser allseitigen Lautanlage fällt es schwer, ererbte Volks-
oder Stammeseigenheiten zu erkennen; fehlen doch selbst die Schnalzlaute
der Hottentottensprache nicht^). So ergeht sich die behagliche Spiellaune
des Kindes in vergnügten 'Lallmonologen' und lässt sich wohl auch auf
Zwiegespräche ein, bei denen jedes Verstehen ausgeschlossen und der
Spielcharakter ganz besonders deutlich ist^).
Auf den ersten Blick gibt das Lallen nur die A^orstellung eines regel-
losen Durcheinanders. Bei genauerem Zusehen lassen sich jedoch einzelne
bis 1518. 1525f. 1529; Lewalter und Schläger Nr. 155.592: über die ganze Gattung jetzt
S. Siüger, Schweiz. Arch. f. Volksk. 19, 110-122; kluge nemerkungen über die Form bei
W. Götze, Jahrbuch des Vereins f. Wissenschaft!. Päd. 4, 274f.). Groos hat wohl mehr
eine andere Art im Auge (Böhme 1 Nr. 1519— 1524. 1527 f., Lewalter u. Schläger Nr. 59iS),
bei der eine und dieselbe Tätigkeit durch eine bunte lieihe immer neuer Personen und
Gegenstände hindurchgetrieben wird, mehr in der Art von Gesellschaftsspieleu wie dem vom
Kirniesbauern (Böhme 2 Nr. üiO; Lewalter und Schläger Nr. 25öi oier entfernter von Zähl-
oder Schwcllgeschichten wie der vom Jockei, der den Hafer nicht mähen oder die Birnen
nicht schütteln wollte (Böhme 1 Nr. 12(50, Lewalter und Schläger Nr. 594). Hier wird in
der Tat jeweilig ein Satzglied wiederholt und von ihm aus nacli Laune ein neues aufs Kom
genommen: aber das geschieht planmässig und hat mit sinnloser, überhaupt mit spielerischer
Wiederholung nichts zu tun. In den Zusammenfassungen aller gewonnenen Glieder nach
jeder Strophe oder am Schluss tobt sich freilich die 'Freude über dieses ewige Häufen
und Wiederholen' nach Herzenslust aus (s. Götze a. a. 0. S. 280): wieweit indes diese
Spielfreude schon die Entstehung der Form bestimmt hat, ob sie sich nicht vielmehr erst
an dieser entzündet, das ist eine andere Frage.
1) Vgl. H. Gutznianii, Die Spracblaute des Kindes u. der Naturvölker. Westermaiiiis
Monatshefte 79, ööG: Zeitschr. f. pädag. Psjchol. 1, 39 f.
2" -Lallspiele', 'Lallmonologe' usw.: Preyer S. 262f. 283 ff.; Rzesuitzek S. 7f.; Völker-
psych,2 I 1, 268f.,: Geringer S. 124. 145 f.: 'Lantunterhaltungen' Preyer ebenda, Stern, P^•y-
chologie S. 56, Kspr. S. IG. 82; Compayre S. 289; Zusammenstellung von Lallwörtern Idel-
berger S. 434— 437. Wundt a. a. 0. S. 289 will völkische Unterschiede erkennen, wie er
überhaupt auf die Vererbung grosses Gewicht legt, indes darf man seinen vergleichenden
Zusammenstellangen gegenüber nicht vergessen, dass auch das Lautgefühl der auf-
zeichnenden Erwachsenen stark mitspricht. — Dass die Nachahmung nicht beteiligt ist,
geht daraus hervor, dass die im Spiele mühelos beherrschten Laute nur unsicher und
mit grosser Anstrengung anderen nachgeahmt werden können, sodass das Kind beim
Sprechenlernen gleichsam von vorn anfangen muss: Rzesuitzek S. 12 14; Stern, Kspr.
S. 15 ein Fall überraschend früher Nachahmung); Meringer S. 140. 209fif.; Tappolet S. 85;
Meunuum S. lG3f. Daraus sollte jedoch nicht geschlossen werden, dass die Lallspiele
ergebnislos verliefen, denn mit angebornen Fähigkeiten wie dem Mundspitzen verhält es
sich nicht anders, s. Preyer S. 169f.; der Wille bringt eben eine ganz andere seelische
Einstellung mit sich, ganz abgesehen davon, dass bei der Nachahmung anderer das für
die Selbstnachahmung so wertvolle Muskelgefühl abgeht. — Auch die Lautübungen taub-
stummer Kinder sind wichtig für die Frage, ob Nachahmung oder niclit, vgl. Preyer
S. 126; Gutzmann a.a. 0. S. 359: Rzesnitzek S. 7 scheint auf die Mitwirkung des Gehörs
zu viel Gewicht zu legen.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 203
Erscheinungen aussondern, die am häufigsten wiederkehren und auf ganz
bestimmte, wenn auch schwer erkennbare oder gar messbare treibende
Kräfte schliessen lassen. Dies ist sehr wichtig: es eröffnet uns die Mög-
lichkeit, die Lallübungen mit der späteren Stufe wirklicher Sprachübung,
der von den Erwachsenen bereits beeinflussten 'Kindersprache' ^) zu ver-
1) Die Bedeutung der 'Kindersprache' für die llntstehung und Entwicklung der
Sprache wird im ganzen von Philosophen und Physiologen überschätzt, von Sprach-
forschern unterschätzt; als Gegenpole können etwa Ament und Meringer genannt werden.
Soviel scheint mir gewiss, dass trotz einzelnen Neubildungen das Kind als eigentlicher
Sprachschöpfer nicht in Betracht kommt. Wohl aber liefern seine Bedürfnislaute und
Lallspiele mancherlei Stoff zur Wortbildung, sodass man denn doch von seiner Mitwirkung
mit Recht spricht und nur zweifeln kann, ob es jemals gelingen wird, den Anteil des
Kindes an der ursprünglichen Sprachbildung mit einiger Sicherheit auszusondern: hier
spielt die völlig ungeklärte Frage herein, wie vieles von dem, was wir als anscheinenden
Eigenbesitz l)eobachten, in Wirklichkeit als Erbgut anzusprechen sein mag. — Damit ist
nicht geleugnet, dass der spi*achhildende Trieb beim Kind ausserordentlich stark und
wirksam sein kann. Aber für die tatsächliche Ausbildung der Sprache hat er nicht die
Bedeutung, die er unter gewissen Umständen wolil gewinnen könnte; er lebt sich eben
in spielerischer Weise, ohne eigentlich j)raktisches Ziel aus. Nur das Bedürfnis könnte
einen starken Einfluss des Kindes auf die Sprachentwicklung herbciführeu. Ob aber ein
solches Bedürfnis jemals allgemein bestanden hat, ist sehr zweifelhaft. — Die Frage ist
um so schwieriger, als es an gut verbürgten und ausreichend beobachteten Einzelfällen
fehlt. So sind nahezu unbrauchbar die von H. Haie aufgeführten Beispiele kindlicher
Sprachschöpiung (Proceedings of the American Association for the Advanccment of Sci-
ence oö, Salem 1887, S. 27yff.; hierzu Kzesnitzek S. 18 — 20, wo noch ein weiteres, recht
schwach beglaubigtes Beispiel: Idelberger S. 42B-4oO: t'ompayre S. 310; Stern, Kspr.
S. 339f. ). Sie iiai)en den gemeinsamen Zug, dass die Kinder — und zwar waren es be-
zeichnender W^eise jeweils Pärchen: dabei liegen in dem einen Fall offensichtlich auf-
geschnappte französische Wörter vor — ihre Muttersprache, das Englische, wohl verstanden,
aber sich standhaft weigerten, sie zu sprechen, vielmehr sich selber eine Sprache schufen,
die sie geläufig handhabten. Aus den paar mitgeteilten Ausdrücken ist so gut wie nichts
zu entnehmen. Die erkennbaren Umstände erinnern also aufs deutlichste au die Geheim-
sprache, in der sich Wolfgang und Cornelia Goethe unterhielten, wenn sie nicht verstanden
sein wollten (Dichtung und Wahrheit Buch 8), und so werden jene Fälle mit diesem
und so manchem anderen aus dem Bereich ernsthafter Sprachbetätigung unter die Sprach-
spielereien zu verweisen sein, bei denen es sich im Gnmde weniger um eine Sprache
handelt als um einen bestimmten Vorrat mehr oder minder willkürlich zusammengebrachter
Ausdrücke. — Ganz andere Bedeutung kommt dem Falle des kleinen Felix Stumpf zu,
der bis ins vierte Lebensjahr hinein seine eigne, von keinem Spielgefährten geteilte
Sprache starrköplig gegen alle Angriffe festhielt, dann aber, und zwar plötzlich und sofort
ziemlich fehlerfrei, die Sprache seiner Umgebung zu gebrauchen begann (C. Stumpf,
Eigenartige sprachliche Entwickelung eines Kindes, Zeitschr. f. pädagog. Psychol. und
Pathol. 3, 41i)-447; dazu Idelberger S. 425-421), Stern, Kspr. S. 2G0f. 340). Der Haupt-
sache nach handelt es sich wohl auch hier um spielerisches Tun; auch erklärt sich vieles
in dem reichlich mitgeteilten Sprachgut nach Art der 'Kindersprache' im gewöhnlichen
Sinne, wie sie sich aus der Lallzeit unter Mitwirkung und Führung der Erwachsenen
bildet. Daneben aber sind so deutliche Anzeichen durchaus selbständiger und folge-
richtiger Verarbeitung vorhanden, z. B. im Zusammensetzen der Wörter und selbst im
Satzbau, auch ist der kleine Sprachkünstler, ich möchte sagen, mit so heiliger Über-
zeugungstreue zu Werke gegangen, dass wir ihm mit der Annahme blosser Spielerei
nicht gerecht werden. Stern hat hier die weise Vorsicht zu weit getrieben und ist dabei
selbst lu tatsächlich unrichtigen Angaben gekommen; so stimmt es nicht, dass nach des
Vaters l'eutungen ein einziger ganz unerklärter Ausdruck übrigbleibe, es sind deren viel-
14*
'204 Schläger:
knü})feii 1111(1 (iesetz uml Regel im Entwicklun^si^ang aufzuspüren. Freilich
darf das nur mit grösster Behutsamkeit und bei dem Stand unserer Kennt-
nisse unter manchem Vorbehalt geschehen — was ich aucli dem Folgenden
Kegenüber zu bedenken bitte.
mehr eine ganze Reihe vorhanden. Indes, Urschöpfung oder nicht: eins isf unzweifelhaft
erwiesen, dass nämlich das Kind in der Benennung der Dinge mit Wahl und Willen
verfahren kann. Hierfür ein unzweideutiges Beispiel: als der Vater einmal im Scherz
Mulch statt Milch sagt, hält Felix, sehr belustigt, diese Laatform sofort fest, bildet sich
dazu spielerisch und echt kindlich das Zwillingswort pruUk-h — und von Stund an ist
ihm prullich das feststehende Wort für den Gegenstand und wird genau so ernsthaft und
zähe festgehalten wie alle anderen. Wir erkennen daran, und das hat sicherlich auch
allgemeine Bedeutung, wie aus spielerischem Anfang eine ernsthafte Spracherscheinung
entstehen kann. Gleiche Deutung bietet sich ohne weiteres für viele ursprünglich scherz-
hafte, dann ernsthaft angewendete Neubildungen dar, etwa die studentischen Prägungen
auf — ikus u. dgl.: und wer weiss, ob nicht so manche unerklärliche Ausnahme von
feststehenden Lautgesetzen ähnlichen Ursprungs ist? — Eine weitere lehrreiche Tatsache,
die gleichfalls von Idelberger und Stern niclit beachtet wird: der Knabe bezeichnete
einen langen und dünnen Baustein als mai-uge (mit französischer" Aussprache des g:
ob freilich stimmhaft oder in der bekannten mitteldeutschen Vergröberung? , oime dass
sich für diesen Ausdruck eine Erklärung gefunden hätte: aber noch in seinem 17. Lebens-
jahr sagte er aus, das Wort habe ihm genau so geklungen wie der Gegenstand aussehe —
und dieser Meinung sei er noch jetzt. Beobachtungen verwandter Art hat wohl
jeder schon an sich selbst oder anderen gemacht, ich will nur auf F. PoUes Bemerkung
über den Namen 'Qualle' verweisen (Wie denkt das Volk über die Sprache?'' Leipzig
1898, S. 70); aber so deutlich wie hier wird es selten, dass die Namengebung einem
wenn auch dunklen, so doch gebieterischen Klanggefühle folgen kann. Über die Herkunft
des sonderbaren Lautgebildes soll damit nichts behauptet sein, dieses Gebiet ist allzu
schlüpfrig. Der öfter als kindliche Urschöpfung angesprochene Fall Uhu - Vogel bei
Strümpells kleiner Tochter, den diese selber später als Entlehnung von einer estnischen
Amme aufgeklärt hat (Stern, Kspr. S. 342 , mahnt eindringlich zur Vorsicht. Aber reit
dem blossen Verneinen ist auch nichts gefördert. Jedenfalls verdienen Stumpfs Mit-
teilungen ganz andere Aufmerksamkeit, als sie bis jetzt gefunden haben: sie gehören zum
Wertvollsten, was wir auf diesem schwierigen Gebiete besitzen, wie ja die Eigenbrötelei
olt genug die wichtigsten l']inblicke gewährt, und es ist höchst bedauerlich, dass es an
zuverlässigen Aufzeichnungen derselben Art so ganz und gar fehlt. — Immerhin gibt fs
noch einige andersartige Fälle, denen die Forschung nach Ursprung und Entwicklung
der Sprache manchen Wink entnehmen kann. So derjenige der taubstumm-blinden Laura
Bridgman, die sich als Erwachsene neben der erlernten Fingersprache Namen für
bekannte Personen schuf, und zwar mit deutlichem Gefühlswert, indem sie diese Namen
zuerst nur bei freudiger Bcgrüssung oder Erinnerung gebrauchte. Diese Namen waren
immer einsilbig, wurden aber häufig verdoppelt: Stern, Kspr. S. 34G das Buch von
W. Jerusalem über Laura Bridgman 1891 ist mir nicht zugänglich) erwähnt als in unserer
Schrift darstellber foo-foo, too-too, piff-piff, st-st und. was mir bemerkenswert erscheint,
pa-pa-pa, also mit mehrfacher Wiederholung, vyie sie dem Kinde vor dem Eingreifen der
Umgebung eignet. In der starken Verwendung der Pteduplikation, wie sie übrigens auch
die Sondersprache des kleinen Stumpf zeigt, berührt sich diese Einzelsprache mit manchen
niederen und höheren Gemeinsprachen i Wundt, Völkerpsychologie'- I 1, 29of. nennt be-
sonders das Chinesische und Japanische; vgl. auch Probleme der Völkerpsych. S. 4Sf,
ferner Kzfsnitzek S. lOf, Gntzmann S. 3G4 . Man darf auf zweierlei schliessen: einmal
ist dieseSilbeu-, richtiger Wortwiederholung einAusfluss natürlicher Lebhaftigkeit (s. Anm. 4)
und ein Zeichen mehr gefühls- als verstandesmässiger Namenprägung: dagegen ist es
völlig schief, wenn R. M. Mejer, Künstliche Sprachen (Indogerm. Forschungen 12, 25(1)
die Reduplikation 'gewissermassen ein organisiertes Stottern" nennt, denn mit Sprach-
Einige Grundfia^-en der Kindersiiielforschung. 205
Spiele aus der Lallzeit.
Das Kinfacliste und Natürlichste scheint es zu sein, wenn sich der
Säugling zunächst in Yokallauten ergeht. Dieser Erwartung entspricht
es, wenn Preyer im ersten Monat fast ausschliesslich und noch auf lange
vorwiegend Vokale, als einzigen schon im dritten Monat häufigen Konso-
nanten m feststellen konnte (S. '262; das Lallen begann bei seinem Sohn
in der sechsten Woche). Stern, Kspr. S. 82 verzeichnet als ersten Schrei-
laut ä — daneben freilich sofort ähä. Wir haben in letzterem wohl
niciits anderes zu erblicken als ein stossweises Herausbringen des Yokals,
wobei sich das Hauchgeräusch von selbst einstellt. Auch die Ver-
schiedenheit in der Vokaldauer erklärt sich ganz einfach aus einem sehr
natürlichen, geringfügigen Ausruhen am Schlüsse, bis der Atem aufhört-,
autfällig würde sie erst sein, wenn auch das Umgekehrte vorkäme, wovon
ich nichts finde (ata, Eva Sterns Wort für 'Vater' seit dem 9. Monat,
Stern, Kspr. S. 159. ist kein Urwort, sondern gehört schon in die nach-
ahmende Spracherlernung). Dergleichen setzt sich auch in der Lallzeit
fort: so verzeichnet Idelberger aus dem '.'. und 11. Monat ö-ö und ö-ö.
u-a-a und ä-ä-d. Man darf annehmen, dass von einem sehr frühen,
schwerlich bestimmbaren Zeitpunkt an die öfter erwähnte Freude an der
Wiederholung in ihr Recht tritt.
2. Immerhin ist der reine Vokalklang nicht die Kegel; er erscheint
sehr früh durch konsonantische Beimischungen getrübt. Das ist auch
ganz verständlich, denn schon die körperliche Anstrengung des Schreiens
wird gewisse, zunächst noch gänzlich ungeordnete Verschiebungen an
Zunge, Gaumen und Kehlkopf mit sich bringen. Hierher niöcht ich schon
<las von mehreren Beobachtern als erster Schreilaut genannte uä stellen
(Stern, Kspr. S. 145. 30;-)), mit dem offenbar nicht zwei silbisch gleich-
wertige Laute bezeichnet werden sollen; wenn übrigens selbst in der
entwickelten Sprache keine völlig reine Scheidung zwischen Vokal und
iKMiimimgen hat sie nichts zu tun. Auf der anderen Seite ist aucli hier das Kind nur
mittelbar beteiligt, wie eben das Überwiegen der Doppelung bezeugt s. u. S. 20!»;. Wolil
aber liegt etwas der kindlichen Wiederholung Wesensverwandtes vor.
Das Ergebnis dürfte folgendes sein. Der unmittelbare Anteil des Kindes an der
ernsthaften Sprachschöpfung ist verschwindend gering. Gross ist dagegen der sjjrachliche
Betätigungstrieb des Kindes. In vielerlei spielerischen Äusserungt^n, die aber gelegentlich
auch ernsthaftes Gepräge annehmen können, finden wir seine Spuren auf den verschie-
densten Altersstufen; ob man hierbei von Neuschöpfung oder nur von Verarbeitung ge-
gebenen Stoffes sprechen darf, ist eine sehr schwierige und bisher noch kaum gestreifte Frage.
— Auch den Erwachsenen ist der sprachliche Spieltrieb nicht fremd, und so erhebt sich die
weitere Frage, der ich hier nicht mehr nachgehen kann, wieviel von dem, was häufig
als Kindesanleil aufgefasst worden ist, vielmehr dem Spieltriebe der Erwachsenen zu-
zuschreiben ist, den man freilich wiederum als einen festgehaltenen Zug kindlicher
Wesensart ansprechen darf. Was aber die Sprachen der Naturvölker mit der Kinder-
sprache gemeinsam haben oder zu haben scheinen, erklärt sich wohl restlos aus dem
verhältnismässig geringen Abstand in der geistigen Verfassung.
206
Schläger:
Konsonant zu erzielen ist, so muss dies erst recht für die ungeordneten
Anfänge gelten. Sobald aber das eigentliche Lallen einsetzt, werden auch
die Konsouantgeräusche klarer und mannigfaltiger; auch Preyer, bei dem
die anfängliche Vorherrschaft der Vokale am meisten hervortritt, lässt
doch schon vom 4o. Tag an die Konsonanten ?/i, t, h, g, r, n hinzutreten
(S. 284). Dabei ist es eigentümlich, dass sich ein Fortschritt vom
Leichteren zum Schwereren kaum beobachten lässt. ^j Wohl kehren
in den Aufzeichnungen die Lippen- und Zungenlaute sehr vielfach wieder
was sich denn aufs beste aus der Sauggewöhnung erklären lässt; daneben
aber erscheint fast noch häufiger als erster Konsonant ein r — wohl
überall ein Gaumen-r, wie es von Stern, Kspr. S. 15. 146 ausdrücklich
angegeben und durch die Ausweichung in kch noch besonders be-
kräftigt wird.
Blosse Konsonanten scheinen so gut wie nicht vorzukommen; in
Fällen wie Strümpells (pry und Idelbergers ngr, hw ebenso wie dem von
letzterem gebuchten blossen r (Stern, Kspr. S. 146 f.) kann man dem r
oder w ruhig Vokalwert zuerkennen: es sind Dauerlaute, die nach Belieben
kurz oder lang hervorgebracht werden können. Die Verbindung eines
Konsonantgeräusches mit einem mehr oder weniger bestimmten Vokal
überwiegt durchaus.
3. Hierbei fallen nun gewisse Hauptfonnen solcher Verbindung immer
wieder ins Ohr. Am allerstärksten wohl diejenige, dass ein Vokal den
Anfang bildet und ein Konsonant mit demselben Vokal verbunden sich
anschliesst. Ich gebe aus dem reichen Stoffe bei Preyer, Lindner, Idel-
berger, Stern usw. wahllos einige Beispiele: ärrä oder erre (mehrfach als
erste Lallverbindung angegeben), arra acha amma apa ede ada ara ämä
ata aira aya örö ögö aja eigei, zusammengesetzt atta-aiia usw. usw. 2) Es
scheint also der Vokal a durchaus zu überwiegen, während i, o, u, ü
in den Aufzeichnungen bei diesem Typus nicht oder kaum begegnen;
Preyer S. 291) gibt zwar auch otto an, aber erst im 20. Monat als Wieder-
holung des vorgesprochenen Namens. Diese Erscheinung ist an sicli,
ebenso wie die verschiedene Häufigkeit der Konsonanten, merkwürdig
genug und sollte näher untersucht werden, geht uns aber hier nicht weiter
an. Wohl aber ist es deutlich und für unseren Zweck sehr wichtig, dass
wir in dieser Form der Silbenverbinduug eine urwüchsige Spielart des
Reims vor uns haben.
1) Friti Schultze glaubte ein Gesetz -der geringsten physiologischen Anstrengung'
aufstellen zu dürf-n; vgl. dazu R/.esnitzek S. Tl.; Üutzmann, Zeitschrift f. pädag. Psy-
chologie 1, 29fl'.: Stern, Kspr. S. 14(1.
2) Auf die verschiedene Wiedergabe der Lautgruppen mit einfachem oder doppeltem
Konsonanten braucht man ktin Gewicht zu legen, da die Heobachter nur selten phonetisch
geschult oder geübt waren. Die Verdoppelung wird nichts anderes bezeichnen als die
Kürze des ersten Vokale?, wie sie schon oben S. 205 erwähnt und besprochen ist.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 207
Wie sollen wir das auffassen? Daran ist gewiss niciit zu denken,
dass im Säugling von Anfang an Gefühl für den Reim als solchen, Neigung
oder gar Zwang dazu vorhanden sei. Die Vorherrschaft der Wiederholung
desselben Vokals hat auch nichts Befremdliches, ich brauche nur auf die
so oft schon hervorgehobene Wichtigkeit der Wiederholung überhaupt
in der Entwicklung «les Kindes zu verweisen. Die einmal geübte Muskel-
bewegung bringt sich von selbst aufs neue zur Geltung. Wohl aber war
es seltsam, wenn eine so häufige Übung ohne Rückwirkung bliebe. Die
zunächst rein triebmässige Wiederholung wird bald nach Wohlgefallen
und Wahl geübt werden, Muskelgefühl sowohl als Klang werden sich
einprägen und begehrt werden, und die rein spielerische Weiterführung
kommt als besonders wirksam hinzu. So darf man v»ohl sagen, dass aus
dem Reime die Freude an ihm und schliesslich auch seine bewusste Auf-
fassung erwächst. Beides ist in dem oben von Felix Stumpf berichteten
Falle deutlich erkennbar; einen noch schlagenderen Beweis, dass ver-
hältnismässig früh der Reim sogar zum bewussten oder unbewussten Ziel-
punkt in der Spraclibetätigung des Kindes werden kann, gibt eine andere
Beobachtung, die ich leider nicht überall bis zu ihren Quellen verfolgen
kann. Preyer (S. 277) verzeichnet für die sattsam bekannte Ver-
stümmelung vorgesprochener Wörter mit anderen Beispielen auch eige-beige
für 'Eisenbahn', ossen-dossen für 'unverdrossen'. Da musste offenbar der
Reim schon tief im Gefühl sitzen, und zwar unabhängig \o\\ jeder Nach-
ahmung — er wirkte ja der Nachahmung entgegen. Übrigens ist es
keineswegs ausgeschlossen, dass hierbei auch der Spieltrieb am Werke
war und die Wortbildung somit nicht mehr völlig unbewusst geschah;
ausgemacht erscheint mir das, wenn Preyers eigener Sohn im 23. Monat
das Wort 'danke' 7.\\. dakhi-gaggn-gaggn erweiterte (S. 305)^). -lene beiden
Bildungen erscheinen mir auch desw^egen bemerkenswert, weil sie
grade dem hier behandelten Reimty])us angepasst sind, in besonders be-
zeichnender Weise die zweite, bei der das Wortende den Gleichklang
bestimmt.
Lässt sich diese meine Ansicht aufrecht erhalten, so ist damit eine
wichtige Brücke zum kindlichen Spielreim gescldagen. Nicht als ob für
die spätere Vorherrschaft des Reimes die Nachahmung ausgesciialtet, der
Kinderreim von Lied und Spruch der Erwachsenen losgelöst sein sollte.
Aber wir müssen auch die Selbstnachahmung als ursprünglichere,
überaus wichtige Quelle in ihr Recht einsetzen. Die (Jrenze zwischen
1) Bei Stern S. 294 finden sich unter den 'Assimilationen' manche Bildungen ein-
facherer Art, die man ia demselben Sinne vrrwerten könnte: ala 'Paula', diddi 'Schnitte"
mamnaum 'bimbaum', olol, iilul 'Rudolf, nana 'Nase' (Axel Preyer. erst im 25. Monat),
bei einem französischen Kinde nana 'canard', 'popo' compot, bubu 'omnibus', dndö 'rideau'.
In manchen dieser Fälle mag freilich nach Art der 'Ammensprache" entstellte Harbietung
schuld sein. Lautphysiolo^isch müssen diese Wortformen ganz verschieden erklärt werden;
das tut aber der grundsätzlichen Bedeutung des Reimes keinen .Abbruch.
203 Schläger :
beiden Eintiiiss^^ebieten wird sich schwerlich genau ermitteln Lassen; gesuciit
miiss sie trotzdem werden.
Jedenfalls ist es mir recht wahrscheinlich, dass wir hier für eine,
überaus häufige Art kindlichen Reimspiels die Wurzel aufdecken. Ich
meine Reimformeln wie arre — barre, ene—mene^ one—done, ulen—drulen,
ita—fita, enaie—'penale, icken— sticken, ene—zene, ene—(de)mene, abe-{de)bahe,
dla—{be)zella usw., wie sie hauptsächlich in Abzählreimen, aber auch sonst
(E'(M/^?aww— i?er/e/ma;i7i) auf Schrittund Tritt begegnen, in Namen Verdrehungen
yf\eEmma—be}7ima, Emil—zwemil,Erna—{ka)ferna, Anna—{wide)if(tnna, Otto
— (büe)wotto, Annekeii —panneken, Annde — {po)tannele eine grosse Rolle spielen
und auch in den Versteckiiamen des Yolksrätsels Raum gewonnen haben:
aus Wossidlos zweitem Wörterverzeichnis im Rätselbande seiner Mecklen-
burgischen Volksüberlieferungen greif ich als Beispiele heraus ocker—(kay
facker, acker — (ku)wacker. Aderjahn un Snaterjalm, äker -bäkei\ Ami u/r
Slahmi.Amm—cjramm, eike — ipe^feike, €ie—{pe)teje, ele - (pe)tele, ente—{pe)tente,
inte—{pe)tint€, ete—{pe)tete, ida—{po)lida. Emil im SpetJiil, Itzen—plitzen^).
Das sind grundsätzlich genau dieselben Bildungen wie jene der Lallzeit,
selbst die Vorliebe für Lippen- und Zungenlaute ist beiden gemeinsam.
Freilich erwachsen die Lallreime anscheinend stets aus einsilbiger Wurzel,
w^ährend die Spielreime so gut wie immer eine zwei-, auch dreisilbige
Grundlage haben. Indes glaub ich nicht, dass dieser Unterschied viel zu
bedeuten hat. (lanz fehlen die einsilbigen Spielreime im Kinderverse
1) Über solche uud verwaudte Rätselbenennungen hat R Petsch ausführlich ge-
handelt: Neue Beiträge zur Kenntnis des Volksrätsels = Palaestra 5, Berlin 1899, S. 68 ff.
Er geht auf das Verhältnis zu den ähnlichen Wortbildungen des Kinderreimes nicht aus-
drücklich ein, doch lässt sich erkennen, dass er allgemein dem Rätsel grössere Ursprüng-
lichkeit zuschreiben möchte vgl. z. B. die Bemerkung über Kettenrätsel und Ketteureime
S. 115 f.', Avas ich nicht in vollem Umfange gutheissen kann. Für unseren besonderen
Fall ist zu bemerken, dass solche Benennungen sehr wohl im Rätsel erwachsen und
dennoch nach Kinderatt gebildet sein können; manche von Wossidlos Formeln aber wie
enc iiicne mil.-cr, eine meine vor die Beine oder eine meine Uupenncsf fallen aus der ge-
läufigen Rätselart heraus uud verlaufen so völlig im Stile der Abzählreime, dass die Her-
kunft kaum zweifelhaft sein kann. — Wertvoll ist auch, was 0. Weise, Die Streckformen
und die Akzentverschiebung, Niederdeutsches .Jahrbuch 40, 55 ff. über unsere Wort-
bildungen zu sagen hat. Er s])richt ihnen, soweit es nicht reine Spielwörter sind, den
Zweck der Lautmalerei besonders von Schall- und Bewegungsvorgängen zu und weist
mit Recht darauf hin, dass auch mehrsilbige Interjektionen wie heiopojwo. ci-schepoletsehe
usw. dasselbe Gepräge tragen. Weises Leitgedanke, im Gegensatz zu H. Schröder Streck-
formen, Heidelberg 1906), dergleichen Gebilde nicht durch 'Streckung" im Inneren, sondern
durch Umgestaltung und Zuwachs im Anlaut zu erklären, ist für die grosse Mehrzahl der
Fälle zweifellos richtig. So wird denn aucli das schwierige eiapopeia mit seinen mannig-
faltigen Nebenformen heiojwpeio. haidcrlpiipaiderl, aber auch heidul bodeidal usw. seine
Erklärung am besten in unserem .Sinne finden: ein echtes Lallwort, eia oder e«e, heia,
heio ruft zunächst die Reimzwillingsformen beie peici peio hervor {cie beie, eichen beichen
kommen in Schlummerliedern wirklich vor, s. z. B. oben 17, 280 f. Nr. 49), und die un-
betonte Silbe mit dem hier vom zweiten Reimwort aus bestimmten Anlaut — es ist dies
gleichfalls ein häufiger Spieltypus, über den noch zu sprechen sein wird — tritt rhythmus-
schärfend dazwischen.
Einijie < Jrandfra»en der Kinderspielforschimg. 209
nicht, wir erkennen sie in solchen Abwandlunjien wie Eck— Speck — Dreck,
ej^—Ze.}-, oyig—clrmg. 0 ho Dreck Schneck weg neben Oe boe Drecke Schnecke
werke (Deutsches Volksliedarchiv A 5041, 5054), und auf der anderen Seite
verzeichnet Preyer S. 297 als Eigengut des Kindes ana—näna, wie denn
auch das schon besprochene eige— beige das Reimgefühl durchaus nicht auf
eine Silbe beschränkt zeigt.
4. Neben dieser kindlich-urwüchsigen Reiiliart steht ebenso häufig oder
noch häufiger eine andere, die aus der einfachen Wiederholung- eines Lautes
oder einer Lantgrup])e erwächst. Besondere Beachtung hat eine bestimmte
Erscheinung-sform gefunden, die Wiederholung einer Silbe aus Kon-
sonant und Vokal wie ba—ba—ba, da— du, nei—nei, nannana, na— na,
,„/,—-/}^ä\ lj„.—hw, mi-mi. mo - mo, ra - ra — ra, krä—krä (von Stern S. 15
schon im zweiten Monat gebucht), erre — erre u. dgl., in Verbindung
mit der behandelten Art appapa, adadadada, atatata, a—bwa—bwa, ana—nana:
solche Silbengrn])pen nehmen oft bestimmte Bedeutung an, so erscheint
a — a — a als Ausdruck iles Erstaunens im neunten Monat, da — da als Aus-
druck des Wohlbehagens im elften, hich-hich im dreizehnten für das
Schaukelpferd und seine Bewegung (Idelberger S. 2B1. 263. 268), und auch
sie ergeben sich unwillkürlich bei der nachahmenden Spracherlernung,
wie Preyers bi—bi aus H)itte' zeigt (S. 301): wie dann weiterhin die ganze
Ammen- und Kindersprache von dieser Wortbildungsform durchdrungen
ist. brauch ich nicht zu erörtern. Der herkömmliche Name Redupli-
kation sollte freilich nicht so allgemein verwendet werden, wie es meist
geschieht, sondern auf die eigentliche Doppelung mama usw. eingeengt
werden, wie sie eben in der Ammensprache herrscht. Es ist nicht immer
genügend beachtet worden, dass die urwüchsige Silbenwiederholung des
kleinen Kindes durchaus nicht auf diese Doppelung beschränkt ist, sondern
bis zur Atemgrenze geht, vgl. bes. Preyer S. 295; erst später gewinnt die
eigentliche Reduplikation ihre Alleinherrschaft, und zwar geschieht das
unter dem Einflüsse der Umgebung, die von bestimmtem Zeitpunkt an
die Eührung übernimmt^).
1 Auf diesen Unterschied ist. wie gesagt, nicht immer geachtet worden, was sich
denn in den Aufzeichnungen spiegehi mag, in denen die Doppelung oft mehr als ge-
bührlich hervortritt. Immerhin ist das angegebene Verhältnis unverkennbar. Bei Idel-
berger niuss man in Betracht ziehen, dass die Einwirkung der Eltern auf das Kind be-
sonders stark war. Um so bedeutungsvoller sind die aucli hier verzeichneten Fälle mehr-
facher Wiederholung; so scheint es mir recht bezeichnend, wenn Kurt Idelberger am
250. Tag ein vorgesprochenes "heiss, heiss' mit ch-ch-ch nachahmte und diese Verbindung
längere Zeit als Ausdruck der Freude beibehielt, aber zu ch-ch vereinfacht S. 2(J2. 243).
- Somit muss die l)o])pelung aus der Gehirnbeschaffenheit nicht des Kindes, sondern
des Erwachsenen erklärt werden, und wird Meringers seltsame Deutung S. 217 f.) hin-
fällig. Man darf wohl annehmen, dass die Erwachsenen sich der Sprechweise des Kindes
anbequemen, sich aber mit einer andeutenden Zusammenfassung dessen begnügen, was
das Kind in seiner Lebhaftigkeit ohne Mass hervorsprudelt. — In diesem letzteren Sinne
kann man es gelten lassen, wenn Idelberger S. 279 f. der kindlichen Wiederholung Affekt-
210 Schläger:
Dass Wiederholungen der gleichen Art auch im Kinderreim eine grosse
Rolle spielen, bedarf nicht vieler Worte. Besonders Anfänge wie koss hoss hoss,
tross tross tross, bum bum buvi, hosche hasche hosche oben 21, 376. 22, 80. 87,
häufiger auf die Doppelung zurückgebracht und dann abgewandelt iross
tross troll, rii ru rimie u. dgl., müssen wir auch da als echt kindlich an-
sprechen, wo das Lied selbst nicht sowohl vom Kind als für das Kind
verfasst ist. Sehr wahrscheinlich ist die kindliche Herkunft, wenn die
Wiederholung dient, den Versrahmen zu füllen, ohne dass irgendwelcher
Gefühlswert zu bemerken ist, w^e Böhme 1 Nr. 502 Sauerkraut und Till
Till Till . . .^); unzweifelhaft erscheint sie mir in dem verwickeiteren
Falle, wo ein Wort spielerisch zerdehnt wird wie in dem hübschen Stück
Böhme 1 Nr. 498 Meine Mu meine Mu meine Mutter schickt mich her . . .,
bei dem man sicherlich nicht an spottende Nachahmung des Stotterns
denken darf, sondern nur an eine scherzhafte Streckung, ein reines Form-
spiel ganz mit kindlichen Mitteln. (Doch will ich anmerken, dass Ähnliches
auch im Yolksliede begegnet, z. B. Zu Strass- zu Strass- zu Strassburg
in der Stadt; Die Mut- die Mutter anbefahl J. Meier, Kunstl. im Volksm.
S. CXLIV.)
5. Ebenso sicheres Eigengut des Kindes, wenn auch schwieriger und
w^enn derselbe Vokal
wert zuspricht; die eifjentlichc Reduplikation aber bedeutet in dieser Hinsicht vielmehr
eine Einschränkung. Wieviel freilich unmittelbar der •Leidenschaft' dos Kindes, wieviel
dem behaglichen S])ieltriebc zuzuschreiben ist, das entzieht sich wohl genauer Erkenntnis.
Jedenfalls spricht sich auch in dieser Einzelheit die grundlegende Bedeutung aus, die im
Entwicklungsgang der Kindesseele dem Wiederholungstritibe zukommt.
1) Soeben lind icli ein recht bezeichnendes Gegenstück dazu in den 'Schnader-
hüpflen der Graiumatikäler", die J. E. Wackerneil mitteilt (Das deutsche Volkslied 19, 98):
Jüdle Jüdle hepp hepp hepp, Schweinefleisch ist fett fett fett .... Äusserlich haben wir
genau denselben Typus, und die Altersstufe des 'Uichtors" lüsst enge Fühlung mit der
Welt des Kinderreims sehr wohl möglich ersciieinen: anderseits trägt die Wiederholung hier
deutliclien Gefühlswert und entfernt sich dadurch vom reinen Spiel und von der Kindesart.
Die Leidenschaft des Schimpf cns hat den ursprünglich rein ppiehirischen Typus umgefärbt.
Mir scheint, das ist ein trefi'liches Beispiel, wie zwei grundversciiiedene Emplindungs-
welteu sich berühren und kreuzen. Dass unser Typus jedoch in der des Spieles erwachsen
ist, steht mir ausser Frage. Vor ihm steht ein anderer, der nur in der Leitzeile eine
Schall und Bewegung malende Silbe verdreifacht zeigt: Weberdi Waberdi wick wick
wick u.a. ( Böhme 1 Nr. 88;.!. 1381), Böttcher Böttcher bum bum bum (ebenda Nr. 1347; als
Schlnsszeile Lewalter und Schläger Nr. 200), Orgel Orgel nut nut nut (l.,ewalter und
Schläger Nr. GT8); dazu schon fügt sich, wenn auch im Stropheninnern, ein Judenvers:
Da kommt der Jude mett mett mett (oben 17. 272 Nr. IG). Der Bau der einen Zeile
hat sich dann durch die ganze Strophe durcligesetzt. — Dass ein Fall wie der im Scliles.
Weihnachtsspiel (F. Vogt S. 233): Du klaincs Keuola du du du Zeist ei am Weschla
Stru Stru Stru . . . völlig dem kindlichen Bereich angehört, sei nur eben vermerkt. —
Recht deutlich ist die Herkunft vom Kinde, wenn die dreifache Wiederholung dazu dient,
den Vers fürs Abzählen zu strecken; man vergleiche Lewalter und Schläger Nr. 402. 406:
'Ede Beck fiel inn Dreck . . .', mit dem Abzählreim aus Rheydt, Deutsches Volkslied-
Archiv A46(iG3: Meister Koch Koch Koch fiel ins Loch Loch Loch, Aber tief tief tief,
Dass er rief rief rief: Meine P'rau Frau Frau, Zieh mich raus raus raus
Einige Grundfragen der Kinderspielforschimg. 211
im Gefolge verschiedener Konsonanten erscheint: ja — rfö, hä—wä\
hei—dei, pa—ta, ha— ja, ta-ha, in Doppelung rollo rollo (Axel Preyer im
•22. Monat, beim Singen) usw. Hier scheinen sich die einzelnen Kinder
ganz besonders verschieden zu verhalten; das ist begreiflich und dürfte
meiner Ansicht eher günstig sein als widerstreiten, denn keine der
nächstverwandten Erscheinungen lässt neben und über dem Wiederholungs-
trieb so deutlich das Streben nach einem Fortschritt erkennen, wie es sich
eben nicht bei den meisten Kindern auswirken kann. Sehr bezeichnend
ist das Verlialten Felix Stumpfs, bei dem wir sonst schon einen aus-
geprägten Eigenwillen feststellen konnten. Zwar sind die Beispiele auch
bei ihm nicht zahlreich, aber man gewinnt von ihnen den Eindruck, dass
der Wandel des Anlauts, ursprünglich gewiss ebenso spielerisch wie in
dem oben behandelten Keimpaar midlich—prulUch, schon einen festen
Platz im Sprachgefühl einnimmt, geradezu wortbildend auftritt. Wenn
z. B. die Katze mi—pi benannt und der Ausdruck des Wohlgefallens haja
ebenso zu haja—baja verstärkt wird wie der gegensätzliche ä zu ä—bä,
so könnte man wohl bei dem letzten Paar geneigt sein, auf ein Vorbild
in der Umgebung des Kindes zu schliessen, aber zusammen mit den
anderen lässt es weit eher ein Sprachgesetz im kleinen erkennen. Und
das steigert sich zu weit verwickeiteren Wortprägungen: job, seinen rätsel-
haften Ausdruck für 'ich', verstärkt der kleine Sprachkünstler zu Job —
tobb{e)lob, wobei man das e sicherlich als unbetonte Zwischensilbe in der
Art der oben angeführten und noch näher zu besprechenden Fälle wie
ete—{pe)tete deuten darf, und den beliebten Ausdruck für 'essen' papn
wiederholt er nicht etwa, wie es andere Kinder tun, sondern entwickelt
ihn zu papn—mapn — von seinem Vater kaum richtig auf papa und
mama zurückgeführt — , wobei uns ebenso die nach Preyer erwähnte Er-
weiterung dakkii — gaggn—gaggn aus 'danke", wie auch das in die niedere
Umgangssprache eingedrungene happeiipappen einfällt Selbst den gewiss
seltenen Fall, dass zur Bezeichnung von etwas Lächerlichem zwei
offenbar aus derselben Wurzel erwachsene Ausdrücke, krapap und lapap,
je für sich verwendet werden, müssen wir wohl hier einordnen.
Auch diese Erscheinung finden wir in reichem Mass im Kinderreim
vertreten; sie ist da von den beiden anderen, besonders der ersten Reim-
spielart nicht zu trennen. Wie ene — mene, Emil—Bemü, so werden auch
dunke— funke, rebbel-bebbel, Mua:—Dad\ Schnecke - becke— recke, Mutter—
Butter — Schlutter aneinandergereiht, mit Ablautspiel gekreuzt ming mang —
kli7ig klang. Ganze Abzählreime bestehen aus solchen Schlagreimreihen:
Eck Speck Dreck, Schieck Dreck weg u. dgl, ganz wie Gross, Seelenleben
S. 86 bang dang wang nang, Meringer S. 180 die verwickeitere Reihe ein
Bärmann, ein Schermann ^ ein Meermann, ein Gehrmann als selbständige
Kinderleistung verzeichnet. Aber auch da, wo solches Reimspiel in der
Art entwickelter Dichtung als Endreim erscheint, wie in den behaglich
*2V2 Schläger:
ausgespouiieneu Reimea zu dem Namen Meyer (Lewalter imd Schläger
Nr. 110. 446 f.) oder dem bekannten Scherz 'Frau von Hagen, Darf ich's
wagen, Sie zu fragen, Wieviel Kragen Sie getragen" .... (Lewalter und
Schläger Nr. 479), dürfen wir unbedenklich den Hauptanteil an der Er-
fiudung dem Kinde zusprechen, wenn auch die schliessliche Ausgestaltung
nicht ohne Beihilfe Erwachsener abgegangen sein mag.
Gewiss kommen alle diese Dinge auch bei Erwachsenen vor. Aber
da sollte man sich hüten, alles in einen Topf zu w^erfen. Die reine
Wiederholung ist ein stimmunggebendes Kunstmittel in der Dichtung
geworden und steht zugleich im Dienste der musikalisch-rhythmischen
Füllung; in diesen Fällen eignet ihr meist nichts Spielerisches, sodass
man kaum an Zusammenhang mit der Kinderart denken kann. Wenn wir
aber im Sj)ottlied auf General Uhrich (Ditfurth, Historische Volkslieder
1856—71 Band 2, Abt. V, 1 Nr. 8G) lesen: Uhrich, Duhrich! schwur
ich, es muss enden, wobei der Anfangsreimzwilling durch alle Strophen
hindurchgeführt wird, so ist das den oben behandelten kindlichen Spiel-
reimen unverkennbar aufs engste verwandt. Auf welcher Seite haben wir
nun die Wurzel zu suchen? Die herkömmliche Entscheidung lautet
kurzerhand: das Kind ahmt nach, was es von den Erwachsenen hört.
Das ist jedoch, so allgemein ausgesprochen, eine unberechtigte, allzu be-
ijueme Auskunft. Wir müssen uns in jedem Falle fragen, ob die Er-
scheinung besser in die Empfindungswelt des Erwachseneu oder des
Kindes passt. Der Uhrich-Duhrich-Reim tritt mit beabsichtigter derber
Komik auf; eine solche liegt aber durchaus nicht in der Verwendung des
Reims, wie sie dem Erwachsenen geläufig ist, sonst mflsste jeder Reim
einen gelinden Beigeschmack nach Komik haben und die lyrische Stim-
mung gefährden: vielmehr muss die komische Wirkung etwas an-
derem abgelauscht sein — und ich wüsste nicht, was das sein könnte
ausser der rein spielerischen kindlichen Reimart, die für den Erwachsenen
nun einmal dieselbe unwiderstehliche Komik besitzt wie die Gedanken-
sprünge und sonstige 'Geistesblitze' der Kinder. Hier ist einmal das
Kind der liehrmeister der Erwachsenen. Meist wohl in eigentlicher
Nachahmung: doch gibt es glückliche Menschen, denen die spiele-
rische Ader auch im späteren Leben ergiebig bleibt. Mozart gehört
zu ihnen, dessen Briefe an das 'Bäsle' aller möglichen Schnurrpfeife-
reien voll sind und auch in echt kindlichem Reimspiel schwelgen.
Ein Pröbchen herzusetzen kann ich mir nicht versagen. Am 5. No-
vember 1777 schreibt der fast Zweiundzwanzigjährige an diesen 'Fex-
Hex": Allerliebstes Bäsle Häsle\ Ich habe dero mir so werthes Schreiben
richtig erhalten stalten, und daraus ersehen drehen, dass der Herr Vetter Retter,
die Frau Bass Hass, und sie wie recht wohl auf sind, Kind (Leitzmann:
Rind); wir sind auch Gott Lob und Dank recht gesund Hund, ich habe
heute den Brief .sclnef von meinem Papa haha, auch richtig in meine
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 213
Klauen bekommen stramme?/. Ich hoffe Sie werden auch meinen Brief
Trief, welchen ich ihnen aus Mannheim geschrieben erhalten haben,
schaben. Desto besser, besser desto! Nun aber etwas gescheudes. Mir
ist sehr leid, dass der Herr Prälat Salat, schon wieder vom Schlag ge-
troffen worden ist üst. doch hoffe ich mit der Hülfe Gottes (Leitzmann:
Spottes), wird es von keinen Folgen sein Schteehi . . . (L. Schiedermair, Die
Briefe W. A. Mozarts und seiner Familie Bd. j, München 1914. S. 106-,
Mozarts Briefe ausgewählt und herausgegeben von A. Leitzmann, Leipzig
1910, S. 45 f.). Soll man wirklich glauben, dieser blühende Blödsinn sei
anderswo gewachsen als in dem lustigen Garten eines rechten Kinds-
kopfes? —
Noch gibt es freilich einen sehr bemerkenswerten Gebrauch solcher
Keime, der mit dem kindlichen die grössteÄhnlichkeit aufweist: in Zauber-
formeln. Die Verwandtschaft ist oft bemerkt worden; hat man doch
neuerdings hier eine Hauptquelle der kindlichen Abzählreime auffinden
wollen, worüber noch zu reden sein wird. Es ist in der Tat verführerisch,
eine geradlinige Abhängigkeit anzusetzen, besonders da sich jener Ge-
brauch bis ins klassische Altertum — wenn nicht noch weiter — ver-
folgen lässt. So verzeichnet A. Dioterich, ABC-Denkmäler, Kleinere
Schriften S. •214f. unter anderen Silbenspielercien duO — cpad—xad, aMa
—ßaMa, vn'vava—oevvava als Formeln zu (leisterzwang und Dämonen-
abwehr imd zieht nach Büchelers Vorgang, sicher mit Recht, auch das
bekannte Zauberwort abracadabra heran, das nach meiner Auffassung,,
unbeschadet der Lautwahl aus dem Anfang des Alphabets, unserem
acker{ka)favker gleichgestaltet ist. In der Neuzeit begegnet als Zauber-
formel gegen Tollwut Matz Dutz, Saga Maga Baga u. ä. (oben 25, 242.
251. 256. 259, mancherlei näher oder ferner Verwandtes im Aufruf des
Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde zur Sammlung von Zauber-
sprüchen). Ganz unmittelbar klingt an heutige Abzählreime an die
Schutzbriefformel leck-speck-dreck in Lindeners Katzipori Nr. 24 (Bibl. des-
litt. Ver. in Stuttgart 10)3), bei der man freilich den Verdacht scherz-
hafter Fälschung nicht unterdrücken kann. So sind auch die Wort-
zwillinge hokus-pokus mit ihren mannigfaltigen Nebenformen (s. Kluges
Etymol. Wörterbuch und Weigand-Hirts Deutsches Wörterbuch, sowie
Schulz" Fremdwörterbuch) — mögen sie nun aus 'hoc est corpus' umgebildet
sein oder nicht ^ — sicherlich in derselben Münze geprägt. Mit diesem
1) Wenn es der Fall ist, so hat sich in der Sprache der Erwachsenen dasselbe zu-
getragen, was wir oben S. 207 nnt den lüldungen ck/rbcige und ossendossen in der Sprache
des Kindes beobachten konnten. R. M. Meyer. Künstliche Sprachen, Indogermanische
Forschungen \-l, -257 erkennt bereits den Reim als Ziel des Lautwandels, ohne an die
Kindersprache zu denken: „Man steuert von einem bestimmten Wort weg — aber meist
zugleich einem bestimmten Klang zu . . . 'Hocus pocus' ist wirksamer als 'hoc est
corpus', schon weil es reimt." Es wäre der Mühe wert, solcher Entwicklung im Munde
der Erwachsenen weiter nachzuspüren. Ein wertvolles Beispiel gibt das Wort Hille-
214 Schläger:
Zaubergebrauch scheint es auch zusammeuzuhäugen, dass Wortpaare wie
Hipel-Pipel, Stizl-Wizl, Stutza-Alutza, Schurle-AJurle^) gern als Namen von
Buschmännchen wilden Weiblein, Saligen Fräulein auftreten, s. z. B. Mann-
hardt, Wald- und Feldkulte 1. Berlin 1904, S. 90ff.; dass viele dieser Namen
auch als Katzennamen vorkommen, schliesst beiderseitig gut an.
Ähnlichkeit und Zusammenhang liegen auf der Hand. Aber wie sind
sie zu erklären? C. Giemen, Der Ursprung einiger Kinderspiele, Zeitschr.
lies Vereins für rhein. u. westf. Yolksk. ];», 161 ff. legt auf diese Überein-
stimmung zwischen Zaubersprucli und Abzählreim grosses Gewicht^) und
ist offenbar geneigt, das kindliche Auslosen grundsätzlich als einen Nach-
klang alter, religiöser Orakelbräuche anzusehen (S. 165). Damit lässt es
sich jedoch nicht ohne weiteres zusammenbringen, wenn an anderer
bille (oben 5, 105. 329), wenn die Ilerleitung aus Hellebille das Riclitige trifft. 'An-
reimung des ersten Bestandteils an den zweiten' nennt Hoops den lautlichen Vorgang
und greift damit, wie es scheint, über die landläufige Geltung des Namens 'Assimilation'
bereits hinaus. Nach meiner Auffassung setzt sich ein im Sprachgelühl ffstverankerter
Typus durch, wohl weniger bewusst, als Meyer es anzunehmen scheint, dieser Typus aber
hat seine Heimat nicht sowohl in der Sprache der Erwachsenen als in der des Kindes.
1) Anderer, aber gleichfalls kindliciier Prägung ist der Name Friemel Friemel
Frmnpenstiel für den Wassermann in Schlesien, s. Älitt. der Schles. (ies. f. Volksk.
Heft ]8, 75.
2) (Jlemen beruft sich u. a. auf die — gewiss bemerkenswerte — Ähnlichkeit einer
altbabylonischen Zauberformel. Solcher Übereinstimmungen werden sicheilich noch viele
aufzufinden sein; sie sind meiner Auffassung eher günstig, denn wenn sich bei den ver-
schiedensten Völkern bodenständig dasselbe wiederholt, so darf man schliessen, dass es
sich um ein Zurückgreifen auf den überall vorhandenen Untergrund aller Sprachbildung
handelt — also auf die Kindersprache. R. M. Meyer a. a. 0. S 25ßf. steuert liierzu
manches bei; auch was er ebenda S.251f. über die in der Verzückung ansgestossenen
Sätze und 'Gedichte' des Spiritisten Albert le Baron mitteilt, ist lehrreich. Aber noch
viel deutlicher gleiten so bewusste Bildungen wie die Sätze, in denen Immermann die
•innere Sprache' der Seherin von Prevorst verspottet (Münchhausen 4. Buch 4. Kap.:
Schnuckli buckli koramsi quitsch, dendrosto perialta bump, firdeisinu mimfeistragon
und hauk lauk schnapropäp? — Fressaunidum schlinglausibeest, pimple, timple,
simple, feriauke, meriaukemau; dazu auch Meyers Bemerkung S. 249\ neben An-
leihen bei Fremdsprachen und landschaftlichen Schimpfwörtern zu den Formgesetzen der
Kindersprache herab. — Übrigens verfährt (lernen nicht durchweg mit der grade hier so
überaus notwendigen Behutsamkeit. Wenn er S. 1<;4 sagt, in einzelnen Fällen sei die
Entwicklung von Beschwörungsrormeln zu Abzählreimen nachgewiesen, und sich dabei
auf E. Rolland, Rimes et .leux de l'Enfance, Paris 1883, S. 242 Anm. 1 zu Nr. 4 beruft,
so zeigt ein Blick in das angelührte Buch, dass von solcher Sicherheit keine Rede sein
kann." Rolland spricht es nur als seine Meinung aus, dass viele Kinderformeln alte Be-
schwörungen sind; die Sätze, an die er seine Bemerkung knüpft, haben nichts im beson-
deren Sinne Kindliches und vor allem nicht den mindesten Zusammenhang mit jenem
Kauderwelsch, von dem l'lemen ausgeht. Ich bin völlig überzeugt, dass ein Abzählreim auf
einen Zauberspruch zurückgehen kann: wie das Kinderlied überhaupt, so bilden die Abzähl-
reime ein weites Sammelbecken, in das sich alle möglichen Quellbäche ergossen haben
und heute noch ergicsseu; aber wir müssen auch hier ausreichende Bürgschaft verlangen,
ehe wir einen solchen gradlinigen Zusammenhang als gesichert hinnehmen und noch
Schlüsse von weittragender grundsätzlicher Bedeutung daran knüpfen. Übrigens aber steht
es um die Zaubersprüche nicht viel anders, auch sie werden von mancherlei Quellläden
volkstümlicher f'berlieferung gespeist.
Einige Grundfragen der Kinderspielforschung. 215
Stelle (S. 163 f.) die Anhäufimg sinnloser Ausdrücke als die Hauptsache
erscheint, hinter der ursprünglich der Versuch stecken soll, den Namen
eines göttlichen oder dämonischen Wesens durch ein Ausproben aller
möglichen Namensformen herauszubekommen: man denkt dabei sofort an das
Märchen vom Rumpelstilzchen (Bolte-Polivka, 1, 490) und der oben genannte
Gebrauch mancher Abzählwörter alsNamen vonWaldweiblein und dergleichen
scheint dazu aufs beste zu stimmen. Indes kommen wir damit nicht aus,
denn gerade die eigentümliche Bildungsweise solcher Namensformen findet
so keine Erklärung. Für diese wird man denn doch wieder auf den kind-
lichen Sprachschatz angewiesen sein. Dann aber entfällt die Notwendig-
keit, eins aus dem anderen entstehen zu lassen, vielmehr ist es einfacher
und darum w^ohl auch richtiger, gemeinsames Schöpfen aus demselben
Yorrat anzunehmen. Es handelt sich eben in allen Fällen um Kauder-
welsch, und da bietet sich das der kindlichen Spielwörter ganz von selbst
dar, während die Erfindungskraft des Erwachsenen grade durch Sprach-
keuntnis und entwickeltes Sprachgefühl eingeengt ist. Was eigent-
lich keinen Namen hat oder wenigstens keinen aussprechbaren, das wird
auf solche Weise mit Spielnamen bezeichnet. Bei Lindener scheint nur
diese Herkunft ganz deutlich zu sein: neben den angeführten Drillings-
wörtern stehen noch reuse leuse mause, nisse schisse frisse — wem fällt dabei
nicht Mozarts Spiel mit Schlagreimen ein? Und derselbe Lindener (Rast-
büchlein Nr. 1, dieselbe Ausgabe) liefert auch ein sehr bezeichnendes
Beispiel der Übertragung solcher Namen auf Unnennbares ('das kinder-
machen hatt aber noch wunderbarliche seltzamme namen, dann es wunder
thut und macht, als: stropurtzlen . . . raudi maudi [dies in anderer Ver-
wendung auch S. Gl. 80. 182), schiri-miri . . . 'pirimiri . . .'), wozu ich aus
einem saftigen österreichischen Soldatenkehrreim das Wort Tschuri-
niuri= Vulva beisteuern kann. Das Jiat mit Zauberei gewiss nichts zu
tun. Kurz, alles scheint darauf hinzuführen, dass die Kindersprache hier
den StoflF, mindestens das Fornigesetz zu vielseitigem Gebrauche ge-
liefert hat^).
1 Es kann mir natürlich nicht einfallen, eine so verwickelte Frage kurzerhand und
nach einer Formel abzutun. So ist es gewiss erwägenswert, ob man so häulig begegnende
Verbindungen wie hax jja.r ma.i; bei Gryphius Ilaccus Maccits Bacciis u. ä. (zu ho/i-ii.s
pok-iis) niclit an die mittelalterlichen Anhäufungen des Namen Gottes anknüpfen soll,
unter denen gelegontlicli auch J'a.r erscheint :vgl. Bolte oben 13, 144 ff.; Klapper, Mitt.
d. Schles. Ges. f. Yolksk. Heft 18, 28,. Dann bleibt jedoch die Reimabwandlung noch
immer zu erklären. — Auf vereinzpltes Auftreten von ho/.us pokns, 1,-uyle mitrh 2)i(tt'ü- dgl.
ist weiter kein Gewicht zu legen.
Frei bürg i. Br.
(Fortsetzung folgt.)
216 Schoof:
Volksetymologie und Sagenbildung.
Von Wilhelm Schoof.
In seinem Buch über die deutsche Yolkssage^) behauptet Otto Böcke 1,
dass in den Flurnamen der Gewanne viel Erinnerung- an Taten der Vorzeit
stecke, JS^amen, die bis jetzt noch wenig beachtet wurden, obwohl in ihnen
mehr Geschichte fortlebe, als die Chronisten früherer Jahrhunderte auf-
zuzeichnen der Mühe wert erachteten; er meint, dass manche Sage erst
durch die Flurnamen der Feldmarken richtig verständlich werde und dass
eine umfassende genaue Sammlung deutscher Flurnamen auch der Sageu-
forschung erspriessliche Dienste leisten würde, in der Tat nehmen in
der Umdeutung von Eigennamen die Flurnamen (Wald-, Berg- und Ge-
markungsnamen) die erste Stelle ein; nirgends ist die mythenbildende
Volksetymologie' so emsig an der Arbeit wie hier, auf keinem andern
Gebiet hat die Deutung von Namen zu solchen Missverständnissen geführt
wie hier. Das erklärt sich zum Teil daraus, dass die älteren urkundlichen
Formen viel seltener zu ermitteln sind als bei den Ortsnamen, weil die
Anlegung von Saalbüchern und Katastern mit Aufführung der einzelnen
Grundstücke erst aus verhältnismässig viel jüngerer Zeit stammt als die
urkundliche Aufzeichnung von Ortsnamen, zum Teil auch daraus, dass die
Kartographen die Flurnamen vielfach willkürlich nicht in der vom Volke
überlieferten Form, sondern in vermeintlichem Hochdeutsch aufgezeichnet
haben. Besonders in Fällen, wo die Eintragung durch ortsfremde, der
Mundart unkundige Beamte geschah, sind hier zahlreiche Verdrehungen
und Entstellungen von Namensformen vorgekommen. Deshalb ist für
den Flurnamenforscher genaueste Kenntnis der Mundart eine unerlässliche
Bedingung, um einen in seiner jetzigen Form nicht mehr zu erklärenden
Namen kritisch prüfen zu können.
In sehr vielen Fällen ist aber den Landleuten selbst die Bedeutung
alter Flurnamen längst verloren gegangen, ehe es Katasterbücher gab.
Denn mit der veränderten Bewirtschaftung des Bodens (Aufteilung der
gemeinen Marken, Einschränkung der Weidewirtschaft, Rodungen von
Wald- und Weideflächen, Aufforstungen, Ansiedlungen) und mit der Ver-
änderung von Bodenverhältnissen (Verkoppelung, Besitzwechsel usw.)
wurden die uralten Namen, die zum grössten Teil noch in eine Zeit hin-
aufreichen, als die ersten Ansiedler den heimischen Boden in Bewirt-
schaftung oder Besitz nahmen, den nachfolgenden Geschlechtern immer
mehr unverständlich und entsprechend den veränderten neuen A'erhältnissen
1) In der Teubnerschen Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" Bd. 262. 2. Aull.,
Leipzig 1914, S. 4.
Volksetymologie und Sagenbildung. 217
entstellt un<i umgetauft. So wurzeln viele Nanienentstellungen weniger in
falschen Eintragungen der Katasterbeamten, als vielmehr in der Neigung
des Volkes. Namen, die keinen Sinn mehr ergeben, durch Umdeutung
oder Anlehnung an ihm bekannte Wörter sich mundgerecht zu machen.
Diese Neigung des Volkes zur Erklärung von Wörtern, deren ursprüngliche
Bedeutung dem Volksbewusstsein verloren gegangen ist, nennen wir
schlechtliin Volksetymologie. Den ürund aller volkstümlichen Er-
klärungen sieht Andreseni) ji^ ^[^,„^ Sprachbewusstsein, welches sich da-
gegen sträubt, dass der Name leerer Schall sei, vielmehr eiuem jeden
seine besondere Bedeutung und eine zweifellose Verständlichkeit zu geben
benniht ist. In sorgloser Hingabe an den (ileichklang genügt es, etwas
zu haben, worauf man sich stützen kann, etwas zu denken, das zu passen
scheint, mag es. bei Lichte betrachtet, noch so unsicher nnd unwahr-
scheinlich oder unzweifelhaft verkehrt, ja völlig sinnlos sein. An diese
unverstandenen, vom Volke umgedeuteten Namen knüpft die Namensage
an, die der schöpferischen (iestaltungskunst, der inneren lebendigen Volks-
phantasie entspringt und nach Regell*} nichts anderes ist als ein
poetischer Versuch, den abgestorbenen Namen sinnvoll wieder zu beleben,
oder nach Miedel^) meist ein kindlicher Versuch einer Erklärung. Da
mit der allmählichen und wiederholten Kntstellung der Namen den Be-
wohnern deren Verständnis völlig verloren gegangen ist, suchen sie die
Deutung auf allerlei Vorfälle zu gründen, die im Volksmund umgehen,
deren Irrigkeit und Ungereimtheit aber vielfach leicht aufzudecken ist.
Regell bemerkt hierzu: „Nur scdten ist die Dichtung rein aus dem Namen
herausgespounen, meist sind geschichtliche Erinnerungen, die um die
Örtlichkeit schwebten, als Einschlag benutzt. ( )ft gehören diese demselben
Vorstellungskreise an. aus dem der Name hervorgegangen ist, oft aber
auch sind sie einem ganz fremden Gedankengang entlehnt, auf den nur
der lautliche Gleichklang führte''.
Die so entstandenen Sagen und Namendentungen werden von dem
Volk als etwas Selbstverständliches hingenommen, es beruhigt sich ohne
weiteres mit der überlieferten Auslegung, selbst wenn sie noch so wunder-
lich und auffällig klingt, weil es nie die Frage über deren Ursprung zum
Gegenstand seines Nachdenkens genuicht liat. Für die Namenforschung
dagegen muss als eine wichtige Grundregel gelten, dass Flurnamen nie
nach zufälligen Einrichtungen oder Ereignissen, sondern nach markanten,
dauernden Merkmalen bezeichnet werden, und dass erst später, nachdem
ihre Verständlichkeit abhanden gekommen ist. zufällige, äussere Kenn-
zeichen eingedeutet worden sind.
J) Deutsche Volksetymologie, 6. Aull., Leipzig l!^99, S. 2.
2) Etymol')Kisclie Sagen aus liem Kiesengebirge Germanische Abhandl. Bd. 12.
Breslau 18^6) S. loi.
:i) Ztscb. f. Deutsche Mundarten 1912 S. 371.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 3. 15
218 Sclioof:
Wenn wir von dieser Tatsache ausgehen, so ergibt sich bei kritischer
Prüfung unserer Flurnamen durch Zusanimenstelhmg und Vergleichung
älterer, insbesondere volkstümlicher Wortformen vielfach in überraschender
Weise die ursprüngliche Bedeutung der in ihrer jetzigen Form nicht mehr
ganz verständlichen Namen, und der Sagenforschung bietet sich hier ein
weites, bisher noch wenig beachtetes Feld,
Besonders zahlreich wuchern solche Sagen in romantischen, überhaupt
in wald- und wasserreichen Gegenden empor. Hier werden falsch ver-
standene Namen von steilen Abhängen und Felsen, einsamen Wald-
schluchten, stillen Weihern und Quellen, erratischen Blöcken und uralten
Bäumen Gegenstand der schöpferischen Volksphantasie. Kriegslegenden,
mythologische und kirchliche Gestalten, geheimnisvolles Treiben von
Hexen und Dämonen (Teufelssagen) spielen eine grosse Rolle.
So entstanden durch volkstümliche Entstellung alter, unverständlich
gewordener Namen die Sagen von den Kinderteichen und Ammenborneu,
den Mordeichen und Teufelskammern, von den Taufsteinen, Höllentälern,
Donnerkauten, Hexentanzplätzen, von den Wichtelhäusern, versunkenen
Goldschätzen usw. Im Folgenden gebe ich eine Auswahl von Sagen, die
aus unverständlich gewordenen Flurnamen entstanden sind, soweit sie
sich auf Grund meiner Flurnamenstudien bis jetzt ergeben haben, und
zwar vorläufig nur von Natursagen, während ich mir die Behandlung von
Sagen mit geschichtlichem Hintergrund und von christlich-religiösen Sagen
vorbehalte.
Im Anschluss an Böckeis oben erwähntes Buch unterscheide ich dabei
drei Hauptteile von Natursagen:
1. Erratische Blöcke, Felsen, Bäume in der Sage,
■2. Quellen, Bäche und Sümpfe in der Sage.
3. Berge und einsame Täler in der Sage.
1. Erratische Blöcke, Felsen, liäume usw.
Von jeher haben vereinzelt oder in Gruppen vorkommende erratische
Blöcke (sog. 'Findlinge') auf die Phantasie des Volkes einen tiefen Eindruck
gemacht. Da man sich das Wesen dieser Steine nicht erklären konnte,
wurde der freien Erfindung in Sage und Dichtung weiter Spielraum ge-
lassen. Die merkwürdigen Bildungen der Steine und Eindrücke auf der
Oberfläche Hessen die Sage entstehen. Den inneren Anlass dazu boten
vielfach auch die Benennungen solcher Steine.
Ein Findling befindet sich in der Rhüngegcnd liidcs am Wege von Bparhof nach
Heubach, wo die Strasse nach dem Heubachtalc hinabzieht. Er wird in der
Grenzbeschreibung der Vogtei des Klosters Fulda Steinenstamph (vgl. ahd. siamfi/i
Klotz, Block), d. h. Felsblock genannt und heisst heute im Volksmund Taufstein,
weil er stark mit Tauf (dauf, dof, dart = Moos) überzogen ist. Vgl. Haas in den
Fühl. Gesch. -Bl. 1912 S. 14 der darüber weiter bemerkt: ,.Die Legende, wonach
\'olksetymologie und Sai^oiilnldunj;. 219
der hl. Kiliaii heidnische Germanen getauft haben soll, kann somit erst in neuerer
Zeit entstanden sein. Mit einem wirklichen Taul'stein hat übrigens der Felsblock
nicht die entfernteste Ähnlichkeit. Die Namen der übrigen Taufsteine (in Thüringen,
im Vogelsberg usw.) sind ebenso wie der obige zu erklären. Dass sie neueren
Ursprungs sind, bezeugt wohl auch der Umstand, dass Landau (vgl. Gau Wettereiba
S. 171) trotz aller Bemühungen den Namen des Vogelsberger Taui'steins in keiner
alten Urkunde hat finden können." Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Taufstein
in der Ohm bei Cölbe (Kr. Marburg), für dessen vermeintliche Bedeutung sich
bisher keinerlei geschichtliche Belege haben finden lassen. Vgl. auch den Tauf-
stein bei Waldkappel in Hessen.
An die Taufsteine scb Hessen sich allerhand Sagen. So soll der Taufstein im
Vogelsberg ehedem ein heiliger Berg gewesen sein, eine Opferstätte für die Heiden,
bis Bonifatius dortselbst eine Kapelle gebaut und aus der Quelle die ersten
Christen im Vogelsberg getauft hätte. Seit dieser Zeit soll der Berg den Namen
Taufstein erhalten haben. Ein Felsen auf der Herrchenheimer Höhe, von welchem
herab Bonifatius den Heiden gepredigt haben soll, heisst noch heute die ßonifazius-
kanzel^;. In andern Gegenden, wo Bonifatius nicht als Schutzheiliger verehrt
wird, heissen solche Felsen oder Bergvorsprünge Kanzel, Teufelskanzel, Pfaffen-
stein, Predigerstein, Predigtstühl usw., z. B. in den Sudeten und Alpen, wie über-
haupt in felsigen Gegenden. Vgl. Regell a. a. O. S. löOlf.
Weitere Namen von Steinen und Felsen, deren Entstehung das Volk
sich durch mehrere Sagen zu erklären sucht, sind: Bilstein, Hirschstein,
Scharfenstein, Toufolstein. Venusstein, Totenstein, Riesenstein, Hünenstein
u. a. ra.
Bilstein oder Beilstein bezeichnet durchweg felsige Berge und findet sich
allein in Hessen 20 bis 30 Mal, z. B. im Höllental am Meissner, bei Witzenhausen
usw. Von den bisherigen Deutungen vermag die Grimms (DWb. 1, 137(5) nicht
mehr zu bestehen, der den Namen von mhd. hil "Ort, wo das Wild zum Stehen
gebracht und gefällt wird' ableitet. Auch die Erklärung Vilmars (Kurhess-
Idiot. S. 37), der in Bilstein ein verloren gegangenes starkes Verbum hdu, hui usw.
vermutet, das 'hervorspringen' bedeute, so dass dieser Bergname 'den hervor-
springenden, steil aufsteigenden Stein' bezeichnet hätte, ist nur dem Sinne nach
richtig. Wie Haas in den Fuldaer Gesch. -Blättern 1912 S. 86 hervorhebt, findet
sich Bil auch allein als Bezeichnung für felsige Berge, und er ist der Ansicht,
dass Bilstein ein tautologisches Kompositum ist, d. h. dass das Volk, als die ur-
sprüngliche Bedeutung von Hil unverständlich wurde, ein erklärendes Wort hinzu-
fügte, welches denselben Sinn ergab. Dieser Ansicht bin ich in meinem Aufsatz
Der Name Bielefeld' (Ravensberger Blätter 191G Nr. 5/6) entgegengetreten und
habe nachgewiesen, dass Bd nicht 'Fels' bedeutet und nicht gleichbedeutend ist
mit dem ahd. altsächs. Substantiv Bil 'Steinbeil', sondern auf einen alten Flur-
namen ahd. hiiinda, mhd. biuude 'Privatgrundstück' (im Gegensatz zur Allmende)
zurückzuführen ist, da Bil in Flurnamen wie Bielwiese, Bielefeld, Bilheide, Billen-
feld nicht den Sinn von 'Fels, Bergkegel' haben kann. Vgl. auch meine Abhand-
lung "Hessische Bergnamen, 1. Der Bilstein' (Hessenland 1917 Nr. 9/10).
Die Sage knüpft an den Bilstein, wie überhaupt an steil abfallende Felsen
gern den Sprung des kühnen Ritters, der, von seinen Feinden verfolgt, den toll-
kühnen Ritt in den Abgrund wagt,^) andrerseits sieht sie in dem Bilstein, der
1) Hessler, Sagenkranz aus Hessen-Nassau. Kassel 1913 S. 254.
2) Hessler a. a. 0. S. 94.
15*
•_>-_>0 i^chcof:
eifjentlich Bildstein geheissen haben soll, ein ungoheutM- grosses Götzenbild, lias
in alten Zeiten noch viel hoher gewesen sein solP). Auch als üpferstätte für
einen Götzen Rill ist der Hilstein gern vom Volk gedeutet worden. Da auch
aulTaliend hervorspringende Steine in der Ebene Bilstein genannt werden, hat man
die Bilsteine wohl auch für Gerichts- oder Malstätten gehalten, wahrscheinlich
irregeleitet durch den zurälligen Gleichklang mit einem älteren Wort bill 'Recht"
(vgl. recht und billig, Unbill). So wenig wie bei den Namen Bilstein an ehemalige
Jagdplätze zu denken ist, weil der Name auch da begegnet, wo der Wald seit
alter Zeit schon verschwunden ist, wie z. B. im Feld zwischen Lohre und Felsberg
oder zwischen Fritzlar und Zcnnern, ebensowenig können die Bilsteine wegen
ihrer Lage teilweise auf den höchsten Bergesspitzen zu Gerichtsstätten geeignet
gewesen sein. Bei der Herleitung des Namens Bilstein von dem alten Flurnamen
hiitnilu bleibt zu beachten, dass Gebirge und Höhen .sehen einen Gesamtnamen
führen, dass bei ihrer Benennung bloss der Boden der an ihnen liegenden Ge-
markungen in Betracht kommt und dass deren Bezeichnung ohne weiteres auch
für die Höhe als solche gilt. Es hat daher in alter Zeit eine Höhe in der Regel
mehrere Namen, welche nichts anderes sind als die Namen der einzelnen Parzellen,
die an ihr unterschieden werden. Hat ein Berg einen Gesamtnamen, so findet man
bei näherem Zusehen, dass derselbe ursprünglich einem einzelnen Teile, mitunter
sogar einem einzelnen Punkte angehört hat. Es fallen daher die Ber^namen
häufig zusammen mit den Feldnamen.
Diese grundlegende Regel i.st bi.sher bei der Deutung von Gebirgsnamen zu
wenig beachtet worden, und so erklären .sich ilie mannigfachen Deutungs-
schwierigkeiten wie auch die zahlreichen schiefen Deutungen ron Berünamon
mit Hilfe von Mythologie, keltischen Bestandteilen usw.. während in der Regel
die Erklärung viel näher und einfacher liegt.
Ähnlich wie mit Bilstein verhält es sich mit dem häuiig vorkommenden Bery-
namen Schar fenstein, Scharfenberg. Scharfeneck. Höchstwahrscheinlich
ist auch hier der Ausgangspunkt ein alter Flurname ahd. srmu/, schara^ mhd. xrluir.
Waldanteil. Weiderecht im Walde eines andern, vgl. Grimm, DWb. .S, 2175; Bück,
Obd. Flurnamenbuch S. 233; Preuss, Lipp. Flurnamen S. 128 und Schiller- f^übben,
Mittel niedere!. Wörterb. unter Schaar. Schoer: Weidegerechtigkeit, Weidegerecht-
same; Schmeller. Bayr. Wörtb. 2, 44.i: die xchar^ Verrichtung oder Arbeit, zu
welcher unter mehreren jeder der 'Reihe nach verbunden ist, S. 445 1047/4S; die
wut-sc/iur Anteil an einem Grundstück, S. 459: schorfeUl (Feld, das umgegraben,
nicht gepQügt wiid?): Vilmar. Idiotikon S. 341 : ^Sclnir. .SV'A(//7ff?(f/ heisst das Grabe-
land, wcdches in den verlassenen und jetzt abgetragenen Festungsgräben von
Ziegenhain und Giesscn angelegt worden war; auch der um die Wälle und. Wall-
gräben angelegte Weg hiess Sc.lidr (Schär), und der Wallgraben hiess Scli<ir(]ruhen.
Auch anderwärts finden sich Feldplätze, welche auf der Schar benannt werden."'
Nach Grimm. DWb. s. 2176 bezeichnete schare, schar im alten Markrecht einen
Teil des Markgules, der abgeerntet werden kann, Weideland, Grasland der Mark
im Gegensatz zu l/oden als bewachsenem Waldgrund. Vgl. hierzu Vilm;ir. Idiot.
S. 347: laiid scheren die Äcker, die man besät hat, auch abernten, und Creeelius.
Oberhess. Wörtb. 2, 7U): die -scher Schnitt, Ernte, Ertrag. In Ditmarsen bedeutet
scheren geradezu: das Vieh die Weide abfressen lassen. Vgl. auch Birlinger,
Wörtb. zum Volkstümliche«- aus Schwaben, der den in Schwaben öfter vor-
kommenden Flur- und Waldnamen der Schören als 'kahle, steinigte, vielleicht aus-
gereutete Höhe, die wie abgeschoren aussieht' erklären möchte.
1; Ebd. S. 255.
Volksetymologie und Sagonbildung. 2'2l
Der Ausgangspunkt der Bedeutungsentwicklung dieses Flurnamens, über den
ich mir näheres Eingehen vorbehalte, scheint demnach ahd. sccran mhd. sr/ii'n,
'abschneiden, abmühen' zu sein, das sich mit mhd. sr/iem 'teilen, abteilen, zuteilen,
der Reihe nach eine Verrichtung übernehmen' veimengt hat.
Dieses Wort schdr muss sich in dem Flurnamen zu der Bedeutung verengt
haben, „ein Grundstück oder Weideland, welches der Reihe nach unter gegen-
seitiger Ablösung abgeerntet oder bestellt wird, dann auch der Anteil an einem
Grundstück auf eine bestimmte Frist". Wie in Hessen, Schwaben findet sich
,S'c//^//-. .SV-Aor, in mundartlicher Färbung auch Sc/ter, Sc/iier, Srheer, Scheuer,
Schauer, in einer grossen Zahl heute unverständlich gewordener Flurbenennungen,
z. B. in Nassau^): aufm Schon aufm Schorn, beim Schorn, Schorstein, Schornstein,
Schornberg, Schornholz, Schornslück, Schorn wies, Schorzwies, Schorle, aufm Schorp,
Schar, Schär, Scharbühl, Scharfeld, Si-harheck. Scharwald, Scharbel, Scharbenstück,
Scharrwald, Scharenberg, Scherb, Scherbeigraben, Scherbensiücker, Schcrersberg,
Scherersseifen, Schermerskopf, d. i. Schirmbergskopf, Schermeskraut. Schermeswies,
Sehern, Scherwies, Schernfurt, Schernholz, SchertTwies, Scherrholz, an. in der
Scheer, in Scheeren, Scheerbaum, Scheermark. Scheerstrut, Scheer stück, Scheers-
berg, Schier, ma. Scheer, Schierdrisch, Schiersgrube, Schiersheck. Schiessbach. Schiess-
berg, Schiessbusch. Schiesseck. Schiessgarten. Schiessgraben. Schiesskopf, in der Schurr,
vielleicht auch Scheuer, Schauer, Scheuerberg, Scheuerholz, Scheuernberg, Scheuern-
feld, Scheuerngarten usw., in Lippe"-;: Schaar, Schaar- und Scharrbrede, Schambrede,
(^Scharenbrcde , Schaumbusch, 1721 Schombusch, Schambusch (Schoren-, Scharen-
busch), Scherenkrug, Scheurenbusch, Schieie, 17-21 die Schicring, Schierenberg, 1721
Scherenberg, Scherenbrede, Schierenegge, die Schiereneken, die Schieren- und die
Schiedernbirken, der Schiersgrund. der Schoren, (Gehölz bei Detmold), 1384 der
Schoer. IC.jO Schorren; der Schere und die Scharen, 1721 die Scheuring, die
Scheuring, 1721 die Srhüring, Schiering, Schörung, Schorenkamp, Sehorbke, Schor-
beke, Sehurbusch, Schürenbusch. das Schürfeld, die Schürstelle usw. thüringisch 3)
bie dem schar an dem anspan 1450, heute Schierwiese, ma. Schiersweasen, Gem.
Emieben (Amt Gotha; und ebenda das Schar, ma. 's Schaer, Gemeinderied westlich
vom Dorf usw.
Dieser weilverbreitete Flurname wurde später unter veiänderlen Wirtschafts-
verhältnissen unverständlich und daher vielfach mit gleichlautenden Wörtern
vermengt, insbesondere mit ahd. scorro, scarm. mhd. scharre, sc/mr, Gen. <les
schorren, des schorn 'hervorragender, schroffer Fels, Felszacke', vgl. scerrcn, mhd.
scharren, scharren 'ragen, aufragen, emporragen' (von schroilen Felsen, hervor-
stehenden Knochen:, vgl. Schade, Altd. Wlb. 2. 802. Neben sco/m, scorrd finden
sich die ahd. Nebenformen acarra, sccrra 'Fels', vgl Bück aaO. S. 23.5: iuxta scarram
12'.iO. Scurra in Bergnamen wurde an den Bcgrifl' 'scharf volksetymologisch an-
gelehnt wegen der eigentümlichen, scharfzackigen Felsgebilde oder des scharf
abfallenden Geländes (vgl. ital. scarpo 'scharf abfallender Boden, Böschung', frz.
escarpe 'Böschung', excarper 'senkrecht abschneiden') mancher Berge. So konnte
wohl aus einem Scarren-berg oder Scarrenstein durch Volksetymologie ein
Scarfenberg oder Scarfenstein werden. Wahrscheinlich ging die Umdeutung
zu Scharfen°berg und Scharfenstein von solchen Flurnamen aus, die bereits mit
feld, bühel und ähnliehen Wörtern zusammengesetzt waren und durch den Zu-
satz berg, stein, eck verdeutlicht wurden. So konnte ein Flurname Scar-feld
1) Kehrein, Nassauisches Namenbuch S. 538. 540. 541. 547.
'2) Preuss, Lippischo Flurnamen S. 128. 130. 134. 1:>G.
3) Gerbing. Flurnamen des Herzogtums Gotha S. 68.
222 Schoof:
durch den Zusatz von berg zu Scarfeldberg, Scarfelberg bzw. Scarfenberg und
dann zu Scharfen berg umgestaltet werden oder Scar-bühel-stein zu Scar-bel-stein,
Scarbenstein zusammengezogen und dann zu Scarpenstein oder Scharfenstein um-
gedeutet werden.
Da von der Natur merkwürdig geformte Steingebilde den Naturmenschen in
der Einsamkeit bei eigenartiger Beleuchtung oder aus dem Dunkel der Nacht
aufragend wie Menschen erscheinen und eine heilige Scheu erwecken, zugleich
die Volksphantasie mächtig anregen, ergab sich leicht die Anregung zu allerhand
Sagen, wie in Hessen die vom Scharfenstein bei Gudensberg nahe der Frankfurter
Landstrasse, ein hoher kahler Basaltfelsen, in welchem sich eine schöne Jungfrau
mit allerhand kostbaren Schätzen befindet, die alle sieben Jahre das dunkle Felsen-
grab verlässt, um an das Tageslicht zu treten^}.
Ähnlicher Umdeutung verdanken ihr Entstehen die Namen Riesenstein und
Hünenstein. So hiess der hohe schmale Felsblock, der früher von dem hessischen
Dorfe Grossenritte bei Kassel aus der Erde aufragte und 1911 von dem Besitzer
des Grundstücks eingegraben wurde, eigentlich der Riesstein. Nach Bück a.a.O.
S. 217 gehen hier mehrere Wörter ineinander über. vgl. nihd. rise. rhe 'steiler
Abhang, Rinne an einem Berge', oberschwäb. steinrussc. steinrüsse, steinrise an
Stellen, wo lose Steine vom Berge rutschen, ferner bayr. die Reisen und die
Risen (Schmeller 2, 147), Schweiz das Ries, die Riesi (Stalder 2, 276). Vgl.
auch die nass. Gemarkungsnamen Reisberg, Reisbruch, Reiswies, ma. Rösswies.
Resswies, Riss- oder Riesbach, Rissbirnbaum. Risselstein usw. Aus einem solchen
Riesstein, der 'losgerissener, abgerutschter, einzeln für sich stehender Fels-
block' bedeutet, hat das Volk einen Riesenstein gemacht und daran Sagen von
den Riesen, Vertretern eines Germanenstammes von übermenschlicher Grösse und
unbändiger Kraft, geknüpft, welche Steine von mächtiger Grösse auf weite
Entfernungen schleuderten 2). So erzählen die Bauern von dem Riesen-
stein bei Grossenritte, ein Riese habe ihn vom Hirschstein bei Elgershausen
losgerissen, um damit den Kirchturm von Altenbauna zu zerschmettern, aber
der Stein sei ihm zu früh aus der Hand gerutscht und bei Grossenritte ins
Ackerland gefallen^). Diese Riesensagen wurden später vom A^olk in Teufels-
sagen umgewandelt, und so erklären sich wohl die zahlreichen Teufelssteine,
von welchen sicherlich eine ganze Reihe nichts anderes als Tuit- oder Tauf-
steine d. h. mit Moos überwachsene Steine sein dürften.
Auch die Hünensteine erklären sich ähnlich wie die Riesensteine durch
Umdeutung aus Hünstein von ahd. huu 'hoch' und Vermengung mit lautähnlichen
Wörtern, die dem Volksbewusstsein entschwunden waren und daher mit den
Hünen (Riesen) in Verbindung gebracht wurden. Vgl. dazu Hoops, Hünen und
Hunnen. Germanist. Abhandl., Hermann Paul dargebracht, 1902 S. 178; Paul
u. Braunes Beitr. 30,32«; Helm, Hess. Bl. f. Volksk. 2, Soff, und meine Aus-
führungen über den Namen Hunsrück im Hessenland 1912 S. 347 ff. ; Hess. Bl. f.
Volksk. 1912 S. 225ff. ; Zeitschrift des Vereins f. rhein.-westfäl. Volksk. 1914
S. 93ff. ; Zeitschr. d. Vereins f. Volksk. 24, 374ff. Die Hünsteine können auch,
soweit sie nicht identisch sind mit Hünenburg, Hünenkopf (jetzt meist entstellt
zu Hühnerkopf) u. ä., ursprünglich sog. Hundssteine (vgl. Hundsgraben) d. h.
Steine, die zur Verschanzung einer Hundsburg oder Hünenburg dienten, oder
Grenzsteine zur Einfriedigung eines Hundsrückgebietes gewesen sein. Die
1) Hessler a. a. 0. S. 12.
2) Böckel a.a.O. S. 29 ff.
3) Hessler a a. 0. S. 35.
Volksetymologie und Sagenbildung. 223
Hünensagen ähneln daher auffallend den Riesensagen, da man auch in ihnen die
Verkörperung von etwas Übermächtigem, Gewaltigem sah, wie die Vermengung
der Hünen mit den Hunnen beweist. Die Sage von den Hünen auf der Hünen-
burg über dem Dorfe Hohenrode im Schaumburgischen ^) gleicht bis auf die
Namen der oben erwähnten Sage von dem Riesenstein bei Grossenritte.
An die Hirschsteine, auch Hirz- oder Herzsteine genannt, knüpft sich gern
die Sage von einer in eine Hirschkuh verwandelten Prinzessin, wie z. B. an den
in schroffen Felswänden abfallenden Hirzstein^) im Habichtswald mit Spuren
ehemaliger Befestigungsanlage Da ahd. hiru-, mhd. hir:. ma. ///r.s-, hirz, herz,
hersch dem hochd. 'Hirsch' entspricht, ergab sich die ümdeutung von Hirs- oder
Hirzstein in Hirschstein und im Anschluss daran die sagenhafte Ausschmückung.
In Hirzstein dürfen wir das uralte Wort hart (vgl. Graff. Ahd. Sprachschatz 4,
1026. 5, 7.yi) Trift, Bergwald, Bergweide, Waldweide, ein spezilisch fränkisches
Wort, wittern, welches immer eine Gemeinweide für ein Dorf, in der Regel für
eine mehrere Dörfer umfassende Hirlengenossenschaft bezeichnet.
Als mit der Aufteilung und Aufforstung der Gemeinweiden die Erinnerung
an die ehemaligen Weideverhältnisse bis auf die letzten Spuren verschwand,
suchte man für die alte Bezeichnung, die als letzter unverstandener Zeu2e einer
andern Zeit noch übrig geblieben war, nach andern Erklärungen, um den dürftigen
Inhalt, den der Wortsinn ergab, durch willkürliche Umdeutungen zu bereichern.
So wurde das alte hart, umgelautet hcrt, in härts, harz, herz umgedeutet, z. B. das
Härtsfeld, welches 1314 noch das Hertvelt heisst (Bück a. a. 0. S. 102). Ebenso
erklärt sich die Plurbezeichnung Hersfeldergrund bei Xentershausen (Bz. Kassel),
die Anlass zu einer geschichtlichen Sage aus dem Siebenjährigen Krieg geliefert
hat, wobei die Bewohner der Stadt Hersfeld beteiligt gewesen sein sollen^). Von
her: schritt die Ümdeutung infolge vermeintlicher Diaicktübertragung weiter zu
hirz, hirsch, nicht selten auch, unter dunkler Erinnerung an die ehemaligen Wirt-
schaftsverhältnisse, zu hirt, hirte, zuweilen unter Vermengung mit liirz. So er-
klären sich viele Hirtsbrunnen, Hirtengassen, Uirtwege und Uertwege, die wohl auch
zu Heerwegen wurden. Der modern klingende Name Heerstrasse ist oft eine uralte
Weidenstrasse (Triebweg zur Weide für das Vieh), ähnlich wie Rennweg, Renn-
stieg, Weinstrasse usw. Ein moderner Hirtenberg in der thüringischen P'lur
Elgersburg, Amtsgerichtsbezirk Liebenstein, heisst im Volksmund noch Hartebargk*),
aus einer hessischen Elurbezeichnung Hirzessprung in der Gemarkung Felsberg,
wie sie sich im alten Kataster findet, wurde bei der Verkoppelung in den 80er
Jahren Hirtensprung usw.').
Ganz ähnlich verhält es sich mit Namen wie Totenstein''), Totemannstein *^),
Räuberstein'), Goltstein, Hessenstein, Opferstein, Fürstenstein, Drachenstein,
Venusstein^), Höllenstein u.a.m., welche in den seltensten Fällen mit den Vor-
1) Uessler a. a. 0. S. 199, vgl ebd. die Sage von den Hünen vom Deisler- und Bückeb. rg.
'1) Hessler a.a.O. S. 44 ff.
3) Der Name der Stadt Hersfeld ist dagegen aus Hairulfesfclt zu deuten.
4) Gerbing, Die Flurnameu des Herzogtums Gotha, Jena 1910, S. llU.
5) Nach einer Mitteilung des Herrn Prof. Fenge in Putsdani.
6) Z. B. am östl. Eingang zum Meissner bei Abterode, ein aufragender Fels mit der
Gestalteines Bären, vgl. meine Ausführungen in Ztsch. f.d. deutschen Unterricht 2(>, 904 ff.
7) Vgl. Gerbing a. a. 0. S. 49:!.
8~ Ein zerklüfteter Felsblock auf dem grossen Feldberg im Taunus, heute Bnm-
hildenstein oder Teufelskanzel genannt. Vgl. dazu meine Ausführungen über Venusberg
oben 24, 394.
2'24
Schoof:
Stellungen, welche unser naives Sprachempfinden damit verbindet, etwas zu tun
haben, vielmehr, als ihr ursprünglicher Sinn verloren ging, vom Volk umgestaltet
und mit sagenhaften Ausschmückungen versehen worden sind.
Neben merkwürdigen Stein- und Felsgebildeu regten altehrwnrdige,
kronenreiche Bäume die Phantasie der Naturmenschen an. Insbesondere
gelten Linden, Eichen, Buchen, Birnbäume als geweihte Bäume. Hohe,
mächtige Linden wurden als Andachtsstätten aufgesucht, alte, knorrige
Eichen waren dem Gotte Donar geweiht.
Bekannt ist die Sage von der Donarciche bei Geismar, die vermutlich ur-
sprünglich nichts mit dem Namen des Gottes Donar zu tun hat, sondern ebenso
wie die Donnerberge, Donnerhauks, Donnerhaine, Donnerwiesen, Donners-
wäldchen usw. andern Ursprungs ist. Nach Bück aaO. S. 48 nannte man Donner-
eichen auch die Grenzzeichen Vgl. ebd. Donnerlöcher (14. Jh.), Donnergrub (15. Jh.).
Es ist wahrscheinlich, dass in Donarciche, Donnereiche eine Zusammenziehung
eines Kompositums enthalten ist. etwa Dorn- oder Durnberg. Dörnberg, älter
Dorinberg. Hieraus wurde, ähnlich wie Weibergrund aus Weinber<:grund, dutch
Assimilation Donnberg, ma. Donnerich, Donnerch, Donner. Vgl. dazu Flurnamen wie
Silber, Silbertal aus Silberg, Silberich, Silbergtal u ä. Es würde also Donnereiche
aus Dornbergeiche zu deuten sein zu einer unbekannten Wurzel (hm,, duni, die
wir in zahlreichen Flurnamen*) am, beim Dorn, die Dorn, Dorn (PI.), Dornacker, Dorn-
bach. Dornborg. Doniburg, Dornbusch, Dorndriesch, Derneich. Dornfeldchen, Dorn-
graben, Dornhahn, Dornheck. Dornstrut, Dornwies, Dornstück, Dörnberg, Dörnhof,
Dörntal, Dörnebusch, Dörnehohl, Dörnernbusch, Dornsbach. Dornswies, Dörnigwies,
Dörnchen, Dörnchcswies u. a. m., wahrscheinlich auch in den hessischen Ortsnamen
Dörnberg bei Kassel ( 1074 Thurinkiberge), Dörnhagen (l'2ö.j Durhain, 14 14 zum Dorren-
hagen, 1425 Dornhain), Dornhain, Wüstung bei Eschwege (14!i2 Dornhain), Dörnholz-
hausen bei Frankenberg, Döinibach, Dernbach u. ä. wiederfinden. Vgl. lerner
vorm Dornberge (1521), ma. Därebärgk, andrerseits am Dörrenberg (15«4), ma.
om Därebärgk in der Gemarkung Hartershausen, Grafschaft Schlitz, und Haas in
den Puld. Gesch.-Bl. 1911, 178. welcher Dörnberg aus Degerenberg zu got. digrs,
ahd. tef/ar, mhd. <h'!H'>\ 'dick, stark' erklärt, ohne dass diese Annahme hinreichend
begründet ist, wie aus den oben angeführten zahlreichen Belegen hervorgeht.
Auch im Niederdeutschen scheint die Wurzel dum, dorn, dorn bekannt gewesen
zusein, vgl. die lippischen Ortsnamen^) Dörenschlucht, Dörenkrug, Dörenberg, Doer-
land, Döringsfeld, Dörcn(PI.), bezw. Hellendören, Spissendören, Leffondören, vielfach
dornige Flächen'. Die nicht mehr bestehende Donnermühle bei Blomberg soll
ähren Namen davon haben, dass sie nur nach Gewittenegen hinreichendes Wasser
:gehabt habe (I).
Gewisse alte Bäume galten bei den Germanen als Yerkünder der
Zukunft. So ist die Sage vom dürren Baum bekannt, der mit dem
nahenden Sieg und Frieden wieder zu blühen beginnt=^). Ein propheti.scher
Birnbaum befand sich nahe am Unters berg bei Salzburga), bei Süder-
heistede (Ditmarscheti) eine Linde, der Wunderbaum genannt, der ver-
welkte, als Ditmarschen seine Freiheit verlor^^). Sie gelten wie di
1 Kehrein, Nassauisches Namenbuch S. oTl.
2) Prcuss, Die lippischon Flurnamen S. 40 f f .
3) Böckel a. a. 0. S. 85.
le
Volksetymologie und Sagenbildung. 225
Hiingerbruniieii, Hungerbäume. Hunfrerbuchen und Hunger-
eichen, die sich oft in der N.ähe oder über den Hungerbrunnen befinden,
als Yerkünder von Teuerung und Hungersnot bei den Dorfbewohnern.
In den 'Beiträgen zur volkstümlichen Namenkunde' 1. Hungerbrunnen,
Honigbaum und Verwandtes (oben 24, 27;; ff.) habe ich die Entstehung dieser
Sage auf ein unverständlich gewordenes uraltes Maskulinum got. undaurns, ahd.
n,üan>, mhd. uvicrn 'der Mittag, die Mittagszeit' zurückgeführt. Vgl. Graff,
Ahd. Sprachschatz 1, SS'.; Schade, Altd. Wtb. 2, U>öl; Vilraar, Idiot. S. 42ö;
Crecelius, Oberhess. Wtb. S. «41/42; Pfister, Xachtr. zu Vilmars Idiot. S. 307/08;
Kehrein. Volkssprache in Nassau 1, 417; Schoof. Hess. Bl. für Volksk. 1912
S. 112; Schraeller, Bayer. Wtb. 1, 116. Hierzu gM es ein Verbum imtarot, (vom
Rindvieh auf der Weide) sich in den Mittagsstunden niederlegen und Rast
machen; der vuier oder mnur, ouner bezeichnet nicht nur die Zeit, sondern
auch den Platz, wo der Hirte mit seinem Vi> h um Mittagszeit ausruht. Da nun
in der Mundart nt vielfach zu ng wird, wurde aus einem Unter(n;bcrg im Volks-
mund ein Unger(n)berg und aus einem Unter:n)baum, d. h. einem alten, kronen-
reichen Baum, in dessen Schatten die Viehherde Mittagsrast hielt, ein Unger(n)baum
und hieraus später bei veränderten Bodenverhältnissen durch Volksetymologie
Hungerberg, Hungerbaum. Da die Ruheplätze sich meist in der Nähe einer Quelle
oder°eines''Baches befanden, so wurde ein önterborn oder Unterbach, d. h. ein
Bach oder Born, der sich auf der ünger befand, später, als man den Namen nicht
mehr verstand, zu einem Hungt>rborn oder Hungerbach umgedeutet So erklären
sich zahlreiche, heute unverständlich gewordene Flurnamen, z. B. in Thüringen
Hungerborn'), Hungerhaugk'), Unterberg, 15S9 Ungerberg, ma. Öngerbägk usw ,
in Nassau 0 Hungerbach, Hungerberg, Hungerborn, Hungerbrunnen, Hungerfeld,
Hungergewann, Hungerscheid usw., in Hessen Hungerberg bei Caldern, Wabern,
Niederaula, Rossbach (Kr. Hünfeld), Hungerbach bei Sielen, Hungergraben bei
Halsdorf, Hundergraben bei Rossdorf, Hungertal bei Münchhausen und bei Toden-
hausen (Kr. Marburg), Hungerbreide (1551) bei Vockerhagen), in Oberdeutsch-
land') Hungerberg (14. Jh.), Hungerich (14. Jh.), Hungerbom (144G). Hungerbach
(1Ö7(;), Hungerbühl (l.;ii!)), Hungerstall (1344) usw. Vgl. auch die Hungerburg
über Innsbruck. Nach Bück a. a. 0. S. 11!) stammt das Wort Hunger in 'vielen Flur-
namen' von einer alten Gepllogenheit der Hirten, das Vieh zu gewissen Zeiten
in einen eingezäunten Ort zusammenzutreiben, den man Hungerplatz hiess, an-
geblich so, weil das Vieh hier nichts zu fressen bekam. 'So müssen die
vielen Hungerbühle, Hungerbäume verstanden werden, und so verstehen es die
Hirten in Oberschwaben jetzt noch'. Er bemerkt, dass die Hungerberge häufig
bei den alten Weidegründen liegen. So kommt Bück um eines Haares Breite der
Lösung des Rätsels nahe, wenn er auch bis zu dem eigentlichen Kernpunkt der
Frage nicht vorgedrungen ist.
So ist auch der Name des sagenumwobenen Untersbergs bei Salzburg von
altd. untarn herzuleiten, der im IG. Jh. neben Underberg auch als Wunderberg
vorkommt, ein Beweis, wie früh der Name des Berges und seine einstige Be-
deutung als Weideplatz dem Volksbewusstsein entschwunden ist. Wenn Much in der
Zeitschrift für deutsches Altertum 47, 71 die alte Form Ünternsberg, welche deutlich
1) Gerbing a. a. 0. S. 553. 549. 570. Die BehauptuDg Schadcs a a. 0. S. 1051, dass dies
Wort in Thüringeu und im eigentlichen Hessen unbekannt, tritit demnach nicht zu.
2) Kehrein a. a. O. S. 4G4.
3) Heilig, Flurbenennungen aus Baden. Ztsch f. dtsch. Mundarten 1906, 1907, 1908.
•2-)(') Schoof:
auf nutaröii, uniern hinweist, als mons inferni deutet, so muss dem widersrochen werden.
Denn eine derartige Auslegung kommt über die voiksmässige Auffassung nicht
hinaus, welche unter Einwirkung des lautlichen Gicichklangs (unter) und der in
den Berg führenden unterirdischen Gänge und Höhlen einen Totenberg daraus
macht. Vgl. dazu Buckel a.a.O. S. 67; Grimm, DMyth. S, 53G.
Wie aus einem Untern- bezw. Unterberg ein Wunderberg gemacht wurde, so
konnte aus einem Unter(n)baum, d. h. einem Baum, unter welchem das Vieh
Mittagsrast hielt, ein Wunderbaum werden, da man in alten Bäumen eine ge-
heimnisvolle Kraft sah und in dem Bauminnern den Aufenthaltsort eines Gottes
vermutete (vgl. die Donareiche in Hessen). Die Sage schreibt daher solchen
Wunderbäumen prophetische Gabe zu, wie dem alten Birnbaum am nahen Unters-
berg bei Salzburg (vgl. Böckel a. a, 0. S. s')) und der Lindo bei Süderheistede in
Ditmarschen.
Die Auffassimg des Naturmenschen lässt dem Baum auch eine be-
fruchtende, lebenspendende Wirkung zuteil werden, wie sie andererseits in ihm
den Verkünder von Elend und Xot sieht. So erscheint neben Hunger-
baum auch die Benennung llonigbaum, die aus demselben Vorstellungs-
krei:^ herausgew^achsen ist wie Wunderbauni. AVunderbuche.
1Ö86 heisst es in dem hessischen Saalbuch von Blankenstein uff dem Honnig-
baum, 1.384 findet sich in einem Kataster der Grafschaft Schlitz offm Honigacker.
Ähnlich finden sich in Hessen: Honigwiesengrund bei Einhausen, Honigbettchen
(Hungbettchen) bei Wolfshausen, der Honigacker bei Bürgein, der Honiggrund
im Honigbach bei Rosental, der Honigbeerengarten bei Allendorf (Kr. Kirchhain),
das Honigholz bei Balhorn, der Honigberg bei Hoheneiche usw., in Nassau^);
Honigbaum, Honigberg, Honigbirnbaum (= Honigbergbaum), Honigborn, Honigfcld,
Honiggarten, Honiggewann, Honigheck, Honigrück, Honigstück, Honigwies, vor
Honig usw. Bück kennt einen Forstort Hünig und ist geneigt, ihn mit Hongen,
Hungen 'abgestandene Bäume" in Beziehung zu setzen. Ich glaube, dass Honig,
Honig nichts anderes als eine dialektische Form für Hungerberg ist. Ähnlich wie
Donner(berg) aus ■■'Dornberg, Dornberich, Dornig bozw. Donnerich, Donnerch, so dürfte
Honig aus Hungerberg, Hungcrberich, Hungerich^), Hunich, Hünich, Honig mit
totaler Dissimilation und volksetymologischer Anlehnung an nhd. 'Honig ent-
standen sein, wobei die Beziehung auf gutgedüngten Boden mitgespielt iiaben
mag, denn miteni^) {uunenu ontieni) findet sich transitiv auch in dem Sinne 'mit
dem Miste, welchen die Schafe während ihrer Mittagsruhe zuiücklassen, den Boden
düngen' und die nnler Qmner) bezeichnet nicht nur die Mittagsruhe einer Schaf-
herde, sondern auch den Dung von der Mittagsruhe einer Schafherde. Zur laut-
lichen Entwicklung vgl. den Bergnamen König, Altkönig und meine Ausführungen
hl der Zeitschr. f. d. dtsch. Unterricht VMi S. 4!)9 ff.
Wie Honigbaum und Hungerbaum wahrscheinlich identisch sind und
ihren Ursprung auf germanische Wirtschaftsverliältnisse (Weidewirtschaft)
zurückführen, ähnlich verhält es sich mit dem seltsamen Namen Königs-
baum und Kinderbaum.
1) Kehrein a. a. 0. S. 461.
2} Daher der Flurname Hungrig, meist zusammengesetzt wie Hungrig(cr) Wolf.
3) Vielfach zu Hunnert, Hundert umgedeutet, z. B. in Thüringen hundert acker, vgl.
Kebrein a. a. 0. S. 464. Mit dem Begriff der Hundertschaften hat vielfach Kontamination
stattgefunden.
Volksetymologie und Sagenbildung. 227
In dem eben erwähnten Aufsatz über den Namen Altkönig habe ich mich aus-
führlich über den Zusammenhang zwischen König und Kind in Flurnamen ver-
breitet. Neben ahd. Joio 'Kuh' scheint noch eine Nebenform kun mit den dialek-
tischen Nebenformen kov, kiu, küv, kini bestanden zu haben. Vgl. Gralf, Ahd. Sprach-
schatz 5, 752: chunes-velt und ku»e-.^(at. Bück aaO. S. 148 verzeichnet Cunloch, Conloch,
Kuenloc'h (IG. Jh.), im Kunstall (1564), und in einer Urkunde von 1429 heisst es:
„Die 53 Kühberg an Breitenfeld und 1(»0 Künberg in Preitenfeld . . ., auch die
53 Kuenberg usw." So erklären sich wahrscheinlich, falls nicht ein verschollener
Wortstamm zugrunde liegt, thüringische Namen i) wie der Kienberg (1259 Kyn-
berg, Kinberg, 1325 Kynberg), am Kienberg, das Kiesbergsfeld, ma. Kiesbärgk,
Cumbach (1111 Chünbach, 1206 Cumbach), hessische wie Kühnbach, Hof bei
Hersfeld (1335 Kunebach), Kienborn, Kineiche, die Kühn (Wald) und das Kühn-
feld, und nassauische wie Kuhnewald, Kühnstück, ma. Kinnstück, Kühner, Kühn-
wies, Kühnedriesch, Kühnerberg usw.
Da für Kühnstück mundartlich Kinnstück vorkommt, neben Kien sich auch
Kin findet (Kinberg, Kineiche, Kinngrube), die Erinnerung aber an die einstmalige
Bedeutung dieser Namen im Volke erloschen war, suchte es dem unverständlichen
Wort Kinberg einen neuen Inhalt zu geben. So wurde aus Kienberg ein Kind-
berg, Kindsberg, Kindeiberg oder Kinderberg-), in dem der lautliche Gleichklang
von mundartlichem Kinn (Kinder) einen neuen Vorstellungskreis schuf und den
alten unverständlich gewordenen Namen von dem Hoden, auf welchem er erwuchs,
ganz loslöste.
Nicht anders erging es einem Kühunnerbaum, d. h. einem alten, weit-
verzweigten Baum, der dazu bestimmt war, den unter ihm ruhenden Kühen
Schatten zur Mittagszeit zu spenden, indem er in einen Kinner- oder Kinderbaum
umgestaltet wurde. Nach Huck aaO. S. 21 standen solche Kinderbäume ebenso wie
die Schicksalsbäume und die heiligen Bäume an der Mark, waren also Grenz-
oder Orientierungsbäume bei der Begehung der Markgrenzen. Flugs ist die Sage
bei der Hand, dem Namen einen ausschmückenden Inhalt zu geben. So befmdet
sich ein Kinderbaum im Biiuernforst am Wege von Knesebeck nach Boizenhagen
(Provinz Hannover), ein verkümmerter, aber sehr alter Baum mit einem Stamm
von 1,20 m und Scheitelhöhe von etwa 15 m. Der Sage nach soll hier ein Kind,
das nach Knesebeck zur Taufe gefahren wurde, vom Wagen gefallen sein. Erst
in der Kirche wurde es vermisst''). Die Kinderbäume nehmen also die Bedeutung
der Schicksalsbäume (vgl. unten Hexenbäumchen. Hexenlinde, Unholdenbaum, un-
geheure Eiche) an.
Wie Honigbaum aus Hungerbergbaum, ist Königsbaum (oder Königseiche)
meist älterer Herkunft und vielleicht ganz ähnlich aus Künnich. Kinnich, Könnig*)
entstanden. Bei der Umbildung zu 'König' blieb die Erhabenheit und das
Majestätische solcher alten Bäume nicht ohne Einfluss, da das Erhabene unwill-
kürlich zu einem Vergleich mit einem König herausfordert, während in Wirk-
1) Gerbing a.a.O. S. 351. 49S Anmerk. u. ö.
■J) Hier kann auch Zusammenziehung aus Kähunuer, Kühuunerberg (Berg, wo die
Kühe ruhen) vorliegen.
o) Vgl. Forstbotanisches Merkbuch. Nachweis der beachtenswerten Bäume, Siräucher
und Bestände im Königreich Preussen. Hannover I9ü7 S. 147.
4) Vgl. Ztsch. f. d. dtsch. Unterricht 1914 S. 508 und Bildungen wie der Herbergs-
rain, ma Herwichsrai, 1584 im Herrbich, ma. of de Hervich, offiziell auf der Herberg
(Hotz, FhirnRmen d. (Grafschaft Schlitz S. 31).
228 Schoof:
liclikeit solche Bäume in alter Zeit auf den Weidegrüiiden oepflanzt wurden, um dem
lagernden Vieh Schatten für die Mittagsruhe zu gewähren. Ein solcher Baum
ist die Königseiche bei lirüclienau, die über lOUO Jahre alt ist, deren Äste sich
15 m weit ausbreiten und einen Schatten von 30 m geben'). Die Sage lässt gern
berühmte Könige unter solchen Bäumen Versammlungen oder Gericht abhalten,
wozu sie sich auch vorzüglich geeignet haben mögen.
Dem uralten Volksglauben, dass Bäume übernatürliche Kräfte be-
' sitzen, entspricht es, wenn ihnen eine zauberische oder dämonische Gabe
beigelegt wird. Hierher gehört neben der schon oben erwähnten Sage
von dem Kiuderbaum die Sage von den Hexenbäumen, Hexeulinden,
Wandereichen (wo es 'wanert"), ungelieuren Eichen, Weiberbäumen,
nnliolden Bäumen usw.
Bück a. u. Ü. erwähnt, dass das Wort Hexe in Flurnamen vor dem IG. Jahr-
hundert überhaupt nicht zu treffen ist. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der
Begriff erst später vom Volk eingedeutet worden ist, als man das ursprüngliche
Wort nicht mehr verstand, das durch seinen lautlichen Gleichklang daran er-
innert. Bück a.a.O. führt einen Flurnamen Hechsenacker aus 1150 an, welcher
983 Haesenacker, 1028 Hasinacker, 1062 Haissenacker, 1095 Hahsinacker, 1129
Hassinacker lautet, eine thüringische Flur Hasenwinkel'^), welche im Volksmund
Höasewinkel heisst, ist 1594 als Hassenwinkel bezeugt, eine andere llesswinkel
heisst im Volksmund Hässwinkel, vgl. hierzu aus Hessen der Heisswinkel, Gemar-
kung Friebertshausen (Blaukensteiner Saalbuch von 1586), am Heissenstein, Gemar-
kung Ulfen (Sontraer Saalbuch von 1538), im llessbecken, Gemarkung Vecker-
hagen (Gieselwerdersches Saalbuch von 1551) und häufig vorkommende Flur-
namen wie riasenwinkel, am Hasenlauf, Ilasenstock, auf dem Hasengarten, Hessen-
grund, Hessenkuppel, Hessenspitze, Hessenkuppe, Hessenhagen, Hessenweg,
Hesslar, Hessenstein, Hessenwald (z. B. bei Saarburg), Hessenliede, Hessenborn,
Hessengraben, Hessenraark, Hcssenrod bzw. Hessenrode, Hessental, Hessendell, am
Hessen, aufm Hess, im Has, im Hasen, Hasenacker, Hasenbäumchen, Hasenberg
usw. Wahrscheinlich gehen hier mehrere Wörter ineinander über, welchen ein heut
verschollenes Ass Ea.s 'Weide, Weideplatz' zugrunde liegt. Daher die Umdeutung
zu 'Hase' und 'Hesse' (vgl. das Uasclthal 1612, welches 1640 das Hesseltal ge-
nannt wird, Gerbing a. a. 0. S. 446), die darauf schliessen lässt, dass das Wort
schon früh nicht mehr verstanden wurde. Von 'Hesse' muss dann die Um-
deutung zu Hexe weiter fortgeschritten sein^): Hexdell, Hexenberg, Hexen-
gründchen, Hexenkippel. Hexenkirchhof, Hexenplatz, Hexenrain, Hexentanz, Hexen-
tisch. Hexenwies usw. Ein uralter Birnbaum auf der Weidenhöhe, nördlich
vom thüringischen Dorf Haina (Amtsgerichtsbezirk Friedrichswerth) hiess das
Hexen bäumchen. Dort sollte es nicht geheuer sein. Die Kinder fürchteten
sich vorbeizugehen. Nach der Separation wurde er gefällt*). Eine Hexen eiche
oder Teufelseiche in der thür. Flur Volkenroda (Amtsgerichtsbezirk Tonna),
ein mächtiger Baum, stand auf dem Pfingstrasen Der letzte Stumpf soll 1871
vom Blitz zerstört worden sein"'). In dem Forstort Lindenwand soll vor uralten
1) Oesterwitz, Führer durch den Vogelsberg und die Rliön S. lü.
2) Gerbing a. a, 0. S. 2ÖS.
3) Kehrein a. a. 0. S. 450.
4) Gerbing a. a. 0 S. 16 Anni. 25
5; Ebd. S.m\.
Volksetymologie und Sagenbildung. 2'29
Zeiten eine Hcxenlmde gestanden haben. Zur 'Walper ziehen noch heute
Burschen und Mädchen hinauf und feiern da').
Nach Ruck a. a. 0. S. 10*J findet sich Hexein einer Menge Namen, wie Hexen-
birnbaum, Hexentännele. Hexenwäldle, Hexenbühl usw. Ob darin ein altes Ess,
Essen 'Weide, Weideplatz', vgl. Kuhessen 'Weidegerechtsame, Weideplatz', ent-
halten ist (Huck a.a.O. S. 61), das zu Hessen, Hexen umgedeutet wurde, lässt
sich mangels urkundlicher Belege nur vermuten, nicht beweisen. Tatsache ist nur,
dass dieses Wort Ess, Essen zahlreiche Umdeutungen erfahren hat. namentlich infolge
seiner Verracngung mit Esch (bebaute Flur). Espe (Espe), Esche (Eschenbaum), u. ä.
Zu der vermuteten Umdeutung Essen zu Hexen würde der Name des obenerwähnten
Hexenbaumes auf der Weidenhöhe des Dorfes Haina wie der Hexeneiche auf
dem Pfingstrasen-') von Volkenroda einen Anhaltspunkt bieten, und es liegt der
Schluss nahe, dass die Hexenbäume alte Weidenbäume zum Lagern für die Vieh-
herden gewesen sind und dieselbe l'edeutung gehabt haben wie die Hunger-, Honig-
und Königsbäunie.
Nach Bück a. a. O. S. 110 wurde früher statt Hexe Unhold in Flurnamen ge-
braucht, aber selten, so 1420 an dem Unholdenbaum. Ob hier eine Umdeutung
aus Un-holl, Un-höir'j, Un-hell mit seinen Nebenformen Un-holde, Un-hälde,
Un-hölde, Un-helde vorliegt oder aus Unholz 'am Stamme dürr gewordenes
Holz, verdorrter Baum" (vgl. auch Ur-holz Bück a. a 0. S ^.SÜ: ll93arbores
non fructiferae vulgo urhulze), vermag ich nicht zu entscheiden. Die Un-
holdinnen, die bei Nacht durch die Luft fahren, heissen in älteren Urkunden
des !t. bis 15. Jahrhunderts die wilden Weiber (domus wildero wibo = Hexen-
haus, Bück a. a. O. S. 29ti). Es ist möglich, dass der in der Sage vorkommende
Weiberbaum einer UmdeutungausWeinl)erg-l)aum,d h Weidenberg-baumentspiungen.
Vgl. Bück a.a.O. 8.297: bi dem Winbirboam (15.Sti; und meine Deutung von
Flurnamen wie Weiber-wand, Weiber-rain, Weiber-wies, Weiber-gärten, Weibel-
wies, Weibrich, ma. Weiwereh, aufm Weibern oben 24, 272 ff. Kehrein a.a.O.
S. GOO verzeichnet auch Flurnamen wie Wihiwciberhäuschen. Wddweiberhöhle,
Wildweiberlei usw. Nach Bück sind Namen wie Weiberireu, Weibeslist von der
Sage erfunden. Es würde demnach Weiberbaum derselben Gruppe von Namen
augehören wie Hexenbaum, Hunger-. Honig-, Königs-, Kinderbaum.
Auch Namen wie ungeheure Eiche — eine solche stand im Kl. Jahrb. bei
Hombressen im Reinhardswahl — fasst das Volk weniger im Sinne von 'mächtig,
ungewöhnlich gross' auf als im Sinne des mhd. uiiiiehnirf 'fremdartig, unheimlich,
nicht recht geheuer. Vgl. Vilmar, Idiot. S. 424. Wir haben es hier ähnlich wie bei
dem Flurnamen Ungedanken*) mit einer volksetymologischen Umdeutung zu tun.
So heissL ein enges Tal auf der Nordseite des Kennsteigs zwischen steil ab-
fallenden Felsen der Ungeheure Grund, löOö der ungeheuigrunth, L510 der un-
geheuger giunih, 1.512 der ungehüren grund, löö7 der ungeheuerte grund, 1587
ungeheure giund, im Volksmund aber der ungehirm ground'), ebenso dort ein
Ungeheurer Grund, der im Volksnuind der Ungehurend Groind heisst, und im
l) Ebd. S. 518 Aiiin. ö.
2! Die Pfingstrasen, Pfingstweiden oder Pfingstgehege waren Gemeindeland und
lagen in der rv.egel vor dem Ort; darum wurden sie später meist als Festwiese oder
Püugstwiese benutzt. Tgl. Bück a. a. 0. S. 204; Arnold. .Ansiedluiigen und Wanderungen
S. 5:'.U.
3) Vgl. Kehrein a. a. 0. S. 585.
4) Vgl. dazu meine Au.-fahriuigeii in Hcsseiilaud 1Ü14 Nr. "-!2 ft'.
5) (jerbiiig a. a. 0. S. 420. 44(;. 490.
230 SclK.of;
Talgrund das ungeheure Thal, 16. Jahrh. im ungeheurenthal, im Volksmund ün-
geheuerdoal'), weiterhin 11 G8 üngehuren wiesen i), 1733 das Hurenhölzchen (in
der Nähe des ungeheuren Grundes, in welchem es 'nicht geheuer' sein soll). Vgl.
hierzu in Hessen: der Ungeheuerbach bei Sichertshausen, der Ungehörntegrund
bei Görzhain, der Ungernzeif bei Sachsenhausen in Nassau-), der Ungeheuers-
graben, ein Graben in der Nähe eines Huteplatzes in Baden ^), das ungehure veld
(1341), ein Weidefeld usw. Vgl. dazu den lippischen Flurnamen auf dem Un-
glücke, Preuss a.a.O. S. 153. Es ist ungewiss, ob der zweite Teil von Ungeheuer
ahd. hurt 'Flechtwerk aus Weiden oder Reisig' (vgl. nhd. 'Hürde'), obd. hurde,
vgl. 1196 in Hürden, 1311 der Hurdacker (Bück a.a.O. S. IISI) in sich schliesst,
oder altd. hur, horo, Inini 'Sumpf, das sich umgedeutet zu Hörn, Hirn, Heuren in
zahlreichen Flurnamen findet*), z. B. Heurenbach 1320. Huerinbach-^), im Hirn,
Hirnwein, Katzenhirn, Hornbach, Hornweg, Hornwiesen, Hornwald usw. Bei dem
ersten Teil dürfte es sich um eine verstärkende Silbe handeln, hervorgerufen durch
die Anlehnung an den Begriff 'ungeheuer'.
Ähnlich wie Ungeheuer nach volkstümlicher Auffassung ein Gespenst be-
deutet (das Woit 'Gespenst' ist nach Vilmar dem Volke fremd), so wurde auch
das in Hessen, Nassau, Bayern, Thüringen übliche Wort u-dnern (= hochd. 'wandern
umhergf'hen'i und Wanerding*') im Sinne von 'gespenstisch umgehen, spuken',
'Gespenst' in ähnlich klingenden Flurnamen, insbesondere Waldnamen, einge-
deutet, woran sich dann allerhand Gespenstersagen anknüpften, die vielfach
im Volksglauben noch bis zum heutigen Tnge so fest eingewurzelt sind, dass die
davon betroffenen Gegenden bei Nacht ängstlich gemieden werden. In Thüringen
gibt es in der Flur Aschara eine Wanderecke, in Nassau eine Wannelwies und
einen Wannersberg, in der hessischen Grafschaft Schlitz einen Wännerrück,
'wo es wanert', ebendort eine Flur in der Wanne beim Judenkirchhof. Dort soll es
'wanern', weil der Friedhof nah ist. Eine von Hersfeld oberhalb der Glimmes-
mühle nach Giltersdorf führende Waldung über die Waanerecke wiid von den
Dorfbewohnern gemieden, weil es dort waneit, usw. So gibt es auch ver-
schiedentlich Wandereichen und Waanereichen, bei denen es nicht geheuer ist.
Über den Zusammenhang dieser Umdeutung mit dem zugrundeliegenden Wort
Winne, Wonne oder Wanne vgl. meme Darlegungen oben "24, '272fr.
Ein ähnliches Missverständnis liegt dem Flurnamen Mord ei che zugrunde,
der gewöhnlich mit einem dort begangenen Mord in Zusammenhang gebracht
wird, wie überhaupt Mord und Totschlag eine «rosse Rolle in der Umdeutung
alter Flurnamen spielen';. Davon zeugen die zahlreichen Mordberge, Mordwiesen.
Mordäcker, Mordkuhlen, Mordkampe usw. Gewöhnlich führen sie auf ahd. mhd.
muor 'Sumpf, Moor' zurück, wie z. B. die lippischen Flurnamen Mordkamp, (1701
Mortkamp), Mordkuhle, Mordwiese. Ein Grundstück in der lippischen Flur in Hake-
dahl,dasnochl728 dasMohrtkamp (d.i. morastiges Kamp) heisst, trilt im neuenKataster
1) Gerbiug a a. 0. S. 420. 446. 490.
2j Kehrein a. a. 0. S. 585.
3) ZtRch. f. dtsch. ünt-rritht 1910 S. 230
4) Bück a a. 0. S. 109 f.
5) Vgl. auch Heurinas, ein Waldteil in der Nähe von HerslVld.
6) Vgl. Vilmar a a. 0. S. 441 ; Crecelius, Oberliess. Wtb. S. 892; Kelirein a. a. 0. 1, 438;
Schmeller, Bayer. Wtb. 2, 939.
7) So gibt es in der Grafschaft Scldiiz eine Khir am Todäcldag. Dort 'wanerts',
und bei Nacht getraut sich selbst der Beherzteste nicht in die Gegend am Weingarten
(Hotz a.a.O. S. IX).
Volksetymologie und Sagenbilduiig. 231
als Mordkamp 1) auf, eine Strasse in Detmold, die 1687 Mörderstrasse, 1756 Möhr-
strasse genannt wird, heisst jetzt Meierstrasse ^). Oft ist aber ahd. mhd. nmor
'Moor' bereits aus älterem Mark 'gemeine Mark, gemeinsamer Besitz an Wald und
Weide' umgedeutet worden, wie ich das in meinen Beiträgen zur hessischen
Ortsnamenkunde (Hessenland 1H14 Nr. 6 u. 7) nachgewiesen habe. Wie aus
Markweg ein Marktweg, aus Markacker ein Marktacker geworden ist, so wurde
aus Marktacker unter dialektischem Einfluss über Maadocker vielfach Mord-
acker, aus Markt- bzw. Muadberg Mordberg, aus Märkerskuppe (wohl für
Markbergskuppe) Mörderskuppe und so dürfte auch die Meierstrasse in Det-
mold, früher Mörderstrasse, auf Markbergstrasse zurückgehen. Ein thürin-
gischer Forstname Mordfleck in der Nähe des Rennsteigs 2), heute teils Wald,
teils weite Berg wiese, heisst 1534 Mordtfleck, 1587 Morttfleck, 1642 die Mord-
fleck, 1G65 Mordflecken, Marktflecken, Marckflccken, im Volksmund Mard-
fla'e)ck. Nach der einen Auffassung soll der Mordfleck den Namen von 'Raub-
g^esinde und Schnapphähnen haben, so in Kriegszeiten allda sich aufgehalten
haben, nach der anderen soll dort der Sage nach im Banernkrieg ein Trellen ge-
iefert worden sein.
Auch der Flurname Judenbaum wird in den wenigsten Fällen etwas mit den
Juden zu tun haben. Vielmehr wird Judenbaum (z. B. in der Gemarkung Ober-
aula bei Hersfeld) ebenso wie die in Hessen und Nassau ziemlich häufig vor-
kommenden Flurnamen Judenberg, Judenstrauch, Judenborn, Judenbrunnen, Juden-
kopf, Judenstruth, Judenacker, Judenstein, Judenstück, Judental, Judenwies usw.
auf eine verschollene Wurzel Jud, Jüd oder Jod bzw. (im-, God- zurückzuführen sein,
welche später bei der zunehmenden Ausbreitung der Juden umgedeutet worden ist.
Vgl. thüring. am Jüdenbög, die Jüdengärten, am Judenschacht, ma. Judenschächte,
Judenkopf, ma. Jüdekopf. Auf dem Jüdenkopf nördl. von Laudenbach soll ein
Jude erschlagen worden sein (Gerbing a. a. 0. S. ö72 Anmerk. 8). Förstemann
2, 864 stellt Judenau, Judenburg usw. zu einem Personennamen Judo, wohl mit
Unrecht, denn dazu kommen die Namen viel zu oft vor.
Über Totenbaum und die daran sich knüpfenden Volkssagen vgl. unten das
bei Totemann, Totenberg, Totengrund Gesagte. Die Totenbäumc gehören in das
Gebiet der Mordeichen und Mordbäume. Das über die heiligen Bäume und heiligen
Eichen Gesagte berührt sich mit dem, was unter Donareiche gesagt worden ist, wenn
ihre Umdeutung nicht eher der christlichen Zeit angehört. Wie ich in den 'Fuidaer
Geschichtsblättern 191o S. 150 nachgewiesen habe, liegt vielen mit heilig zu-
sammengesetzten Flurnamen (vgl. Heiligenberg, Heiligenacker, Heiligenbach,
Heiligenborn. Heiligengarten, Heiligengraben. Heiligengrund, Heiligenrain, Heiligen-
strauch, lleiligenstück, Heiligenwaid, Heiligenwies usw.) das ahd. Adjektivum
hülil -sich vorwärts senkend, geneigt, abschüssig', mnd. Iwlde. helle^) 'abschüssig,
steil, al)fallend' (vgl. Heyne, D. Wb. 2, -Jl; Kluge, Et. Wb. S. 120) in einer Weiter-
bildung auf -ig zugrunde. Die volkstümliche Form hillig, hilg (vgl. Hilgenberg,
Hilgenbach) wurde von den Kartographen irrtümlich als nhd. heilig aufgefasst,
vielfach wurde die Umdeutung auch durch Beziehungen des Grund und Bodens
zu einem nahegelegenen Kloster hervorgerufen (Klosterbesitz). So bemerkt auch
schon Freuss a. a. O. S. 67, dass der Name der heiligen Eiche bei Schönhagen
1 I'reuss a. a. 0. S. 8 u. 105
2 Gerbing a. a. S. 518.
3> Z. B. im hellen Grund bei Butzbach nacli der Volksauffassuiig 'eine sehr in der
Sonne lieuende Vertiefunu'.
282 Schoof: VolksctyiiKilogie und Sagenbildiing.
(1721) schwerlich das Wort heilig, saiictus. enthalte, weil eine Beziehung zu einer
geistlichen Stiftung nicht vorhanden sei. Er l)ietet eine Ableitung von ndd. helUfi
'dürr', die auch möglich ist, wenn auch nicht in allen Füllen. So hat die Heiligen-
niühle bei Friedenwald in Hessen zweirellos ihren Namen von der Lage in der
Holle, d. i. dem abschüssigen Wiesengrund (vgl. ahd. Imltla, nihd. halde 'Berg-
abhang';, ihren Namen erhalten. In die Zeit des Christentums und ('er Klöster gehören
ümdeiitungen wie St. Wendelseiche, ma. die Wengelseech auf dem Wendelsbergerfeld
bei Loshausen in Hessen. Die Umdeutung wurde durch eine auf dem Berge errichtete
Kapelle des St. Wendel hervorgerufen, während ursprünglich Wendelseiche identisch
ist mit Namen wie Winterbaum'), dem altd. irmne oder u-imd -Weideplatz" zu
Gruntie liegt.
So lässt sich an der Hand dieser Namen verfolgen, dass die altehr-
wüidigen liäunie, welclie die Yolksphantasie so lebhaft bescliäftigt nnd zu
so merkwürdigen, sinnreiclien Ümdeutnngen und Xamensagen veranlasst
haben, in der Kegel nichts anderes als uralte Weidebäume auf ragendem
Bergeshang gewesen sind, von den Altvordern in altersgrauer Zeit zu dem
wohlweislichen Zwecke gepflanzt, den Herden und Hirten eine sciiat-
tiire Ruhestätte zur heissen .Sommermittauszeit zu verschaffen.
1) Vgl. z. B. beim Wintterbauin. in einem Schlitzer Messbucli von 1Ö84 (Hotz
a. 0. S. 24).
Hersfeld.
Fortsetzung folgt.)
Kleine Mitteilungen.
233
Kleine Mitteiluiiö;eii.
Die Saukt-Michaeli-Prozessioii iu Oaissach.
Mit 2 Abbildungen.;^
Die Kirche des Pfarrdorfes Gaissach, das V* Stunden südöstlich von Tölz (über-
"bayern) liegt, ist wohl die älteste Urtaufkirche des Isarwinkels, Ihr Patron ist
der hl. Michael, und dieser Umstand läßt, neben anderen Anhaltspunkten, auf eine
ehemals germanisch-heidnische Kultstätte schliessen; dasselbe gilt von einer früher
nordöstlich des Ortes gelegenen Coronakapelle. In diesem altehrwürdigen
Dörfchen findet alljährlich am Feste des hl. Michael (29. Sept.), dem Kirchwcih-
tage der Gemeinde, eine Prozession um den Ort statt^).
Abb. 1.
Nach dem Nachmittagsgottesdienste verlässt der Zug die Kirche, voran die
Schuljugend im Sonntagsstaat, die Jungfrauen folgen (s. Abb. 1) in der schönen
Tracht, junge frische Gesichter, und auch die uralte 'ehr- und tugendsame Jung-
frau' von 70 Jahren hat, wie alle Jahre, den Kranz, den sie wohl bald eben-
solange trägt, heute wieder auf ihre weissen Haare gesetzt, und geht hinter der
jungen Schar drein, .die in ihrer Mitte die Bilder der Mutter Gottes (auf der Ab-
1) Die beiden Abbildungen fanden sich im Nachlasse meines Vaters, Dr. M. Hoefler
ich möchte hiermit dem unbekannten Spender, seine Einwilligung zur Veröffentlichung
voraussetzend, herzlich dafür danken.
■2) Über sonstige Gebräuche am Michaelstage vgl. Sartori, Sitte und Brauch 1, 25G ff.
^r. Hoefler oben 11, 1V»3. 1, 301.
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917 Heft S. Iß
234
Buller-Hoefler:
bilduii^' ist nur die Rückwand sichtbar) und der Mutter Anna trägt. Nach ihnen
kommen der Veteranenverein und die Michaelibruderschaft, mit der Figur ihres
Patrons, einer künstlerisch wertvollen, alten Holzschnitzerei. Ihnen reiht sich nun
die 'Gaissacher Schützenkompagnie' an (s. Abb. 2). Länggries, Wackersberg und
Gaissach sind die einzigen Orte des Isarwinkels, in denen sich diese Reste eines
Aufgebotes bis heute erhielten, das in früheren Tagen dem bayerischen Landes-
fürsten zur Kriegszeit gestellt werden musste. Heutzutage besteht die Kompagnie
^us etwa öo freiwillig beitretenden unverheirateten Burschen. Voran schreiten
drei Paare mit Schwegplpfeifen, uralte Marschweisen blasend, nach deren Takte
die ganze Schar marschiert, weiter folgen zwei Trommler, und dann stolziert in
seiner ganzen Würde der Hauptmann der Kompagnie mit blankem DegeJi daher,
Abb -2.
ein markanter, grauhaariger Kopf, stramm und aufrecht; mit Kommandoworten,
die nur dem Eingeweihten verständlich sind, befehligt er seine Leute, die, Gewehr
geschultert, geführt von zwei 'Pionieren' mit weissledernem Schurzfell und Hacke,
im Gleichschritt sehr langsam und feierlich einhermarschieren. Alle tragen lange
grüne Schossröcke, weiss-grüne Wadeistrümpfe, grüne Stopselhüte mit wciss-roten
Buschen drauf und am linken Arm weiss-blau-weisse Binden, die in eine Rosette
enden. In ihrer Mitte wird die P'ahne getragen und den Schützen voraus die
Figur ihres Patrons, des hl. Sebastian, über deren l'rsprung uns eine Inschrift
auf der Hinterseite der Rückwand belehrt: 'Des Hl. Sebastiani zu Ehren ist diese
figur von der allhiesigen pfarrgemeinde gaissach errichtet worden in dem
Jahre 1772 vor abwendung der damahlen gefährlichist grassierenden Kranckheit'.
— Der Sängerchor schliesst sich an, fahnen- und kerzentragende und weihrauch-
schwingende Ministranten, dann kommt als feierlicher Mittelpunkt der Prozession
der Traghimmel; unter ihm schreitet der Pfarrer, di(> Monstranz in Händen. Den
'Himmel' begleiten vier Männer in langen dunkelblauen Radmänteln, die mit Efeu
Kleine Mitteilungen. 235
umwundene Lanzen tragen i). Den Schluss des Zuges bilden die Frauen. — An
gewissen, nach den vier Himmelsgegenden bestimmten Stellen macht die Prozession
halt. Gebete werden gesprochen, und der Pfarrer segnet mit der Monstranz Felder
und Fluren, unter dem Läuten der Glocken und der Salve aus den 50 Gewehren der
Kompagnie. Bei der Rückkehr des Zuges zur Kirche treten die Schützen in der
Dorfstrasse an, auf Kommando geht ein Ruck durch die Kompagnie, die Gewehre
werden mit dem Ladestock geladen, und 'Gewehr bei Fuss' erwarten sie den
Pfarrer. Sowie dieser aus der Kirche tritt, ruft der Hauptmann: „Drei Schuss
für den Hochwürdigen Herrn N. N., Pfarrer der Gemeinde Gaissach!" Der Herr
Pfarrer geht darauf durch die, von zwei Reihen der Schützen gebildete Gasse,
während das Kommando „Feuer!" ausgeführt wird, wartet den zweiten und dritten
Schuss ab und sagt dann: „Ich danke Euch, Ihr Schützen!" — Dieser kirchlichen
Feier des Tages folgt der weltliche Teil mit Würsten, Nudeln und Musik.
Bad Tölz (Oberbayern). Hedwig Buller-Hoefler.
Begnadigung zum Stricktragen oder zur Heirat.
Oben 16, 1!I5 hat H. F. Feilberg den verbreiteten Volksglauben besprochen,
tiass vornehme Leute, die wegen eines Verbrechens zu Zuchthausstrafe verurteilt
sind, sich einen Stellvertreter kaufen können und dass solche Verbrecher oft auch
von der Todesstrafe zum lebenslänglichen Tragen einer Kette oder einer Schnur
um den Hals begnadigt werden. Die dort angeführte Sage über die Gräfin
V. Lynar steht ausführlich in Meiches Sagenbuch des Königreichs Sachsen 1903
Nr. 1235, eine weitere pommersche Sage von einem General in Polzin bei Haas,
Pommersche Sagen 1912 Nr. 290. Doch wir besitzen noch deutlichere Zeugnisse.
In Osterreich w^ar es nach Hormayrs Taschenbuch für vaterld. Geschichte
l'S39, S. 418 ehedem Sitte, dass militärische Verbrecher, die wegen Verrats, F'eld-
Uucht oder feiger Übergabe den Tod verdient hatten, aus Milderungsgründen eine
schmachvolle Freiheit erhielten, indem sie fortan am Halse oder Knopfloch die
rote (oder seidene) Schnur oder auf dem Hut das Hasenpanier tragen mussten'').
— In einem andern Falle, den ich aus einer gleichzeitigen Zeitungsnachricht^) zu
belegen vermag, wird dem zum Galgen Verurteilten das Leben geschenkt mit der
Bedingung, zur Erinnerung an die erlassene Strafe stets einen Strick um den
1) Vgl. über solche bei Flurumgängen häutig gebrauchten 'Prangerstangen' M. Andree-
Ejsn, oben 10, 90 und 'Volkskundliches' S. 95.
2) Nicht richtig aber scheint mir Gertrud Fauth in ihrem feinsinnigen Buch über
Jörg Wickrams Romaue 191G S. 114 eine Stelle in der 1555 erschienenen Erzählung Von
guten und bösen Nachbarn (Wickram, Werke 2, 255, 28) auf diese bei Wander, Sprich-
■wörterlcxikon 4,309 angeführte rote Schnur, die doch eine Begnadigung bedeutet, zu
beziehen. Wenn die Mutter des anstatt des Helden erstochenen Jünglings klagt: 'Mein
süa hat die schnür darob nemen müssen', so heisst das vielmehr: er hat die Zeche be-
zahlt, ist gestorben, wie aucli Grimms DWb. 9, 1400 nach der verbreiteten Redensart
'von de'r Schnur zehreu' = 'aus dem eigenen Geldbeutel leben' erklärt. Frl. Fauth hat
Avohl die türkische Sitte, dem verurteilten Grosswesier eine seidene Schnur zu übersenden
vorgeschwebt.
3) Eberhard Büchner, Das Neueste von gestern 3, 300 nr. 544 (1912) nach der Vos-
sischen Zeitung 1780, nr. 142. Vgl. K. Braun in Westermanns Monatsheften 45, 220 (1879)
und Staatsbeschreibung des schwäb. Kreises 2. 213 (1781).
16*
2;-}6 Bolte, Dillmann:
Leib zu trogen, und dies als ein im Is. Jahrhundert gewöhnlicher Brauch be-
zeichnet:
Am 27. Oktober 1780 übte die gefürstete Äbtissin zu Lindau am Bodensee ihr Be-
fTnadigungsrecht an einem vom Stadtmagistrat zum Tode verurteilten Delinquenten aus.
Der Maleficant bat die Äbtissin, die sich mit ihrem Gefolge am sog. Baumgarten befand.
auf Geheiss des Beichtvaters fussfällig um Erlösung. Darauf ergriff sie den Strick, woran
er vom Nachrichter geführt wurde, schnitt ihn ab und sagte: 'Ich erlöse dich im Namen
des Allerhöchsten und der übergebenedeyeten Jungfrau Maria'. Hierauf wurde der Er-
löste ins Stift genommen, gespeist, beschenkt, zur Besserung seines Lebens ermahnt und
seinem anwesenden Vater übergeben. Der Strick wurde ihm, wie gewöhnlich, um den
Leib gebunden und ihm befohlen, ihn lebenslang zum Denkzeichen zu tragen.
Diese Errettung des Verbrechers durch die Äbtissin, die in der Schweiz auch
der Frau des Landvogts oder einer Ehefrau, die sieben Söhne nacheinander ge-
boren, zustand^), mahnt uns an eine in Volksliedern mehrfach besungene Rechts-
sitte, wonach ein zum Galgen Verurteilter von einem Mädchen freigebeten wer-
den konnte, wenn er dies zu ehelichen versprach. Viele Zeugnisse hierfür findet
man bei Liebrecht (Zur Volkskunde 1879 S. 43M), Böckel (Volkslieder aus Ober-
hessett 18S5 S. XLVII— LH), R. Köhler (Kl. Schriften 3, 251), Falk (Die Ehe am
Ausgange des Mittelalters 190s S. 18—21) zusammengestellt. Ein weiteres liefert
uns die Vossische Zeitung v. J. 1730 (bei E. Buchner 2, 237 nr. 491) aus Lublin.
Dort erhielt ein Mann, der ein dreizehnjähriges Kind ermordet hatte, auf dem
Richtplatze Pardon, weil ein Frauenzimmer ein weisses Tuch auf ihn warf und
dadurch ihren Willen kundgab, ihn zum Gatten zu erwählen. — Zu einem förm-
lichen Wettbewerbe um die Rettung eines Galgenvogels kam es lG8ti in London.
Zwanzig Jungfern überreichten (zufolge dem Berliner Dienstagischen Mercurius
1G86 bei E. Buchner 1, 210 nr. 423) hier am 30. Oktober dem Könige Jakob IL
eine Bittschrift, „worin sie bei S. Majestät vor einen jungen Kerl, der gehenket
zu werden condemnieret war, um Pardon baten mit Vorgeben, daß eine von ihnen
sich mit ihm unter dem Galgen wollen trauen lassen; welches S. Majestät zu ver-
willigen beliebet mit Beifügung, daß es ihm leid sei, daß er sie nicht alle an einen
Mann helfen könne". Die Auswahl unter den zwanzig mildherzigen Damen mag
dem Burschen nicht leicht geworden sein; wir hören aber auch von Fällen, wo
der Verbrecher bei der Wahl zwischen dem Tod am Galgen und dem Leben an
der Seite der heiratslustigen Erretterin schwankte und sich schliesslich dem Galgen
zuwandte. Er schaute, heisst es bei Birlinger, Aus Schwaben 2, 4G0, die spitz-
nasige alte Jungfrau an und sagte: 'A spitzig Nasen, spitzig Kinn, da sitzt doch
der Teufel drin; mach lieber Gingerl, Gangerl'^).
Berlin. Johannes Bolte.
1; J. Grimra, Rechtsaltertümer 4. Autl. 2, 525. Man darf dabei an die römische Sitte er-
innern, nach der die Begegnung des zum Tode geführten Verbrechers mit einer Vestalin
jenem Begnadigung erwirkte (Plutarch, Numa c. 10).
2) So schon Geiler bei J. Adelphus, Margarita facetiarum 1508 Bl. E4a: 'Quidam
ductus ad suspendium velatis oculis, dum sibi diceretur esse illic quandam mulierem,
quae sibi uubere vellet et redimere de patibulo, rogavit oculos cius rcvelari, riuatenus
eam posset discernere. Qui visis labiis tenuibus et naso acuto iuquit: Nihil, nihil: malo
suspendi quam talem ducere'. — Dazu R. Köhler 3,251; E. Schmidt, Euphorion s, {\\\
(zu Lessing, Schriften 1,24 nr. 91); H. Sachs, Fabeln 5, 307 nr. 828.
• Kleine Mitteilungen. 237
Das Hickolspiel iu Frankfurt a. 31. in seiner kriegsgeraässen
Entwicklung.
(Mit 15 Abbildimgen.)
Aul' der Kriegsuu sstellung in Frankfurt a. M. (15. August bis
31. Oktober liHG) war in der Abteilung 'Die Frankfurter Jugend und der Krieg'
auch das Hickelspiel vertreten, vom Verfasser dieses bearbeitet. Auf zwei
grossen Zeichenbogen war das Spiel zeichnerisch dargestellt, und zwar in den
Formen a) vor dem Krieg, b) während des Kriegs; auf angefügten Schreibbogen
waren " kurze erläuternde Erklärungen gegeben. Einer Anregung aus volkskund-
lichon Kreisen folgend, seien in nachstehenden Ausführungen die Hauptpunkte des
zweiten Teils dargelegt, nämlich, wie die Kriegszeit mit ihren sich tief einprägenden
Ereignissen das schon in Friedenszeiten bei der Frankfurter Jugend äusserst be-
liebte Spiel beeinflusste. Da Herr Rektor K. Wehrhan an dieser Stelle ^) bereits
eine eingehende Abhandlung über das Frankfurter Hickelspiel brachte, so soll
hier nur auf die Abvveichmigen und die Weiterentwicklung des Spiels, wie sie
durch den Krieg bedingt ist, näher Bezug genommen werden.
Während früher das Spiel in der Hauptsache zwei Spielformen mit ungefähr
einem Dutzend Einzelspielen aufwies, bemerken wir in dem Kriegsspiel nach jeder
Seite gut die doppelte Zahl. In auffallender Weise ergaben sich im Sommer 1917
die Kinder diesem Spiel. Schliesslich mussten Polizei und Schulbehörde wegen
des Übermasses der Kreidezeichnungen auf Fusssteig und Fahrdamm dagegen
einschreiten, was vom Standpunkt des Volkskundlers aus gewiss bedauerlich
erschien.
Wenn auch das laute und lebhafte Soldatenspiel dem ruhigen Hickelspiel
Platz machte, so trug doch diese sonst friedliche Spielbeschäftigung fast durch-
gängig kriegsgemässen Charakter.
S[)ielform A (vgl. Wehrhan oben 21, 240 ff.); Abbildungen 1—4.
Die Spiele dieser Gruppe entsprechen oder ähneln in Zeichnung und Aus-
führung früheren Spielen mit der Benennung Schlange, Schnecke, Tisch, den Buch-
staben- oder sog. Enneschenspielen, benannt nach dem Buchstaben N, dem Wind-
mühlonspiel. Die Ausführung ist die einfachste; die Kinder hickeln durch die
Formen mit oder ohne Stein, dabei dürfen die Striche nicht mit dem Fuss oder
dem Stein berührt werden. In Figur "2 wird das Spiel verschärft, wenn auf die
Zacken geachtet werden muss.
Spielform B (Wehrhan 21, 234 lt.): Abbildungen 5— G.
Mit diesen können wir die Spiele früherer Benennungen vergleichen wie das
Häuschen, Deutscher Kreis, Französischer Kreis, die Woche, das Eierspiel. Die
Kinder hüpfen durch die einzelnen Felder, ohne die Striche zu berühren, wieder
mit und ohne Stein. In Abb. G sind die Namen nicht feststehend. Die Kinder
wählten damals hauptsächlich Heerführer des westlichen Kriegsschauplatzes.
Spielform C: Abb. 7—9.
In diesen Spielen treten vollständig neue Figuren auf. Die Spielweise
ist eine zweifache: Bei Abb. 7—14 wird der Stein aus dem Mal durch 'Schnicken'
mit dem Fuss bis an den Kopf vorgearbeitet. Von hier aus wird er in die ein-
zelnen Häuschen geworfen, mit 1 beginnend. Der Spieler hüpft nach, hebt den
Stein auf und durchhickelt die ganze Figur. Wer ohne Missgeschick durch-
gekommen ist, erhält in dem Streifen ein Feld, das er abteilt und mit seinem
1) Oben 21. 234 — 24:>; dort auch weitere Literaturangaben.
•238
Dillmann;
Namenszeichen versieht. (Eine ähnliche Spielfigur heissl 'die Laterne.) In dem
101 -Spiel (Abb. 8) sind die Ziffern nicht lückenlos, sondern auf ungefähr ein-
geschrieben. Wirft der 1. Spieler den Stein z. B. auf 19, so macht er sich in dem
rechteckigen Streifen ein P'eld, in die eine Hälfte schreibt er sein Namenszeichen,
in die andere die Ziffer. Jetzt folgen die andern Spieler, z. B. 0 mit Ziffer lt2.
Das Spiel wird fortgesetzt, bis der Streifen aufgeteilt ist. Dann werden die Zahlen
der Spieler aufgerechnet. Wer die höchste Zahl hat, ist Sieger. Wer über den
Sti-eifen oder ausserhalb des Kreises wirft, ist ab und wird abgelöst. Grosse Ge-
Abb. 1.
ri3
Abb.
2 u. 3.
15
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Abb. 5.
Al)b. ()
duld und Ausdauer sind zur Erreicliung eines Erfolges erforderlich. Bewundern
muss man hierbei oft Schüler, die bei den Anforderungen der Schule versagen.
Über die eigentliche Bedeutung der Figuren wissen die Kinder keine Aus-
kunft zu geben. Die Phantasie des Erwachsenen jedoch, mit dem Geist der Zeit
erfüllt, könnte versucht sein, dem kindlichen Spiel eine bestimmte Deutung zu
geben. In dem Festungshickel (Abb. 9), nach Spielform b zu spielen, und in
einem andern Festungsspiel als Messerspiel geben uns die Kinder selbst die
Anregung. In beiden Spielen müssen zuerst die äusseren Forts gewonnen sein,
ehe man in das Innere der Festung eindringen kann, um in dem Mal als Sieger
auszuruhen. Ebenso könnte man die Spiele mit den Figuren 7 und 8 als kind-
Kleine Mitteiluno'en.
•239
iclie Xachahraung- des mühsamen und ausdauernden Vordringens unserer Sol-
daten an ein Port, einen Brückenkopf oder eine Höhe in Feindesland auffassen.
Spielform D: (Abb. 10—15).
Bei den zahlreichen Spielen dieser B^rm kommt in der Ausführung etwas Neues
hinzu, nämlich das Sprunghafte. Sobald zwei Felder nebeneinander liegen, so
Abb.
Abb. S.
\l)b. 9
Ahl
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Abb.
12.
Abb. \i
Abb. 11.
Abb. 15.
werden sie nicht durch blosses Hüpfen, sondern durch Springen erreicht, also
mit zwei Beinen aufspringend. Im letzten Feld angekommen, wird kehit ge-
sprungen und dann der Weg noch einmal zurückgelegt. Diese Spiele stellen somit
hohe körperliche Anforderungen an den Spieler, was öfters, bei verschärfter
240 Dillmann. Kaindl:
Ausführung, zur völligen Ermüdung und Erschlaffung führt. Beim 'englischen
Kasten' (Abb. 10) wird aus dem Mal in 1 gehüpft, in 2 und 4 gesprungen, in .')
gehüpft, in 3 und 7 gesprungen, in 6 und S gesprungen (schwierig), in 9 ge-
hüpft, kehrt gesprungen, den Weg ebenso zurück. Bei einer verschärften Aus-
führung werden in den Hüpffeldern die Beine überkreuz gestellt. Ein Junge
wollte aus dieser Schiefstellung die Bezeichnung 'englisch' erklären. Die Spiel-
figur Abb. 11 stellt deutlich ein Flugzeug, Abb. ]'2 eine Granate vor.
In Abb. 13 u. 14 begegnen wir eigenartigen Formen. Der obere Kreis be-
deutet den Kopf, die doppelten Rechteckfelder die Arme; ein Junge sagte: „das
sieht aus wie ein Flieger"; die unteren Rechtecke stellen die Beine dar. Bei der
Figur 'Die dicke Frau' (Abb. 14), die auch, wenn unter dem breiten Rechteck-
feld noch ein Quadrat ist und so die Figur schlanker wird, das Mädchen ge-
nannt wird, stellen die spitzen Felder den Rock vor.
Der Verfasser will in dieser Abhandlung nicht Anspruch auf Vollständigkeit
erheben, da die Ausführungen des Spiels mitunter in den einzelnen Stadtteilen,
selbst nach den einzelnen Schulgattungen, nach dem Grade der Gestaltungs- und
Zeichenfähigkeitverschiedensind. Namentlich erfreut sich 'der dickeMann'(Abb. l.'!)
grosser Beliebtheit und vielseitiger Darstellung. So wurde ihm nach der Kriegs-
erklärung Amerikas häufig ein 'Indianerkopf' aufgesetzt. Auch befindet sich die
Entwicklung der Spiele beständig in Fluss. Vor mir liegen noch nahezu hundert
verschiedene Hickelzeichnungen, die, wenn sie auch nicht mit den Kriegsereig-
nissen in enge Beziehung gebracht werden können, doch in der Kriegszeit ent-
standen sind.
In Zusammenhang mit dieser Frankfurter Spielbevvegung steht eine Ab-
handlung in der Zeitschrift 'Deutsche Gaue' TJIG S. 167. Dort heisst es:
„Auf dem Asphaltpflaster im Städtlein sah man im Mai auf einmal magische
Figuren mit Kreide gezeichnet, oft 5, 7 hintereinander, rund 1 m breit und 3 m
hoch. Und die Buben und Mädel sah man, wie sie ein Hölzchen in die Felder
warfen. Aufangs glaubten wir, sie knobeln das Datum des Friedens aus. Allein
es war ein ganz neues Spiel. Einen Namen haben sie ihm noch nicht gegeben
und wer es aufgebracht hat, weiss ich nicht. Unsere Nachbarin meint allerdings,
das hätten die gefangenen Russen eingeführt, und sie lasse ihre Mädel das Spiel
nicht spielen, weil sie solche 'Kratteln' dabei machen müssen." Es folgt jetzt
Zeichnung und Ausführung des Spiels, das im wesentlichen mit 'Himmel und
Erde' übereinstimmt.
Es wäre gewiss eine dankbare und lohnende Aufgabe, auch in andern deutschen
Gauen eine planmässige Sammlung dieser Hickelspiele, namentlich der
in der Kriegszeit entstandenen, zu versuchen.
F r a n k f u r t a. M. J o s e p h I) i 1 1 m a n n .
Beiträge zur Volkskunde Osteuropas.
(Fortsetzung zu Jahrg. 2(1, :;22— 330.)
20. Fluchbrief gegen Diebe.
Fr. A. Wicken hauser venilTentlicht in seiner 'Geschichte des Bistums
Radautz' (in der Bukowina) 1. Bändchen S. IUI f. folgenden Fluchbrief des da-
maligen Bischofs von Czernowitz.
,.r)osothei von Gottes Gnaden Bischof der kaiserlichen Bukowina. Tun zu wissen
mit diesem unäcren Fluchbriefe, wienach Theodor Halip. Priester aus dem Dorfe Opri-
Kleine Mitteilungen. 241
scheui. vor uns gekommen ist und angezeigt hat, dass er nicht geringen Schaden durch
einen Diebstahl erlitten hat, indem ilim dort unter seinen Nachbarn 4 Ochsen, 1 Stute
und 1 Kalbin gestohlen wurden. Ebenso hat auch der Insasse desselben Dorfes Basil
Stratuht angezeigt, dass man auch ilim 11 Pferde und Ü Ochsen gestohlen hat. Da nun
unsere Seele diese Beschädigungen und die verabscheuuugswürdigen Frevel dieser Dieb-
stähle, welche unselige und keine Gottesfurcht kennende Leute verübten, nicht ertragen
kann,' so haben wir vermöge der uns vom gerechten Gott und unserem Erlöser Jesu
Christo durch die heil. Apostel gegebenen Gewalt „zu binden und zu lösen'-, über . . .
und über die Seelen derjenigen, welche den obgenaunten Diebstahl verübt
haben, über diejenigen, welche hievon wissen und über jene, welche davon erfahren
habea und dies nicht anzeigen, entschieden, dass alle diese von Gott dem Herrn, dem
gerechten Eichter und Erlöser Jesu Christo, von seiner reinsten Mutter, von den heil.
12 Aposteln, von :U,s heil. Vätern der Kirchenversammlung von Nikäa und allen Heiligen
verllucht seien. Eisen, Erz und Stein und aller harte Stoff soll verwesen, aber ihre
Leiber sollen nach dem Tode unverletzt und ungelöst bestehen! In der künftigen Ewig-
keit sollen ihre Seelen zugleich mit Juda an den ewigen Qualen teilnehmen, in dieser
Welt aber auf ihnen der Grimm Gottes lasten und über sie und über ihre Kinder sich
ausgiessen! Sie sollen in ihrem Leben keinen Erfolg haben, ihre Arbeit und Mühe ihnen
zum Verderben gereichen, ihre Weiber sollen Witwen bleiben, ihre Kinder
gehen, keine Nahrung finden und jeden Gedeihens bar sein ; alles Übel soll über sie kommen !
Das Zittern des Kain und die Geschwüre des Geesi soll auf ihren Leibern haften
auf dem Wege vertilgt werden, und ihre Kinder mit ihrer Habe auf ewig verderben.
Jene aber, welche den verübten Schaden zurückstellen, die Wahrheit iu Furcht Gottes
bekennen, sowie jene, welche diesen Frevel und die Lbelthäter dieses Diebstahls kennen
und entdecken, denen soll verziehen werden, und sie sollen gesegnet werden von Gott
dem Herrn! — So soll es sein!
178G. Dezember .;. Dosothei Rischof."
21. Weitere lieiträge zum iiiodenieii Aber- und Zauberglauben.
31o(lerne Sagenbilduiig.
Schon oben 21, 401 f. ist eine kleine Sammlung- von Zeitungsberichten
veröfTentlicht worden, aus denen hervorgeht, wie kräftig der Aberglaube noch
gegenwärtig sich äussert. Hier folgen einige neue Heiträge, von denen jene, die
mit dem Weltkrieg zusammenhängen, besondere Beachtung verdienen.
Der Frosch als Bräutigam. Ein Kulturbild aus der Bukowina entrollte sich
vor dem Strafgerichte in Czernowitz, vor dem eine aus vier Köpfen bestehende
Zigeunerfamilie wegen Betruges angeklagt war. Anfang Dezember erschien die IGjährigo
Zigeunerin Samtira ]\Ioldawan bei dem Dienstmädchen Frosina Lastiwka und versprach,
ihr mit Hilfe von 27 Teufeln einen Bräutigam zu verschafien. Sie nahm dem Mädchen
einige Perlenschnüre und fünf Kronen sowie ein Hemd ab, indem sie sagte, dass sie diese
Gegenstände für das Zauberwerk brauche. Infolge einer Aufforderung der Zigeunerin
erschien die Lastiwka einige Tage später bei der Zigeunermutter. Sainfira nahm dem
Mädchen einen Pelz ab, den sie trug, verlangte von ihr noch zehn Kronen und stellte
dann eine Schüssel vor sie hin. in die das Mädchen ein Paar Ohrringe und einen Pting
werfen musste. Die Schüssel wurde hierauf mit einem Tuch zugedeckt, die Zauberin
murmelte einige Zaubersprüche, und als das Tuch entfernt wurde, erblickte das Mädchen
in der Schüssel einen Frosch, der ihr von der Zigeunerin als ihr künftiger Bräutigam
vorgestellt wurde. Auch anderen abergläubischen Leuten wurden auf diese Weise Geld
und Wertsachen entlockt. Die Zigeuner verstanden es. ihre Kundschaften zu überzeugen,
dass sie ihnen mit Hilfe des Teufels Gutes erweisen können. Die Zigeunermutter wurde
zu zwei Jahren. Samtira Moldawan zu acht Monaten, die Zigeuner Wasyl Balusiak und
Wasyl Moldawan zu je drei .Monaten schweren Kerkers verurteilt. ("Der Freimütige
Wien, März 1912.)
Teufelsglaube im 20. J ahrhundert. In den ungarischen Gemeinden Vaskoh
und Baresd wurde ein heftiges Erdbeben verspürt. Im ersten Orte wurden durch die
242 Kaindl:
Erschütterung die Kin lienglocken in Bewegung gesetzt. Der Bewohner boniäclitigte sich
grosse Angst. Eine Wahrsageiin hatte dem Volke vorgemaclit, dass der Teufel Hunger
leide und deshalb die Erde erschüttere. Das Volk schleppte Kälber und Ziegen herbei
und warf sie in die Höhle, wo der Teufel angeblich wohnte. Der Wald wurde an zwei
Stellen in Brand gesteckt, um den sich dort aufhaltenden Teufel zu vertreiben. (Buko-
winer Nachrichten, 15. Nov. 1910.)
Hexenglaube in Ungarn. Wie aus Budapest gemeldet wird, lief vor kurzem
an den Magistrat der Stadt Zilah ein Gesuch ein, welches nichts weniger fordert,
als die Verbrennung zwoirr Menschen wegen Hexenmeisterei. Das an^die Zeiten des
Mittelalters mahnende Dokument ist streng nach amtlichen Formen abgefasst und
hat folgenden Wortlaut : Unterfertigter macht hiemit die Anzeige gegen den Zilaher
Wasenmoister Mitru Kucital, recte Johann Fülöp. Der Betreffende vertilgt sowohl die
in der Herde, als auch in privaten Stallungen beiindlichen Schweine schon seit Jahren
mit irgend einem Gifte aus Gewinnsucht, denn jedes nmgestandene Tier fällt in seine
Hände und wird von ihm teils verkauft, teils selbst verzehrt. Ich bitte daher, gegen
ihn das strafgerichtliche Vorfahren einzuleiten. Ausserdem zeige ich auch seine Frau
wegen Hexerei an, denn sie versteht es mit Hilfe einer Teufelsmaschine, alle ihr nicht
genehmen Personen für ewige Zeiten zu verderben. Dass die betreffende Weibsperson
tatsächlich eine Hexe ist, beweist der Umstand, dass sie auch einen Schweif besitzt,
ferner einen Mund wie eine Kröte. Ihre Wohnung ist gefüllt mit Stricken gehängter
Menschen und mit dtren Knochen, mit welchen sie Wunder wirken kann, wenn sie in
diese bineinbläst. Ich beantrage das Abschneiden des Schweifes dieser Frau, da sich
in diesem ihre Wunderkraft verbirgt. Ferners bitte ich, dass .sowohl Johann Fülöp als
auch dessen Frau zum Tode verurteilt werden, da sie nur zum Schaden der Menschheit
aut der Welt sind. Auch mich haben beide derart ins Verderben gestürzt, dass ich auch
jetzt noch krank und elend darniederliege. Ich erwarte die baldige Erledigung dieser
meiner J^itte und verbleibe mit untertänigster Ergebenheit Georg Fritzi. Zilah, am
21. Juli 1911. (Deutsches Volksblatt für Syrmien, 19. Aug. li'll).
Eine behördlich konzessionierte Kartenaufschlägerin. Ungarische Blätter
erzählen, dass im Ofenpester Ministerium des Innern eine sonderbare Untersuchung ver-
lugt wurde. In Stein amanger lebt nämlich eine alte Frau, die in den dortigen Blät-
tern Inserate einrücken liess, in denen sie nicht nur ihre Kunst , Karten zu legen, der
p. t. Gesellschaft empfahl, sondern auch hinzufügte, dass ihr die Ausübung ihrer Kunst
vom hohen Ministerium des Innern gestattet worden sei. Diese Inserate sendete ein
offenbar weichherziger Anonymus an das Ministerium, das sofort itine hochnotpeinliche
Untersuchung einleitete, die schliesslich ergab, dass der armen, alten Frau in der Tat
das ungarische Ministerium vor zehn Jahren das Kartenaufschlagen in aller Form ge-
stattete. Die Urkunde mit der eleganten Unterschrift des ^Ministers und mit dem feier-
lichen Siegel des Ministeriums beiludet sich in den Händen der Kartfnaufschlägeriii.
(Bukowiner Nachrichten, G. Dez. 1910.)
Dabei darf nicht vergessen werden, dass moderne Sibyllen auch im Westen
noch in grosser Zahl tätig sind. Dazu vgl. man die Nachricht aus dem Jahre
1910 über die 2000 Kartenlegerinnen in Berlin (oben 21, 403).
Warum russische Bauern revoltieren. An der Grenze zwischen Österreich
und Eussland, im Kreise Belgorai (Gouvernement Lublin), befindet sich ein Flüsschen,
das sich für die Holzflössung bisher sehr wenig geeignet erwiesen hatte. Daher beschloss
die Verwaltung des Verkehrsbezirkes, eine Partie von Ingenieuren dahin zu entsenden,
um den Fluss für den genannten Zweck geeigneter zu machen. Mit grossem Misstrauen
sahen die Bauern am Ort den ihnen unverständlichen Arbeiten der Ingenieure zu. Es
begannen allerlei Mutmassungen in den Köpfen der Leute zu spuken : die einen meinten,
dass man den Bauern das Flussland abnehmen wolle, andere behaupteten, die Ingenieure
wollten dem Flüsschen den Abstrom nach Osterreich versperren, wodurch die Holzflössung
unmöglich werden würde. Es fanden sich sogar besonders weise Leute im Dorfe, die
versicherten, die Regierung wolle die Cholera aus Petersburg nach ()sterreich fort-
Kleine Mitteilungen. 243
schwemmen, und wäliroud die Seuche an den Dörfern vorbei durch den Fluss ziehen
würde, könne man ein allgemeines Sterben iu den anliegenden Dörfern erwarten. Das
Ergebnis dieses hirnverbrannten Geredes der Dörfler war, dass schliesslich die Bauern-
bevölkerung, Männer und Weiber, sich mit Sensen, Heugabeln und Knütteln bewaffnete
und gegen die Ingenieure mit Drohungen, die Arbeiten sofort einzustellen, auszog.
Die Intervention der Polizei half nichts. Vergebens suchten der Kreischef, der Chef der
Landwächter und die Ingenieure selbst den Bauern das Unsinnige ihres Benehmens aus-
zureden. Erst nach einem Widerstand von zwei Wochen gaben die Bauern der Ge-
walt nach. Es trafen Kosaken ein, nahmen Verhaftungen unter den Rädelsführern vor,.
und erst jetzt konnten die Ingenieure unter militärischer Bewachung ihre Arbeiten zum
Besten der Bauern fortsetzen. (Bukow. Nachrichten, 30. Okt. 1910.) — Als Gegenstück zu
diesem Berichte diene folgender: Als in der Bukowina 18(^5 die erste Bahn gebaut
wurde, nahm ein Ingenieur in einem Felde Sonnenbäder. Wegen der herrschenden Dürre
waren die Bauern erregt. Sie glaubten, dass der Ingenieur, um seine Arlieiten zu fördern,
das Wetter hexte, überiielen und schlugen ihn. Vgl. meinen Aufsatz 'Die Wetterzauberei
bei deu Riithenen' in Mitt. d. k. k. geogr. Gesellschaft, Wien 1894.
Vater Illiodors Prophezeiung. Der Weltuntergang muss luin doch heran-
genaht sein, daran lässt die Erklärung des Vaters Illiodor, des durch seine Exzentrizitäten
bekannten Mönches im Zarizyner Kloster, keinen Zweifel. Vor der furchtbaren Kata-
strophe soll der Antichrist in der Welt erscheinen, und dieser Zeitpunkt soll in zwei
Wochen erreicht sein. Illiodor und mit ihm eine Anzahl anderer Mönche und auch
streng orthodoxe Kirchengeistliche ermahnen das Volk, sich zu retten. Aber wie man
sich retten soll, dazu weiss weder Vater Illiodor noch sonst jemand einen praktischen
Rat. Den Leuten in Zarizyn und Umgebung soll denn doch geholfen werden können.
Vater Illiodor lässt gegenwärtig drei Tunnels von 9 Fuss Tiefe unter drm Kloster graben
und im Klosterhof riesige Kanäle ausschaufeln. Gegen .'500 Gläubige und Anhänger des
Wolga-Propheten, darunter viele Frauen und Kinder, arbeiten an den Unterhöhlungon.
Binnen 25 Tagen muss das ganze Werk vollendet sein, das heisst gerade zur Ankunft
des Antichrist, worauf dann die Gläubigen unter dem Kloster und tief unter dem Hof-
pflaster Rettung suchen können. Illiodor erklärt, bis unter die Erde reiche die Macht
des Teufels nicht, und da beim Weltuntergang auch keine Erderschütterungen erfolgen
würden, so könnten die Gläubigen in ihrem Versteck froher Dinge sein, bis die Posaune
des jüngsten Gerichts ertöne. Die weltlichen Behörden lassen den überspannten Mönch
ruhig gewähren und müssen es auch tun, da sie sich in Kloster- und Kirchenangelegen-
heiten nicht einmischen dürfen. Bukow. Nachrichten, 25. Okt. 1911.)
Russische Legenden über Przemysl. Nach der 'Siebenbürgisch-dcut-
schen Tagespost' vom 30. Janner 1915 veröffentlichte die in dem damals von den
Russen belagerten Przemysl erscheinende 'Lagorzeitung' einen Brief, der bei
einem gefangen eingebrachten russischen Inlanleristen des 326. (wolhynischen)
Regiments gefunden worden war. Dieser Brief schildert die ungeheuren Schwierig-
keiten der Belagerung, erzählt von der vernichtenden Wirkung der österreichischen
Geschütze und fährt dann fort:
„Sie haben in der Stadt einen furchtbaren Befehlshaber, deu noch niemand besiegt
hat. Dieser Mann ist sehr gross und immer im ärgsten Feuer, aber die Kugeln treffen
ihn nicht, sondern fallen wirkungslos an ihm herunter und tun ihm keinen Schaden.
Mau sagt, dass er mit dem „Bösen" Umgtmg pflegt, aber ich glaube, dass er es viel-
mehr mit dem „Guten" hält, weil in einer ihrer Kirchen, deren es zahlreiche in der
Stadt gibt, die wundertätige Muttergottes ist, die so mächtig ist wie unsere in Czen-
stocbau oder die in Pocajow. Man erzählt, dass vor dieser Muttergottes Tag und Nacht
Kerzen brennen und dass drei Bischöfe, ununterbrochen davor knieend, Litaneien beten.
— So wie die Schweden Jasna Gora (Czenstochau) nicht einnehmen konnten, ebensowenig
können wir Przemysl einnehmen, weil die wundertätige Jungfrau die Stadt mit ihrem
Mantel bedeckt. — Nun grüsse ich Euch alle, meine Lieben, und bitte Euch, mir ehe-
stens zu antworten. Ich schliesse mein Schreiben mi dem christlichen Grusse : Gelobt
sei Jesus Christus in alle Ewigkeit ! Amen."
■944 Kaindl, Kothl^arth:
Dieselbe Zeitung- veröllentlichte am 5. Febr. l'-H.') aucli l'olgenden Bericht:
Legenden über Przemysl im russischen Heere. Die Tatsaclien, wie die der
^merhört heldenmütigen Verteidigung der Festung während der ersten Belagerung, sowie
die enormen Verluste der Russen riefen unter den russischen Soldaten eine furchtbare
Angst vor dem Befehle hervor, gegen diese „entsetzliche Festung" zu marschieren. Kein
Wunder, wenn derzeit unter den russischen Soldaten allerlei Legenden über diese „furcht-
bare Festung" entstanden. Die russischen Soldaten siugen auch ein Lied, in welchem
-es heisst, dass Przemysl ein Teufel erbaute und nur wieder Teufel diese Festung
erobern können. Alele russische Soldaten, welche die erste Belagerung mitgemacht
.haben, erzählen, dass sie gesehen haben, wie die Gottesmutter mit ihrem Mantel die
Stadt beschütze und alle gegen die Stadt gerichteten Geschosse abprallen.
Ein „heiliger Brief" an die russischen Soldaten. Aus Debreczeu wird ge-
schrieben: linter den jüngst eingelieferten russischen Gefangenen befand sicli auch ein
Soldat des 58. Infanterieregiments namens Andre Gucsabkij. Bei diesem wurde ein
im Pocsajewer russischen Kloster vervielfältigter ,.heiligfr Brief" gefunden, den die Armee-
leitung unter die Soldaten verteilen Hess. Dieser Brief lautet iu deutscher l'bersetzung;
„Heiliger Brief an die russischen Soldaten ! Dieses Schreiben wurde in der
Pocsajewer Klosterkirche hinter dem Bild der heiligen Jungfrau gefunden. Den
Brief selbst hat der Sohn Christus der heiligen Jungfrau geschrieben, und wer
ihn liest, dem bringt der Krieg Glück, der bringt dem Väterchen Glück, dem
Zaren aller PaisseB, auf dass er seine Feinde niederringe.
Kussischer Soldat I Ich Jesus Christus gebiete Dir, dass Du diesen Brief,
wenn Du ihn gelesen hast, Deinem Kameraden weitergeben sollst. Unser Herr
und Gebieter, der grosse und mächtige Zar, ist mit seinen Völkern in Gefahr
geraten. Feinde haben ihn angegriflen, wiewohl er über die ganze Welt seine
]\Iacht ausbreiten muss, damit alle Lebewesen auf Erden die Güte und den Segen
seiner Hand fühlen können. Der (>rosse und mächtige Zar hat zu denWaffen gegriffen,
damit er mit Euch, russische Soldaten, das Erbe seiner Väter vergrössere. Er
ist mit Euch in einen siegreichen Krieg gezogen und Eure PÜicht ist es, für
den Zaren das Blut zu vergiessen und das Leben zu opfern. In wilden
Schlachten ist der Segen der heiligen Jungfrau mit Euch und begleitet Euch
auf dem Weg der Gerechten. Ruchlos ist der Feind und verursacht Russland
Schaden. Denkt an Eure daheim gebliebenen Familien, an Eure Weiber und
Kinder. Verteidigt Ihr aber das Land des Zaren nicht und erntet Ihr keinen
Sieg, dann verdient Ihr nicht die Sonne, dass Ihr ihre Wärme fühlt, verdient
Ihr nicht die Luft, dass Ihr sie einatmet, nicht die Ernte der Erde, nicht
die Gnade des Zaren, die um Euch Strahlen des Glücks windet.
Seid auf der Hut! Wer in des Feindes Hand gerät, stirbt den Tod der
Tode. Er fällt der Verdammnis anheim, verliert das Seelenheil, seine Familie
wird bis zum siebenten Glied büssen und den strafenden Zorn des Zaren fühlen.
Kämpfet im Namen der heiligen Jungfrau und des Zaren, denn .sie sind all-
gegenwärtig." (Budapester Tagblatt. 30. April 1915.)
Die Austreibung des Beelzebub. Aus Petersburg wird der 'Zeif gemeldet:
In dem Vororte Petersburgs, Parochowoje, befindet sich in der Nähe der Kronpulver-
iabriken die Kirche zum Andenken an die Jieiligc Paraskewa. Alljährlich am Freitag
vor dem 20. Juli wallfahrtet die Bevölkerung der Umgegend zu dieser Kirche, um einem
in gleichen Formen sich wiederholenden, beispiellos rohen Schauspiel beizuAvohnen. An
<ier Rückseite der Kirche ist ein grosses Heiligenbild der Märtyrerin Paraskewa ange-
bracht. Eine tausendköplige Menge umlagert den Platz, die mit gespannter Aufmerk-
samkeit zuschaut, wie drei kräftige Burschen, die auf einem Gerüst stehen, ein nur mit
«inem Hemde bekleidetes junges Frauenzimmer zum Bildnis der heiligen Paraskewa
hinaufziehen. Zwei Burschen haben je einen Arm der Unglücklichen gefasst, während
einer das Mädchen an den Haaren zerrt. Unter unmöglichen Quälereien bis zum Bilde
omporgerafft, muss die angeblich vom Teufel Besessene unzählige Male die heilige Para-
Kleine Mitteilungen. 245
skewa küssen und laut klagend um Vergebung bitten. Alsdann wird die vor Sclimerz
halb Ohnmächtige wiederum an den Haaren auf die Erde herabgelassen. Nun wipd ihr
der Mund gewaltsam geöffnet und unglaubliche Mengen Wasser hineingegossen, um den
in der Mädchenseele wohnenden Teufel zu ertränken. Diese Prozedur dauert so lange^
bis die Arme, dem Ersticken nahe, zusammenbricht. Ein zufälliger Augenzeuge erkun-
digte sich nach dem Zweck di<=ses barbarischen Vorganges. Ihm wurde die Antwort zu-
teil, dass der Teufel das Mädchen zur Unzucht verleitet habe. Die heilige Paraskewa
heilt aber die durch ihr ausschweifendes Leben erkrankten Mädchen und treibt den bösen
Geist aus. Noch weitere sechs Mädchen erwartete dis gleiche Schicksal. Ergeben^
unter fortwährendem Bekreuzigen, Hessen die Unglücklichen die Grausamkeiten über sich
ergehen. Daiür gewannen sie das Bewusstsein, die heilige Paraskewa habe ihnen ihre
Schuld verziehen und sie von der Schmach befreit. Nachher wurden die ..Geheilten" in
reicligeschmückte Gewänder gehüllt und wieder als vollberechtigt in die Dorfgemeinschaft
aufgenommen. "Wie gross die Volksmenge ist, die diesem Schauspiel beiwohnt, gelit au»
der Angabe hervor, dass ti47 im Gedränge zu Schaden Gekommenen ärztliche Hilfe zu-
teil werden musste. Zwei Frauen und drei Kinder wurden aber zu Tode gedrückt. Sa
geschehen am 20. Juli 1913 im ..Kulturstaate" Kussland. Nicht etwa in einem verlassenen
Erdenwinkel des gewaltigen Reiches, sondern 20 Werst von der Residenz entfernt.
(Bukow. Nachrichten, 15. August 1913.)
Aus Aberglauben ermordet. Wie ans Warschau gedrahtet wird, verbreitete
sich im Dorfe Molice bei Saudomierz unter der Bauernschaft die Wahnidee, dass an dem
diesjährigen schlechten Sommerwetter ein Ortsbewohner schuld trage, dessen unmoralischer
Lebenswandel Gottes Zorn und Strafe lieraufbeschworen habe. Di* abergläubischen
Bauern rotteten sich zusammen, zogen vor das Haus Jenes Bauern, namens Cichon, über-
fielen ihn, schleppten ihn iodann in den Hof und schlugen so lange mit Knütteln auf
Cichon ein, bis dieser kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Die Täter wurden ver-
haftet. (Bukow. Nachrichten, 29. Aug. 1913.)
Graz. Raimund Friedrich KaindL
Zur Völkerschlacht am Birkenbauni.
Über die Sage von der Völkerschlacht der Zukunft am Birkenbaum hat
bereits 1897 Friedrich zur Bonsen eine zusammenfassende Arbeit veröffentlicht.
(In 3. Auflage erschienen 1910.) Das gleiche Thema behandelt im Anschluss
an das Aufleben alter Prophezeiungen im Weltkrieg im Jahre 1915 Stephan-
Steinlein: 'Über die Herkunft der Sage und Prophezeiung von der letzten W^elt-
schlacht am Birkenbauni in Westfalen, mit Erläuterungen zur deutschen Kaiser-
sage und heutigen Weissagung.' Er kommt dabei aber über das Werk seines
Vorgängers nicht heraus^).
Zu einem Punkt, der sich bei zur Bonsen (S. 7) findet und den Steinlein
(S. 52) einfach von dort übernommen hat, sei eine Berichtigung gebracht. Es-
heisst da: .,Tn den Freiheitskriegen, welche die Völker in den Kampf trieben
gegen den Unterdrücker, scheint die Schlacht (am Birkenbaum) von der Be-
völkerung AA^estfalens nicht erwartet worden zu sein." Dem widerspricht aber
1 Eine neue Kritik versucht F. Rohr: 'Die Prophezeiung von der Entscheidungs-
schlacht des Europäischen Krieges am Birkenbaum und andere Kriegsprophezeiungen
(1917). Er will die Weissagung aus den zeitlichen Umständen ihrer Entstehung, nämlich
den Ereignissen des Jahres 1701, auf den Nordischen Krieg und den Spanischen Erbfolge-
krieg deuten — in manchem vielleicht richtig, im ganzen doch nicht überzeugend.
246 Rothbarth;
eine bei Scheible, VolUswitz der Deutschen über den gestürzten Napoleon I..
Stuttgart 1849, S. l'23ff. abgedruckte Prophezeiung: 'Der Prophet der neuesten Er-
eignisse. — In einem Kloster gefunden. Nebst Gedanken und Vorhersagungen
von Klinger.' Im Jahre 1805 ist der Verfasser mit einem Kriegskameraden in
der Nähe von Paderborn einquartiert und erfährt bei dieser Gelegenheit den In-
halt einer alten Schrift im Kloster zu Hildesheim: 1S05 wird ein Krieg zwischen
den drei grössten Mächten Europas ausbrechen, der aber schnell enden wird.
, l.^OG wird Preussen eine Schlacht verlieren, der König muss mit dem Rest des
Heeres an die Grenze seiner Staaten, es gibt Frieden im Norden, aber nicht in
ganz Deutschland. Ein neuer Sturm, der aber auch schnell endet, wird losbrechen,
und der Friedensschluss wird alle nordisciien und deutschen Völker erbittern.
Im Jahre 1812 werden die französischen Heere in Scharen nach Norden ziehen,
und von nun an wird es den bisher siegreichen Völkern unglücklich ergehen Der
nordische Kaiser wird mit dem König von Preussen einen Bund schliessen, an
dem sich alle Fürsten vom alten Stamme Deutschlands beteiligen, und so wird
sich Preussen auf eine Stufe erheben, auf der es bisher noch nicht gestanden
hat. 1813 kommt es dann zur Entscheidung hinter der Porta Westphalica bis jen-
seits Tecklenburg, auf den Schafbergen bei Ibbenbühren (in der Grafschaft Lingen
im Grossherzogtura Berg;. Allda werden über Land und Meer so viele und so
mancherlei Truppen zusammenkommen, als man in solcher Mannigfaltigkeit noch
nie beisammen gesehen hat. Freunde und Feinde werden sich ähnlich sehen und
die Streitenden sich nur im Kampf an der Sprache erkennen. Der Feind wird
über die Grenze des Rheins hinaus fliehen, und ein Friede in Europa wird die
Frucht dieses Sieges sein. Dann werden in tausend Jahren Deutsche gegen
Deutsche keinen Krieg mehr führen. — Ganz Westfalen kennt diese Prophe-
zeiung, und der Verfasser kann viele rechtliche Männer nennen, denen er vor
sechs Jahren davon gesprochen hat; auch hat er das Wunderschlachtfeld, auf
dem sich Deutschlands Schicksal entscheiden soll, selbst gesehen.
Die Anklänge an die oft variierte Birkenbaum-Sage sind unverkennbar:
wenn auch das Baummotiv fehlt, wenn auch die Schlacht weiter nördlich verlegt
wird als in der alten Sage, wo der westfälische Hellvveg, der alte Heervveg vom
Niederrhein zur Weser, der Schauplatz des letzten grossen Ringens ist, so ist sie
doch auf westfälischem Boden lokalisiert und ist der furchtbare Endkampf, der
nach Strömen Blutes ein greifbares glückliches Ergebnis enthält. — Ein am West-
rande des Teutoburger Waldes gelegener Schafberg kommt in der Birkenbaum-
Sage einmal vor. (Zschr. f. Kulturgeschichte 4, i'ss.)
Ob es sich bei dieser Prophezeiung um den Dichter Maximilian Klinger als
Verfasser handelt, liess sich nicht ermitteln. In seinen gesammelten Werken
(Cotta 1842) findet sich die Stelle nicht. Scheible hat ja wahllos alles, was ihm
unter die Hände kam, ohne genaue Orts- und Zeitangaben und kritische Prüfung
abgedruckt, wenn es sich nur auf sein Thema bezog, das in diesem Fall die
Kämpfe 1805 — 13 waren. Das Datum der Aufzeichnung dürfte wohl 1809/10 sein.
Darauf deutet weniger das "vor G Jahren', was ja einfach eine geschickte Fassung
sein könnte, tim den Glauben an die Echtheit der Prophezeiung aufrecht zu er-
halten, als vor allem die Angabe 'in der Grafschaft Lingen im Grossherzogtum
Berg'. Das Grossherzogtum Berg, diese napoleonische Schöpfung, erhielt 1809
die Grafschaft Lingen, die aber 1810 an Frankreich abgetreten werden musste.
Da sie 1814 zwar wieder an Preussen kam, 1815 aber im Frieden an Hannover
fiel, wird man mit Ausnahme jener kurzen Zeit nicht von einer Zugehörigkeit zum
Orossherzogtura Bery' sprechen können — immer vorausgesetzt, dass der Vei fasser
Kleine Mitteilungen. 247
diese Besitzverhiiltnisse genau kannte oder dass er diese Bemerkung nicht in der
bestimmten Absicht gemacht hat, die Gh^ubwürdigkeit seiner Darstellung zu
erhöhen.
Die echte alte Prophezeiung von der Völkerschlacht am Birkenbaum hat wie
so vieles alte volkskundliche Gut jetzt im Weltkrieg ihre Wiederauferstehung
gefeiert. 'Die Seherblicke aus Eschweiler', die auf den Ausgang des jetzigen
Krieges sich beziehen sollen, stellten sich als Umformung der alten Sage dar, die
einige aktuelle Zutaten erhalten hatte, (zur Bonsen, Prophezeiungen, S. 51 :
Grabinski S. 2H»ff.) Und noch im März und April des Jahres 1917 tauchte in
verschiedenen Zeitungen die Nachricht von einer Wismarer Prophezeiung auf, die
unleugbar die Birkenbaumsage zum Vorbild hatte (Rohr S. 19). Hier lässt sich
ganz genau trennen, was altes Sagengut ist (Leerstehen des päpstlichen Stuhles,
der Fürst, der verkehrt zu Pferde steigt usw.) und was aus den jetzigen Zeit-
ereignissen heraus neu dazu gekommen ist (Anspielungen auf die Zeppeline, die
U-Boote, die Brotkarte usw.).
Berlin. Margarete Rothbarth.
Zur Literatur der Kriegspropliezeiuugen.
Die wichtigsten Prophezeiungen zum Weltkrieg sind schon in zusammen-
fassenden Darstellungen behandelt. Zu nennen sind vor allem: P. zur Bonsen,
Die Prophezeiungen zum Weltkrieg 1914 — 1916 (Köln 1916, vgl. oben S. 174),
A. HcUwig, Weltkrieg und Aberglaube, Erlebtes und Erlauschtes (Leipzig 1916,
oben 26, 216), B. Grabinski, Neuere Mystik. Der Weltkrieg im Aberglauben und
im Lichte der l'rophetie (Hildesheim 1916, S. 212 — 274). Es seien hier noch
mehrere Schriftchen erwähnt, die diesen Verfassern entgangen oder erst nach
ihren Publikationen erschienen sind:
1. 'Die Entscheidungsschlacht bei Pinsk und die Wiederherstellung des
Königreichs Polen. Außerordentliche Weissagung des seligen Andreas Bobola
S. J. (x 1657) mit einem Bericht über das Leben und das grauenvolle Martyrium
des Seligen von Prof. Dr. Albert Sleumer. 2. u. 3. Auflage. Veohta in
Oldenburg 1915'. Darin wird die Vision des Wilnaer Dominikanerpaters
Korzeniccki im Jahre 1819 geschildert, wonach auf der Ebene von Pinsk ein
furchtbarer Kampf stattfinden solle, nach dessen Ablauf Polen wiederhergestellt
und der Märtyrer Bobola als sein Schutzpatron anerkannt werde. Dieser
Augenblick sei jetzt gekommen, denn die geschlagenen Russenheere eilten schon
auf Pinsk zu; — damit sind die termini ante et post quos der Entstehung der
Schrift ziemlich genau gegeben: am 15. September 1915 war der Einzug in Pinsk,
am 26. August war Brest-Litowsk gefallen, wodurch der Weg nach Pinsk frei
wurde. 'Nach wenigen Tagen' ist laut Aussage des Verfassers im Vorwort eine
neue Doppelauflage dieser Schrift nötig geworden. Die Sage von der Wiederher-
stellung Polens ist jetzt weit verbreitet, sie findet sich in verschiedenen Abhand-
lungen über Kriegsprophezeiungen (z. B. A. Grobc-Wutischky, Der Weltkrieg in
der Proi)hetie, S. 79; Rohr, Schlacht am Birkenbaum S. 64), besonders auch in
den französischen, wo sie natürlich im entgegengesetzten Sinn wie in Deutsch-
land ausgelegt wird. Auch die Polen denken nach der Gazetna Narodowa voll
heimlicher Hoffnung 'an die Stunde des großen Völkerkriegs, die nach einer alten
in unserem Volke verbreiteten Sage Polen die Freiheit wiederbringen sollte'
(Frankfurter Zeitung. 2. Morgenblatt vom 9. November 1916.)
248 Kothljitrtli:
2. 'Was sagt die Bibel vom Weltkrieg? 1. Teil: Gog und seine Niederlage
Hesekiel 38 und 3U. Ein Nachweis, daß England Gog ist, von welchem der Pro-
phet geweissiigt hat, und darum in diesem Kriege unterliegen muß. Nachgewiesen
von Pastor D. W. Langelett, Luzerne, Jowa. Selbstverlag'. Vielleicht ist dies
das merkwürdigste und unfreiwillig humoristischste Erzeugnis der ganzen Prophe-
zeiungsliteratur unserer Tage, und es ist nur zu bedauern, daß die späteren Teile
der Schrift, die sich mit Daniel und der Offenbarung Johannis beschäftigen sollen,
anscheinend nicht erschienen, jedenfalls in Deutschland nicht aufzutreiben sind.
Die Beweisführung ist etwa so: Da der Prophet von dem Reiche Gog so Schreck-
liches prophezeit hat, hat sich wohlweislich kein Land diesen ominösen Namen
beigelegt. Und nun wird der Nachweis geliefert, daß alle vom Propheten ge-
nannten Völkerschaften in diesem Krieg auf der Seite der Verbündeten kämpfen,
und sodann, daß England unter diesen die Rolle spielt, die der Prophet dem Gog
zuschreibt. Die Engländer, 'die in den Inseln wohnen', die, wie es bei Hese-
kiel heißt, ein Heer von Mohren. Persern, Libyern mit sich führen, kämpfen als
Gog gegen Israel, d. h. die Deutschen! In dieser Weise wird die These kühn
durchgeführt.
3. 'Les predications sur la fin de TAllemagne, reunies et commentees par
R. d' Arm an. Paris' (ohne Datum, das sich aber aus inneren Gründen leicht er-
mitteln läßt: ein Artikel vom 10. September 1914 ist in der Schrift zitiert, aber
sie weiß noch nichts vom Eintritt der Türkei in den Weltkrieg, der am 31. Oktober
1914 erfolgte). Wer der Verfasser ist, läßt sich mit unseren augenblicklichen
Hilfsmitteln nicht feststellen; sein Name kehrt auf der Anzeigenseite des Um-
schlags wieder, wo sein Buch angezeigt ist: D'Arman et General Pau, L'armee
fran(^aise en face de l'armee allemande.' Es handelt sich hier um eine Zusammen-
fassung aller Prophezeiungen, die 'avec une concordance surprenante' auf das
Ende Deutschlands und der HohenzoUern hinweisen. Das psychologisch Inter-
essante dabei ist, daß fast alle Weissagungen, die zur Erhärtung dieser These
herangezogen werden, auch in der deutschen Prophetieliteratur behandelt sind;
dort natürlich mit dem entgegengesetzten Ergebnis. Die Methode ist bei beiden
Parteien die gleiche: Stellen, die nicht in die Tendenz passen, werden ent-
weder einfach fortgelassen oder solange gedreht und gewendet, bis sie die
Gestalt haben, die sie nach der Absicht der Verfasser besitzen sollen. Ohne
weiter auf d'Armans Methode einzugehen, die ja nur psychologisch, nicht sachlich
von Interesse wäre, muß doch noch hervorgehoben werden, daß der französische
Rationalismus bei dem Verfasser öfters zum Durchbruch kommt, so daß er seinen
eigenen Ausführungen skeptisch gegenübersteht: trotz den anmasslichen Einlei-
tungsworten wird sein Programm nicht gewahrt, sondern fast alle Behauptungen
werden in der Ausführung bescheiden eingeschränkt: 'Das kann sich vielleicht
auf die gegenwärtigen Ereignisse beziehen'. — 'Das bedeutet vielleicht einen
Krieg, vielleicht einen Sieg der Franzosen'. — 'In bezug auf genaue Bezeichnung
haben Vorhersagungen im allgemeinen grosse Elastizität' u. s. f.
4. 'Gabriel Langlois, Les propheties relatives ä la gucrre de l'.»14 — ll»lö.
Paris 1915.' Ähnlich wie die vorhergehende Schrift, nur insofern noch kritikloser,
als sie sich mit ganz unwesentlichen begleitenden Bemerkungen begnügt und in
der Hauptsache nur den Text der schon bekannten Prophezeiungen bringt. Für
Deutschland interessant sind aber drei darin geschilderte 'phenomenes mysterieux'.
Einmal, dass die Elberfelder Pferde des Herrn Krall im August 1914 grosse Un-
ruhe, Appetitlosigkeit, Nervosität zeigten. Anstatt die Kubikwurzel aus einer ge-
gebenen Zahl zu ziehen, antworteten sie immer: .,1915". Dies sollen die 'Neusten.
Kleine Mitteilungen. 249
Nachrichten, Organ von Ostpreussen' (?) am 16. August 1914 berichtet haben.
Ferner: im Mai 1914 seien der Kaiser und Bethmann Hollweg in den Juliusturm
zu Spandau gegangen, als plötzlich auf der letzten Pforte in französischer Sprache
die Worte sichtbar wurden: 'La citadelle ne tardera pas a subir de nouveau le
sort de . . .'. Niemand wusste, woher diese Worte stammten. Der Kaiser Hess
sie nicht auslöschen, wohl aber alles sorgfältig abschliessen, so dass bis zu seinem
nächsten Besuch niemand dort gewesen sein konnte. Als er aber dann im Juni
wieder hinging, war der Satz vollendet: 'le sort de 1806', dem Jahre, wo die
Franzosen Spandau in Besitz genommen hatten. Schliesslich die charakteri!^tischste
dieser neuen Sagen, weil sie an eine alte Überlieferung anknüpft, nämlich an die
Sage von der Weissen Frau: Dreimal sei sie dem Kaiser in den Monaten Juni
und Juli 1914 erschienen. Zum erstenmal um Mitternacht im Schlosse von Pots-
dam, dann Nachmittags in der Ahncngallerie dos Berliner Schlosses und schliess-
lich im kaiserlichen Park. Die beiden ersten Erscheinungen werden ausführlicher
geschildert, über die dritte wird nichts Näheres berichtet; eine Berliner Zeitung
habe Erklärungen dazu geben wollen, doch habe man ihr bedeutet, sie möge
schweigen. Da diesen Erzählungen eine kleine historische Abhandlung über die
Weisse Frau (vgl. J. G. Th. Grässe, Sagenbuch des Preussischon Staates, Glogau
1868, 1, 15 ff.) vorausgeschickt ist, sowie über die Bedeutung ihrer Erscheinungen
vor dem Tod eines HohenzoUern, so ist der tendenziöse Zweck der Sage klar.
.'). 'Yves delaBriere, Le destin de l'Empire allemand et les oracles pro-
phetiques. Essai de critique historique. Paris 1916.' Dieses Büchlein ist weniger
eine Zusammenstellung aller Prophezeiungen als vor allemeine sorgfältige Kritik einer
bestimmten Anzahl. Der Verfasser, der ein frommer Katholik ist und seinem Buch
ausdrücklich das Verbot des Index-Gesetzes über Prophezeiungen voranstellt (seine
Schrift hat natürlich das 'Imprimatur'), verfolgt die Entstehungsgeschichte verschie-
dener Prophezeiungen, zeigt ihre Zweideutigkeit und weist vor allem in ernsthafter
kritischer Methode nach, wie eine Anzahl von ihnen umgearbeitet und gefälscht
worden ist, um der gegenwärtigen Lage angepasst zu werden. Auf diese Weise
behandelt er die Piensberger Prophezeiung (zur Bonsen S. 14, Hellwig S. 79) die
Lehniner Weissagung (Grabinski S. 21.s), die Birkenbaumsage, die Antichristsage
des Bruders Johannes, wobei die tendenziöse Bearbeitung durch Peladan beson-
ders scharf gegeißelt wird, die Prophezeiungen von Bobola und dem Cure d'Ars.
Die beiden letzten verwirft er nicht ganz, da es sich ja um von der Kirche aner-
kannte Männer handelt, doch ist er auch hier vorsichtig und kritisch in seinen
Polgerungen. Übrigens sei auf die Prophezeiung des Cure d'Ars besonders hin-
gewiesen, die in zwei französischen Darstellungen auftaucht (de la Briere, S. 124 ff.
mit ausführlichen Dokumenten; d'Arman S. 29), in Deutschland aber, soweit sich
aus dem vorliegenden Material beurteilen lässt, noch nicht belegt ist; wohl weil
sie spezifisch tendenziös im französischen Sinne ist, ist sie im Volke noch nicht
aufgetaucht und daher auch nicht in die wissenschaftlichen Darstellungen, die ihr
Material hauptsächlich aus einem bestimmten Vorstellungskreise nahmen, über-
gegangen.
Berlin. Margarete Rothbarlh.
Zu Georg Polivkas 60. Geburtstag.
Am 6. März 191s feierte in Prag der auch den Lesern dieser Zeitschrift
wohlbekannte Forscher Professor Dr. Georg Polivka seinen 60. Geburtstag. —
Geboren 1858 zu Enns in Oberösterreich, wo sein Vater als Eisenbahningenieur
ZeitKchr. d. Vereins f. Volkskunde. 1M7. Hell 3. 17
250 Horak, Bolte:
tiitig war, besuchte er das Gymnasium zu Prag und studierte an den Universitäten
zu Prag und Agram die slawischen Sprachen. 1.S85 habilitierte er sich an der
cechischen Universität zu Prag, an der er jetzt als ordentlicher Professor der
slawischen Sprachen und Literaturen wirkt. Schon sein Lehrer J. Gebauer, der
Begründer der historischen Grammatik der cechischen Sprache, hatte ihn durch
seine Vorlesungen über mittelalterliche Literatur zu stoffgeschichtlichen Studien
angeregt; noch mehr wirkte in dieser Richtung auf ihn eine im Winter 1889 — ItO
unternommene Reise nach Russland, auf der er in Verkehr mit Pypin, Veselovskij,
Tichonravov und andern russischen Forschern trat. Durch gründliche philologische
Schulung und durch Untersuchungen mittelalterlicher Legenden vorbereitet, ging
er an die durch ausländische Einwirkungen so vielfach beeinilussten slawischen
Volksüberlieferungen heran und gelangte früh zu der Erkenntnis, dass sich die
Entstehung und Wanderung der Märchen nicht durch eine einzige Theorie er-
klären lasse, da ihr Stoff nicht einheitlichen Ursprungs sei. Der kühne Plan, der
sowohl durch das Vorbild westeuropäischer vergleichender Literaturwissenschaft
als durch den Verkehr mit russischen und polnischen Gelehrten wie A. Pypin,
A. Veselovskij, J. Karlowicz angeregt wurde, erforderte eine ausserordentliche
Energie, da die Fülle des unbearbeiteten Stoffes geradezu abschreckend wirkte.
Seit dem Ende der achtziger Jahre veröffentlichte P. slawische Parallelen zu be-
kannten Stoffen, wie dem Doktor Allwissend oder König Midas: abgerundete
Abhandlungen über die Märchen vom Fischer und seiner Frau und Le chat botte
(im bulgarischen Sbornik 1899) folgten. 1904 erschienen seine Studien zur ver-
gleichenden Märchenkunde (Pohadkoslovne studie), welche drei Märchen (Grimm
nr. 20. G4. 133) und vier Legenden (Grimm nr. 44. 101 und die slavischen Er-
zählungen vom reuigen Teufel und vom rachsüchtigen Heiligen) mit erstaunlicher
Belesenheit durch alle Volkslitoraturen verfolgen. Viele in verschiedenen slavischen
Sprachen geschriebene Arbeiten erschienen in den Abhandlungen der k. böhmischen
Gesellschaft der Wissenschaften, in (echischen, polnischen, russischen, bulgarischen
Zeitschriften, in den Publikationen der südslawischen Akademie der Wissenschaften
in Agram u. a. Li deutscher Sprache veröffentlichte P. in dieser Zs. 1898 'Seit
welcher Zeit werden die Greise nicht mehr getötet', 1900 'Tom Tit Tot', 1903
'Die undankbare Gattin', 1913 'Der Trug des Nektanebos", 1916—17 'Personi-
fikationen von Tag und Nacht'; in der Zs. f. österr. Volkskunde 1901 'Vampyr',
1905 'Eine alte Schulanekdote', im Archiv für Religionswissenschaft 1 'Zur Poly-
phemsage', 0 'Vom Wechselbalg'; im Archiv für slawische Philologie 1905 'Der
kluge Knabe'. Über seine Monographie über die Lebenszeichen soll nächstens
berichtet werden. Zahlreich und gediegen sind auch seine Anmerkungen zu
fremden Märchensammlungen, z. B. die kritischen Anzeigen im Archiv f. slav.
Phil., zu Kubins cechischen Märchen aus der Grafschaft Glatz (1909 — 1914), ins-
besondere der slavische Teil der mit J. Bolte herausgegebenen Anmerkungen zu
den KHM. der Brüder Grimm: nirgends sonst ist der slawische Märchenstoff in
solchem Umfange wie in diesem grossen Werke kritisch bearbeitet worden. Einzig
in ihrer Art sind endlich die Berichte über südslavische, russische und ukrainische
Volkskunde in dieser Zeitschrift. Hoffen wir, dass dem rastlosen Forscher, dem
besten Kenner der slavischen Märchen, vergönnt werde, die reifen Früchte dreissig-
jähriger Arbeit noch in manchem trefflichen Werke niederzulegen!
Prag. J. Horak.
Kleine Mitteilungen. 251
Arthur Kopp f.
Am 10. Januar 19 IS verstarb nach läng:erem Leiden zu Lübeck unser früberes
Mitglied Professor Dr. Arthur Kopp, ein kenntnisreicher und sorgsamer Forscher
auf dem Gebiete des deutschen Liedes, dem auch unsere Zeitschrift wertvolle
Beiträge verdankt. Er war ein Ostpreusse, der aber die fruchtbarsten Jahre seines
Lebens, von 1887 bis zu seiner Übersiedlung nach Marburg 1909, in Berlin zu-
brachte. Zu Insterburg am 19. Dezember 1860 geboren, studierte er seit 1878 in
Kiinigsberg Philologie und trat dort 1884 in den Lehrerberuf ein, veriiess ihn aber
räch zwei Jahren, um sich dem Bibliotheksdienstc zu widmen. Er wurde zu-
nächst Hilfsarbeiter bei der Königlichen Bibliothek in Berlin und rückte allmählich
zum Oberbibliothekar auf. Mit der Übersiedlung in die Reichshauptstadt wandte
er sich zugleich von der klassischen Philologie ab, der er als Schüler Arthur
Ludwichs durch verschiedene Arbeiten über griechische Lexikographen gedient
hatte, hauptsächlich wohl, weil er mit einem Versuche, eine Sammelhandschrift
des Athosklosters als eine freie Erfindung des französischen Herausgebers zu er-
weisen, keinen Erfolg errang. Mit gutem Humor betitelte er eine damals unter
dem Pseudonym P. Raph. Turko herausgegebene Sammlung seiner Gedichte
'Trümmer aus dem geistigen Leben eines Gescheiterten', versicherte aber in der
Widmung seinen Königsberger Kommilitonen, dass es doch mit ihrem früheren
'Bierpoeten' nicht so schlimm stehe. Das neue Gebiet, auf das er sich voll Eifer
warf, war die deutsche Lyrik des 16.— 18. Jahrb., für die er in den zumeist aus
Meusebachs Sammeleifer herrührenden gedruckten und hsl. Schätzen der Berliner
Bibliothek überreiches Material fand. Tom Studentengesang ausgehend, unter-
suchte er die Entstehung und Verbreitung einzelner Lieder (Gaudeamus, Cram-
bambuli, Schöne Spielwerk, Vetter Michel, Morgenrot, Brembcrger, Tageliede
schwedische Nachbildungen deutscher Originale), lichtete das um verkannte
Persönlichkeiten, wie Jörg Grünwald, Günther, den ehrenwerten Buchdrucker
J. Balhorn, den kuriosen Dr. Eisenbart oder den böhmischen Grafen Spork,
gebreitete Dunkel, beobachtete den Gebrauch der Akrostichons, sammelte Tabaks-
lieder (1893) und Liebessprüche (1902). Den Dank der Liedforscher verdiente er
sich ferner durch die mit gelehrter Gründlichkeit unternommene systematische
Durcharbeitung der älteren Liederhandschriften und Liederbücher und die Ver-
ölTentlichung der Heidelberger Handschrift Pal. 343 (1905), des Bergliederbüchleins
(190B) und der Crailsheimschen Hs. (1899). Einen nützlichen Überblick über die
älteren deutschen Liedersammlungen gab er 1909 im Archiv für die neueren
Sprachen 121. — Auch während der letzten Jahre, als er in Marburg körperlichen
Leidens wegen aus dem Amte geschieden war, setzte er seine Forscherarbeit fort,
wie er bisweilen auch Beiträge zur Kriegslyrik lieferte. Im Herbste 1917 siedelte
er nach Lübeck, der Heimat seiner Gattin, einer Schwester seines früheren Ber-
liner Kollegen K. Th. Gaedertz. über. Dort hat ihn der Tod ereilt.
Berlin. Johannes Bolte.
252 1 Berichte und Besprechungen
Berichte und Besprechungen.
K.RhamnijUrzeitUche Bauernhöfe im germanisch-slawischen Waldgebiet.
Ein Buchauszug.
(Scbluss, vgl. üben 26, 385—399. 27. 71—83.)
IV. Abschnitt:
her südbajuvariscbe Bauernhof in seinen slvandinavischen Beziehungen
(•Feuerhaus" und 'Kinghof).
(S. 807—1055.)
14. Kapitel. Das südbajuvarische Doppelhaus (Feuerhaus" und Rauchstube').
(S. 807-900.)
1. Das Doppelhaus (S. 807 — 815). Von der skandinavischen stofa wissen
wir, dass sie an der einen Giebelseite ein Vorhaus hatte. Abgesehen von der
entlehnten slawischen /■•^liibo und der kärntnisch-steirischen Banchsiube, unterscheidet
sie sich dadurch von allen europäischen Häusern, die den Eingang ('Langtüre')
oder ihr Vorhaus alle auf der Langseite (Traufseite) haben. Rh. sieht nun dariii
einen grundlegenden und für die weitere Entwicklung des Hauses ausserordentlich
wichtigen Unterschied. Die erste Art (mit Giebelvorhaus) enthält schon in
ihrer ursprünglichsten Form die Möglichkeit einer Erweiterung des Hauses in der
Längsrichtung: das Giebelvorhaus wird als erster Schritt solcher Entwicklung zur
Speis- oder Schlaf kammer, oder beim Eindringen des deutschen Stubenofens zum
Herdraum. Als zweiter Schritt folgt dann die Anschiebung anderer Räume an die
andere (bisher freie) Seile des alten Gicbelvorhauses. Dadurch entsteht das
Doppelhaus. — Diese ganze Entwicklung zeigt sich uns in Skandinavien, Russ-
land und Polen und im ostalpinen Rauchstubenhaus. Auf dem ganzen deutschen
Gebiet (am reinsten beim niedersächsischen, dann aber auch beim fränkischen
Bau) sehen wir dagegen ausnahmslos die vom Herdraum direkt in den Hof führende
Langtüre. Wo wir aber (wie in Bayern und Tirol) neben der Küche (und scheinbar
seitlich von der Küche) ein durchgängiges Vorliaus linden, da ist dies deutlich
auf einen alten Einbau zurückzuführen, der ursprünglich aber auch ein deutliches
[jangtürhaus war. So liegt z. B. beim Mittertennbau die Tenne zwischen dem Herd-
raum und dem Stall. A's nun die Ofenstube eindrang und die Tenne durch Ein-
führung einer eigenen Scheune von ihrem alten Platz wegrückte, legte sich die
neue Stube direkt an den alten Herdraum, der nun in eine Küche und in eine
hinter ihr liegende Stube geteilt erscheint, während an die Stelle der alten Tenne
zwischen Küchen-Stube und Stall ein durchgehendes Vorhaus entstand. Es ist
sehr bezeichnend für diese Entwicklung, dass bei diesem Miitertennhaus tat-
sächlich alle Türen (von Küche und Stube) quer auf diese alte Tenne oder das
neue durchgängige Vorhaus ausmünden. Dem ganzen mitteldeutschen (fränkischen)
Hofbau legt sich dieser alte Mittertenn-Einbau in einer geographischen Aus-
dehnung vom Jura bis zur Traun vor. Südlich von diesem Gürtel aber, vom
Vintschgau bis zur mittleren Mur, zieht sich, stets im Kampf mit romanischen
und slawischen Einflüssen, eine ganz anders geartete Hausform hin, ein Streubau,
der aus einem getrennten Wohnhaus mit Giebel-Vorhaus ('Feuerhaus') unil
einem eigenen Wirtschaftsgebäude ('Stadl' oder 'Futterhaus') besteht. Man hat
bisher auch dieses ganze Gebiet als bajuvarisch bezeichnet. Rh. sucht nun — und
das ist wohl die bedeutendste Frucht seines Werkes — im ganzen folgenden
Berichte und Besprechungen. 253
(aber begründet durch alles Vorhergesagte) nachzuweisen, dass diese baju-
varische Ableitung unmöglich ist. vielmehr auf Schritt und Tritt in
allen Haus- und Wirtschaftsformen dieses südostalpinen Gebietes
deutlich skandinavische Einflüsse bemerkbar sind.
2. Das Siidtiroler Doppelhaus (S. 815— 828). Bis nach Franzensfeste
herab herrscht der bajuvarische Einbau. Aber schon im Ridnaun stossen wir auf
Mischungen und die Bezeichnung laben für Vorhaus, und von Franzensfeste süd-
wärts (bes. schön bei Kastelruth) herrscht fast durchweg der Streubau, bei dem
das Wohnhaus ausdrücklich \FenerIi(nis\ das Wirtschaftsgebäude 'Fulterhaus* ge-
nannt wird. Das erstere (also eine direkte Übersetzung von eld/uts) wird von der
laben durchschnitten, an deren beiden Seiten sich die Wohnräume aufreihen. Ge-
wöhnlich ist die Küche hier nicht auf derselben Seite wie die Stube (grund-
legender Unterschied gegen den bajuvar. Einbau!), aber auch wo dies ab und zu
vorkommt, wird sie von der labeii aus geheizt. Im Futterhaus sind unten die
Ställe, darüber der Stadel (in der Mitte von der Tenne durchschnitten), ganz oben
unterm Dach der palantschhuj. Äusserlich zeigen die Häuser Strohbedachung mit
auffallendem Giebelwalm. Das Dach ist ein Rofendach mit Firstbaum. Diesen
Sireubau finden wir auch in den Seitentälern des Etschtales (Passeier, Sarntal,
Ultental, Kggental), während das Haupttal wonig bäuerlich ist. Auch im Puster-
tal herrscht bis gegen Toblach hin der Streubau, dann aber sehen wir gegen die
Kärntnergrenze hin das Bild völliger Regellosigkeit und ein Einschlagen von Ein-
bauten. Erst von Abfaltersbach an stossen wir wieder auf den getrennten Bau.
.). Die kärntnisch - sfeirische Herdstube (S. 828— 840). Anschliessend
an die Bünkersche Arbeit in der Gegend des Millstätter Sees (Mitt. d. Anthrop.
Ges. Wien VMVl. S. 12 fr.) führ! uns der Verf. zunächst in dieses Gebiet. Bei
den grösseren Bauernhöfen herrscht durchweg der Streubau; nur Kleinformen
(Keuschen u.dgl.) zeigen zusammengeschobene Bauten. Das Wohnhaus ist stets
ein Doppelhaus. Der Hauptraum, die Ranchshibo, ist ein saalartiges Gemach, in
dem sich der Bauer und das Gesinde aufhält. Es enthält den Herd stets in Ver-
bindung mit dem Backofen (genaue Besprechung der verschiedenen Verbindungs-
formen) ohne Rauchfang, aber mit einem Funkenfänger {kogl). Zur Rauch-
ableitung dient ein Schiebefensterchen über der Tür. Die Stubenfenster sind auf-
fallend klein und zahlreich. Der Pussboden ist meist gedielt, doch werden aus
Steiermark auch Lehmböden (J''tz) gemeldet. Die laben (Vorhaus) ist von auf-
fallender Breite. Jenseits von ihr liegt öfter eine Ofenstube {kachhtuben), die aber
(ganz wie in Südtirol) auch stets von der /«//e» aus geheizt wird. Das Dach ist ein
Sparrendach, mit Brettern gedeckt (eingehende Beschreibung!) und Kippwalm
{Tsrhopf). Die leicht rekonstruierbare Urform dieses Hauses ergibt eine Rauch-
stube mit frei vorgelegter Giebellaube (genau wie in Skandinavien!).
4. Das 'oberdeutsche" Haus Meringers (S. 841—856). Im Gegensatz
zu Henning. Meringer, Bunker u. a. sieht Rh. das Kennzeichen des ursprünglichen
oberdeutschen Hauses nicht in der Verbindung von Herdraum und Ofenraum,
sondern in der von Herdraum und Stall. Im ganzen inneren Deutschland, wo
sich freilich keine so alten Formen wie in Niedersachsen oder in den Alpen er-
halten haben, besonders in Niederbayern und im ganzen fränkischen Gebiet habe
der Herdraum überall in enger Verbindung und unter einem Dache mit dem Stall
gestanden, (Exkurs über den bayerischen Viehhof und oberösterreichischen Vier-
kant S. 850—852), was der Verfasser durch viele Beispiele und ältere Nach-
richten zu beweisen sucht. Die Art, wie in Mitteldeutschland der Stall und die
spätere Stube unmittelbar an den alten Herdraum angegliedert sind, beweist, dass
•254 Bericlite und IJesprechiiugen.
der Herdraum keinen Giebelflur und die Tür also wie heute immer an der Traul-
seite besessen habe. Die Stube aber, die erst eine spätere Einführung ist, findet
sich in allen inöglichen Verbindungen (hinter- und nebeneinander, organisch ver-
bunden und als gesondeter Paraderaum) neben dem Herdraura. Was bis in den
Balkan vorgedrungen ist (Meringers bosnische Forschungen), ist nicht das 'ober-
deutsche Haus', sondern der deutsche Hinterlader, der aber — wie der ganze
kärntnisch-steirische Rauchstuben - Zwischengürtel beweist — nicht direkt über-
tragen sein muss und der sich mit dem alten Herdraum, je nachdem vv auf
Rauchstube, offenen Herd oder altslawischen Vorderlader stiess, in verschiedener
Weise organisch verbunden oiler aber bloss an ihn angeschoben habe.
5. Das slawische Haus in Krain und Steiermark (S. 85^.-867). Auf
Grund der Forschungen von Murko, Charuzin, Bunker und eigener Beob-
achtungen kommt der Verf. zum Ergebnis, dass sich im slowen. Haus der deutsche
Einfluss in zwei ganz verschiedenen Arten geltend gemacht habe: In Krain und
im benachbarten steirischcn Gebiet war der deutsche Kachelofen, in Kärnten und
im steirischen Drautale hingegen die Rauchstube das Massgebende. Das Krainer
Haus ist durch eine durchlaufende veza, in deren rückwärtigem Teil der Herd
steht, dreigeteilt. Auf der einen Seite der veza liegt die hihi mit einem deutschen
Hinterlader, der aber zugleich Backofen ist. auf der anderen Seite sind kalte
Gelasse. Während nun Murko, Charuzin u. a. mit Meringcr annehmen, dass
die veza der alte Herdraum gewesen sei, hält Rh. die hiia für diesen, indem er ihren
Ofen für einen Nachkommen eines altslawischen Rauchofens (= pec) erklärt. Dieser
altslavische Rauchofen ist ein Vorderlader gewesen und, wie Rh. annimmt, später
durch das Einwirken des deutschen Hinterladers einfach umgedreht worden, wobei
sein eigentlicher Kochabteil zu einem (wenn auch durch eine Wand getrennten)
doch organisch mit ihm verbundenen und ins Vorhaus (ve^a) verlegten Herd um-
gestaltet wurde. Rh.s Beweise hierfür sind: 1. htki heisst nicht nur diese Stube,
sondern ursprünglich schlechthin Haus. So wird aber überall der alte Herdraum
genannt (z. B.-t7/ö/ö, izha usw.). 2; Der altslowenische Name fürOfenstübe ist hha,
die aber, wie Rh. im folgenden Band seines Werkes beweisen wird, stets einen
Rauchofen besass. Zwei Feucrstellen nebeneinander aber sind für die frühe Zeit
undenkbar. 3. In Kärnten, wo die Entwicklung, wie der nächste Absatz zeigt,
anders war, bedeutet veza stets kaltes Gelass. 4. Einen Rückstand des alten
Rauchofens im heutigen Hinterlader der ///^a sieht Rh. darin, dass er noch als
Backofen dient. Doch gibt Rh. zu, dass dieselbe Eigenschaft in den steirischen
Rauchstuben-Feuerstätten gegen ihn spricht. 5. Rauchöfen, bei denen im Ofen
gekocht wird, mit winzigen vorgelegten Herdabsätzen kommen noch heute in
Zagorje bei Krapina, und -- wenngleich sehr selten — bei Cilli und Windisch-
Feistritz vor.
0. Das slowenische Haus in Unterkärnten oder das -wendische
Langhaus'^) (8.867 — 871) nördlich der Karawanken hat die Rauchstube
westlich von der Draubiegung schon überwunden, besitzt sie aber noch östlich von
dieser. Es zeichnet sich durch eine sehr gleichmässige Anlage aus: drei Räume
Kammer, dinmica (Rauchstube) oder jispei- (Küche) und hiSa (Ofenstube) liegen
in der Firstrichtung nebeneinander; ihre Türen münden alle in eine der Länge
nach vorgelegte l«pa oder vopa, die gewöhnlich kniehoch mit Brettern verschlagen
und nur auf der der Strasse zugekehrten Giebelseite gemauert ist. Jenseits der
1) ^Yie es von Kli. im Gegensatz zum 'Dopjjelhaub' genannt wird.
Berichte und Besprechungen. 255
lopa, gewöhnlich gegenüber der (Umnira sind Schweineställe und bei weilerer Ent-
wicklung des Hauses (bes. nördlich vom Wörthersee) auch noch andere Räume:
angebaut, so dass sich da recht verwickelte Grundrisse finden. Die Ofenstube
wird im Gebiete westlich vom Wörthersee izha, die lopa ebendort vcza genannt.
Rh. meint, dass auch bei diesem Haus der älteste Hauptraum die altslawische hi.^a
"•ewesen sei, die erst durch das Eindringen der Kachelstube zu einer Rauchstube
umgewandelt worden sei.
7. Das deutsche Haus in Unterkärnten (S. 871/72) entwickelt sich
ebenfalls in der Firstlinie und hat ebenfalls eine Längslaube, steht also ebenso wie
das slowenische Haus ünterkärntens im scharfen Gegensatz zum 'Doppelhaus'. Allein
es unterscheidet sich auch vom slowen. Langhaus bedeutend, vor allem dadurch,
dass es deutliche Spuren einer Querlaube aufweist. Der Kern des Hauses ist die
Rauchstube, die einzelnen Räume sind von verschiedener Tiefe und ungemeiner
Regellosigkeit, so dass alle möglichen Winkel und Lücken im Grundriss ent-
stehen, die alle durch die Laube mit ihren verschiedenen Längs- und Quer-
ausweitungen ausgefüllt werden. Dieses Haus gehört dem Gurk- und Mettnitztal,
der Gegend von St. Veit und Feldkirchen (n. Villach) und vielleicht auch dem
Lavanttal an.
8. Das stoirische Haus (S. 873—876) stellt sich im Gegensatz zu dem
vorigen als echtes Doppelhaus (im östlichen Teil auch in Verbindung mit dem
Vierkanthof) dar. Vielfach besitzt es noch die nun mehr und mehr verschwindende
Rauchslube, die wir aber für die alte Zeit im ganzen Lande und über dieses hinaus
auch im salzburgischen Lungau, Pinzgau und Pongau annehmen müssen. Rh. nimmt
also das Doppclhaus schlechthin für die Rauchstube in Anspruch, lässt aber nicht
den Schluss zu, dass dort, wo jetzt der hintere Teil der labn zu einer abgetrennten
Küche geworden ist (Ausseer und niittelsteirisches Gebiet), diese Küche aus einer
Abscheidung aus der labn entstanden ist, sondern behauptet vielmehr, dass sie
in die labn verlegt worden sei.
y. Der Ursprung der Längslaube in Unterkärnten (S. 87G — S86).
Rh. weist darauf hin, dass die früher besprochene Längslaube Ünterkärntens
eigentlich ganz dem 'slawischen Stil' entspricht, wie man ihn in. Russland, Polen
und besonders gleichartig in Kroatien findet. Dazu stellt er alle Argumente in
Gegensatz, die für die deutsche Herkunft dieser Längslaube sprechen könnten. Nach
einer sehr eingehenden Zusammenstellung aller, oft recht schwer festzustellenden
slawischen Dachbezeichnungen fasst er schliesslich seine Untersuchung wie folgt,
zusammen (S. 884 f.): A. Gegen den slowenischen und für den deutschen Ursprung
der Längslaube spricht: 1. Die alten slowenischen Bauten zeigen eine Einheitlichkeit
im Scherendach, das sich mit einer Längslaube schwer vertiägt. 2. In alt-
slawischen Sitzen findet sich die Längslaube nicht, wie sie auch keinen eigenen
slawischen Namen besitzt. 3. Vielmehr zeigt sich gerade in ihrer Benennung lopa
ein deutlicher Gegensatz zur Bezeichnung ceza. B. Für die slowenische und gegen
die deutsche Herkunft aber spricht: \. Das überall bei der Längslaube angewendete
Prinzip des 'slawischen Stiles' (Dachvorsprung), der erst die grosse Elastizität z.B.
der Gurktaler Bauten ermöglicht. 2. Die regelmässige sichere Anordnung der
Räume auf slowenischer gegenüber der Regellosigkeit auf deutscher Seite, 3. Das
Auftreten typisch slowenischer Einrichtungen (Verputzen der Fugen, Erker, Über-
stockgangln) im Gebiete der deutschen Längslaube. 4. Die Rüekständigkeit und
Genügsamkeit dieser Bauten. Rh. entscheidet die Frage nicht, denkt aber mehr
an deutschen (vielleicht bayrischen) Ursprung
256 Berichte und Besprecliungen.
10. Die Ethnographie des Doppclhauses, des Feuerhauses und der
Rauchstube. (S. 886—900).
Dem Verf. ist es klar, dass das Doppelhaus in dem weiten Gebiete von den
Grenzen der Schweiz bis zur Grenze Ungarns, mit seiner Verbreitung in so zer-
splitterten Talschaften, seiner starken Zugänglichkeit für romanische und slawische
Einflüsse und seiner Einklemmung zwischen dem bayrischen Einbau und dem
Unterkärntner Langhaus auf eine gemeinsame Urform zurückgehen muss. Diese
Urform sieht er in einem Herdraum mit vorgelegter Giebellaube, wie wir sie
beim skandinavischen Haus gefunden haben. Dieser Herdraum war nun offenbar
im Westen und im Osten des Gebietes verschieden eingerichtet, indem im Westen
der Backofen fehlt, während er im Osten vorhanden ist. Für die älteste Zeit, wo
dieser Herdraum bis unter das Dach offen war, ist auch der Kofjel über dem
Herd wegzudenken und dafür ein Licht- und Rauchloch (Jie) anzunehmen. Der
alte Name Bauchstube kann ebenfalls von der skandinavischen sti)fa herzuleiten
sein, da wir ja im eld/ius auch den Herd mit dem Backofen verbunden fanden
wie dem Verf. auch die in Tirol und Kärnten noch bestehende Bezeichnung
Fenerhaus für Wohnhaus aus dem skandinavischen eldlms zu kommen scheint, zu-
mal wir auch in den gotisch besiedelten ladinischen Gebieten ein tV.sa da fueg
für Küche und in den ebenso besiedelten Schweizer Urkantonen überall das Wort
fürliHs finden. Ebenso stellt er die Bezeichnung Futferliansm'ü dem skandinavischen
foderfnis zusammen.
15. Kapitel: Die Hofanlage: Ringhof und Futterhaus.
(S. '.»00— <)G1.)
Das Futtorhaus ist in diesem ganzen Gebiete an die Obertenne gebunden, die
sich sonst auf deutschem Boden nirgends findet. Merkwürdigerweise zeigt aber
gerade der oberste, unmittelbar unter dem Dach gelegene Teil dieses Futterhauses
neben den deutschen auch ausgesprochen romanische und slawische Benennungen:
Tiifel (Obersteier) tcdjhit (Fustertal), lubh) und tubia (in Südlirol): alle 4 Worte
gehen deutlich auf tabula tu in zurück. Dann oder, nder (Aussecr- Gebiet), batter,
prier, jrranla, gepatler (in Kärnten und Steiermark), hnlder und hlitlern (im Lungau).
Die Mischung von slovenischen und deutschen Bezeichnungen für diesen Teil des
Wirtschaftsgebäudes zeigt sich auch in ursprünglich slovenischen Gebieten
(zwischen Klagenfurt und Villach) und in Krain. Rh. schliesst daraus, dass die
Slovcnen überhaupt keine Scheunenwirtschaft mitbrachten, sondern nur die Harfe
(Ko:or) kannten. (Excurs über diese Harfen und ihre Verbreitung S. !>0j — 907).
Dagegen zeigt die heutige slovenische Scheune durchaus deutsche Einrichtungen
in der Mitte die Tenne und zu beiden Seiten von dieser die banm (-Barren).
Es ist für Rh. also ausgeschlossen, dass das Futterhaus dieses Gebietes slawischen
Ursprungs sein könnte, wenn es auch im Laufe seiner Entwicklung von dieser
Seite manche Anstösse erfahren haben mag. Die Einteilung dieses Futlerhauses
ist ziemlich gleichförmig: unten befindet sich der Stall, darüber die Scheune. Der
Stall ist der Länge nach von einem Mittelgang durchzogen, der merkwürdigerweise
Hof heisst. Beiderseits dieses Hofes befinden sich bei den alten Stallformen Ver-
schlage (Kotier) mit der Krippe in der Mitte, um die das Vieh frei herumsteht.
Diese verwickelte Anlage und besonders der Name 'Hof ist für Rh. ein Zeugnis,
dass wir es hier nicht mit einer Urform, sondern mit einer entwickelten Form zu
tun haben. Denn der Begriff 'Hof (der sich im ganzen Gebiet als Hof, vorhof,
mitierliof, wasserhof, sonnhof usw. durchgehends findet) deutet ebenso wie der der
Laube {labv) im Wohnhaus darauf hin, dass dieser Teil ursprünglich wirklich ein
Berichte und Besprechungen. 257
freiliegender Wirtschaftshof gewesen sein rauss, der erst bei der Zusararaen-
schiebung von Gebäuden zu einem Innenraum geworden sein kann.
Der 'Ringhof' (S. Ol o— 933.) Dieser l^rform nähern sich nun tatsächlich
die sehr altertümlichen Bauernhöfe in der sogenannten 'Gegend' (n. von Villach
in Kärnten), deren Wirtschaftshof nach drei Seiten geschlossen unter einem Dach
liegt, während seine vierte Seite offen ist. Hier liegen die Ställe im Erd-
geschoss und zwar an allen 3 Seiten, und über ihnen die Scheunenrüume, während
bei ähnlichen Hofformen in den Sanntaler-Alpen nur die '2 seitlichen Teile eigent-
liche Ställe sind, das Mittelstück aber nur einen Verbindungsraum darstellt, der
gewöhnlich als Pferdestall benutzt wird. Bei der noch älteren, nach Rh. aber in
den genannten Höfen noch deutlich erkennbaren Urstufe dienten nun ganz wie
hier die beiden Seitenteile als Stallungen, das verbindende Mittelstück aber als
Tenne. Und auch diese Form hat sich noch bis heute erhalten, nämlich in den
von Rosegger als Ri7if/ho/\ vom Volk als Umadmmtadl bezeichneten Wirtschafts-
hüfen, wie sie sich noch ab und zu im oberen Mürztal und in der Birkfelder-
gegend in Steiermark finden. Da nun aber diese Gegenden an das Gebiet des
geschlossenen oststeirischen 'Vierkantes" grenzen, läge es nahe, anzunehmen, dass
wir es hier einfach mit einer Lockerung dieser Hofforni zu tun haben. Das be-
streitet aber Rh., indem er darauf hinweist, dass beim Ringhof das Wohnhaus
vollkommen getiennt und frei steht, was beim Vierkant, auch in seiner ge-
lockertsten Form nie der Fall ist. — Rh. hält also den nordoststeirischen Ring-
hof für die Bestätigung seiner schon auf theoretischem Wege gefundenen Ringhof-
rrform und erklärt alle Stadel formen in Obersteier und Kärnten, bei denen sich
die 3 schiffige Einteilung mit dem Mitterhof findet, aus dieser Urform entstanden.
Nach einer Auseinandersetzung mit dem steirischen Begriff Marstadl (S. 9-22— 925),
den er als eine jüngere herrschaftliche Hofform (des Hliicns) erklärt und einer
scharfen Polemik gegen Rauschenfcls, Architektur des Kärntnerischen Bauern-
hauses (S. 92t;— 928), stellt Rh. (S. 929—933) die Benennungen im Ringhofgebietc
zusammen: Die seitlichen Räume neben der Tenne heissen harren (slav. parna) in
Kärnten. Steiermark und im salzburgischen Lungau, dagegen ös im Gebiete des
bayrischen Einbaues und dille in Südtirol. Der oberste Raum über der Tenne
(gleichgiltig ob diese im Erdgeschoss oder im Obergeschoss liegt), heisst im Gross-
teil des Ringhofgebictes l'irl, und zwar im Mürztal, Paltental, unteren Ennstal, im
Berchtesgadenerland, in Oberösterreich his Klaus, dann im kärntnerischen Möll-
im Tiroler Iseltal und in Südtirol. Nur im oberen und mittleren Murgebiet finden
sich andere Bezeichnungen (tafel, (/cpatler, pafder), doch scheint es, dass die Be-
zeichnung birl abgesehen von diesen Ausnahmen einst über das ganze Gebiet des
Doppelhauses vom Vintschgau bis zur ungarischen Grenze geherrscht hat. wieder
ein Hinweis auf die eigentümliche Sonderstellung dieses Ostalpengebietes.
Der Vierkant. (S. 934—949).
Von der mittleren Mur über die ganze Oststeiermark herrscht die Hofform
des Vierkant, bei der alle Gebäude unter einem Dach in einem lückenlosen Vier-
eck um einen inneren Hof gestellt sind. Bei kleineren Höfen ist eine Seite durch
eine Tormauer gebildet. Dieser Vierkant findet sich nun aber auch anderswo (im
Donaugebiet, in Bayern usw. und wurde von allen bisherigen Forschern gewöhnlich
als ein Typus erklärt. Allein Rh. weist auf eine Reihe von Einzelheiten hin,
durch die sich dieser oststeirische Vierkant von den anderen unterscheidet. Vor
allem ist hier das Wohnhaus (bei dem die Rauchstube noch nichts Seltenes ist)
ein Doppelhaus, ferner führt hier der Haupteingang ins Haus nicht vom Hof
sondern von aussen, von der Strasse hinein und der Stall steht hier mit der
258 üerichte und Besprechungen.
Wohnung in keinerlei Verbindung. Die Stallungen sind langgezogene Krippcn-
ställe, die Einfahrt geht nicht durch die Tenne, die Bansen neben bezw. (im nördl.
Teil des Gebietes) ober der Tenne heissen barn und halbharn. Dagegen zeigt
der oststeirische Vierkant deutliche Verwandtschaften einerseits mit dem
kärntnisch - steirischen und anderseits mit dem skandinavischen Ringhof.
(Polemik segei\ Dachler, der diese Hofform als fränkisch erklärt, gegen
Bunker und gegen Bancalari). Dies ist für Rh. mit allen früheren
Beobachtungen (Rauchstube, Doppelhaus usw.) wieder ein klarer Hinweis,
dass alle diese (in Bayern fehlenden) Einrichtungen der Ostalpengebiete gegen
eine überwiegend bajuvarische, wohl aber für eine von Osten her eingewanderte
ostgermanisch-skandinavische Besiedlung sprechen. Besonders wichtig ist dabei
auch die Tatsache, dass das Sparrendach, das weder die Innerdeutschen noch die
Slawen kennen, in diesem ganzen Ostalpenland durchaus allein herrscht.
Der Umlaufstall (S. 'J49— H61), bei dem die Tiere nicht längs einer Wand
angehängt sind, sondern frei in Verschlagen stehen, findet sich heute noch im
deutschen Kärnten, in einzelnen deutschen Gebiete im Sanntal, und in ganz Steier-
mark. Auch im Lungau, Pongau und Pinzgau ist er noch ab und zu vorhanden.
Er ist aber in allen Gebieten schon im Verschwinden, was durch sein bedeutendes
Raumerfordernis und die immer schwierigere Einstreu-Aufbringung bedingt wird.
Er kommt in 2 Arten, nämlich als KripimislaU und als Kraxenstall (letzteres im
Ennstal) vor. Beim Krippenstall stehen 2 erwachsene Tiere oder 4 Kälber in
einer Zelle. Die Zellen oder Verschlage sind durch Balkenwände getrennt und
in der Regel nebeneinander, manchmal auch zu zweit hintereinander, angeordnet.
In der Mitte der Zelle steht die Krippe, die auf dem ganzen weiten Gebiet von Tirol
bis zu den Grenzen von Ungarn überall genau dieselbe Form zeigt. (Besprechung
einzelner Abarten). Ethnographische Versuche an der Hand der Namen Krippe, Kotier,
Glitsche führen den Verf. zur Überzeugung, dass von einer slawischen Herkunft
des Umlaufstalles nicht die Rede sein kann. Da beim bajuvarischen Einbau mit
seinem Futtergang der Umlaufstall überhaupt ausgeschlossen war, so bleibt also
wieder nur die Möglichkeit ostgermanischer Einflüsse, die durch den Hinweis auf
den oben besprochenen dänischen Zweistandstall sehr an Wahrscheinlichkeit ge-
winnt. (Versuche, die dänische Bezeichnung bu,,.-: in einzelnen Rufnamen Kärntens
und Steiermarks nachzuweisen).
16. Kapitel: Der südbajuvarische Hakenpflug.
(Die Arl) S. !»(il— lüaS.
Im allgemeinen unterscheidet man Hakenpllüge, welche die Schollen nur aus-
heben und umlegen, und Pflüge mit Streichbrettern, die die ausgehobenen Schollen
auch noch umstülpen. In ganz Deutschland, in Belgien, m Holland und in der
Schweiz finden wir seit den ältesten Zeiten überall den Pjliig neben dem gotischen
hoch. Als Urpflug nimmt Rh. (in Übereinstimmung mit Meitzen) einen Beetpflug
mit halber Schar und einseitigem festem Streichbrett an. Den Namen Pflug leitet
er (im Gegensatz zu Meringer) von pjleijdi (im heutigen Wortsinne) ab. Dieser
Urpflug findet sich überall in geschlossenen Gebieten, jedoch nirgends im Zu-
sammenhange, hat sich daher nicht erst in geschichtlicher Zeit von einem Punkt
aus, sondern eben schon in vorgeschichtlicher Zeit im ganzen Gebiete zwischen
Nordkap und Adria verbreitet. In den Alpen wurde er vielfach von einem Doppel-
pflug, dem sogenannten norischen Seitenpjltit/ verdrängt, der an einem gemeinsamen
Pflugijrindel (Pflugachse) 2 Pflugkörper trägt.
Berichte und Besprechungen. 25^
Aas diesem ganzen grossen und weiten Plluggebiet hebt sich nun wieder
unsere Doppelhauszone in den östlichen Alpen heraus, indem sich hier bis in
unsere Tage herauf neben dem Pflug ein anderer alter Hakenpüug, die Adl oder
Ar/, erhalten hat, die nirgends sonst als wiederum nur im skandinavischen Norden,
nämlich in der schon in der Edda neben dem plögr genannten Arör (heute noch
im südl. und mittl. Schweden, früher auch in Norwegen) eine Parallele besitzt.
Die Arl in ihrer Verbreitung (S. 97(i-1008).
In Tirol gehört zum Ärlgebiet der Vintschgau, das Etschland, das Oberinntal
bis Telfs und das untere Pustertal. Obwohl heute die Namen Pflug und Arl nicht
immer ganz streng geschieden werden, stellen sich als die eigentlichen Kennzeichen
der alten Tiroler Arl doch deutlich folgende Eigenschaften dar: Das Fehlen eines
Karrens, das Vorhandensein von Streichhölzern (Jedem), an deren Stelle später
Streichbretter treten, auffallend grosse Schar und Hörner. Schärfer ist die Unter-
scheidung in Kärnten und Obersteier, hier heisst alles das Pflug, was ein Beet-
pflug, d. h. ein Pflug mit halber Schar und einseitigem, festen Streichbrett ist.
Alles übrige wird Ädl genannt. Besonders ursprünglich tritt sie uns noch in
den deutschen Gebirgen Kärntens entgegen; hier fehlt ihr sogar das sw// (Schneid-
eisen), das hier durch ein eigenes Gerät, den riss, das vor der eigentlichen Adl
einhergeführt wird, ersetzt ist. Entwickelter ist die Adl im oberen Gurk- und
Görtschitztal, wo sie (im Gegensatz zum Tiroler Arl) bereits mit einen eigenen
Vorderkarren versehen ist, jedoch an Stelle des sech ebenfalls ein eigentümliches,
sensenförmig langgestrecktes reissmesser, teilmesser (auch riss genannt) besitzt. Die
Ädl herrscht in ganz Kärnten bis hinab zur Drau und von Bleiburg abwärts auch
über diese in den Karawanken und Sanntaler Alpen, besonders in Gegenden, in
denen die deutsche Besiedlung stärker ist. In Steiermark (wo sie überall einen
eigenen Vorderkarren aber keinen besonderen riss besitzt) findet sich die Adl in
weiten Strecken des oberen Murtales.
Aber auch überall dort, wo heute die Adl schon abgekommen ist, bezeugt
doch in ganz Kärnten und Steiermark der durchgehends gebräuchliche Name ariiug-
für Pflugschar, dass der Pflug hier überall eine spätere Einführung ist. Ihre
Spuren weisen auch bis Niederösterreich hinein. Rh. schliesst daraus, dass die
Ädl, und zwar ohne Karren und ohne nech, mit 2 schneidiger Schar und 2 Grilf-
hörnern im Anfange des Mittelalters in den ganzen Ostalpen allein geherrscht
habe. — Der Schluss des Kapitels ist einer eingehenden Untersuchung darüber
gewidmet, ob die Adl gormanischen oder slawischen Ursprungs sei. Diese Unter-
suchung, die sich hauptsächlich auf die Benennungen arlimj, ralnik, ralo, iertalo
rezahüca (von rezati = schneiden für 'riss'), ijrnll und grindl stützt, führt Rh. zum
Ergebnis, in der Ädol ein germanisches Gerät zu sehen. Da sie aber in Bayern
selbst und im übrigen Süd- und Norddeutschland nicht vorkommt, so kann sie
nicht von den nördlichen angrenzenden Bajuvaren, sondern muss ebenfalls wieder
von Ostgermanen hereingebracht worden sein. (Exkurs über Eggen und Rechen,
Polemik gegen Braungart S. lOO'i— 1007).
17. Kapitel: Unterschiedliches aus der Wirtschaft (Schluss).
(S. 1008—1055).
Der Hauptzweck dieses auch für Nicht-Hausforscher besonders interessanten
Schlusskapitels ist der Versuch, die vom Verf. aufgestellte und von allen bis-
herigen Ansichten am stärksten abweichcAde Theorie, wonach die bäuerliche Kultur
der Südalpenländer in ihren Hauptformen von in Skandinavien heimischen ost-
260 T5erichte und Besprechungen.
germanischen Stiimnuni und nicht, wie man bisher annahm, von den Bajuvaren dahin
verpflanzt ist, auch an verschiedenen volkswirtschaftlichen Kleinformen nach-
zuweisen.
1. Das Südtiroler Hartbrot. Das gewöhnliche deutsche Brot besteht in
dicken weichen Laiben und ist stets gesäuert. Das findet sich überall so und er-
fährt im Norden nur in Skandinavien, und zwar in Schweden und Norwegen, eine
Ausnahme, wo daneben als ältere Form noch ein ungesäuertes, dünnes Hartbrot
■nachweisbar ist, dass in den altnorwegischen Gesetzen bis herauf ins 14. Jahr-
hundert noch streng als hnnü) gegen das weiche hifr unterschieden wird. Nun
stossen wir in Südtirol auf ein Gebiet, das im Norden bis zum Brenner, im Westen
bis ins Ötztal und im Osten bis an die Kärntnergrenze reicht und in welchem
sich ein sehr dünnes, scheibenförmiges Hartbrot findet, das ursprünglich nur zwei-
mal im Jahre gebacken wurde. Spuren eines solchen alten Hartbrotes zeigen sich
aber auch im Ziller- und Alpachtal im sogenannten Grischeiihrot, einem nur vier-
mal des Jahres gebackenem Hartbrot, und ebenso im Lungauer und Kärntner
Suppenbrot.
2. Das Fürfell (schwed. förskhni). In ganz Südtirol tragen die Männer bei
Arbeiten ausser dem Hause eine bis übers Knie hinabreichende Latzschürze, die
mit einer Schlinge über den Kopf gezogen und hinten um die Mitte zusammen-
gebunden wird. Im Ütztal tritt von ümhausen aufwärts an ihre Stelle eine gleiche
Schürze aus weissem Kalbleder, die fiirfall genannt und auch als Zierde beim
Kirchgang und beim Heimgarten getragen wird. Ihr entspricht vollkommen die
schwedische, fnrskinn genannte Schürze, die uns aus Dalarne, Westergötland und
von der Insel Gotland auch schon für sehr frühe Zeit bezeugt ist.
3. Der Ringzaun. Im Gegensatz zu Pranken, Bayern und der Schweiz
herrscht im Gebiete des Doppelhauses, und zwar in Pinzgau, Tirol, Steier-
mark und Kärnten der lUngzunn vor. Dieser besteht aus senkrechten (je einen
Schritt von einander) in die Erde gerammten Pfostenpaaren, die schräg gestellte
und zwischen die Pfosten gesteckte Bretter (Schwartlinr/e) halten, welche mittelst
je 2 — 3 Wieden (am Feuer geröstete und strickartig gedrehte Fichtenzweige) an
die Pfosten angebunden sind. Dieser Zaun, der sich in ganz Deutschland sonst
nirgends findet, tritt uns in genau derselben Form in Norwegen und Schweden
und besonders wieder in Gotland auch für die alte Zeit bezeugt entgegen.
4. Die Pfostengaden. Geradezu überraschend ist die Ähnlichkeit der
Pfostengaden im Ötztal und Passeiertal mit denen im norwegischen Hochland
Hier und dort sind es kleine, fast würfelförmige, auf vier niedrigen Holzsäulen
stehende Holzbauten, die übereinander zwei durch einen Boden getrennte Kammern
und vor der oberen Tür einen Aussengang besitzen. Auch die von Frau M.
Andree-Eysn aus dem Berchtesgadenerland mitgeteilten nach oben erweiterten
Kästen gleichen ganz ähnlichen Gebäuden in Pinnland, die ihrerseits wohl auf
schwedische Vorbilder zurückgehen; und ebenso sind die kleinen Heuscheunen im
Helsingland völlig gleich den Inntaler und obersteirischen Heuhütten.
5. Buckelkorb und Heubogen. Nach Besprechung des bauchigen alt-
bajuvarischen Rückenkorbes und des nach unten halsartig verengten Tiroler
'Ruckkorbes' geht Rh. näher auf die besonders in Mittel- und Untersteier und bei
den Slovenen üblichen Heubogen ein. Diese bestehen aus 2 halbkreisförmigen
Holzreifen, die ein lockeres Spagatgeflecht umspannen, auf welche grosse Mengen
Heu aufgelegt und fortgeschafft werden können. Es ist ein so einfaches und da-
bei so sinnreiches und merkwürdiges Gerät, dass seine Erfindung an mehreren
Stellen gleichzeitig unmöglich angenommen werden kann. Um so überraschender
Berichte und Besprechungen. 261
ist es daher, dass wir dasselbe Gerät nicht nur in Schwaben, sondern auch in
Skandinavien und zwar in Sraaaland, Schweden und Dänemark wiederfinden.
G. Ethnographische Schlussbetrachtungen (S. 1038-1055). — Nach
einer tabellarischen Darstellung der Übereinstimmungen in den Wirtschafts- und
und Hausformen der bajuvarischen Aussenländer (Südtirol, Kärnten und Steier-
mark) mit skandinavischen und ihrer Gegensätze zu den altbayrischen Einrichtungen
(S. lObS — 1039) bespricht der Verf. die geistigen und körperlichen Eigenheiten
der Bewohner jener ostalpinen Aussenlande Während in Altbayern ein rauh-
sprachiger, vielfach gewalttätiger, langgliedriger, hängeschultriger, spitznasiger und
kraushaariger Typus vorherrscht, finden wir in den Ostalpen, besonders im Wiener,
Linzer, Steirer, Kärntner und Tiroler, sehr häufig die bekannten Gestalten schlanker,
männlicher Schönheit mit Hakennasen und feine, zarte Frauengesichter. Am
liederlichsten ist der Kärntner mit seinem starken Hang zur Wollust und Indolenz,
allein im Verkehr am lustigsten und angenehmsten, und in vielen Zügen, besonders
in seiner weichen und hohen Sprache, den Norwegern und Dänen sehr ähnlich.
Der Tiroler hingegen ist der keuscheste, und in Steiermark begegnen uns am
häufigsten (namentlich im Oberlande) die ernste und würdige männliche Schönheit
und die eigentümlich zarteu, weichen Frauengesichter mit auffallend kleinem,
runden Kinn.
Rh. ist sich dessen völlig bewusst, dass seine Theorie von der ostgermanischen
Besiedlung dieser bajuvarischen Aussenländer in vollem Widerspruche zu allen
bisherigen historischen Überlieferungen steht. Er versucht daher selbst, historische
Erklärungen für seine Ansicht zu finden, und stellt als Abschluss des Bandes alles
zusammen, was man bisher über tatsächliche gotische und ostgermanische Volks-
splitter in diesem Gebiete gefunden hat: Gottscheer, Gossensass?, Gothi Meranari,
Mcran und Meranien (und dazu die altgotischen Märinger in altschwedischen und
angelsächsischen Runenschriften); dazu die übermässig langen Oberkörper in Süd-
tirol, die bis zum Brenner und im Pustertal zu finden sind, den gotischen Vokalismus
und gotische Orts- und Personennamen in Tirol und Steiermark (z. B. die vielen
Vasold und Vasoldsberg). Das alles spricht für Goten. — Neben diesen kommen
aber für Steiermark und Kärnten noch andere Ostgermanen in Betracht: die
Rugier (Ruginesfeld b. Luttenberg), die Heruler die hier, wie in ihren alten
dänischen Sitzen, das Vierkantgebiet beherrschen: Hörfling (Salzburg), Erlaf, Her-
landen, Harlandwiesen (Osterreich ob und unter der Enns) und endlich die Skiren
für Steiermark. Rh. schliesst mit dem Hinweis, dass es im Falle der Richtigkeit
seiner Theorie sich als eine eigentümliche Fügung der Geschichte erweisen würde,
dass jene ostgermanischen Splitter, freilich durch Bajuvaren verstärkt, hier ein
kulturelles germanisches Ostreich gegründet hätten, während die Bayern zu guter
Letzt doch mit dem alten deutschen Westreich zusammengeschlossen wurden.
dr-Av Victor von Geramb.
262 Bücheranzeigen.
Bücheranzeigen.
Landeskunde der Provinz Brandenburg. Unter Mitwirkung hervorragen-
der Fachleute herausgegeben von Ernst Friedel und Robert Mielke.
4. Band: Die Kultur. Mit 140 Abbildungen im Text. Berlin,
Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) 191G. XI, 574 S. Gr. 4".
Der vierte Band der brandenburgischen Landeskunde, der letzte, den der um
Begründung und Leitung des Unternehmens so hoch verdiente Ernst Friedel noch
erlebte, übertrifft an Umfang seine Vorgänger und behandelt das besonders an-
ziehende Gebiet märkischer Kunst, Literatur, Musik, Bildung, Wissenschaft und
Erziehung.
Robert Mielkes Behandlung der märkischen Kunst trägt allenthalben den
Stempel eines langen, gründlichen Durchdenkens des Stoffes. Er erwägt nicht
nur umsichtig, von welchen äUeren Kulturzentren aus die märkische Kunst beein-
flusst wurde, sondern achtet auch auf bäuerlich-bodenständige Elemente in ihr —
was heut weit häufiger gefordert als geleistet wird. Sein Blick ist überhaupt in
keiner Weise einseitig eingestellt : auch der Einfluss des Materials und des tech-
nischen Verfahrens wird sorgsam beachtet. In der neueren Zeit gewinnt der Hof
den massgebenden Einfluss: die 'Bofkunst Friedrichs L', die 'Puritanerkunst
Friedrich Wilhelms L', das 'Rokoko Friedrichs IL' ziehen an uns vorüber. Es
liegt an dem Stoffe, zu einem Teile aber wohl auch an den Neigungen des Dar-
stellers, dass durchweg die Architektur den breitesten Raum einnimmt; immerhin
erfährt man auch Wissenswertes über kunstgewerbliche Kleinkunst. Bildhauerei
und Malerei. Mielkes Schreibweise ist nicht für ganz mühelose Aufnahme zu-
geschnitten, aber die Mühe lohnt, denn dieser Verfasser hat etwas zu sagen.
Merbachs brandenburgische Literaturgeschichte hinterlässt einen minder
erfreulichen Eindruck. Bei diesem Autor wechselt beständig der Blickpunkt; man
hört abwechselnd einen Historiker, Literarhistoriker, Kunstgeschichtler, Philologen.
Seine Behandlung der Lehninschen Weissagung ist wesentlich eine Geschichte der
kritischen Forschung über diese; die Form des seltsamen Werkes bleibt fast
ausser Betracht, es erscheint als Unikum ausserhalb aller Formgeschichte, während
es für die literarhistorische Betrachtung sich anknüpft an die sibyllinische Dichtung
des Altertums und Mittelalters. Beim Totentanz der Berliner Marienkirche wird
die schwierige kunstgeschichtliche Frage nach Ursprung und Entwicklung der
Totentänze breit aufgerollt, während ein solches Werk doch nur mit den kümmer-
lichen Versen unter der Bilderfolge ein weniges die Literaturgeschichte streift.
Bei W. Alexis hat es der Verf. sonderbar eilig, auf die Erzählungstechnik zu
kommen, bei Franz v. Kleist — der doch den Lesern einer Landeskunde erst in
Ruhe vorzustellen wäre — dreht sich plötzlich alles um die Einzelfrage nach
■dem Einfluss von Grillparzers 'Sappho'. In seitenlangem Kleindruck wird einmal
ein Text des 16. Jhs. ediert. — Woher alle diese verwirrende Buntheit und mehr
als wunderliche Ökonomie? Wer sich etwas genauer umtut, findet bald des Rät-
sels Lösung: Merbach bleibt durchweg im Banne der von ihm benutzten Einzel-
studien. Er tritt nicht mit eigener Fragestellung an die wissenschaftliche Literatur
heran, sondern liest, übernimmt Gesichtspunkte, Gedankenordnung und weithin —
den Wortlaut. Kleine Kürzungen und Änderungen fallen nicht ins Gewicht; auch
nicht, dass die Quelle zumeist irgendwo in den Anmerkungen genannt wird, denn
Büclieranzeigen. 263
weit mehr, als spärliche Anführungstriche ahnen lassen, wird übernommen. Eine
Probe mag das eigentümliche Verfahren beleuchten, da ein Vorwurf dieser Art
nicht ohne Beweis erhoben werden darf. Über die zweite Komödie des Drama-
tikers Christoph Stummel (1525—88) sjigt Merbachs Gewährsmann Rasmus in den
'Jahresberichten und Mitteilungen des historisch -statistischen Vereins zu Frank-
furt a. 0.-, 1867, S. 101 ff.:
Diese Komödie sollte seinem Alter, seiner Stellung, seiner theologischen Richtung
angemessen sein, und etwaige Fehler gegen die Latiintät sollten durch das erhabene
Mysterium des Inhalts aufgewogen werden. So lieferte er denn eine comedia sacra, 'Isaac
immolandus', gedruckt 1579. Wie er die 'Studentes^ einst dem Senat seiner Vaterstadt
dedicierte, so widmete er dies Werk dem Fürsten seines alten Vaterlandes, dem Kur-
fürsten Johann Georg von Brandenburg, indem er ihn daran erinnerte, wie fleissig er ihn
einst als Prinzen habe zu Frankfurt ins Kolleg gehen sehen, und wie schön die damalige
Hoffnung, dass er ein Freund der Wissenschaften bleiben werde, sich nun erfüllt habe. —
Inhalt des Dramas ist die Opferung des Isaak, nicht etwa als Persiflage, sondern im
ernsten Anschluss an die Bibel und nach des Dichters Absicht dadurch vertieft, dass^ die
vom christlichen Dogma gelehrte Auffassung dieses Opfers als Vordeutung auf Christi Tod
als in dem Bewüsstsein der handelnden Personen bereits klar vorbanden dargestellt wird.
Abraham ist daher ein gründlich gebildeter lutherischer Theolog, der die Verheissung und
ihre Erfüllung vom Sündeufall herab bis auf Christi Tod vollständig beherrscht und z. B.
seinen weniger begnadigten Nachbarn Mamre, Escol und Aner einen langen dogmatischen
Vortrag darüber hält, warum die Verheissung gerade vom Samen des Weibes rede und
wer der Schlange den Kopf zertreten werde.
Daneben halte man Merbach S. 247:
Er schrieb im Winter 157G/77 eine Comoedia sacra, den 'Isaac immolandus' und
widmete sie dem Kurfürsten Jobann Georg von Brandenburg in Erinnerung an dessen
Frankfurter Studienzeit. Diesmal war Stummel bemüht, ein Werk zu schaffen, das „seinem
Alter, seiner Stellung und theologisshen Richtung angemessen war": er behandelte die
Opferung des Isaak im strengsten Anschluss an die Bibel und vertiefte diesen Stoff da-
durch, dass die von dem christlichen Dogma gelehrte Auffassung dieses Opfers als Vor-
deutung und Hinweis auf Christi Tod in dem Bewüsstsein der handelnden Personen bereits
klar und deutlich erkannt und als vorhanden dargestellt wird. Abraham ist daher ein
gründlich gebildeter, die Literatur des Für und Wider genau beherrschender lutherischer
Theologe, der die Verheissung und Erfüllung vom Sündenfall bis Christi Tod mit allen
Möglichkeiten der Erklärung kennt, und z. B. seinen Nachbarn Mamre, Escol und Aner
einen ausführlichen dogmatischen Vortrag hält, warum die Verheissung gerade vom Samen
des Weibes redet, und wer der Schlange den Kopf zertreten werde.
Hier ist alles typisch: die Kürzungen, die Zusätze, die beiläufigen Aniührungs-
striche, von denen man erraten muss, dass sie auf ein zwei Seiten zuvor zitiertes
Werk zurückweisen. Halbe Seiten verdankt M. ausser der angezogenen Stelle noch
der Studie von Rasmus; durchwirkt wird das Entlehnte mit kleinen Einschlägen
aus zwei Programmabhandlungen von G. Voss. Aber die Reihe der wissenschaft-
lichen Ahnen unseres Autors ist noch länger. Bedenklich ist schon die Art. wie
für Heinrich Knaust die erschöpfende Arbeit von Hermann Michel, die natürlich
jeder herangezogen hätte, benutzt wird. Bei Bartholomäus Krüger wird nicht nur
Pniowers grosser Aufsatz (Brandenburgia 6, 290) ausgeschrieben, der zitiert
wird, sondern noch reichlicher eine nicht zitierte Arbeit: R. M. Werners Anzeige
von Boltes Neudruck des Spiels von den bäurischen Richtern und dem Lands-
knecht (in der Zs. für österr. Gymnasien 35, 8450".). Für die neuere Zeit war
ein Haupttröster Heinrich Spieros „Poetisches Berlin" (2 Bde., München 1911), zu
dem das Schiff lein der Darstellung wie zu einem Magnetberge immer wieder
zurückstrebt, wenn es ein Weilchen eigene Fahrt versuchte; die Gegenüberstellung
würde Seiten füllen. Dabei hätte es an Anreiz zu eigener Forschung in diesem
2()4 Bücheranzeigen.
Stoffe nicht gefehlt. Fontane nennt z. B. den Freienwalder Tischlermeister Karl
Weise (1813—88) einen 'märkischen Hans Sachs'; zielt das nur auf eine gewisse
Ähnlichkeit der Lebensumstände und der Tendenz, oder soll ein starkes Lob darin
liegen? M. gleitet darüber hinweg, obgleich Weise kürzlich eine (freilich un-
genügende) Neuausgabe erfuhr (durch H. Schmidt und K. Freudel, Berlin 11)13).
Einmal widerfährt M. bei seinem raschen Zusammenraffen ein peinliches Unglück.
Er findet in Stummels 'Studentes' „eine starke Abhängigkeit und Anlehnung an
Stoff und Technik des Acolastus von Wilhelm Gnaphäus" (S. 245); kurz danach
aber bemerkt er harmlos: .,Einen Zusammenhang des Schaffens Stummels mit
demjenigen von Wilhelm de Volders, genannt Fullonius konnte ich nicht
nachprüfen" (S. 24G, Anm. 2). Leider sind Gnaphäus— de Volders— Fullonius ein
und dieselbe Person, wie M. die von ihm doch auch sehr geschätzte 'Allg. ütsch.
Biographie' hätte lehren können. Eine rechte Wirrnis herrscht auch in der Chro-
nologie der Neulateiner. Es soll nun nicht geleugnet werden, dass man dank den
meist guten Gewährsmännern Merbachs trotz allem auch manches Wissenswerte
erfährt, auch nicht, dass M. bei Raupach, über den er eine Monographie vor-
bereitet, Eigenes bieten konnte, obwohl er sich selbst den Übergang zu diesem
bei Spiero borgt. Aber im ganzen ist seine Arbeit kein reif gewordenes Buch,
sondern eine glatt gestrichene Notizen- und Exzerptensammlung.
Ein Beitrag von ganz anderer Straffheit ist die märkische 'Musikgeschichte'
von Gurt Sachs. Dass sie infolge Versagens der Lokalforschung wesentlich eine
Musikgeschichte der Hauptstadt sein musste, wird man dem auf seinem Gebiete
schon durch frühere Arbeiten bewährten Verf. gern glauben. AVie seit Joachim IL
der Hof, wenn auch nicht gleichmässig, um eine Hof- und Domkapellc sich be-
müht — den wesentlichen Rückhalt für das hauptstädtische Musikleben — bis
dann unter Friedrich Wilhelm I. alles erlischt: wie daneben aus dem alten Türmer-
wesen die Stadtpfeifereien sich entwickeln, gedeihen und wieder verfallen: das.
wird bündig und sicher geschildert, und trotz des frischen Voranschreitens werden
kleine belebende Notizen über Dinge 'hinter den Kulissen der Geschichte' mit-
genommen, wie dass die Schwestern des Grossen Kurfürsten Viola-Stunden bei
dem alten Meister Rowe nahmen, den einst eine Truppe englischer Komödianten
dem brandenburgischen Hofe abgetreten hatte; oder dass der Kurfürst selbst sich
auf der Viola di gamba versucht hat. Bei der Schilderung der neueren Zeit wird
die Darstellung noch knapper, aber der Verf. weiss in wenig Worten Wesentliches
zu sagen, z. B. über die unbefriedigende Stellung, die Reichardt am Hofe
Friedrichs d. Gr. einnahm; über Reichardt hätte freilich wohl mancher Leser
gern mehr gehört. Bei Schilderung der allerneuesten Zeit gerät das einmal an-
genommene Marschtempo des Verf. in Zwiespalt mit dem Bestreben, in einer
Landeskunde möglichst viel lokal bedeutsame Männer zu erwähnen; so viel Namen
und Notizen, wie auf den letzten Seiten aufmarschieren, kann man nicht mehr
lesend aufnehmen. Aber der Verf. dringt vorwärts bis zu dem Phonogrammarchive
Karl Stumpfs an der Berliner Universität.
Richard Galle stand bei der Darstellung von 'Bildung, Wissenschaft und
Erziehung' vor der heiklen Aufgabe, gerade den Teil des brandenburgischen
Geisteslebens darzustellen, der am meisten von auswärtigen Bedingungen und
Einilüssen abhängt; brandenburgischer Wissenschaftsbetrieb ist schliesslich eben
nur eine Funktion des gesamtdeutschen, ja in jüngster Zeit des internationalen.
Der schwierigen kompositorischen Aufgabe, den Blick demgemäss abwechselnd in
die Weite zu locken und zur Enge zurückzurufen, ist der Verf. für die Zeit bis zu
den Freiheitskriegen in erfreulichem Grade gerecht geworden. Besonnenes Urteil
Bücheranzeigen. 265
bewährt er überall, in der älteren Zeit z. B. bei der Abschätzung- der oft über-
triebenen Verdienste der Cisterzienser. Am meisten Farbe gewinnt die Darstellung
in den Abschnitten zwischen dem Ende des dreissigjährigen Krieges und den
Freiheitskriegen; natürlich macht sich G da Heubaums 'Geschichte des deutschen
Bildungswesens' und Harnacks Akademiegeschichte zunutze. Im 19. Jahrhundert
macht sich leider die schon in der Musikgeschichte hervorgetretene Schwierigkeit
in verstärktem Masse geltend; Gallcs Arbeit läuft, in dem Bestreben, den
Stoff zu erschöpfen, zuletzt in tabellarische Übersichten aus. Gerade weil die
früheren Teile die darstellerische Aufgabe meistern, bedauert man diesen dürren
Ausgang.
Die Ausstattung, die der Verleger dem Bande gab, lässt zum Glück noch
keine Kriegsnot merken; dass die Abbildungen klein gehalten werden mussten,
war bei den Preisgrenzen des umfangreichen Gesamtwerkes unvermeidlich.
Berlin. Heinrich Lohre.
Josef Blau, Böhmerwälder Hausindustrie und Yolkskuust. 1. Teil.
Wald- und Holzarbeit. Mit 150 Abl>iidungen. (Beiträge zur deutsch-
böhmischen Volkskunde 14. Bd. 1. Hälfte.) Prag, J. Calve 1917. XIY,
424 S. gr. 8^ 6 Mk.
Wie alle Bände der Beiträge zur deutsch-böhmischen Volkskunde ist auch
der vorliegende eine Tat von unendlichem Nutzen, eine Rettung alter Volksüber-
lieferungen in letzter Stunde. Wie der böhmische Urwald dem Angriff einer
gewinnsüchtigen Industrie zum Opfer gefallen ist, so verschwanden mit ihm eine
Unzahl uralter Volksarbeiten im Walde und Holze. Dass die Erinnerung daran
in Wort und Bild vom Verfasser der Nachwelt aufbewahrt bleibt, ist sein ehrendes
Verdienst. Zugleich ist das Buch ein beredter Warner vor Übertreibung der
Industrialisierung, die in kurzer Zeit selbst die reichsten Quellen erschöpft. Im
ersten Teile ist eine allgemeine Übersicht der Verbreitung, Geschichte und
Bedeutung der Hausindustrien des Böhmerwaldes gegeben. Der zweite Teil führ
uns in den Wald zu den Waldarbeiten. Die dabei gegebene 'Aufklärung' über
die böhmischen 'Schmäräken' scheint weiterer Aufhellung bedürftig. Weiter
folgen Kupitel über die Wasserbeförderung des Holzes, über Kohlenbrennerei,
über Aschen brenner, Flussicder, Pechler, Teerbrenner und Wagenschmierbrenner,
alles fast vergessene und für die Kenntnis alter Zustände doch nicht unwichtige
Arbeiten. Für die Hausforschung belangreich sind dann die Kapitel über die zeit-
weise leerstehenden Holzdörfer, das Hochgebirgshaus und die Zäune oder Schrenger
und Schindeln. Das Kapitel 'Wissen vom Holz' gibt eine treflliche Übersicht über
die Verwendbarkeit und tatsächliche Verwendung der einzelnen Holzarten. Eine
reiche Fülle von Holzerzeugnissen, vom einfachsten Gerät bis zum künstlerisch wert-
vollen Standbilde behandeln drei weitere Abschnitte des Buches, denen sich aus-
führliche Beschreibungen der bemalten Möbel, leider ohne Farbenwiedergabe, und
Totenbretter anschliessen. Eine bisher noch wenig bekannte Volksmedizin stellen
die aus Baumschwamm gefertigten Kappen (vgl. oben 'Ib, 4) dar, die gegen Kopf-
schmerzen heilsam sein sollen. Eine Zusammenstellung der vielen mundartlichen
Gerätenamen u. dergl. wäre erwünscht gewesen.
Berlin-Steglitz. K^il Brunner.
Zeitschr. d Vereins £. Volkskunde. 1017. Heft 3. 18
266 Bücheranzeigen.
Theodor Imme, Die deutsche Soldatensprache der Gegenwart und ihr
Humor. Dortmund, F. W. Ruhfas 1917. XII, 172 S. 8". Geh. 4 Mk.
Otto Mausser, Deutsche Soldatensprache. Ihr Aufbau und ihre Probleme
(Trübners Bibliothek Bd. 9). Strassburg, Karl J. Trübner 1917. YII,
135 S. 8°. Geh. 3 Mk., geb. 3,80 Mk.
Innerhalb der in zahlreichen kleineren Schriften, Zeitschrift- und Zeitungs-
anfsätzen veröffentlichten Literatur zur Soldatensprache lassen sich, wenn man von
•rein feuilletonistischen Plaudereien absieht, leicht zwei Richtungen unterscheiden-
Die eine legt den Hauptwert auf die Mitteilung einer möglichst reichhaltigen
Stoffsammlung, die andere bringt von dem vorliegenden Material nur eine Aus-
wahl und legt den Hauptnachdtuck auf die darauf aufzubauenden sprach- und
volkspsychologischen Betrachtungen. Es sind die beiden Gesichtspunkte der
Synthese und Analyse, von denen jede Wissenschaft, und nicht zuletzt die Volks-
kunde bestimmt wird, die sich gegenseitig bedingen und beide gleich unentbehrlich
sind. Für die erste Richtung bietet Immes Buch, das an Fülle des Stoffes von
keiner der bisher gedruckten Sammlungen übertroffen werden dürfte, ein treffendes
Beispiel. Es behandelt die allgemeinen systematischen Fragen, die Geschichte der
Soldatensprache, -forschung usw. nur in der Einleitung und legt den Hauptnach-
druck auf den Stoff selbst. Nicht ganz treffend scheint uns die Fassung des
Titels. 'Die' deutsche Soldatensprache ist ein Werk, das uns erst die Zukunft
bringen kann, hoffentlich eine nicht allzu ferne. Denn die Eigenart dieses volks-
kundlichen Gebietes lässt ja hoffen, dass die Tätigkeit des blossen Sammeins in
absehbarer Zeit abgeschlossen sein wird; mit dem Tage des Friedensschlusses ist
der Soldatensprache dieses Krieges der Nährboden entzogen. Ferner bedeutet die
Rücksicht auf den Humor der Soldatensprache eine gewisse Einschränkung, die
der Wissenschaft fernbleiben muss. Zwar spricht sich in den meisten Schöpfungen
der Soldatensprache ein gesunder und treffender Humor aus, aber er ist keine
unerlässliche Vorbedingung, und gerade in den verbreitetsten Ausdrücken tritt er
stark zurück oder wird kaum noch als solcher empfunden. Auch geht aus der
Einleitung hervor, dass den Grundstock von l.'s Sammlungen Ausdrücke bilden,
die er in den Lazaretten eines eng begrenzten Gebietes (Essen und Umgegend)
gesammelt hat, und wenn auch an solchen Stellen Soldaten aus allen Gegenden
Deutschlands vereinigt zu sein pflegen, so werden dort doch viele Gebiete, vor
allem Süddeutschland, nur schwach vertreten gewesen sein, so dass ein vollstän-
diges Bild der allgemeinen deutschen Soldatensprache nicht gewonnen werden
konnte. Andererseits zeigt die Fülle des von I. mit lobenswertem Fleisse ge-
sammelten Stoffes, wie fruchtbar sich die schöpferischen Kräfte unserer Sprache
in diesem Kriege gezeigt haben, ein wie gewichtiges Corpus jenes Werk der Zukunft
darstellen wird, das wirklich die gesamte Soldatensprache des Weltkrieges um-
fasst. Was die gedruckten Quellen betrifft, die I. neben den mündlichen benutzte,
so möchte ich nach wie vor die in den 'Lustigen Blättern' veröffentlichten
Soldatenausdrücke mit grösstem Misstrauen betrachten. Die Methode dieses Witz-
blatts, unter Aussetzung von Geldpreisen (!) zur Einsendung von Beiträgen aufzu-
fordern, begünstigt geradezu die künstliche Erzeugung papierner Sprachblüten am
heimischen Schreiblisch oder auch im Schützengraben und ist eigentlich als ein
Unfug zu bezeichnen, den die Wissenschaft mit Nichtbeachtung bestrafen sollte.
Vorsichtiger ist die Fassung des Titels von Maussers Buch, und der Unter-
titel 'Aufbau und Probleme' weist von vornherein darauf hin, dass es dem Ver-
fasser nicht auf Mitteilung möglichst reicher Sammlungen, sondern auf die wissen-
Bücheranzeigen. 267
tscliaftliche Behandlung des vorliegenden Stoffes ankam, wie er denn auch die mit-
geteilten Ausdrücke nur als 'Kostproben' bezeichnet. Dabei ist das M. zur Ver-
fügung stehende Material ungleich umfassender als Immes. Sein Buch ist heraus-
gegeben vom Vorstand des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde, der
bekanntlich mit einer umfassenden Sammlung der Soldatensprache beschäftigt ist,
und der Verfasser hat sich der tätigen Mithilfe des Verbandsvorsitzenden John
Meier zu erfreuen gehabt. Vor allem aber standen ihm die soldatensprachlichen
Sammlungen der Wörterbuchkommission der Münchener Akademie zur A'erfügung
die sich ausschliesslich aus Einsendungen von Feldzugsteilnehmern zusammen-
setzen. Damit ist die wissenschaftliche Zuverlässigkeit des Buches gewährleistet,
und seinen strengvvissenschaftlichen Charakter erkennen wir auch darin, das für
jedes Wort der Geltungsbereich angegeben ist. Denn nie darf vergessen werden,
dass einer grossen Anzahl von Ausdrücken keine allgemeine Verbreitung zugestanden
werden darf. Die heutige Soldatensprache ist eben nicht in dem Sinne eine
Sondersprache wie die alte Landsknechtssprache, sie ist ebensowenig eine Standes-
sprache, da es einen Soldaten stand heute nicht mehr gibt, sie ist deshalb mit
den Sprachen der einzelnen Berufe, die geradezu als Erkennungszeichen unter den
einzelnen Berufsmitgliedern gelten, nur entfernt zu vergleichen. Bei weiterer Durch-
forschung dürfte es sich immer mehr zeigen, dass die Zahl der allgemein gebräuch-
lichen Ausdrücke im Verhältnis zu dem ganzen gesammelten Material ver-
schwindend gering ist. Erfreulich ist auch M.'s Vorsicht gegenüber den Beiträgen
aus Witzblättern (S. 100 Anm. 284).
Ein wichtiger Nebenzweck von M.'s Buch ist die Werbung immer neuer Mit-
arbeiter unter den Feldzugsteilnehmern. Der kürzere Fragebogen des Verbandes
ist am Schlüsse des Buches abgedruckt, auf den umfassenderen, der jedem Inter-
essenten von der Wörterbuchkommission der K. b. Akademie der Wissenschaften,
München, Neuhauserstr. 51, unentgeltlich zugesandt wird, ist ebenfalls an dieser
Stelle hingewiesen.
Im Schlusskapitcl seines Pouches geht M. auf die Arbeiten zur Soldatensprache
ein, die noch der Erledigung harren, so vor allem auf die Sammlung der Soldaten-
ausdrücke bei unscrn österreichischen, bulgarischen und türkischen Bundesgenossen,
wo man zum grössten Teil kaum über die ersten Anfänge hinausgekommen ist.
Wenn irgendwo auf dem Gebiete der Volkskunde, so ist hier schnelle Inangriff-
nahme der S«nimel- und Sichtungsarbeit geboten. Dass im Barbarenlande Deutsch-
land alles geschieht, um alles rechtzeitig unter Dach und Fach zu bringen, was
das für so weite Kreise anziehende Gebiet der Soldatensprache betrifft, dafür legt
M.'s Buch als Frucht der Tätigkeit des Verbandes und der bayrischen Akademie
ein hocherfreuliches um! vielversprechendes Zeugnis ab.
Berlin -Pankow. Fritz Bo ehm.
Johu Meier, Volksliedstiuüen. Strassburg, Trübner 1917. XI, 246 S. 8°.
5,75 Mk. (Trübners Bibliothek 6.)
Nachdem der Streit um den Begriff des Volksliedes lange genug gedauert
hat, sollen methodisch geführte Einzeliintersuchungen, wie es im Vorw^orte heisst,
die Erkenntnis der wichtigsten allgemeinen Lebenserscheinungen und Entwickelungs-
vorgänge bei den im A^olke umlaufenden Liedern fördern. Da John Meier seit
vielen Jahren diese Fragen eingehend studiert und über ein riesiges Material ver-
fügt, dürfen wir die von ihm angestellte Probe auf seine Definition des Volks-
liedes mit Spannung erwarten. Absichtlich hat er nicht Lieder von besonderem
ästhetischen Werte, sondern solche von grosser Beliebtheit ausgewählt.
18*
2(38 Büchevanzeigen.
Die erste Untersuchung- gilt dem Liede 'Stehe ich am eisernen Gitter' (Erk-
ßöhme nr. 727), in welchem ein gefangenes Mädchen über den Tod ihrer Eltern
und die Untreue ihres Geliebten klagt, aber die Ursache ihrer Haft im unklaren
lässt. M., der die 153 von ihm benutzten Aufzeichnungen dem Inhalte nach in
2S Gruppen mit verschiedenen Unterabteilungen gruppiert, weist Schritt vor Schritt
nach, dass das um 18-40 entstandene Lied nicht auf einem wirklichen Geschehnis
beruht, sondern aus verschiedenen Dichtungen des 18. Jahrhunderts nur nach dem
Empfindungsgehalt zusammengesungen ist. Den Kern bildet eine Waisenklage
'Ach ich lebe ganz verlassen', der eine Anfangsstrophe aus einem Gefangenenliede
und Stücke aus 'Ist denn Lieben ein Verbrechen', aus Millers 'Bester Jüngling
meinst du's ehrlich', aus Sands Abschied u. a, zugesellt wurden. Viele Ver-
änderungen im Wortlaut, im Reim, Zerdehnungen, endlich auch Zusätze aus Ge-
dichten von Prutz, Geibel, aus Bretzners 'Entführung aus dem Serail' und Volks-
liedern traten hinzu, das Verbrechen der Eingekerkerten ward als Ermordung der
Mutter oder des Geliebten bezeichnet; aus dem Monologe entwickelte sich ein
Dialog, an die Stelle des klagenden Mädchens trat ein gefangener Jüngling usw.
Es entsteht somit aus zahlreichen disparaten Elementen eine neue, abgerundete
und einen organischen Eindruck machende Einheit (S. 85). — Zweitens behandelt
Meier die Ballade 'Es gieng einst ein verliebtes Paar' (Erk-Böhme nr. 52). In-
dem er die mehrfach behaupteten Beziehungen auf wirkliche Ereignisse neuerer
Zeit abweist, zeigt er, dass die kürzere Passung von 10 vierzeiligen Strophen
hervorgegangen ist aus einer längeren von 9 achtzeiligen Strophen, in der ein
gewerbsmässiger Bänkelsänger (in Österreich?) eine katholische Legende darstellt:
der Jüngling ersticht seine schwangere Geliebte, sinkt aber reuig mit einem Gebet
auf die Leiche hin und stirbt; Vögel machen die Tat kund, und die Geistlichkeit
lässt das Paar an jener Stätte ehrlich begraben und eine Kirche erbauen. Später
verschiebt sich der Schwerpunkt; der Mörder wird nicht selig, sondern endet in
Verzweiflung oder wird hingerichtet. Mehifach drängen sich andere Legenden-
motive (Stabwunder, Gloekenläuten, Grabeslilie) und Entlehnungen aus ähnlichen
Mordballaden ein. Aus einem nicht volksmässigen Individuallied ist also
schliesslich ein kürzeres 'Volkslied' geworden. — Die 3. und 4. Studie be-
schäftigen sich mit Liedern auf zwei historische Persönlichkeiten des 19. Jahr-
hunderts, Karl Ludwig Sand und Friedrich Hecker. Die fünf Lieder auf die 1819
erfolgte Ermordung Kotzebues sind sämtlich Monologe Sands, der zu seinen Ge-
nossen redet, über seine Tat berichtet oder vom Leben Abschied nimmt. Am
beliebtesten war 'Sands Abschied von seiner Geliebten', der ein älteres Duett von
Franziska und Joseph 'Ach sieh doch die bange Stunde' verarbeitet, und auf
welchen später eine 'Antwort der Geliebten an Sands Grabe' Bezug nimmt. Wie
hier ein älteres Lied auf eine bestimmte Persönlichkeit angewandt und umge-
modelt wird, so ist auch 1848 ein 1834 von Sauerwein verfasstes 'Lied der Ver-
folgten' auf den Volksmann Hecker übertragen w^orden, der noch nach zwei
Menschenaltern in Süddeutschland eine merkwürdige Popularität geniesst. Das
von Studenten vielgesungene Heckerlied ironisiert freilich durch seine drastische
Blutdürstigkeit zugleich die Revolutionsstimmung, wie das auch ein Lied Nadlers
(Seht, da steht der grosse Hecker) tut. Aber Heckers Name ist bis in die Vers-
lein der schwäbischen und badischen Kinder gedrungen. Meier stellt S. 231 mit
Recht fest, dass bei den historischen Liedern meist eine starke Benutzung
früheren Materials oder eine Adaptierung früherer, auf andere Ereignisse und
Persönlichkeiten gedichteter Lieder statttindet.
Johannes Bolte.
Notizen. 269
Xotizeii.
W. Ahi-ens, Altes und Neues ans der Unterhaltungsmathematik (Berlin, Julius
Springer 1918) S. 168—203: 'Die Sator-Arepo-Formel'. — Klar und mit kritischer Schärfe
handelt A. über die berühmte, seit dem 5. Jahrhundert auf Amuletten und in aber-
gläubischen Gebräuchen in Europa und anderwärts oft begejrnende Formel (vgl. oben
•25, 240 f. Hess. Blätter, f. Volkskunde 13, ln9. Sacharov, Skazanija rus. naroda 1885
1, 9G. Speranskij, Rukopisi P. J. Safarik 1894 S. 45. Pamätky archeologicke 14, 89),
deren merkwürdige, eine vierfache Lesbarkeit bewirkende Buchstabenanordnung offenbar
•erst den Anlass gegeben hat, ihr eine zauberhafte Wirkung zuzuschreiben. Er analysiert
den Aufbau des lunfzeiligen Quadrates im Vergleich mit andern Palindromen (z. B. 'Ein
Neger mit Gazelle zagt im Kegen nie") und betrachtet mit überlegenem Spott die viel-
fachen vergeblichen Versuche, in die Spielerei einen mystischen ^inn hineinzulegen, wie
den mit Hilfe des Rösselsprunges gefundenen: 'Pater oro te — sanas' oder die kürzlich in
der Vossischen Zeitung vom 5. Mai 1917 verkündete unmögliche Verdeutschung: 'Der
Säeniann, der seinen Acker bestellt, betreut die Werke der Kirchenwelt.' — (J. B.)
Hermann Beckh, Buddhismus (Buddha und seine Lehre). 2 Bde. (Sammlung
-Göschen 174 und 770). Leipzig und Berlin, G. J. Göschen 1916. 147 und 142 S. 8". gebd.
je 1.20 Mk. — Wir möchten auf dies Buch an dieser S'elle hinweisen besonders wegen
■der ausführlichen Darstellung der Buddhalegende (Bd. 1, 25 — 80). In keiner volks-
tümlichen Behandlung des Buddhismus sind diese wundervollen, z. T. auch volkstümlich
interessanten Erzählungen mit gleicher Ausführlichkeit und Zuverlässigkeit wiedergegeben
-worden. Der 1. Band behandelt als Ganzes die Person, der 2. die Lehre des Buddha. —
(F. B.)
Berichte aus dem Knopfmuseum, Heinrich Waldes Sammlung von Kleider-
verschlüssen, Jahrgang 2 (Redakteur J. Hofmann). Prag-Wrschowitz 1917. 6 Bl. 71 S
4'\ — Vgl. oben S. 174.
Martin Böhme, Das lateinische Weihnachtsspiel ^Grundzüge seiner Entwicklung).
Leipzig, R. Voigtländer 1917, VIL 130 S. 4,50 Mk. — Die Wcihnachtsspiele unsres
Volkes wurzeln in den gottesdienstlichen Feiern des Weihnachtsfestes, welche die mittel-
alterliche Kirche in lateinischer Sprache, aber zugleich in einer für die Laien sinnlich
fasslichea Weise veranstaltete. Der Entwicklung dieser seit der Mitte des 11. Jahrh.
bezeugten Sitte geht die vorliegende Untersuchung nach, indem sie ausführlicher als
•Crcizenach in seiner Geschichte des neueren Dramas einen streng gesetzmässigen Gang
zu erweisen trachtet. Das Hallelujahsiugen an der in der Kirche aufgestellten Krippe,
das bereits im G. Jahrh. erwähnt wird, wurde in St. Gallen durch Notkors Tropus ver-
drängt, welche den textlosen Sequenzen geistliche Texte unterlegte. Im Nordosten
Frankreichs entstanden nun drei Arten von Spielen, die sich alsbald auch in Deutschland
verbreiteten: das Hirtenspiel am Weihnachtsabend, das Magierspiel am Epiphaniastagc
und das Rachelspiel am Fest der unschuldigen Kindltin (-28. Dez.). Das zuerst nur aus
der Vcrkündiguug des Engels und der stummen Anbetung an der Krippe bestehende
Hirtenspiel wurde vervollständigt durch die Antiphon 'Quem vidistis' und durch einen
dem Ostertropus 'Quem quacritis' nachgebildeten Dialog zwischen den Hebammen
(obstetrices), die hinter dem die Krippe verdeckenden Vorhange hervortreten, und den
Hirten. Denselben Bau zeigt das Ma.üierspiel von Limoges: 1. Sternszene, 2. stumme
■Oblation: 3. Antiphon 'Puer natus est'; dazu trat die Krippenszene des Hirtenspiels
und weiterhin die Einführung des Herodes und seiner Hofleut<», Boten und Schrift-
gelehrten: hiermit war zugleich ein dramatischer Konflikt und eine freiere Entfaltung von
Text und Mimik gegeben. Das Rachelspiel endlich enthielt in seiner einfachsten Form
ein der Apokalypse (">, 9 entnommenes Responsorium, eine Klage der Rahel und eine
Tröstung des Engels, wurde aber in der Folge öfter mit dem Magierspiele verbunden. —
f J. B.
Franz Bell, Sternglaube und Sterndeutung. Die Geschichte und das Wesen d««r
Astrologie. (Aus Natur und Geisteswelt Bd. 638). Leipzig und Berlin, B. G. Teubnor
1918. VIII. 108 S. 8". 1,50 Mk. — Die Astrologie, deren Einfluss auf alle Gebiete des
270 Notizen.
menschliclien Lebens in dem vorliogenden Buche meisterliaft klargelegt wird, hat auch-
A'oin frühesten Altertum bis in die Neuzeit in mancherlei Gebräuchen und abergläubischen
Vorstellungen des Volkes ihren Niederschlag gefunden. Deshalb verdient die Schrift
auch an dieser Stelle genannt zu werden. Es ist hocherfreulich, dass ein Gelehrter, wie
Boll, es unternommen hat, durch das äusserst schwer gaui^bare Gebiet einen Weg zu
bahnen, der dem I^eser, der Geduld und einige Vorkenntnisse besitzt, einen Einblick in
das eigenartige Gewirr astrologischer Spekulation gestattet. Von Einzelheiten, die
gelegentlich auch in unserer Zeitschrift behandelt worden sind, sei verwiesen auf das
S. 4'4:ff. über Dürers 'Melancolia' und S. 61 über die Kometen Gesagte. — (F. B.;
Die deutschen Brüder. Die Stämme uTiscrer Heimat im Spiegel deutschen
Schrifttums, herausgegeben für die Soldaten im Felde vom Champagne-Kamerad (Feld-
zeitung der ?>. Armee). Verlag des Champagne-Kamerad. Auslieftrung in Deutschland:
Franckhsche Verlagshandlang, Stuttgart. 195 S. 8". — Die Stammesverschiedenheit der
Deutschen in Lebensauffassung und Mundart ist Unzähligen erst in diesem Kriege, der
die einzelnen Stämme zu gemeinsamem Werke so bunt durcheinander würfelt, zum
Bewusstsein gekommen. Das vorliegende hübsche Buch will dazu helfen, dies unmittelbare
Erleben deutscher Stammeseigentümlichkeiten zu vertiefen und festzuhalten, indem es
besonders kennzeichnende Proben aus dem Schrifttum der einzelnen Stämme zusammen-
stellt. Mit Geschick und Geschmack hat 0. D od er er aus der Fülle des Stoffes, von
Walther von der Vogelweide bis Hugo von HolTmannsthal, Geeignetes ausgewählt: von
ihm stammen auch die kurzen Charakteristiken und bibliojiraphischen Hinweise, die tür
manchen vielleicht noch in ruhigeren Tagen ein guter AVegweiser zu klaren Quellen des
Genusses sein werden. Jedem Abschnitt ist eine kurze, von F. v. der Leyen ge-
schriebene Stammescharakteristik vorausgeschickt. Das auch für die Heimat wertvolle
Büchlein ist ein neuer Beweis lür die unermüdliche und segensreiche Arbeit einer Anzahl
unserer Armeezeitungen, unter denen der Champagne-Kamerad (Herausgeber L. Mnn-
zinger) eine hervorragende Stellung einnimmt. — (F. B.)
H. F. Feilberg, Skoen som retssymbol (Stu'lier tillegnade Esaias Tegnor den
13. januari 1918. Lund, Berling S. 37— 42). — Ein Nachtrag zu Sartoris Artikel, oben
4, 41.
H. F. Feilberg, Hundcns testamente Festskrift til Evald Tang Ktistensen paa
hans halvtredsaarsdag som folkemindesamler den 31. december 1917. K0benhavn, Schen-
berg S. 11-28). — Verfolgt das von'Araalfl (oben 4,428), Debenedetti (oben 24, 431)
M. a. behandelte Testament des Hundes durch verschiedene Literaturen.
G. Gojertunl K.Wolter, Viämische Sagen, Legenden und Volksmürclien. mit
16 alten Ansichten herausgegeben. Jena, E. Diederichs 1917. VI[I, 214 S. 4,50 Mk. —
Die beiden Herausgeber haben, wie der Ostender Stadtbibliothekar Everaerts in seinem
Geleitworte berichtet, ihren Aufenthalt in Ostende während des gegenwärtigen Krieges
dazu verwandt, unier den Märchen und im Sagenschatzo des flämischen Volkes Umschau
zu halten, für dessen Aufzeichnung bereits der Kölner J. W. Wolf und die Hessin Maria
von Plönnies vor 70 Jahren viel getan hatten. Aus ihren Bemühungen ist eine stattliche
Auslese von ^geschichtlichen Sagen, Legenden, Zauber-, Geister-, Gespenstergeschichten,
Märchen und Spottgeschichten des Flamenvolkes entstanden, die den im A^orwort iius-
besprochenen Zweck hoffentlich erreichen wird: 'Erkenne im Vlamen den deutschen
Bruder, gewinne ihn lieb und achte ihn!' Denn zu vielen der ansprechend erzählten
Geschichten werden dem deutschen Leser bald Seitenstücke aus unserer Volksüberliefernng
einfallen. Für die richtifzc Würdigung von einem mehr wissenschaftlichen Standpunkte
aus wäre es allerdings wünsciicnswort, dass die Quellen nicht nur summarisch, sondern
im einzelnen angegeben worden wären. Es ist doch nicht gleichgültig, ob eine Sage
einem Autor des 13. Jahrhunderts nacherzählt wird, wie die S. 79 mitgeteilte von der
Wiederkehr der toten Jungfrau (vgl. oben 20, 3GG), oder ob sie im Jahre 191 G aus dem
Volksmunde aufgezeichnet ist, wie die vom deutschen Unteroffizier und vom spukenden
Genter Nachtwächter (S. 150). V^ermutlich würde sich dann auch ergeben, dass das flä-
mische Original der Legende vom Muttergottesgläschen (S. 74) aus einer Grimmschea
Notizen. 271
Kiuderlegende übersetzt ist. Da das Buch den ersten Band eines von P. Zaunert heraus-
gegebenen Deutschen Sagenschatzes bildet, erlauben wir uns, diesen leicht zu erfüllenden
Wunsch dem Herausgeber ans Herz zu legen. — (J. B.)
Ueimatklänge. Deutsche Lieder für unsere Kriegspefangeuen. Herausgegeben
von Max Friedlaender und .Johannes Bolte.. Berlin, Furche-Verlag [1917]. 98 S. 8\ —
Einen sinnif^en Gruss ans der Heimat an unsere kriegsgefangenen Brüder bedeutet das
wunderhübsche Büchlein, das die beiden bewährten Kenner unseres Volksliedes, unter-
stützt von Frl. Ch. Michaelis, im Auftrag des Deutschen Studeutendienstes von 1914
herausgegeben haben. Über hundert unserer schönsten Lieder sind hier, z. T. mit Be-
nutzung der prächtigon 'Alten und neuen Lieder' des Inselverlages, zusammengestellt,
mustergültig in der Behandlung der Worte und der Weisen, die beliebtesten in zwei-
oder vierstimmigem Satz. Trauer um verlorenes Glück wie ungebeugter Lebensmut finden
innigsten Ausdruck, so dass unsere armen Gefangenen in jeder Stimmung zu diesem
Tröster greifen können. Einen besonderen Schmuck bilden die herb- stimmungsvollen
Scherenschnitte von Annemarie Nägelsbach, die dem Heft beigegeben sind. ISiemand,
der Verwandte und Freunde in der Gefangenschait weiss, sollte versäumen, ihnen diese
schöne Gabe zu senden, zur Linderung ihres hoffentlich bald gewendeten Loses und zur
Ehre unseres deutschen Liedes. — (F. B.)
A. Heuslcr, Axel Olrik (Archiv für neuere Sprachen 136, 1—15). — Eine eingehende
warme Würdigung der wissenschaftlichen Tätigkeit des zu früh dahingeschiedenen
dänischen Gelehrten.
A. Hilka, Neue Beiträge zur Erzählungsliteratur des Mittelalters: die Compilatio
singularis exemplorum der lis. Tours 468, ergänzt durch eine Schwesterhandschrift
Bern 679 (90. Jahresbericht der Schles. Ges. für vaterl. Kultur. Breslau 1913). 24 S. —
Die Wanderung einer Tiernovelle : Die undankbare Mensch und die dankbaren Tiere.
(Mitt. der Schles. Gos. f. Volkskunde 17. 1915). 20 S. — Beide Arbeiten liefern zur
Geschichte der Erzählungsstoffe wichtige Beiträge; die erste weist verbreitete Novellen
bei einem französischen Dominikaner des 13. Jahrh. nach, die zweite verfolgt eine indische
Fabel auf ihrem Wege bis in deutsche und afrikanische Volksmärchen. — (J. B.)
G. 0. Hylten-Cavallius och G. Stephens, Svenska Folksagor samlade och
utgifna, omarbetade av Elsa Dj urklou-Aschan, med teckningar av E. Lundgren,
1.-2. delen. Stockholm, P. A. Norstedt & Söner 1915—1916. 5,50 Kr: — Das vorliegende
Buch, welches zum orsten Male 1844-1849 erschien, war die erste wissenschaftliche
Sammlung schwedischer Volksmärchen und als solche mit Erläuterungen und Hinweisen
auf heimische und ausländische Seitenstücke ausgestattet. Die neue Ausj;abe des vor-
treillichen Werkes geht nicht darauf aus, der Wissenschaft zu dienen; sie lässt die An-
merkungen fort, verändert die Reihenfolge und stutzt den Text und die Eechtschreibnng
ein w^nig für die Jugend zurecht. Die 35 vollständigen Nuniniern des ersten Druckes,
welche zum Teil Varianten zu einem und demselben Stoffe darstellen, sind bunt durch-
einander gemischt und zum Teil mit andern Überschriften versehen; der erste Band ent-
hält die ^rn. 9, 4b, 17b, 3a, 7b, 11, 19b, 3c, 5a, Ib, 2b, 18, 6, 19c, 13, 22, 20, 14a, der
zweite die Nrn. la, 10, 12, 21, 19a, 4a, 3d, 16, 14b, 2a, 8, 3b, 7c, 7a. 15, 17a, ob. Der
hsl. Nachlass von Hylten-Cavallius, aus dem Clara Stroebe in ihren Nordischen Volksmärchen
(Jena 1915) einige Stücke verdeutscht hat, wurde hier nicht benutzt. Die recht zierlichen,
aber für den skandinavischen Volks- und Landschaftstypiis nicht gerade bezeichnenden Bilder
Limdgrens waren schon 1871 einer uns unbekannt gebliebenen Neuauflage beigegeben.
Jedenfalls freuen wir uns, einen Ersatz für die sehr selten gewordene Originalausgabe zu
erhalten, zumal da die deutsche Übersetzung Ob.erleitneri ^Wien 1848) unvollständig ge-
blieben ist. — (J. B.)
A. Ippel, Wilna-Minsk, Altertümer imd Kunstgewerbe. Fülirer durch die Ausstellung
der Zeitung der 10. Armee. Wilna 1918. 39 S. — Was sich von der Kleinkunst Wilnas
des 16.— 18. Jhs. an versteckten Stellen erhalten hat, hat deutscher Forschersiun hcrvor-
gezoiitn und zu einem Bilde vereinigt, in welchem mehrfach starker deutscher Einfluss
sichtbar wird. — (J. ß.)
272 Notizen.
Kristofer Jauson, Framande eventyr som taletekster. Kristiania og K0benhavD,
Gyldendal 191G. 158 S. 3 Kr. — Ein feinsinniger Schriftsteller bietit der norwegischen
Jugend ein Dutzend Märcheti aus der Weltliteratur in einer Nacherzählung dar, um daran
Betrachtungen über die in ihnen enthaltene Lebensweisheit zu knüpfen. Bisweilen gehen
diese Auslegungen auch auf die historischen Voraussetzungen der Erzählungen, wie die
altägjptischen Märchen oder der christlichen Legenden vom h. Christophorus und vom
Jesusknaben mit den Lehmvögeln, ein, aber von der eigentlichen wissenschaftlichen
Märchenforschung halten sie sich fern. Als Vertreter der deutschen Märchen erscheinen
'Die Sterntaler' und 'Der Arme und der Kelche'. — (J. B.)
0. L. Jiriczek, Seifriedsburg und Seyfriedsage, eine Sagenstudie in Archiv und
Gelände (Archiv des histor. Vereins für Unterfranken 59, 1—16. VVürzburg 1917). —
Zu den seltenen Fällen, in denen ein Rest deutscher Heldensage an eine bestimmte
Örtlichkeit geheftet im Volksmunde fortlebt, gehört die Ortssage des unterfränkisclien
Kirchdorfes Seifriedsburg. Dieser in einer Waldrodung nicht weit vom Einiluss der frän-
kischen Saale in den Main gelegene Ort wird schon 1158 als Sigefridesburg genannt,
enthält aber keine Reste einer Ritterburg und wird seinen Namen von einer primitiven
Herrenhofsiedelung bezogen haben und nicht von einem in der Nähe befindlichen früh-
mittelalterlichen Ringwalle, der jetzt als das 'alte Schloss' bezeichnet wird und in dessen
Nähe eine Lindwurm genannte Wiese liegt. Der Dorfname, dem keine Burg im Dorfe mehr
entsprach, leitete im 15. — 16. Jahrhundert die Phantasie darauf, in den Wallresten jener
Fluchtburg die Ruinen eines zerstörten Sclilosses zu erblicken, dessen Untergang aus dem
durch Bänkelsänger verbreiteten Liede vom hürnen Seylried erklärt wurde. Wie Bader
1835 und Panzer 1848 berichten, war Säufritz der Knecht eines Sauhirten; durch öfteres
Baden im Wasser der 'Lingwurm wiese' wurde er so hart, dass ihm keine Waffe schaden
konnte; er verrichtete in der Fremde Heldentaten, kehrte mit grossen Schätzen zurück
und erbaute die Sänfritzburg, die später durch einen Wolkenbruch umgerissen wurde.
Zu diesem einleuchtenden Ergebnis gelangt die auf sorgsamer Sammlung und kritischer
Verwertung aller archivalischen, topographischen und sagengeschichtlichen Zeugnisse be-
ruhende Untersuchung. — (J. B.)
Sten Konow, Indien (Aus Natur und Geisteswelt Bd. 614). Leipzig und- Berlin,
B. G. Teubner 1917. 130 S. 8'. gebd. 1,50 Mk. — In der unter der Masse des zusammen-
gepressten Stoffes fast erstickenden Darstellung bietet der Abschnitt 'Religion' mancherlei
volkskundlich Wichtiges. In der Übersicht über die geschichtliche Entwicklung werden
die Fabel- und Märchensammlungen (Dschätaka, Pantschatantra, Sukasaptati u. a.) kurz
besprochen. — (F. B.)
P.R.Krause, Die Türkei (Aus Natur und Geisteswelt Bd. 4G9). 2. Aullage. Mit
■2 Karten im Text und 1 Tafel. Leipzig uud Berlin, B. G. Teubner 1918. 134 S. 8".
Gbd. 1,50 Mk. — Die in Jahresfrist nötig gewordene Neuauflage des oben 26, 415 au-
gezeigten Buches trägt den inzwischen eingetretenen Veränderungen (Ersetzung der Kapi-
tulationen durch die neuen Rechtsverträge mit dem Deutschen Reich, Neuordnung des
Unterrichtswesens u. a. m.) Rechnung. Der die Volkskunde berührende Abschnitt ist im
wesentlichen unverändert geblieben. — (F. B.)
K. Krohn, Kaleva und seine Sippe (Journal de la soc. finno-ougrienne 30). 43 S. —
K. sucht in Kaleva, dessen Name schon 1223 in der russischen Bezeichnung von Reval
Kolyvan auftritt, und in andern Helden der finnischen Mythologie skandinavische Häupt-
linge, die in vorchristlicher Zeit in Finnland herrschten.
Edvard Lehmann, Mystik in Heidentum und Christeutum (Aus Natur und Geistes-
welt Bd. 217). Vom Verfasser durchgesehene Übersetzung von Anna Grundtvig. 2. Auf-
lage. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner 1918. 144 S. 8". Geb. 1,50 Mk. — Die Neu-
auflage ist von der ersten nicht wesentlich verschieden. Bei der Darstellung der grie-
chischen Mystik vermisst man ein näheres Eingehen auf die offiziellen Mysterienkulte,
vor allem den eleusinischen. Die Übersetzung gibt die äusserst lebendige und interessante
Schreibart des berühmten dänischen Religioushistorikers vorzüglich wieder. — (F. B.)
Notizen. 273
J. Lewalter, Reichswacht. Soldaten-, Matrosen- und Vaterlandslieder, hsg. Kassel,
M. Brunnemann 1918. 352 S. — Hier schenkt nns Lewalter, der treffliche Kenner des
deutschen Volksliedes, dem wir bereits die Sammlungen der niederhessischen Volkslieder
und der Kinderlieder und Kinderspiele aus Hessen verdanken, ein Kriegsliederbuch, das
Beachtung verdient. Es ist Rudolf Herzog gewidmet und enthält im bunten Gemisch,
wie es das heftweise l-h-scheinen während der vier Kriegsjahre mit sich brachte, gegen
400 alte Balladen und Liebeslieder und neue Kriegsdichtungen von Ganghofer, Dehmel,
Löns und vielen anderen, ernste und lustige, samt den Singweisen. Eine gewiss manchen
willkommene Neuerung ist die Aufnahme der den beliebten Märschen und Signalen unter-
gelegten Teste.
Fr. v. der Leyen, Das deutsche Märchen. Leipzig, Quelle & Meyer 1917. 40 S.
0,<)0 Mk. — Für einen grossen Kreis von Empfänglichen, besonders die Schüler höherer
Lehranstalten, schildert der treffliche Kenner, dem wir bereits mehrere gelehrte und
volkstümliche Schriften über denselben Gegenstand verdanken, das Wesen unsers Märchens,
in dem unseren Kindern zum ersten Male deutscher Geist und deutsche Kunst entges^en-
tritt. Aus dem Vollen schöpfend, legt er klar seine Unterschiede von den verwandten
Gattungen der Sage, des Schwankes, der Legende und Fabel, die urzeitlichen Elemente,
das Streben nach Gliederung Dreizahl) und die fortwährende Verschiebung der Motive
dar. Auf die Heldendichtung des 6.-8. Jahrh. folgt die Periode der Spielleute, das Ein-
dringen antiker, jüdischer, keltischer, indisclier Stoffe im Mittelalter und arabischer und
französischer im 17.— 18. Jahrhundert. Als Feinde des Märchens traten der Humanismus
und die Aufklärung auf. — (J. B.)
John Meier, Das deutsche Soldatenlied im Felde. Strassburg, Trübner 1910.
76 S. 8". (Trübners Bibliothek 4.) — Das hübsche Büchlein ist ein Ergebnis der Um-
frage, die das Frciburger Volksliedarchiv und einige Freunde während des Krieges an-
stellten. Der Verf. beginnt mit der allgemeinen Erfahrung, dass die in längst vertrauten
Liedern verherrlichten Begriffe Heimat, Vaterland, Ergebung in den göttlichen Willen
jetzt bei den Kämpfern eine viel tiefere Bedeutung erhalten liaben. Der Soldat^ngesang
stärkt ferner nicht nur das Gemeiniamkeitsgefühl, sondern entladet auch die Empfindungen,
denen Worte zu geben der Mann aus dem Volke sich oft scheut. Die Sangesfreudigkeit
ist ein wichtiger Gradmesser für den in der Truppe lebenden Geist; denn der Soldat
singt auf dem Marsche und im Quartier nui-, was er wirklich fühlt, vor allem also
Lieder voll Sehnsucht nach der Heimat, nach einem Siege religiöse und Vaterlandslieder ;
junge Truppen aus studentischen Kreisen sind auch singend zum Angriff' vorgestürmt.
Auffällig tritt das kräftige ältere Soldatenlied zurück hinter modernen tränenreichen
Schilderungen eines auf dem Schlachtfelde verblutenden Kriegers oder der jammernden
Angehörigen daheim. Dazu gehört auch das sich an ältere Vorbilder anlehnende Lied
vom Argonnerwald (S. ?)7). Überhaupt modelt man lieber einen alten Text zeitgemäss
um, als dass man einen neuen lernt: auch statt der neuen Weise legt man Heber dem
neuen Text eine alte Melodie unter. M. gibt ferner Beispiele einzelner Regimentslieder
und zeigt, dass der Rhythmus auf dem Marsche Verschiebungen erleidet; der Wunsch,
das Marschlied zu verlängern, führt zur Einschiebung von Kehrzeilen, die meist einem
zweiten Chore zufallen ; diese Kehrreime und ihre Weisen entstammen, wie an verschie-
denen Fällen nachgewiesen wird, gewöhnlich anderen bekannten Liedern. Zur Geschichte
des Dünkirchener Glockenspiels (S. 58 vgl. oben 19, 418. — (J. B.)
C. Nörrenberg, Die Schwarzbrotgrenze (Eifelvereiasblatt 19, 31—32).
H. Patzig, Die Verbindung der Sigfrids- und der Burgundensage. Dortmund,
Ruhfus 1914. 49 S. — Durch Heranziehung der Ortsnamen will P. den norddeutschen Ur-
sprung der skandinavischen Sage von den Weisungen und Hundingen nachweisen. Diese
beeinflusste die Verbindung der süddeutschen Burgunden- und der norddeutschen Sigfrids-
sage zur Nibelungensage. Die Nibelungen wohnten an dem schwäbischen Flusse Nibel,
so nannte man in Norddeutschland die Burgunden. Züge Sigfrids sind auf den dänischen
Wiking Helge übertragen. Die Schrift verdient eine genaue Prüfung,
Robert Petsch, Das deutsche Volksrätsel. Strassburg, K. J. Trübner 1917. V, 88 S.
2,50 Mk. Grundriss der deutschen Volkskunde, herausgegeben von John Meier, 1). — Das
274 Notizen.
erste Heft eines von einem berühmten Forscher geleiteten Grundrisses unserer Wissen-
schaft begrüssen wir mit grosser Genugtuung, Für die Behandlung des Rätsels war
Petsch schon durch mehrere Studien, die er im Jahre 1899 erscheinen Hess, vorbereitet,
wenn er auch im Vorworte bedauert, durch den Krieg an der Ausnutzung seiner Vor-
arbeiten und an einem Abschluss aller Untersuchungen gehindert zu sein. Die Anfänge
der Gattung verlieren sich, wie das erste der fünf Kapitel andeutet, im Dunkel der Vor-
zeit und knüpfen an die indische Opfersymbolik im Eigveda, die germanische Eunen-
weissagung, die bei den nordischen Skalden üblichen Keiiningar und die Rätselmärchen
aii. Das 2. Kapitel skizziert die verschiedenen Fornien des mittelalterlichen Rätsels, die
gelehrte und volksmässige Einwirkung, die lateinischen Fassungen, die Bildung von
Rätselreihen, Dialogen, Streitgedichten und Wettliedern,. die Verwendung der vierzeiligen
Strophe, um dann auf die gedruckten Eätselbüchlein seit 1500 hinzuweisen. Es folgt ein
Überblick über die Formen der deutschen Volksrätsel und eine Bibliographie, beides
nützlich, aber doch nicht in erwünschter Ausführlichkeit. Zu deutliclier Charakteristik
wären hier grössere Proben nötig gewesen, als die rasch fortschreitende, oft nur an-
deutende Darstellung ermöglicht; für die Bibliographie hat bereits Reuschel in der Dt.
Literaturzeitung 1917, 1038 Nachträge geliefert. Für einen Grundriss dürften überhaupt
dogmatisch ausgeprägte Paragraphen förderlicher sein als die Form der vorsichtig
tastt-nden Untersuchung, selbst auf die Gefahr hin, später einige voreilig formulierte Sätze
wieder umstossen zu müssen. Trotzdem gebührt dem anregenden Büchlein unser
Dank. — (J. B )
Marie Ramondt, Karel ende Elegast oorspronkelijk ? Proeve van toegepaste
sprookjeskunde. Utrecht, A. Oosthoek 1917. VIII, 139 S. kl. 4o (Ütrechtsche bijdragen
voor letterkunde en geschicdenis 12\ — In dem anziehenden mittelniederländischen Ge-
dicht von Karl und Elegast, das Benary oben 23, 299 unsern Lesern vorführte, erblickt
Kalff in seiner großen Geschichte der niederländischen Literatur keine blosse Übersetzung
eines verlorenen französischen Epos, sondern eine verhältnismässig selbständige Dichtung.
Diese Ansicht sucht Fräulein Ramondt in der vorliegenden scharfsinnigen, allerdings nicht
ganz glücklich disponierten Schritt vermittels einer Stoffvergleichung zu erweisen. Sie
geht nicht von den räumlich und zeitlich naheliegenden Seitenstücken aus, sondern zieht
zuerst ein russisches, mongolisches und litauisches Märchen heran, in denen sich einzelne
Elemente des niederländischen Gedichtes -wiederfinden, während sie die von Ühlenbeck
beigebrachte liyline von Volch Vseslavjevic zurückweist. Wichtiger ist der Charakter
des Hauptheldeii ; Elegast, der mit König Karl stehlen geht, ist kein gewöhnlicher Dieb,
sondern ein Geächteter mit Züyen von Hochherzigkeit wie Fulko Fitz VVarin und Eobin
Hoüd, dem auch Geschicklichkeit und Zauberkunst eigen ist. Eine Gleichsetzung Elbe-
gasts mit dem namensv^rwandten Alberich-Auberon oder Eligas von Eiuzen (im Ortnit)
wird abgelehnt, andere Diebe der altfranzösischen Heldensage wie Maugis, Grimmoncr,
Basin erfahren sorgsame Beleuchtung. Aus den historischen Zeugnissen endlich schliesst
die Vf., dass zwei verwandte Diebessagen bestanden, eine östlich der Maas lokalisierte
von Basin und eine am Eheine heimische von Elegnst; das niederländische Gedicht von
Elegast folgte in durchaus freier Weise der verlorenen französischen Chanson von Basin.
Diesem Ergebnis kann man zustiuimen, während andere Annahmen, wie der Einlluss des
Märchens von Corvetto (BoIte-PoHvka, Anmerkungen zu Grimm 3, 33 oder die mit
aller Vorsicht ausgesprochene Unabhängigkeit des mongolischen und andrer Märchen
vom Elegast (ebd. 3, 393) Bedenken erregen. — J. B.
K, Eeuschel, Die deutsche Volkskunde im Unterricht an höheren Schulen. Berlin
0. Salle 1917. 70 S. (Deutschunterricht und Deutschkunde, hsg. von K. Bojunga,
Heft 2). — Wie das deutsche \olkstum als ein wichtiger Bestandteil im Unterricht
herangezogen und verwertet werden kann, hat E. Hildebrand schon vor 50 Jahren in
musterhafter Weise gezeigt ; Dähnhardt, Beyschlag, E. Ilofmann, Hoffmaun-Krayer u. a.
sind seit 1899 mit verschiedenen Vorschlägen hervorgetreten, die neu aufgeblähte Wissen-
schaft der Volkskunde für die Schule nutzbar zu machen. Ihnen reiht sich Reuschel
mit einer sorgsam erwogenen Übersicht über die Verbindungen an, die nicht nur der
deutsche Unterricht, sondern auch die Geschichte und Erdkunde, die Religion, die alten
Notizen. 275
und neuen Spracheu, die Naliirwisseiischaft, endlich Zeichnen, Singen und Turnen mit
der Volkskunde eingehen könnten und sollten. Gute Beispiele und reiche Literatur-
angaben heieben die Darstellung. — (J. B.)
Helge Rosen, Om dödsrike och dödsbruk i fornnordisk religion. Akadernisk
avhandlung. Lund, Gleenip. 1918. XII, 252 S. 8\ — Aus heutigen Volkshräuchen sucht
der Vf. das Verständnis für die altnordischen Anschauungen vom Totenreich und Toten-
bräuchen zu gewinnen und gebt dabei auf Grund eines reichen Materials besonnen und
vorsichtig zu Werke. Er setzt erstens die Vorstellungeu der Edda von verschiedenen
Wolinorten der Toten in Beziehung zu den verschiedenen Arten der Bestattung von ein-
zelnen, von ganzen Familien, gefallenen Kriegern, Verunglückten, Unverheirateten,
Wöchnerinnen. 2. Die mehrfach bezeugte Vorstellung einer Toteninsel liegt nicht, wie
Stjerna 1905 behauptete, der skandinavischen Sitte, Häuptlinge in einem Schiffe zu be-
graben, zugrunde. 3. Was flüsterte Odin laut Vaff)rül)nibmyl 54 dem toten Balder ins
Ohr? Vermutlich sollte der längst bestehende Brauch erklärt werden, dass man dem
Toten zuflüsterte: Kehre nicht wieder! 4. Zur Ausrüstimg des Toten gehören dauer-
hafte Schuhe: bisweilen wird der Leiche ein Schuh nachgeworfen; der Leiche werden
die Füsse zusammengebunden. 5—6. Verschiedene Erklärungen für die Sitte, hinter dem
Leichenwagen Wasser ausmgiesseu oder den Toten durch einen besonderen Ausgarg
hinauszutragen. 7. Die Eberesche im Totenkultus (vgl. Schell oben 22, 181). Anhang:
über den Glauben an Folgegeister (fylgja). — (J. ß.)
Friedrich Schwenn, Die Menschenopfer bei den Griechen und Römern. (Reli-
gionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, hsg. v. R. Wünsch und L. Deubncr, XV. Bd.
3. Heft.) Gießen, Alfred Töpelmann 1915.. VII, 202 S. S^ 7 Mk. — Der Verf. gibt zu-
nächst eine geschichtliche Übersicht über die Älenschenopfer (Mogk, Preuß u. a.), bespricht
sodann die für die Griechen als tatsächlich vollzogen überlieferten sowie angebliche
Menschenopfer und gibt sodann eine Übersicht über die Geschichte des Brandes in
Griechenland und das Motiv der Menschenopfer in den Sagen. Im zweiten Teile, der die
römischen Verhältnisse behandelt, herrscht ein anderer Einteilungsgrundsatz, es werden
hier zunächst die mit dem Kriegswesen zusammenhängenden, dann andere römische
Menschenopfer besprochen, darauf ist die Rede von der Stellvertretung im Menschen-
opfer, der Opposition gegen den Brauch und dessen Fortleben im Aberglauben. Ist auch
dem Verfasser zuzugeben, dat^s griechische und römische Religion getrennt zu behandeln
ist, so hätte doch die Übersichtlichkeit des Buches gewonnen, wenn gewisse allgemeine
Fragen, wie die Stellvertretung, zusammenfassend behandelt worden wären. Ein weiteres
Eingehen auf Einzelheiten verbietet sich an dieser Stelle. Das Tatsachenmaterial ist mit
ziemlicher Vollständigkeit zusammengestellt, in der Theorie wäre manches einzuwenden,
obwohl sich der Verf. vor der Gefahr gehütet hat, alle Erscheimmgsformeu des Brauchs
aus einer Wurzel herzuleiten. Immerhin scheint nur von der Tabulchre ein allzu reich-
licher Gebrauch gemacht worden zu sein, zumal im 2. Teile. Zu erweisen wäre ferner
erst der S. 19 aufgestellte Satz, dass in vorgeschichtlicher Zeit die Menschenopfer viel
häufiger gewesen und nicht als Ausnahmefall betrachtet worden seien. — S. 12 Z. 8 v. u.
1. Boarium st. Romanum S. 7L Z. 11 v. u. Monimos st. Mouismos, S. 70 Z. 14 ist oTÖnuy/K
irrtümlich mit „Hals" übersetzt. — F. B.
F. Settegast, Das Polypheramärchen in altfranzösischen Gedichten, eine folkloristisch-
literargeschichtliche Untersuchung. Leipzig, Harrassowitz 1917. III, 167 S. — Die Er-
mittlung der Märchenmotive, welche den höfischen Epen des 12.-13. Jahrh. zugrunde
liegen, ist eine wichtige, aber nicht ganz leichte Aufgabe. Der Vf. gehört zu den Ge-
lehrten, welche einen weitgehenden EinÜuss der antiken, also vorzugsweise griechischen
Mythologie auf die altfranzösische Epik ann>-hmen : und daher musste ihn das uralte und
weitverbreitete Märchen von der Blendung Polyphems, das zuletzt von Hackman (oben
15, 460) ausführlicher behandelt wurde, besonders anziehen. Seine interessante und ein=
gehende Untersuchung zerfällt in sieben Kapitel, die freilich nicht alle zu übei zeugenden
Ergebnissen gelangen. Gleich Hackman nimmt er im 1. Kapitel früheren Forschern
gegenüber mit Recht an, dass die im 19. Jahrhundert aufgezeichneten Volksmärchen
letzten Endes sämtlich auf die Erzählung der Odyssee zurückgehen, weun auch oft eine-
•276 Notizen.
Mischung mit dem Perseus-, Thestnis- oder Hansel und Gretel-Märchen eingetreten ist.
Sehr künstlich erklärt er aber den Ring, den der geblendete Eiese in verschiedenen
Fassungen dem entfliehenden Helden reicht, um ihn am Entkommen zu hindern, als ein
Symbol der leuchtenden Sonne, die auch nach der Zerstörung des Stirnauges fortlebe
(S. 23. 153). Im 2. Kapitel folgt die auf eine orientalische Quelle weisende Erzählung
im Dolopathos, deren deutsche Bearbeitung dem Vf. entgangen ist (Rolte-Polivka, Märchen-
Anmerkungen 0, 3G9 nr. 191a). Sicheren Boden haben wir auch im 5 und 7. Kapitel
unter den Füßen. In jenem handelt S. von einer Epi-5ode im Roman de Troie des
Bcuoit de Sainte-More, die auf einer von der Argonauteusage beeinflussten Notiz bei
Dictj-s Cretensis beruht: Poliphemus verfolgt den Alphenor, einen Gefährten des Ulixes,
der seine Schwester Arene entführt hat, und wird bei dieser Gelegenheit im Dunkel der
Nacht von Ulixes geblendet. Hier ist also alles Märchenhafte getilgt ; der riesenhafte
Menschenfresser ist in einen Fürstensohn gewöhnlicher Art verwandelt, der keine homeri-
schen Züge mehr trägt. Unmittelbare Kenntnis der Odyssee verraten dagegen zwei im
7. Kapitel besprochene Stellen von Bojardos 'Orlando innamorato': die Befreiung der
von einem blinden menschenfressenden Riesen gefangenen Jungfrau Lucina durch Mandricardo,
dessen Schiff dann durch den vom Riesen geschleuderten Felsen beinahe versenkt wird,
und der Kampf Rolands mit dem einäugigen Riesen, der vier Mönche bis auf einen ver-
zehrt hat. Später hat Ariost die Lucina Episode durch eine Vorgeschichte ergänzt. —
Können wir diesen Darlegungen des Vf. im allgemeinen zustimmen, so stehen wir dem
3., 4. und 6. Kapitel, die einen Einfluß des Polyphem-Märchens auf den Huon de Bor-
deaux, den Chevalier au Hon und den Bueve de Hanstone nachzuweisen suchen, mit ge-
lindem Zweifel gegenüber. Die wunderlichen Metamorphosen des Stoffes durch Verbin-
dung mit alkn möglichen anderen Motiven, die S. hier annimmt, sind zwar denkbar,
aber keineswegs erwiesen. Auch die S. 119 vorgetragene Etymologie der Namen Ivorin
= Hyperion und Azopart = Acthiops oder Sciopus scheint bedenklich. Kachinprüfen
wären die Bemerkungen über die verlorene lateinische Odysseebearbeitung (S. 39. 122)
uni über die Verwandtschaft des Menschenfressers Polyphem mit dem Sonnengotte (S. 32.
161\ Zu dem Hunde des Odysseus S. 38 vgl. Zs. f. vgl. Literaturgeschichte 9, 36S und
Romauia 15, 572 v. 510; zu der vom Riesen gefangen gehaltenen Jungfrau S. 57 hätte
Ovids Schilderung von der Liebe Polyphems zur Nymphe Galatea (Met. 13, 789) ange-
führt werden können. — (J. B.)
K. ^Yehrhan, Abfassung, Änderung und Wanderung von Kriegsgedichten; ein
Beitrag zur Volkspsychologie und Volksdichtung (Vierteljahrschrift f. Volkskunde,
München 1917). 45 S. — Zahlreiche Zeugnisse aus den letzten Jahren erweisen, dass der
Begriff des geistigen Eigentums dem Volke fremd ist. Wie 1870 verschiedene Dichter
sich als Urheber des Kutschkeliedes meldeten, so geht es noch heute bei verbreiteten
Kriegsgedichteu her. — (J. B.)
Oskar Weise, Die deutschen Volksstämme und Landschaften. (Aus Natur und
Geisteswelt Bd. 16). 5., völlig umgearbeitete Auflage. Mit 30 Abb., 20 Tafeln und einer
Dialektkarte. Berlin und Leipzig, B. G. Teubner 1917. 112 S. S\ Geb. 1,50 Mk. — In
der Neuauflage sind die vorher getrennten Abschnitte über die Eigentümlichkeiten der
einzelnen Stämme und über ihre Beeinflussung von aussen her ineinandergearbeitet wor-
den, wodurch das Buch an Geschlossenheit gewonnen hat. Hinzugekommen sind Kapitel
über die Obersachsen, Schlesier imd Deutschböhmen, besondere Erörterungen über die
natürliche Beschaffenheit der Stammesgebiete, auch sind neben den auf die Dauer recht
trocken anmutenden Aufzählungen hervorragender Vertreter der einzelnen Stämme einige
ausführlichere, Avenn auch nicht sehr in die Tiefe gehende Charakteristiken (z. B. Bis-
marck für die Niederdeutschen, Goethe für die Franken) eingefügt worden. An dem
Grundgehalt des Buches, desseu frühere Auflagen oben 14, 255 und 18, 234 angezeigt
wurden, hat sich nichts geändert. — F. B.
Sitzungs- Berichte. 277
Aus den
Sitzirngs-Bericliten des Yereins für Yolksliuiide.
Freitag, den 14. Dezember 1917. A^orsitzender Hr. Geh. Rat Prof. Dr.
Roediger. In den Ausschuss \vu>den folgende Mitglieder gewählt: A. Behrend,^
F. Hoehra, Dihle, Ebermann, Friede!, Ed. Hahn, Heusler, Frl. Lemke, Ludwig,
Maurer, Samter und James Simon. Hr. Prof. Dr. Job. Bolte machte Mitteilung
von dem Plane flämischer Studenten der Genler Hochschule, eine internationale
Vereinigung zum Studium der flämischen Volkskunde zu begründen. Der Aufruf
ist in der Aula', Tijdschrift voor Studenten aan 's Rijks Hoogeschool te Gent,
2. Jahrg. Nr. 2 v. 15. Nov. 1917 erschienen und von stud.'hist. Maurits de Meyer
gezeichnet.— Hr. Prof. Dr. Oskar Eber mann sprach über Volkskundliches in der
Bienenzucht früherer Jahrhunderte. Die Biene ist das einzige Insekt, das,
wenigstens in Deutschland, seit alter Zeit als Haustier gilt. Ein Wust von Aber-
glauben umgibt die Bienenzucht bis in die Neuzeit hinein. Daher kamen die
Imker in den Ruf, besonders zauberkundig zu sein. Diese abergläubischen Ge-
bräuche bezogen sich besonders auf das Schwärmen der Bienen. Man glaubte
häufiges Schwärmen durch übernatürliche Mittel veranlassen zu können; anderer-
seits suchte man Schwärme durch sympathetische und symbolische Handlungen
festzuhalten. Schon Plinius spricht von solchen Hilfsmitteln. K. MüUenhoff hat
oben 10, 16 ff", über die Geschichte der Bienenzucht in Deutschland gehandelt.
Den musikalischen Sinn der Bienen kannten bereits die Römer, und Megenberg
(13;jO) sagt, die Bienen freuen sich über Händeklatschen und Geschmeideklingen.
Auch die Glocken spielten hier eine Rolle. In der mittelalterlichen Waldbienen-
zucht, der Zeidlerei, gebrauchte man ausser altertümlichen Bienensegen vielfach
Lockmittel und Bienensalben, deren Bestandteile, Melisse, Bier, Syiup und dergl.,
häufig verderblich für die Bienen wurden. Daher war es im allgemeinen ver-
boten, solche Lockmittel zu gebrauchen. Über die Bedeutung und Vorbedeutung
der Bienenschwärme sind aus dem Altertum mancherlei Anekdoten überliefert.
Bei den Griechen galten sie als Symbol der Kolonisation. Livius, Claudian,
Tacitus und spätere sahen im Anhängen eines Bienenschwarms eine Vorbedeutung
für einen Brand. Anderswo bedeuten sie aber Glück, häufiger noch ein böses
Vorzeichen schlechthin, wie auch ein Bienentraum im Altertum als unglückliches
Vorzeichen galt. In neuerer Zeit prophezeien Bienen teils Glück, teils das Gegen-
teil. In der anschliessenden Besprechung desVoitrages gab Frl. Elisabeth Lemke
Vergleiche aus Ostpreussen und Sardinien und wies auf den schönen Glockenton
der Schwarmbienen hin. Hr. Geh. Rat Roediger erläuterte die Wortbedeutungen
von Biene, Beute und Imme, während Hr. Direktor Minden die Biene des
Napoleonischen Krönungsornates als ein monarchisches Symbol erklärte.
Freitag, den 25. Januar 1918. Der Vorsitzende Geh. Rat Roediger er-
stattete den Jahresbericht, der Schatzmeister Trcichel den Kassenbericht. An
Toten bekhigt der Verein neuerdings den Oberbibliothekar Piof. Dr. A. Kopp in
Marburg und Frau Prof. Mielke. lie Neuwahl des Vorstandes durch Zuruf ergab
dieselbe Zusammensetzung wie bisher, doch gab der Vorsitzende zu erkennen,
dass er zum letztenmale das Amt für ein Jahr übernehme. — Der Unterzeichnete
legte dann einige Geräte aus der Kgl. Sammlung für deutsche Volkskunde mit
einigen Erläuterungen vor. Es handelte sich um eine sogen. Weife, d. i. ein
-J78 ßruuner:
Werkzeug zum Aufwickeln und Abmessen des fertig gesponnenen Garnfadens, das
seit alter Zeit gebraucht wird, aber dann in unseren Gegenden meistens durch den
Haspel ersetzt worden ist. Näheres darüber soll in einem der nächsten Hefte mit
Abbildungen dargelegt werden. — Herr Bibliothekar und Universitätsprofessor Dr.
Hugo Hepding aus Giessen sprach dann über alte Bräuche beim Beerensarameln,
vorwiegend der Heidelbeere in Oberhessen. Neben der üblichsten Verwendung
dieser Beere als Nahrungs- und Genussmittel geht ihre Benutzung als Färbemittel
für Stoffe und Spirituosen einher, ferner als Arzenei und, in Schlesien, als Tee.
Diese volkstümlichen Gebrauchsarten sind uralt. An das Wachstum der Pflanze
vom Mai an, wo sie blüht, knüpfen sich mancherlei Gebräuche und volksmässige
Anschauungen. Ihre Ernte beginnt um Johanni und dauert in Hessen bis Jakobi,
in Böhmen bis Bartholomäi. Sie ist zugleich für die Jugend ein Fest mit Lieder-
sang und märchenhaften Ängsten vor Schlangen, Wölfen, Gepenstern, Zwergen,
Buckligen usw. Von altersher wird der Angang beim Auszug zum Beerenlesen
beachtet. An Kreuzwegen wird nicht gepflückt. Die zum ersten Male teil-
nehmenden Kinder sind zu gewissen Zeremonien verpflichtet, z. B. müssen sie
im Schlitzer Land auf Eisen beissen oder Blätter von alten Bäumen zerbeissen,
so in Hessen. Von der im Volksglauben noch lebendigen Vorstellung der be-
seelten Natur zeugen die Beerenopfer, in Hessen 'Zoll' genannt, die als Erstlinge
dargebracht werden, ferner die bei alten Bäumen, genannt alter Hans, Alte, F>au,
Grossvater, Grossmutter, niedergelegten Steine, Zweige und Blumen. Am Brocken
schmücken die Beerensucher, wenn sie zuerst ernten, eine Felsenklippe aus.
Tänze um solche alten Opferbäume sind vielleicht Reste eines Kultes. Man zer-
drückt auch w'ohl die Opferbeeren an den Bäumen, wirft sie nach altem
prophetischem Brauche hinter sich und vergräbt auch Geldstücke im Walde.
Auch beim Heimgange werden Dankopfer dieser Art dargebracht. Der Letzte
wird wie üblich verhöhnt, und zu Hause w-erden Kinderfeste mit Verspeisung
grosser Kuchen gefeiert. Der Vorsitzende machte noch darauf aufmerksam,
dass das erwähnte bucklige Männchen der Kinderphantasie auch in einem von
Schwind illustrierten Kinderliede auftritt und allerhand Schabernack vollführt.
Bereits im deutschen Altertum, so im Ruodlieb, in den Carmina Burana und in
einem mhd, Liede vom Meister Alexander (13. Jahrh.) sind Beerenpflücker und
ihre Gebräuche crw'ähnt.
Freitag, den 22. Februar 1918. An Stelle des schwer erkrankten 1. Vor-
sitzenden hatte Hr. Prof. Dr. Joh. Bolte den Vorsitz übernommen. Er legte den vom
Verbände deutscher Vereine für Volkskunde ausgegebenen Fragebogen über deutsche
Soldatensprache vor. — Hr. F. Treichel berichtete über die vom Deutschen Aus-
landsmuseum in Stuttgart veranstaltete Wanderausstellung 'Kurland', namentlich
die zur Bienenwirtschaft gebrauchten eigentümlichen Geräte der Letten, die
übrigens von A. Bielenstein, Die Holzbauten und Holzgeräte der Letten, 1907,
bereits in deutscher Sprache beschrieben sind. Er erinnerte ferner an den
bereits oben 18, 311 von R. Andree bekanntgegebenen Gebrauch von Meer-
schweinchen zur Heilung von Hautausschlag. Man nimmt sie mit ins Bett und
glaubt, wie Herr Maurer mitteilte, dass sie auch bei Rheumatismus durch
Wärme und Ableitung heilsam wirken. — Frau Helene Di hie hielt sodann einen
Vortrag über das 'Flügelkleid', worüber sie wie folgt selbst berichtet: „Nach
einigen Erörterungen über die sprachliche Bedeutung der Bezeichnung 'Flügel-
kleid' führte die Vortragende aus, dass die Wörter bisher über das Aussehen
dieses Kleidungsstückes nur recht ungenügende, über seine Bedeutung und Her-
kunft aber gar keine Auskunft geben. Das Vorkommen des Wortes 'Flügelkleid'
Sitzungs-Berichte. 279
konnte zuerst um 1700 festgestellt werden, und wir haben uns ein solches Kleidungs-
stück im 18. Jahrh. vorzustellen als ein Kinderkleid, bei dem hinten von den
Achseln oder aus den Armlöchern 2 schmale Streifen oder Bänder herabhingen,
welche man gebrauchte, um das Kind beim Gehenlernen daran zu halten. Je
weiter wir jedoch in frühere Jahrhunderte zurückgehen, desto häufiger finden wir
diese Streifen nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen beiderlei
Geschlechts. An der Hand der kostümgeschichtlichen Entwicklung zeigte die
Vortragende, dass wir in diesen herabhängenden Streifen nichts anderes als Rndi-
mente von Ärmeln zu sehen haben. Etw^a vom 11. Jahrh. an wurde der Ärmel
in mannigfachster Art verziert, erweitert, verlängert, sowie teilweise und schliesslich
ganz aufgeschlitzt. Diese Ärmel dienten vielfach nicht mehr dem Gebrauch,
sondern nur dem Schmuck. Die Streifenärmel wurden nach und nach schmaler
und verrieten am Ende des 16. Jahrh. in ihrer rudimentären Form kaum noch
ihren Ursprung. Es trat dann der in der Kostümgeschichte seltene, ja vielleicht
einzige Fall ein, dass ein Kleidungsstück, welches sich von einer Zweckkleidung
zur Schmuckkleidung umgewandelt hatte, wieder zu einer — ganz anderen Be-
dürfnissen dienenden — Zwcckkleidung wurde, man benutzte die herabhängenden
Bänder oder Riegel bei kleinen Kindern als Gängelbänder. Diese Art der Be-
nutzung tritt etwa am Ende des IG. Jahrh. zuerst auf, und dürfte im 17. allgemein
üblich gewesen sein. Als modische Gewandzutat verschwanden alle Arten un-
benutzter Schmuckärmel im 1. Viertel des 17. Jahrh. mit dem Erlöschen der
spanischen Mode, nur an den Kleidern ganz kleiner Kinder hielten sie sich zu
dem erwähnten praktischen Gebrauch noch das 18. Jahrh. hindurch. Ihre Herkunft
und ursprüngliche Bedeutung verwischte sich jedoch im 18. Jahrh, und dass sich
auch die sachliche Vorstellung von einem Flügelkleide schon früh im 18. Jahrh.
verflüchtigte und sich daneben eine unklare poetische Übertragung herausbildete,
geht aus der Art hervor, in der Schriftsteller jener Zeit das Wort angewendet
haben. Nicht allein beim Flügelkleide hatten sich die Überbleibsel der einstigen
Schmuckärmel gehalten, sondern noch weit länger bei vereinzelten Uniformen und
Amtstrachten. Sogenannte 'Flügelröcke' fanden sich noch bis zur Mitte des
19. Jahrh. an der Amtstracht der päpstlichen Hofbeamten sowie beim Militär, be-
sonders bei Schützen und Spielleuten." — Die Ausführungen wurden durch eine
kleine Ausstellung von Abbildungen aus verschiedenen Jahrhunderten erläutert.
In der anschliessenden Erörterung des Gehörten machte Herr Dr. Fritz
Boehm darauf aufmerksam, dass bereits im klassischen Altertum Flügel als Ge-
wandteile genannt werden, Hr. Inspektor Maurer erwähnte, dass Flügel am
Panzerkleide in älterer und neuerer Zeit bekannt seien, und Herr Professor Dr.
Bolte erinnerte an die Reitärmel der Frauentracht in den isländischen Sagen.—
Hr. Prof. Dr. Joh. Bolte sprach sodann über den Meisterdieb im Märchen.
Das Motiv des Meisterdiebes ist in den verschiedenen Literaturen sehr verbreitet.
Das älteste Märchen dieser Art ist vielleicht das ägyptische vom Schatze des
Rhampsinit. Es gelangte schon früh nach Indien, und im 12. Jahrh. tritt es im
Abendlande auf. In Deutschland kommt der Name des Meisterdiebes Arbegast
oder Elbegast im Volksmunde vor. Bei Hans Sachs, bei Grimmeishausen, in den
Fabliaux und bei Cervantes tritt der Typus des landstreichenden Schelms vielfach
auf, der infolge von Missverständnissen bei Harmlosen Gewinn einzieht. Manche
dieser Erzählungen sind aus der Volksüberlieferung entnommen und zum Teil
noch heute lebendig. Bei den Spaniern und Franzosen kennt man lange Schelmen-
romane dieser Gattung, in denen der Meisterdieb zum Heroen wird. Im deutschen
Volksmärchen dagegen wird der Schelm verurteilt oder, wie in dem verlesenen
280 Brunner:
Grimmschen Märchen vom Meisterdieb, wenigstens verbannt, nachdem er seine
Kunst erwiesen hat.
Freitag-, den 22. März 1918. Diese Sitzung war dem Gedächtnis zweier
hochverdienten Mitglieder und Führer des Vereins, des 1. Vorsitzenden Max
Roediger und des Obmannes unseres Ausschusses Ernst Friedel, gewidmet,
die der Tod l<urz hintereinander unserem Kreise entrissen hat. Ihre umflorten Bilder
sahen zum letztenmal auf die zahlreiche Trauerversammlung, deren Totenklage
dijrch den Mund der Freunde Johannes Bolte und Georg Minden beredten Aus-
druck fand und den mitanwesenden Angehörigen beider Verstorbenen Trost und
Frieden zu spenden suchte. Beide Nachrufe sind oben ausführlich abgedruckt.
Freitag-, den 26. April 1918. Der Vorsitzende Prof. Dr. Job. Bolte teilte
mit, dass er auf Wunsch und Bitte des Gesamtvorstandes die Leitung des Vereins
übernommen habe, während die Wahl des 2. Vorsitzenden bis zum Herbst auf-
geschoben werde. Der Ausschuss hat sich durch Zuwahl des Herrn Prof. Dr.
Franz Weinitz ergänzt und Herrn Prof. Dr. Oskar Ebermann zum Obmann
ernannt. Herr Stadtverordneter H. Sökeland hat am 22. März d. J. seinen
70. Geburtstag begangen, aus welchem Anlass er namens des Vereins schriftlich
begrüsst worden ist. Wir haben den Tod seiner Gemahlin und den eines jungen
befreundeten Gelehrten Dr. Erich Gutmacher zu beklagen. Als neues Mitglied
begrüsste der Vorsitzende dann Herrn Abgeordneten Pfarrer Dr. W. Gaigalat und
als Gäste Herrn Pastor Fritz Jahn, Direktor der Züllchower Anstalten bei Stettin,
sowie Herrn Prof. Dr. A. War bürg aus Hamburg. Die infolge der Verbands-
umfrage eingegangenen Mitteilungen über Kirchenglocken sind Herrn Prof. Sartori
übersandt worden, der sich zur Bearbeitung des Stoffes bereit erklärt hat. Der
Unterzeichnete legte die ansehnliche Festschrift vor, die unserem Mitgliede Prof.
Dr. Ed. Hahn zu seinem 60. Geburtstage von einem Kreise seiner Kollegen,
Freunde und Schüler gewidmet worden ist. — Herr Prof. Dr. Ebermann hielt
dann einen durch viele Vorlagen erläuterten Vortrag über Schutzbriefe und Ge-
bete französischer Soldaten. Bekannt sind die mancherlei Sprüche zum Schutze
gegen Waffen in den nordischen Sagen. Sie haben sich vielfach bis in die jüngste
Zeit im Volksmunde erhalten und werden auch im gegenwärtigen Kriege noch
benutzt, wenn auch in veränderter Form. Die Franzosen weisen derartigen Aber-
glauben weit von sich, wenn man danach fragt, aber bei genauerem Hinsehen
findet man doch noch manches Flierhergehörige. Der Redner konnte eine ganze
Anzahl verschieden gearteter Typen solcher Schutzbriefe und Gebete in französischer
Sprache nachweisen, teilweise mit bischöflicher Approbation versehen. Manche
scheinen auch nach Art der bekannten Schneeballbricfe verbreitet zu sein. Die
eigentlichen Himmelsbriefe, d. h. angeblich vom Himmel gefallene, sind mehr eine
Art von Haussegen, weniger im Kriege verwendet, und gehen in früheste christ-
liche Zeiten zurück, vielleicht sogar in noch höheres Alter. Gestreift wurden
ferner die bekannten magischen Quadrate mit Zahlzeichen und Parodien auf alle
solche Schutzbriefe aus dem 16. Jahrh. und späterer Zeit. Hr. Inspektor Maurer
erinnerte im Anschluss an den Vortrag an einen solchen parodierten Schutzbrief
im Simplizissimus von Grimmeishausen, Hr. Prof War bürg betonte, dass die
magischen Quadrate yon den Arabern in volksmedizinischem Sinne gebraucht
werden, worauf auch der bekannte Dürersche Holzschnitt von der Melancholia
hinweist. — Herr Prof Dr. Franz Weinitz sprach sodann über Aberglauben und
Zauberkünste bei den heidnischen Lappen. Der Vortrag bot einige Ergänzungen
der in der Zeitschrift für Ethnologie 1910 S. 1 ff. veröffentlichten Abhandlung
über die lappischen Zaubertrommeln, besonders die in Meiningen befindliche.
Sitzungs-Berichte.
281
Erst unter Gustav Wasa begann das Christentum bei den schwedischen Lappen
Eingang zu finden und die Urreligion des sogen. Schamanismus zu verdräno-en.
Eine Hauplquelle dieser alten Zustände ist Joh. Scheffers 'Lapponia' v. J. 1673.
In dieser Zeit fand man aber noch öfter Opferstätten mit rohen Götzenbildern
des Donnergottes usw. mit Renntierfleisch auf steinernen Opfertischen. Man
näherte sich diesen geheiligten Stätten mit stets zunehmender Devotion, zuletzt
auf allen Vieren kriechend. Eine wichtige Rolle spielten in alter Zeit die Zauber-
priester, Neiden genannt, mit ihren Zaubertrommehi, Kobda genannt, die mit auf-
gemalten B^iguren, einem Zeiger und T-förmigem Hammer ausgestattet waren.
Solche Trommeln sind noch zahlreich erhalten. Ausserdem benutzte man Knoten-
zauber zur Hervorrufung oder Dämpfung des Windes. Die bösen Dämonen,
üldas genannt, waren sehr gefürcht(^t und werden noch heute durch Spenden be-
sänftigt. Herr Prof. Dr. Bolte wies im Anschluss an den Vortrag darauf hin,
dass besonders Friis über lappische Mythologie geschrieben hat und dass Dar-
stellungen einer Götterdreiheit auf solchen Zaubertrommeln an ähnliche auf den
Goldhörnern von Tondern erinnern, die A. Olrik in einem soeben in den Danske
Studier aus seinem Nachlasse veröffentlichten Aufsatze behandelt habe, so dass
vielleicht germanischer Einfluss vorliege. Auch in der finnischen Mythologie seien
vielfach Übereinstimmungen mit germanischen Vorstellungen vorhanden.
Freitag, den 24. 3Iai 1918. Der Vorsitzende Prof. Dr. Joh, Bolte teilte
mit, dass der Herausgober der Zeitschrift Dr. Fritz Boehm wiederum zum mili-
tärischen Dienst einberufen sei und dass er selbst sein Amt übernommen habe.
Vom Kultusministerium ist die bisherige Beisteuer auch für dieses Jahr bewilligt
worden. Das verstorbene Mitglied Frl. Katharina Wegscheider hat dem Verein
die Summe von 2(X)0 Mark testamentarisch vermacht. Der sächsische Landtng hat
eine Eingabe um Gründung einer Professur für deutsche Volks- und Alterturas-
kunde von Prof. Dr. Schumann in Dresden angenommen. Hr. Dr. Fritz Behrend
sprach dann eingehend über 'Volkstümliches bei dem Geschichtsfälscher Paullini',
Christian Franz Paullini wurde 1Ü4.S geboren, war Hofhistoriograph in Corvey und
seit 1G85 in seiner Heimatstadt Eisenach Stadtphysikus. In der Geschichte der
Volksmedizin ist er bekannt als Verfasser der 1699 zuerst erschienenen 'Dreck-
Apotheke'. Er war ein vielseitiger Schriftsteller, nicht ohne Verdienste, aber
durch seine historischen Fälschungen von einer traurigen Berühmtheit. Solche
Mängel verunzieren z. B. sein Werk 'Syntagma rerum et antiquitatum Germaniae'.
Auch verschweigt er vielfach seine Gewährsmänner. Wie um die ziemli« h zynisch
behandelte Volksmedizin kümmerte er sich auch um Volksbräuche und Volks-
sagen, die er aber fälschlich als historisch begründet hinzustellen versucht.
Immerhin sind seine Angaben über die Volksmedizin seiner Zeit von Interesse,
da sich viele dieser Bräuche bis in die Jetztzeit im Volke erhalten haben, wie
das Abstreifen von Krankheiten, das Forltreiben durch fliessendes Wnsser, das
Bannen und Antun, das Feuerbesegnen, Not- und Johannisfeuer, Todaustreiben usw.
Das Gebiet des Volksrechtes betritt er auch mit der Schilderung der Feme von
Corvey, wobei er aber ihre jüngere Entwickelung unterschlägt, und des Bahr-
rechtes, d. i die Ermittelung des Mörders durch Blutzeichen seines Opfers. Dieses
deutsche Barrrecht ist bis ins 12. Jahrh. zuriitkzuverfolgen, während es im
römischen Recht fehlt und auch im Indiculus superstitionum (8 Jahrh.) noch nicht
vorkommt. Schon zu Paullinis Zeit waren alle diese Volksbräuche im Schwinden
begriffen. Trotz der schweren Mängel und offenbaren Fälschungen in Paullinis
Schriften ist er doch nicht ohne Verdienst. Er war ein geborner Journalist mit
reinem deutschen Stil, förderte die historische Wissenschaft und betätigte sich
Zeitschr. d. Vereins f. Volkskunde. 1917. Heft 3. ig
28-_> Berichtigung.
auch als Vorkämpfer auf pädagogischem Gebiete, etwa wie Comenius. In An-
erkennung seines Wirkens sandte ihm Leibniz ehrende Briefe, und die Leopol-
dinische Akademie nahm ihn schon in seiner Jugend als Mitglied auf. Der Vor-
sitzende äusserte im Anschluss an den Vortrag, dass diese Schriftsteller, wie z. B.
auch PauUinis Zeitgenosse Praetorius, für uns schwer zu beurteilen sind. Sie er-
zählen vielfach nur zur Unterhaltung, weniger aus Interesse am Volksglauben und
-Brauch. — Dann sprach Hr. Pastor Fritz Jahn, Direktor der Züllchowcr Anstalten
bei -Stettin, unter Vorführung zahlreicher Belege über 'Alte deutsche Spiele'. Seine
Grundauffassung ist, dass das Spiel nicht Hauptzweck sein soll, sondern Ablenkung
und Erholung. Da es unzählige schöne alte Spiele gibt, die in Deutschland oft
in eigenartiger Weise gemodelt wurden, ist es gänzlich überflüssig, neue Spiele zu
erfinden, namentlich aber solche mit Nebenzwecken pädagogischer Art. Nach-
bildungen alter deutscher Spiele werden in den Züllchower Anstalten hergestellt
und zu Tausenden, besonders auch in die deutschen Schützengräben des Welt-
krieges versandt. Besonders wurde genannt das Bohnenspiel, das z. B. noch vor
100 Jahren in den deutschen Familien der ehemals russischen Ostseeprovinzen
allgemein bekannt und im Altertum bereits beliebt war. Die meisten Spiele
stammen ursprünglich aus dem Orient und haben sich wie viele andere Volks-
überlieferungen von da über die Welt verbreitet. Ferner wurden gezeigt das
Nürnberger Zankeisen, Würfelspiele mit 3 Würfeln, das ländliche Fange- oder
Kaiserspiel, mehrere alte Druckbogen mit Abbildungen, die zum Spiel gehören, usw.
Erwähnt wurden das von Leibniz angeführte Nonnenspiel, magische Quadrate mit
verstellbaren Zahlen, das ostpreussische Kurnikspiel, die antike Rhythmomachia,
die auf Pythagoras zurückgehen soll, und das japanische Go, das beste Brettspiel
der Welt. Der Redner führte eine Anzahl Spiele im Gebrauch vor und lud zu
einem Besuch seines Museums alter Spiele in ZüUchow ein.
Berlin. Karl Brunner.
Berichtigung.
In dem Aufsatz von Schläger: Einige Grundfragen der Kinderspiel forschung
S. 112 Z. 11 lies s. u. S. 113; — ebd. Anm. 3 Z. 1 statt 'S. 109': S. 110; — ebd.
Anm. 6 letzte Z. 1. 'S. llH'f. — S. 113 Anm. 6 setze ) nach 'Farbe'.
In dem Aufsatze 'Die Scheune brennt' (oben S. 135) sind leider zwei irre-
führende Druckfehler stehen geblieben: S. 139, Z. 16 1. In einem weissrussi-
schen Schwanke. — S. 140, Z. 21 1. In einer verwandten kleinrussischen Er-
zählung.
Zu dem Aufsatze über Deutsche Volkslieder aus der Dobrudscha (oben
S. 141) bittet Herr Dr. Byhan die Aussprache der Orte Kodshelak, Malkötsch
und Tültscha hinzuzufügen. In der Anmerkung auf S. 141 ist zu lesen: Im Jahre
190Ö. — Z. 3: Lentschau. — Z. 13: Engenfeld.
In der Anzeige des Buches von Vidünas S. 181 Z. 27 ist statt 'Veranlassung
da' zu lesen 'Veranda'.
Registex*.
(Die Namen der Mitarbeiter sind kursiv gedruckt.)
Aarne, A. 84. 179.
Aberglaube: Deutsch 87.
Französisch 279. Iser-
gebirge 148 — 150. Jüt-
land 36. Lappland 279.
Niederlande 170. Russ-
land 242 f. Schweiz 85 f.
Ungarn 212. Heirat 241.
Hexen 242. Kartenschla-
gen 242. Krieg 85. Mord
245. Schatz 85. Schiffer
8(5. Teufel241. 244. Zahlen
173.
Abert, H. 89.
Ablasswesen 37. 40f.
Abracadabra 213. ,
Ackerbau : Gebräuche 84. 93. I
170.
Adler 130 f.
Ahrens, W. 173. 2Ü9. j
Albertus Magnus 17.
Almenviehzucht 84. |
Altertumskunde 188. j
Ament, M. 2C0.
Amerika 87. I
Amulett 86. 173. I
Andree, R. 34. 148. ]
Andree - Ei/sn, M. Toten- j
krönen 146 - 148. !
Andresen, K. G. 217.
Angang 2.
Angeln 94.
Antichrist 243. 249.
Apokalypse 174._179.
Appianus, Ph. 27.
Arabien 12. 173.
Arbeitsreime 137 f.
Archenhold, F. S. 21 f.
Archiv, Schweizer 84 f.
d'Arman, R 248.
Armenien: Märchen 52. 68
Arthopius, B. 39.
Astrologie 14 f. 179. 269.
Atavismus 120.
Auge geschlossen 1 f.
Augustin, der h. 89.
Ausschlag (Kr.) 149.
Bächtold, H. 84. 86.
Backofen 71. 74. 79. 149.
Badestube 73. -wasser 149.
Ballade 85; s. Lied.
Balten: Märchen 176. Sagen
176.
Bank 72.
Bastlösereime 156.
Bäume 224 f.
Bauopfer 181.
Becker, A. 85.
Beckh, H. 269.
Beelzebub 244.
Beerensammeln 278.
Begnadigung verurteilter
Verbrecher 235.
Behrend, F. 281. Notiz 90.
bekkr 72.
Bendel, J. .59.
Berge in der Sage 158 f.
Berliner : Charakter 197 f.
Bern: Chronik 37.
Bertholet, A. 84.
Beucker, H. 174.
Bienenzucht 277 f.
Bilstein 2191
Birkenbaum-Schlacht 174.
245 f.
Blau : s. Farben.
Blau, J. 2(55.
Blut 4. 6. 12. 70f.
Böckel, O. 216.
Böhm, F. 183 f. 278. Bespr.
84 — 89. 266 — 267. Notiz
89-91. 174-181. 269 bis
275.
Böhme, F. M. 41. 47.
Böhme, M. 269.
Böhme, R 184.
Böhmen, Brauch 89. Mär-
chen 53.
Böhmerwald 265.
Bohne 36 f. 44 f.
Bohnenberger, K. 85.
Bohnenlieder 35 f. 167.
BolJ, F. 179. 269.
Bolte, J. 81. 91 f. 141. 182 f.
271. 277 f. Dt. Märchen
aus dem Nachlasse der
Br. Grimm 49-55. Zum
Dornröschen-Märchen 70.
Die Scheune brennt 135
I bis 141. Max Roediger f
I 185 — 196. Begnadigung
zum Striektragen oder zur
Heirat 235-236. A.Koppf
251. Bespr. 170. 267 f.
Notiz 89 f. 173-182. 269
bis 276.
zur Bonsen, F. 174. 245. 247.
Boppe, Meister 17.
Böser Blick 1.
Böttcher 154.
Bovist 150.
de Brahe, Tycho 27.
Brandenburg: Landeskunde
197. 262. Sagen 1.58—164.
Brandstetter, R. 88.
Brauch: Ackerbau 84. 93.
Fest- 87. Hochzeit 56. 87.
143. Toten- 87. 146 f.
Böhmen 59, Niederlande
170.
Brauerei 177.
Brechenmacher. J. K. 89.
de la Briere, Y. 249.
Brot 1. 149. 169. Hartbrot
260. Schwarzbrotgrenze
273.
Brüder, die Deutschen 270.
Bninner, K. 94. 276. Sitzungs-
berichte 91-95. 182-184-.
277 — 282. Bespr. 265.
: Notiz 177.
i Bücher, K. 1501
I Buddhismus 269.
I Bukowina 91. 240.
1 Bulgarien: Märchen 54.
I Schwank 198.
Bidler-Hoefer,H. Die Sankt-
Michaeli - Prozession in
Gaissach 233—235.
j bur 72
Buss, E. 85.
Bi/han, A. Dt. Volkslieder
aus der Dobrudscha und
Südrussland 141 — 146.
Carmina Burana 94.
Christoffelgebet 85.
! de Cock, A. 86.
Comenius, J. A. 30.
1 Corso, R. 87.
Cumont, F. 89.
i nach 74.
Dänemark: Lied 180. Mär-
chen 51. Schwank 186.
Dankzeichen für Volkskunde
91.
Decurtins, C. 85.
Delach aux, Th. 84.
19*
284
Register.
Demetriustag 93.
Deutsch: Kunde 8S.
Stämme 270. 27(i.
Dieb 273. 27S. Verflucht
240.
Dihle, H. 278.
DiUinann, J. Das Hickel-
spiel in Frankfurt a. M
in seiner kriegsgemässen
Entwicklung 237-240.
Divination 1 f. 17 f.
Djurklou-Aschan, E. 271.
Dobrudscha 141.
Doderer, 0. 270.
Donuerberg, -haiu 224.
Dorf formen 170.
Dornberg 224.
Dreizahl 161.
Dreschen 151.
Drost, J. W. P. 90.
Droste. G. 177. !
Dübi, H. 84.
Durchkriechen 150.
Ebbe und Flut 86.
Eberle, M. 85.
Ebermann, O. 92. 277. 280. '
Eckart, R. 90.
Edda: Haus 72 f. i
Ei 32.
Eid 92.
Eidechse 183. I
Eigentumszeichen 84.
Einblattdrucke 21. !
Eirikssaga 98.
Eitrem, S. 174.
Eldnus 71. I
Elegast 274. j
Eliasberg, A. 175.
Eliastag 90.
England: Schwank 13().
Ente 2.
Erdbeben 241.
Esten: Märchen 52. 176.
Fabel 89. 191 f. j
Faden 150. !
Farben : blau 87. schwarz
68 f. weiss 68 f.
Fasten 1.
Fastnacht 58. -spiel 37.
Fehrle, E. 85. 87.
Feilberg, H. F. 86 235. 270.
Feist, S. Bespr. 172 f.
Felsen 218 f.
Feste: Gründonnerstag 93.
Neujahr 2. 10 t. Ostern
93. 178. Weihnacht 93.
177. 269.
Feuerbohrer 119. -reiter
183. -Stätte 71 f. 75. Not-
feuer 119.
Fingernägel 149.
Finnland: Kalewala 182.
Lied 84. Märchen 52.
Schwank 140.
Fisch 149.
Flachsreffen 151,
Flandern: Lied 93. 95. Sagen
270. Schwank 136. Sprache
j 170. Volkskunde 276.
! flet 71 f 80 f.
I Fluchbrief 240. Fluchen 149.
[ Flügelkleid 277.
Flurnamen 2161
Fock, G. 177.
Forcart-P>achofen, R. 84.
Frankfurt a. M. 237.
j Frankreich: Märchen 51.
I Schutzbriefe 279.
1 Frau : Angang 2. Weisse
F. 162. 249. F. Harke 158.
! Freitag 149.
' Freud, M. 24.
: Friaul 182.
\ Friedel, E. 91. 182. 262. 280.
Leben 196-199.
Friedlaender, M. 271.
Frosch 165. 241.
Fuhrmannslied 153,
Fuss 175.
Gaigallat, W. 279.
Gaissach 233.
Galle, R 264.
Gallus, der h. 93.
Ganga til frettar 1 - 13.
97 - 105.
Garber, O. 177.
V. d. Gartow, J. 24.
Gauchat, L. 86.
Gebetsparodien 85.
Gehrich, G. 89.
Gelbsucht 149.
Georg, d. h. 93.
V. Geramb^ V. Rhamm, Ur-
zeitliche Bauernhöfe 71
bis 83. 252-261.
Gering, H 98.
Gersau 85.
Gerstenkorn 86.
Gesangbuch 149.
Gespenster 171.
Gesta Romanorum 70.
Getreidenahrung 169.
Gewitterläuten 95.
Ginet-Filsudzki, B. 84.
Gletting, B. 85.
Glocken, 94 f.
golf 73. 76.
Goedeke, K. 41.
Goedel, G. 177.
Goethe, J. W. 14. 95.
Goyert, G. 270.
Grabfunde 77. -kreuze 84.
Grabinski, B. 247.
Gressoney 85.
V. Greyerz, 0. 85.
Griechenland: Märchen 54.
92.
Grimm, J. und W. 49 f. 176.
179. 182.
Groos, K. Ulf.
Gruber, F. 177.
Gründonnerstag: s. Feste.
Gudmundsson, V. 71 f.
Gutmacher, E. 92. 182. 280,
Haberlandt, M. 175.
HaJm, Ed. 279. Bespr. 169.
Notiz 179.
Halle 72.
Halley, E. 28.
Hambruch, P. 92.
Hamburg; Chronik 19.
Hände verhüllt 85.
Handwasser 121 f.
Handwerkerreime 154 f.
Hannover: Märchen 51.
Harz: Märchen 51.
Hasenwinkel 288.
Hax pax max 215.
Haus: altnordisch 71 f. 251.
jütisch 75. niederländisch
170. russisch 73. slawisch
I 254. südbajuwarisch 252.
I wallisisch 72. -Industrie
265. -zeichen 84. Doppel-
haus 252. Futterhaus 256.
Langhaus 254.
Heanzen: Lied 180. Mär-
chen 51.
Hebbel, F 184.
Hebel. J. P. 30.
Hebriden 1. 97.
Heiligenberg, -wald 231 .
Heimatklänge 271.
Heirat unterm Galgen 236.
Heischelieder 55 f. 93. 183.
Heldensage 188. 271.
Hellwig. A. 247.
Helm, K. 56.
Henderson If.
Hepding, H. 278.
Herd 71. 74.
Hero und Leander 178.
Herz 99.
Hessen: Märchen 51.
Hessenborn, -grund 228.
Heusler, A. 271.
Heuvel, H. W. 170.
Hexeneiche 228 f. -glaube
242.
Hickelspiel 237 - 240.
Hilka, A. 271.
Hillebille 213 f.
Himmelsbrief 244. 279.
Hirschstein 223.
Hirtenrufe 152.
Hochzeit: s. Brauch.
Hof 83 f. 256 f.
Hoffmann-Krayer, E. 84 f.
Hofstaetter, W. 88.
Höhn, H. 86.
Hokus pokus 213.
v. Holtei, K. 30 f.
Holz 265.
Honigbaum 226.
Horak, J. Georg Polivkas
(50. Geburtstag 249 f.
Hrölfs Krakasaga 99.
Huber, M. 175.
Huhn, 2. 166. 179.
Hummel 176.
Hund 2. 270.
Hünenstein 222 f.
Register.
•281
Huugerbaum, -brunnen225f.
Huzulen 93.
Hylten-Cavallius, G. 271.
Idelb erger, H. 200.
llliodor 243.
Imme, Th. 266.
Incubation 103 f.
Indien 272.
Ippel, A. 271.
Island: Märchen 51. Sagas
71.
Italien : Märchen 51. 5o.
Schwank 185 f.
Jacobson, P- N. 94.
Jacob//, A. 7a\\ 25, 314: Ein
salomonisches Urteil 69 f.
Jahn, F. 282.
Jansen, K. 272.
Japan 102.
V. Jecklin, D. 181.
r. Jezewski. K. Aus dem
Jalire 1848. 164 f.
Jiriczek. 0. L. 272.
Johannistag 93. 104. 160.
John, A. 176.
Jönsson, F. 98.
Juden 84. 173 175. 179-181.
Judenbaum 231.
Julien, R. 91. 93.
Jungfrau: bittot den Ver-
brocher los 236. Verzau-
berte 160 f. 183.
Jütland: Haus 75. Volks-
glaube 86.
Kahuil, B. F. Beiträge zur
Volkskunde Osteuropas
(20-21) 240-245.
Kalewala 182. 272.
Kalewipoeg 176.
Kalff, G. 43. 4S.
Kant! I. 106.
Karl d. Gr. 274.
Kartenschlägerin 242,
Katze 2. 86. 103. 1351
Kehricht 150.
Kenningar 100.
Kerbbalken, -holz 84.
Kerze 104.
Kesselkette 84.
Kessler, G. 84
Kettenreime 58. 201.
Kienberg 227.
Kiltgang 87.__
Kinau, R. 177.
Kind: Aberglaube 148 bis
150. Entwicklung 114 f.
Sprachspiel 199
Spielzeug 84. 117,
Kinderbaum 226 f,
203.
Klinger, M. 246
Knopfmuseum 174
Kometen 13 f.
Kommunionsopfer 4.
König von Rom 168.
Königsbaum 226 f.
-215.
s. Spiel,
spräche
269.
Konow, S. 272.
Kopp, A. 251. Bohnenlieder
35 ^ 49. 167 f.
Korb: Buckelkorb 260.
Korzeniecki 247.
Krähe 2.
Krämpfe 144.
Krankheit: Ausschlag 149,
Gelbsucht 149. Gersten-
korn 86, Krämpfe 149. !
Kropf 86. Mondsucht 149. |
Nasenbluten 149. Orakel
If. Schnupfen 149. Zahn-
weh 149.
Krause, P. R. 272.
Kreis 98 f.
Kretschmer. P. 92.
Kreuz l. 84.
Kreuzweg 102.
Krieg: Aberglaube 85. 174.
176 f. Prophezeiungen 174.
176f . 247 f. Sprichwort 90.
Krohn, K. 272.
Küche 71 f. 75.
Kück, E. 94. 'Der Mücken-
könig'Walthers V. d.Vogel-
weide 129—134.
Kümmel, L. 17(5.
Kunze 17.
Kurland 27«.
Lallen 200 — 204. Lallzeit
205 - 215.
Lampen 84.
Lange, K. 110.
Langelett, D. W. 248.
Langiois, G. 248.
Längslaube 255,
Lappen 280,
Lauffer, 0. Der Komet im
Volksglauben 13—35.
Lazarus, M. 110.
Legenden 175. 182.
Lehmann, E. 89. 272.
Lehniner Weissagung 249.
Leibniz, G. W. 90.
Leite de Vasconcellos, J. 84.
Lemke, A. 183. 276.
Lerche 2. 165.
Letten 278. Märchen 52. 55
176.
Leitmann. E. Dornröschen-
Märchen 70.
Lewalter, J. 273.
V. d. Leyen, F. 270. 273.
Lichtloch 71. 77,
Lied 89. 267. 271. Deutsch
141 _. 14G. Finnland 54.
Flandern 93. 95. Frank-
reich 190. Heanzen 180.
Niederlande 170. Portugal
84. Ruthenen 93. Arbeits-
150 f. Bohnen- 39 f. 167.
Heische-55f.93.180 Kinder-
170. Mai- 180. Soldaten-
84. 144 f. 273. Weihnachts-
177. Wiegen- 156. Zauber-
98 f. 182. Melodien 58 f.
Es ging einst ein ve r-
liebtes Paar 268. Heck er
268. Jean Renaud 1 90.
Königskinder 178 Sand
269. Stehe ich am eisern en
Gitter 268. Stille Nacht
277.
Liederbuch: Antwerpener
43. Schöffer- Apiarius 37 f.
Lindau 236.
Linde- Walther, H. E. 176,
Lindner. G. 200,
Link, W. 20.
Links 150.
Litauen: Grabkreuze 84.
Märchen 52. Tierstimmen
1651 Volkskunde 181,
Löffel 94
loft 81,
Lohre, F. Bespr. 262-265.
London 236.
Lose If. 51
Löwenzahn 149.
V. Löwis of Menar. A. 176.
Lublin 236.
Luther, M. 19.
Maass, A. 173.
Magyaren: Märchen 52.
Mailieder 180,
Mann: An gang 2,
Manuel, Nie. 37. 40 f.
Märchen 271. 273. Baltisch
176 Deutsch 179. Grimms
49f. Magyarisch 52. Schwe-
disch 271. Vlä misch 270.
Aladdin 84. Dieb 273. 278.
Dornröschen 70. Fürchten
lernen 52 f. St. Peters
Mutter 53 f. Polyphem 274.
Prinzessin im Sarge 49 f.
Rumpelstilzchen 84.
Marlons, H. 95.
Masken 84.
Maurer 155.
Maurer, H. 278 f.
Maurizio, A. 169.
Mausser, O. 266.
Medaillen 24.
Meer 86. 104. _ ■
Meer.schweinchen 278.
Megenberg, K. v. 18.
Meier, J. 84. 267. 273.
. Meineid 92.
] Meinhof, K, 34.
I Meisirspiel 12.
! 3Ie/ssner, R Ganga til
frettar 1—13. 97-105.
1 Melanchthon, Ph. 20.
I Melken 153.
I Menschenopfer 163. 179. 181.
275.
Merbach, P. 262 f.
Mercier, H. 85.
Meringer, R. 73 f. 199.
Messen 149 f.
Meumann, E. 200.
de Meyer, M. 277.
Michaeli-Prozession 233.
28()
Register.
Miedel, J. 217.
Mielke, R. 262.
Minden, G. 911 2TG. Ernst
Friedel j- 196-199.
Mohr, J. 177.
Mond 149.
Mondsucht 149.
Mongolen: Märchen 55. j
Monke, O 95. |
Mordeiche 230.
Mozart, W. A. 212.
Mückenkönig 129-134. 1
Müllenhof f, K. 1H6. 188.
Mülfer, C. Wurstbetteln und
Wurstreime in Sachsen
55-67.
Müller, K. 28.
Müller- Rüdersdorf, W. Das
Kind im Aberglauben des
Isergebirges 148—150.
Mundarten : niederrheinisch
170. rätoromanisch 85.
schweizerisch 84 f.
Münzbilder 15.
]\runzinger, L. 27.
Musik 264.
Mystik 272.
Nacktheit 1.
Name 92. Spott- 170.
Narrenfeste 43.
Nasenbluten 149.
V. Negclein^ J. Bespr. 171 f.
Neger: Aberglauben 34 f.
Märchen 52.
Nekromantie 100.
Neujahr 2. 104. -spiel 42.
Neun 100. 104. 173. 181.
Nibelungenlied 188.
Nicolaysen 71. 77.
Niederlande : Kinderspiel 90.
Volkskunde 170.
Nörrenberg, C. 273.
Norwegen: Divination 2 f.
Märchen 51. 271.
Notfeuer 119.
Ofen 73 f
Ohreisen 170
Olaf Kyrre 77, O. Tryggva-
son 97.
Oldenburg: Märchen 51.
Olrik, A. 92. 271.
Olsen, M. 98.
öndwegi 79 f.
Opfer 4. 179. 181. 275.
Orakel 1 f . 97 f. Pfeil- lOf.
Stab- 8 f.
Orvar-Oddsaga 99.
Ostern s. Feste.
( )stgermanen in den Alpen-
läudern 261.
Pajki 177.
Palästina 181.
pallr 71. 74. 791
patifou 86.
Patzig, H. 273.
Paullmi, C. F. 281.
Peiser, F. E. 177.
de Periers, B. 135.
Perrault, Ch. 84.
Pesch, J. 177.
Peta -Vatthu 171.
Peterlechner, F. 177
Petsch, R. 88. 135. 273.
Pfeiffer, F. 179.
Pfeilorakel 91
Pflug, Hackenpflug 2581
Pfostengaden 260.
Pinsk 247.
pisel 751
Pitre, Cl. 94.
Podszutveit, J. Litauische
Naturbeseelung 165 — 167.
Notiz 181.
Polen: Grabfunde 177. Mär-
chen 52. 54. Prophe-
zeiung 247. Schwank 138.
Viehzucht 84.
Folivka, G. 135. 249. Per-
sonifikation von Tag und
Nacht 68 f
Polyphem 275.
Pommern: Märchen 51.
Portugal: Lied 84. Märchen
54. Schwank 138.
Posen: Märchen 51.
Postillon 156.
Prassnitz 177.
Preussen: Märchen 51.
prevai 86
Frey er, W. 111. 199.
Prophezeiungen: Illiodor
243. Kriegs- 174. 247—249.
Prozessionen 85. 233.
Przcmysl 243.
Fühler, J. 36 f.
Pult, C. 86.
Pythagoras 451
(Quadrate, magische 173. 279.
Quellen, heilige 105.
Quickborn-Bücher 177.
Rabe 2. 5. 165.
Ramondt, M. 274.
Rätsel 170. 273.
Räubersagen 160.
' Rauchstube 78. 252. 256.
Rauensche Berge 163,
Rechts 149 1
' Regell, P. 217.
Regen 149.
Rehm, H. S. 87.
! Rehsener, M. 92.
; Reimspiel der Kinder 207 1
Zauberformeln 213.
Reis 102. 169.
Reiterer, K. 91.
Reitwein 16;').
Reuschel, K. 274.
Rhabdomantie 8.
Rhamm, K. 711 2521
Rheinland: Märchen 51.
Riesen 159.
Riesenstein 222.
Rist, J. G. 13.
Roediqer, M. 91 f. 182 f 277 f.
Notiz 174. Leben 185 bis
191. Schriften 191 — 196.
Rohr, F. 245.
Rose 84.
Rosen, H. 275.
Rosenmüller 178.
Rossat, A. 84.
liothbaHh, M. Völkerschlacht
am Birkenbaum 245 247.
Zur Literatur der Kriegs-
prophezeiungen 247 - 249.
Rumänien: Märchen 51. 54-
Schwank 137.
Rummelpott 158.
Rumpelstilzchen 215.
Runen 8. 173.
Russland: Aberglaube 242.
Haus 73. Märchen 52. 54.
Schwank 1391
Ruthenen 93.
Rütimeyer, L. 84.
Rzesnitzek, E. 199.
Saal 72 f.
Sachs, C. 264.
Sachsen: Märchen 51. Wurst-
reime 55 f.
Sadruga 177.
Sagen: baltische 176. bran-
denburgische 168 — 164.
jüdische 175. vlämische
270. Birkenbaum 245. Ele-
gast 273. Gespenster 171.
Natur 218. Räuber 160.
Riesen 159. Schatz 160.
Seifried 271. 273. Verzau-
berte Jungfrau 161. Weisse
Frau 162. Zwerg 159.
Sagenbildung und Volks-
etymologie 216-232.
Salomonisches Urteil 69 f.
Salz 36.
Sarasin-, von der Mühll, A . 87.
Sartori, P. 86. 279.
Sator-Arepo 269.
Saturn 173.
Saxo (a^rammaticus 100.
scapigliata 87
Schaller, J. llO.
Scharfenberg, -stein 2201
Schatzgräber 85. 104. -sagen
160.
Schauspiel: 85. s. Fastnacht-
spiel. Weihnachtspiel.
Scheftelowitz, J. 179.
Schell, 0. Bergische Arbeits-
reime 150 - 158.
Scherenschleifer 1.56.
Scherer, W. 186 f.
Scheune 82. 1351
Schiller, F. 107 1
Schlachtsitten 55 f.
Schlafräume 81 f.
Schläger, G Einige Grund-
fragen der Kinderspiel-
forschung 106-121. 199
bis 215 Der König von
Rom 168.
Register.
287
Schlesien: Märchen 53.
Schleswig: Haus TG.
Schlittenfahren 156.
Schlüssel 149.
Schmidt, B. Märkische Berge
in der Sage 158 — 164.
Schmied-Kowarzik, W. 90.
Schnecke 149.
Schnui-fen 149.
Schnur tragen 235.
Sckoof, Tf. Volksetymologie
und Sagenbildung 21() bis
282.
Schottland: Divination 2.
97. Schwank 136.
Schreilaute 205.
Sclireiuer 155.
Schrijnen, J. 170.
Schröder. E. Walther in
Tegernsee 121—129.
Schuh l.-JO. 270.
Schumacher 155.
V. Schulenburg, W. 57 f.
Schürze ffürfell) 260.
Schutzbriefe 280.
Schwalbe 166.
Schwank: bulgarisch 138.
cechisch 139. dänisch 136.
englisch 136. finnisch 140.
italienisch 1351 polnisch
138. portugiesisch 138.
rumänisch 138. russisch
139 f. schottisch 136
schweizerisch 85. serbo-
kroatisch 138. spanisch
138. Ylämisch 136.
Schwarz: s. Farben.
Schweden: Lied 180. Mär-
chen 53. 271.
Schweif einer Hexe 242.
Schwein 2.
Schweiz: Aberglaube 85 f.
Archiv f. Volkskunde 84 f.
Fastnachtspiel 37. Mär-
chen 51. Sprichwort 85.
178. Volkskunde 181.
Schwelle 1.
Schweun, F. 275.
Schwingtag 151.
Schw Lirhand 92.
Sebastian, der h. 234.
Seemannsprache 177.
Segen 1. 86.
seidr 98f.
Seifriedsburg 272.
Seiler, F Notiz 178.
Semler, Ch. G. 28 f.
sengebod 81.
Serbien: Märchen 51. 54.
Schwank 138.
set 72. setstofa 77 f.
Settegast, F. 274.
Sieben 181. -schläfer 175.
Siegfriedssage 272. 273,
Silhouetten 84.
Singer, S. 85. 178.
Sitzungsprotokolle 91—95.
182 V6i. 276-280.
skäli 72
Skandinavien: Haus 71 f.
skemna 72.
Sleumer, A. 247.
Slovaken: Märchen 52. 68 f.
Slowenen: Märchen 52. 54.
Snorri 98.
Sohnrey. H. 178.
Sökeland, H. 279.
Soldatenlied 84. 144. 273.
-spräche 66.
Sonntag 149.
Spangen 170.
Spanien: Schwank 138.
Speicher 72. 81. 84.
Spencer, H. 109 f.
Spiegel 149.
Spiel 282. Hickel237. Kinder-
85. 90. 106-121. 199-215.
Meisir- 12. Seilhüpfen 85.
-reime 85. 168. Lallzeit
205—215.
Spiess, K. 17v».
Spiessrutenlaufen 118.
Spiller, R 70.
Spinngesellschaften 56—93.
Sporer, Th. 39.
Sprachinseln 85. -spiel 199
bis 215.
Sprichwörter 42 f. 85. 176.
178.
' Stab 102.
j stabur 81.
I Stade, W. 171.
Stall 82. 148.
Star 166.
Staubej, E. 85.
Steiermark 91. 254.
Steinlein, S 245.
Steinthal, H. 110.
Stephens, G. 271.
Stein, C. und W. 111. 199.
Sternglaube 269. -schnuppe
15.
Stiehl, O. 91.
Stille Nacht 177.
stofa 71 f.
Storch 166.
t Strack, H. 69. 180.
Straparola, G. F. 370.
Strick tragen 235.
Strohpuppe 170.
Südsee: Märchen 92.
t Sumatra 173.
Sundt, E. 80.
V. Sydow, C. W. 84. 180.
Tacitus 7.
Tag und Nacht im Märchen
68 f.
taghairm 102 f.
Tappolet, E. 199.
1 Tatra 84.
Taube 2.
I Taufpaten 149. -stein 218 f.
' Tegernsee 121 f.
Teufel - austreibung 244.
-glaube 241. -stein 222.
: Thirring- Waisbecker, J. 180.
1 Thomas v. Cantimpre 18,
Thomsen, P. 181.
Tierhaut 103 f. -könige 129 f.
-namenl40 -stimmen 165f.
Tischsitten 121—129.
Tod: Vorzeichen 2. 148 f.
Totemismus 2.
Totenbaum 291. -brauch
274. -krönen 146 — 148.
-reich 274. -stein 223.
Tracht: niederländisch 170.
Traum 92. 98. 148. 171.
Treichel, F. 91. 94. 183 f.
277 f.
Tschechen: Märchen 52. 54.
Schwank 139.
Tscheremissen : Märchen 55.
Türkei 272.
Übersteigen 150.
Uhl, W. 150 f.
Umlaufstall 258.
Ungarn 242.
Ungeheure Eiche 229.
Unholderbaum 229.
Untersberg 225 f.
Vergil 15.
Verhüllung 85.
Vidünas, W. St. 181.
Vierkant 83. 257.
Völkerschlacht am Birken-
baum 245 f.
Voigt, J H. 25.
Volksetymologie und Sagen-
bildung 216-2,32.
Volkskunde : Geschichte 84.
Flandern 277. Nieder-
lande 170. Schweizer 81 f.
Unterricht 274. Vorlesun-
gen 189.
Volkskunst 265.
Waffen 103 f.
Waldeck: Märchen 51.
Waldes, H. 174. 264.
Walther von der Vogelweide
42 121—1,34.
Wanern (spuken) 230.
Warburg, A. 280.
Waser, 0. 87.
Wasser: Aberglauben 104 f,
149. Händewaschen 121 f.
Wasserfall 102 f.
Weber 153
Weger, G. F. 177.
Wehrhan, K. 237. 276.
Weichberger. K. 181.
Weife 276.
Weihnachtspiel 94. 269. s.
Feste.
W^einhold, K. 190.
Weinitz, F. 280. Notiz 176.
Weise, O. 276.
Weiss: s. Farben.
Weisse Frau 162. 249.
Wendel, K. 94.
AVenden : Heischelieder 55f.
Märchen 52.
288
Register.
Wevdau 177.
Wesselski, A. 135.
Wiege 149. -lied 156.
Wilhelm II. 249. '
Wilna '271.
Wilser, L. 172.
Wind 149.
Wolter, K. 270.
Wriede, H. 177.
Wundt, W. 108 f. 199.
'Wünschelrute 160.
Würfel 10 f _ .
Wurstreime 55 f.
Wüst, P 39.
Wymann, E. 85.
Wyttenbach, J. S. 84. .
Zachariae, Th. 69.
Zahlenquadrate 173. 279.
Zahler, H. 85.
I Zahnweh 149.
i Zauberformeln 213 f. -lied
98 f. 182. -mittel 86.
j Orakel 1 f. 97 f. -trommeln
279.
1 Zaun 82 f. 260. -könig 130f.
Zeitungen 22 f.
Zigeuner: Märchen 52.
Zimmermann 154.
Zindel-Kressig. A. 85.
I Zobel, Jörg 85.
Zorzut, D. 182.
I Zwergsägen 159.
Druck von Gebr. Unger in Berlin, Bernhurger Str;i
GR Zeitschrift für Volkskunde
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Jg. 27
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